T 0275/10 () of 11.12.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T027510.20121211
Datum der Entscheidung: 11 Dezember 2012
Aktenzeichen: T 0275/10
Anmeldenummer: 04015854.5
IPC-Klasse: B60T 13/68
B60T 7/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Druckmittelbetriebene Bremsanlage für ein Fahrzeug
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Haldex Brake Products GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag - (nein)
Zulässigkeit von Änderungen - Hilfsanträge 1 bis 17 (nein)
Zulassung Hilfsanträge 18 und 19 (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/03
G 0002/03
T 0016/87
T 0056/87
T 0042/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0439/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die am 7. Dezember 2009 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 504 975 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das europäische Patent in der Fassung gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2009 eingereichten Hilfsantrag 2 den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genügt. Dabei hat sie insbesondere das folgende Dokument

D1: US-A-2003/0006644

als Stand der Technik berücksichtigt.

III. Am 11. Dezember 2012 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung der Einsprüche (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 9, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder des Hilfsantrags 10, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2012, oder der Hilfsanträge 11 bis 17, eingereicht mit Schreiben vom 14. September 2012, oder der Hilfsanträge 18 bis 19, eingereicht um 18.00 Uhr in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2012.

Des Weiteren beantragte sie in ihrer Beschwerdebegründung für den Fall, "dass sich die Beschwerdekammer der Auffassung der Einspruchsabteilung anschließen möchte, dass die Hinzufügung eines unabhängigen Anspruchs, der neben den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 zusätzliche Merkmale aus der Beschreibung enthält, wegen Art. 84 EPÜ oder R. 43(2) EPÜ 2000 oder R. 29(2) EPÜ 1973 unzulässig sein soll", der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfrage vorzulegen:

"Stellt im Einspruchsverfahren die Hinzufügung eines zusätzlichen unabhängigen Anspruchs, der neben den Merkmalen eines erteilten unabhängigen Anspruchs zusätzliche Merkmale aus der Beschreibung enthält, einen Verstoß gegen Art. 84 EPÜ oder R. 43(2) EPÜ 2000 oder R. 29(2) EPÜ 1973 dar?"

Die Beschwerdegegnerinnen I und II (Einsprechenden 01 und 02) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der Anspruch 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"Druckmittelbetriebene Bremsanlage für ein Fahrzeug mit einer Feststellbrems-Funktion, bei der infolge manueller Betätigung eines elektrischen Feststellbrems-Signalgebers (1) wenigstens eine Radbremse der Bremsanlage ohne Betätigung eines Bremspedals über einen mit dem Druckmittel beaufschlagbaren Aktuator betätigbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß ein Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist, in welches eine elektronische Steuereinrichtung (208) sowie eine von der elektronischen Steuereinrichtung (208) elektrisch betätigbare Ventileinrichtung (213, 221, 228) integriert sind, wobei die elektronische Steuereinrichtung (208) bei Empfang eines die Aktivierung der Feststellbrems-Funktion anfordernden elektrischen Betätigungssignals des Feststellbrems-Signalgebers (1) die Feststellbrems-Funktion aktiviert, wobei die elektronische Steuereinrichtung (208) im Rahmen der Feststellbrems-Funktion mittels der elektrisch betätigbaren Ventileinrichtung (213, 221, 228) die Druckmittel-Beaufschlagung des Aktuators steuert".

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 in der erteilten Fassung dadurch, dass der Wortlaut "ein Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist" durch den folgenden Wortlaut ersetzt wird:

"ein vom Feststellbrems-Signalgeber (1) getrenntes und vom Feststellbrems-Signalgeber (1) beabstandet angeordnetes Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist".

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lautet wie folgt:

"Druckmittelbetriebene Bremsanlage für ein Fahrzeug mit einer Feststellbrems-Funktion, bei der infolge manueller Betätigung eines elektrischen Feststellbrems-Signalgebers (1) wenigstens eine Radbremse der Bremsanlage ohne Betätigung eines Bremspedals über einen mit dem Druckmittel beaufschlagbaren Aktuator betätigbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass ein Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist, in welches eine elektronische Steuereinrichtung (208) sowie eine von der elektronischen Steuereinrichtung (208) elektrisch betätigbare Ventileinrichtung (213, 221, 228) integriert sind, wobei die elektronische Steuereinrichtung (208) bei Empfang eines die Aktivierung der Feststellbrems-Funktion anfordernden elektrischen Betätigungssignals des Feststellbrems-Signalgebers (1) die Feststellbrems-Funktion aktiviert, wobei die elektronische Steuereinrichtung (208) im Rahmen der Feststellbrems-Funktion mittels der elektrisch betätigbaren Ventileinrichtung (213, 221, 228) die Druckmittel-Beaufschlagung des Aktuators steuert,

wobei

a) ein Rollbrems-Signalgeber (60) zur Aktivierung einer Rollbrems-Funktion vorgesehen ist und die elektronische Steuereinrichtung (208) eine Funktion zum Erkennen der Aktivierung der Rollbrems-Funktion enthält, wobei die elektronische Steuereinrichtung (208) derart ausgebildet ist, dass sie die Feststellbrems-Funktion aktiviert, falls sie bei aktivierter Rollbrems-Funktion zusätzlich das Auftreten eines Defekts in der Bremsanlage wahrnimmt,

oder

b) die elektronische Steuereinrichtung (208) derart ausgebildet ist, dass im Falle einer Aktivierung der Feststellbrems-Funktion bei fahrendem Fahrzeug über eine Datenschnittstelle ein Bremsanforderungssignal an Bremssteuermodule (3, 5) sendet, wobei das Bremsanforderungssignal einen Sollwert für eine Fahrzeugverzögerung enthält, wobei die Bremssteuermodule (3, 5) derart ausgebildet sind, dass sie durch Druckluft-Beaufschlagung von Bremszylindern (11, 21, 31, 41) die Radbremsen nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung ansteuern,

oder

c) die elektrisch betätigbare Ventileinrichtung (213, 221, 228) ein Bistabil-Ventil (213) mit einer bistabilen Schaltfunktion mit zwei Schaltzuständen aufweist, wobei in einem ersten Schaltzustand Druckmittel zu dem Aktuator zuführbar und in einem zweiten Schaltzustand Druckmittel von dem Aktuator abführbar ist, wobei in dem Druckmittelströmungspfad zwischen dem Bistabil-Ventil (213) und dem Aktuator ein Ventil (221) angeordnet ist, durch welches die Druckmittelströmung zwischen dem Bistabil-Ventil (213) und dem Aktuator absperrbar ist,

oder

d) eine Standsicherheitsfunktion vorgesehen ist, welche bei stehendem Fahrzeug automatisch eine Aktivierung der Feststellbrems-Funktion bewirkt, wenn der Vorratsdruck den Lösedruck der Federspeicher-Bremsfunktion unterschreitet."

Dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 schließen sich die abhängigen Ansprüche 2 bis 22 an, wobei der abhängige Anspruch 19 wie folgt lautet:

"Bremsanlage nach wenigstens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Feststellbrems-Signalgeber (1) ein Proportionalelement (128) zur Vorgabe eines Bremskraftwerts aufweist und die elektronische Steuereinrichtung (208) die Bremskraft der Feststellbrems-Funktion nach Maßgabe des Bremskraftwerts einstellt."

In den Hilfsanträgen 3 bis 5 ist die Merkmalsgruppe b) des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 jeweils als Merkmalsgruppe b) im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3, als letztes Merkmal des Anspruchs 2 gemäß Hilfsantrag 4 und als kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs 2 gemäß Hilfsantrag 5 wiederzufinden.

Der Wortlaut "ein Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist" im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2, im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3, in den Ansprüchen 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 4 und in den Ansprüchen 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 5 wird im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6, im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7, in den Ansprüchen 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 8 und in den Ansprüchen 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 9 jeweils durch den folgenden Wortlaut ersetzt: "ein vom Feststellbrems-Signalgeber (1) getrenntes und vom Feststellbrems-Signalgeber (1) beabstandet angeordnetes Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist".

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 10 entspricht Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2, wobei der in der Merkmalsgruppe b) befindliche Wortlaut "nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung ansteuern" durch den Wortlaut "nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung derart ansteuern, dass der Ist-Wert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Soll-Wert entspricht" ersetzt wird.

In den Hilfsanträgen 11 bis 17 wird der in den Hilfsanträgen 3 bis 9 befindliche Wortlaut der Merkmalsgruppe b) des Anspruchs 1, bzw. des Anspruchs 2 "nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung ansteuern" durch den Wortlaut "nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung derart ansteuern, dass der Ist-Wert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Soll-Wert entspricht" ersetzt.

Der abhängige Anspruch 19 gemäß Hilfsantrag 2 ist in sämtlichen Hilfsanträgen 3 bis 17 als abhängiger Anspruch 19, bzw. abhängiger Anspruch 22 wiederzufinden.

Der Hilfsantrag 18 entspricht dem Hilfsantrag 11, wobei bei sämtlichen abhängigen Ansprüchen 2 bis 22 der Rückbezug auf Alternative b) in Anspruch 1 ausgeschlossen wird.

Der Hilfsantrag 19 entspricht dem Hilfsantrag 18, wobei die Merkmalsgruppe b) des Anspruchs 1 geändert wurde und wie folgt lautet:

"die elektronische Steuereinrichtung (208) derart ausgebildet ist, dass im Falle der Aktivierung der Feststellbrems-Funktion bei fahrendem Fahrzeug über eine Datenschnittstelle ein Bremsanforderungssignal an Bremssteuermodule (3, 5) sendet, wobei das Bremsanforderungssignal einen Sollwert für eine Fahrzeugverzögerung enthält, wobei die Bremssteuermodule (3, 5) derart ausgebildet sind, dass sie durch Druckluft-Beaufschlagung von Bremszylindern (11, 21, 31, 41) die Radbremsen nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung derart ansteuern, dass der Ist-Wert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Soll-Wert entspricht, wobei die elektronische Steuereinrichtung (208) den in einer Druckluftleitung (225) einzustellenden Druck gemäß der Istverzögerung, die die elektronische Steuereinrichtung (208) aufgrund von über die Datenschnittstelle empfangenen Geschwindigkeitssignalen der Rad-Sensoren (13, 23, 33, 43) berechnet".

V. Zur Stützung ihres Vorbringens brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vor:

Zum Hauptantrag

Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung sei der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt neu gegenüber dem von der Einspruchsabteilung zitierten Ausführungsbeispiel einer Bremsanlage (vgl. insbesondere Absatz [0084] in Verbindung mit Figur 11 von D1). Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (vgl. insbesondere T 42/92 und T 56/87) gehörten widersprüchliche Angaben innerhalb eines Dokumentes nicht zu dessen Offenbarung. Im vorliegenden Fall würde ein Fachmann die Figur 11 und die dazugehörigen Ausführungen gemäß Absatz [0084] von Dokument D1 nicht dem Offenbarungsgehalt dieses Dokuments hinzurechnen, denn das besagte Ausführungsbeispiel, ein kompaktes in der Fahrerkabine angeordnetes Aggregat inklusiv der Druckluftleitungen, stehe im gravierenden Widerspruch zum übrigen Inhalt des Dokuments (vgl. Figuren 3 bis 5) und zur darin genannten Aufgabe, nämlich die pneumatischen Leitungen kurz zu halten und die pneumatischen Komponenten aus der Fahrerkabine zu beseitigen (vgl. insbesondere Absätze [0068] und [0069]). Zusätzlich enthalte das Dokument D1 als Ganzes, aber auch insbesondere die Textstelle zum Ausführungsbeispiel nach Fig. 11, widersprüchliche Ausführungen und Unvollständigkeiten, die die darin enthaltene technische Lehre bis zur Unverständlichkeit entstellten. Schließlich zeige die Figur 11 von D1 keine Integration der elektronischen Steuereinrichtung (controller 162) und der Ventileinrichtung (solenoid portion 220) in einem Feststellbrems-Modul, wie es der Anspruch 1 wie erteilt verlange.

Zum Hilfsantrag 1

Das neue Merkmal, dass "ein vom Feststellbrems-Signalgeber (1) getrenntes und vom Feststellbrems-Signalgeber (1) beabstandet angeordnetes Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist" sei den Figuren 1 und 7 der ursprünglichen Anmeldung EP-A-1 504 975 (D0) zu entnehmen. Darüber hinaus erkenne der Fachmann aus dem gesamten Inhalt der ursprünglichen Offenbarung D0, dass es allein auf die vom Feststell-Signalgeber beabstandete Anordnung des Feststellbrems-Moduls und nicht auf dessen exakten Einbauort außerhalb der Fahrzeugkabine oder um dessen genauen Abstand zum Signalgeber ankomme, wenn es darum gehe, Pneumatikleitungen nicht in die Fahrzeugkabine zu führen. Sollte die Kammer der Auffassung sein, dass die ursprüngliche Offenbarung D0 keine Grundlage für das neue Merkmal enthalte, dann sei dieses Merkmal als ein nicht offenbarter Disclaimer im Sinne der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/03 bzw. G 2/03 zu betrachten. Insgesamt sei daher der neue Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 zulässig gemäß Artikel 123 (2) EPÜ.

Zum Hilfsantrag 2

Eine Grundlage für die durch die im Anspruch 1 beanspruchte Alternative gemäß Merkmalsgruppe b) sei im Absatz [0059] der Beschreibung von D0, wenn dieser Absatz in Verbindung mit dem Absatz [0055] gelesen werde, zu finden. Die Angabe "gemäß vorteilhaften Ausgestaltungen der Erfindung" des Absatzes [0055] stelle klar, dass es sich bei dieser Merkmalsgruppe um einen eigenständigen und fakultativen Aspekt der Erfindung handele. Die Angabe im Absatz [0055] stelle ebenfalls eine Verknüpfung der Alternative gemäß Merkmalsgruppe b) mit allen anderen Aspekten der Erfindung her, die in den übrigen Merkmalsgruppen a), c) und d) des Anspruchs 1 und in den abhängigen Ansprüchen 2 bis 22 spezifiziert sind. Alle Kombinationen der Merkmalsgruppe b) mit den Merkmalen der abhängigen Ansprüche seien offenbart. Somit entstehe keine unzulässige Erweiterung durch Rückbeziehung der Patentansprüche 2 bis 22 auf Anspruch 1 mit der Merkmalsgruppe b).

Die Beschwerdegegnerin II sehe zu Unrecht eine Zwischenverallgemeinerung in dem Weglassen des Nachsatzes "derart, dass der Istwert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Sollwert entspricht" aus der Offenbarungsquelle (Absatz [0059] von D0) für die Merkmalsgruppe b). Der Fachmann wisse, dass der Sollwert der Fahrzeugverzögerung über eine Steuerung oder eine Regelung erreicht werden kann. Es könne für die vorliegende Erfindung vollkommen offen bleiben, ob dieses Ziel durch eine Steuerung oder eine Regelung geschehe. Entscheidend sei lediglich, dass die Bremssteuermodule durch Druckluft-Beaufschlagung von Bremszylindern die Radbremsen nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung ansteuern. Eine Steuerung könne sehr wohl den Sollwert in Abhängigkeit z.B. der Beladung oder anderen Größen des Fahrzeugs ermitteln.

Die Hilfsanträge 10 bis 17 würden für den Fall eingereicht, dass das Weglassen des Nachsatzes aus dem Absatz [0059] der Beschreibung von D0 ("derart, dass der Istwert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Sollwert entspricht") in der Merkmalsgruppe b) als Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ angesehen werden sollte und die Kammer keinem der Hilfsanträge 2 bis 9 stattgeben könnte.

Bei den Hilfsanträgen 18 und 19 seien die Rückbezüge der abhängigen Ansprüche auf die Alternative b) des unabhängigen Anspruchs 1 ausgeschlossen worden. Kein neuer zusätzlicher Anspruch sei hinzugekommen. Durch diese Änderungen seien die Einwände der Beschwerdegegnerinnen überwunden und die Komplexität der im Verfahren stehenden Fragen reduziert. Nach dieser Änderung sei seitens der Beschwerdegegnerinnen keine grundlegend neue Argumentation zu führen und auch keine zusätzliche Recherche nötig. Diese Hilfsanträge sollten daher in das Verfahren zugelassen werden.

Die eingereichte Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer bleibe bestehen. Sowohl die Beschwerdeführerin als auch die gesamte Anwaltschaft hätten ein besonderes Interesse an der Beantwortung dieser Frage.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen I und II kann wie folgt zusammengefasst werden:

Die Einspruchsabteilung habe zutreffend festgestellt, dass das Dokument D1 neuheitsschädlich für den Anspruch 1 wie erteilt sei (Hauptantrag). In dem in der Figur 11 von D1 gezeigten Feststellbrems-Modul seien eine elektronische Steuereinrichtung 162 sowie eine davon betätigbare Ventileinrichtung 230 integriert, genauso wie das Feststellbrems-Modul des angegriffenen Patents aus zwei Teilmodulen bestehe, nämlich einem Elektronikmodul und einem Ventilmodul (vgl. Absatz [0046] der Beschreibung der Patentschrift).

Die Hinzufügung des Merkmals "ein vom Feststellbrems-Signalgeber (1) getrenntes und vom Feststellbrems-Signalgeber (1) beabstandet angeordnetes Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist" im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 stelle eine unzulässige Verallgemeinerung dar und verstoße damit gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Die Figuren 1 und 7 von D0 stellten keine Grundlage für diese Änderung dar.

In der Merkmalsgruppe b) des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 sei durch das Weglassen des Nachsatzes "derart, dass der Istwert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Sollwert entspricht" in der Offenbarungsquelle der beanspruchten Ansteuerung (Absatz [0059] von D0) eine Zwischenverallgemeinerung entstanden, die ebenfalls gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße.

Durch die Rückbeziehung der abhängigen Ansprüche auf den unabhängigen Anspruch mit der Merkmalsgruppe b) seien in den Hilfsanträgen 2 bis 17 Gegenstände entstanden, die ursprünglich nicht offenbart worden seien. Daher seien diese Änderungen unzulässig gemäß Artikel 123 (2) EPÜ.

Die Hilfsanträge 18 und 19 seien verspätet und sollten daher nicht in das Verfahren zugelassen werden. Die in diesen Hilfsanträgen durchgeführten Änderungen bedürften weiterer Erörterung, denn durch diese seien die Einwände nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht endgültig ausgeräumt. Es bestehe auch Diskussionsbedarf hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit von Oder-Alternativen a) bis d) im unabhängigen Anspruch (Regel 80 EPÜ).

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Wie bereits die Einspruchsabteilung ist auch die Kammer der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt nicht neu gegenüber der im Absatz [0084] von D1 beschriebenen und in Figur 11 von D1 dargestellten Ausführungsform der in diesem Dokument beschriebenen Bremsanlage ist. Um die Neuheit vorwegzunehmen, reicht es aus, dass eine Ausführung der im Dokument D1 beschriebenen Bremsanlagen sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 wie erteilt offenbart und dies hat die Einspruchsabteilung mit Bezug auf das Ausführungsbeispiel nach der Figur 11 von D1 (vgl. Punkt 9. ihrer Entscheidungsbegründung) überzeugend begründet.

2.2 Für die Kammer gibt es keinen Zweifel darüber, dass sowohl der gesamte Inhalt des Dokuments D1 als auch die Textstelle gemäß Absatz [0084] der Beschreibung in Verbindung mit der Figur 11 dieses Dokuments eine technisch nachvollziehbare Aussage vermitteln. Wie das umstrittene Patent beschäftigt sich Dokument D1 mit der Problematik der Beseitigung der Pneumatikleitungen zu einem handbetätigbaren pneumatischen Ventil, welches zur Betätigung der Feststellbremsvorrichtung des Fahrzeugs durch den Fahrer dient (vgl. Figur 2 "Prior Art"), und es schlägt vor, die Signalübertragung zur Aktivierung der pneumatischen Feststellbrems-Funktion mittels eines Schalters (operator switch 163 oder 200) und einer Steuereinrichtung (controller 162) auf elektrischem Weg durchzuführen (Figur 1 und Absatz [0067]). Der Absatz [0084] und die Figur 11 von D1 sind in diesem Kontext zu verstehen und die Kammer kann nicht erkennen, dass die Einspruchsabteilung unterschiedliche Ausführungsformen der in D1 offenbarten Bremsanlagen kombiniert hat, um zu ihrer Auffassung zu gelangen. Die Tatsache, dass im Dokument D1 die Terminologie nicht einheitlich ist und die Figur 11 skizzenhafte Proportionen aufweist, tut der Nachvollziehbarkeit der technischen Lehre des Dokuments D1 durch den Fachmann keinen Abbruch, so dass die von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidungen (T 42/92 und T 56/87) hier nicht relevant sind.

Darüber hinaus, selbst wenn die Ausführungsform gemäß Fig. 11 im Widerspruch zum übrigen Inhalt von Dokument D1 und zur darin genannten Aufgabe stünde, stellt diese Ausführungsform allein betrachtet eine bereits an sich technisch nachvollziehbare Aussage - wie oben erläutert - dar, so dass sie nicht bloß wegen Widersprüche mit anderen Teilen der Offenbarung vom Stand der Technik auszuschließen wäre.

2.3 Zur Frage der Auslegung des Wortlauts des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 "Feststellbrems-Modul, in welches… integriert sind" ist bei der Beurteilung der Neuheit bekanntlich die Beschreibung und die Figuren der Patentschrift heranzuziehen (vgl. Artikel 69 (1) EPÜ und T 16/87, ABl. EPA 1992, 212). Im vorliegenden Fall gibt der Absatz [0046] der Patentschrift an, dass das erfindungsgemäße Feststellbrems-Modul aus einem Elektronikmodul und einem Ventilmodul besteht. Diese Ausführung des Feststellbrems-Moduls ist auch in der Figur 11 von D1 erkennbar. Wie im Absatz [0084] von D1 erwähnt und in Figur 11 von D1 gezeigt, sind die elektronische Steuereinrichtung (controller 162) und die Ventileinrichtung (solenoid portion 220) zu einer einzigen, kompakten und reproduzierbaren Einheit (Modul) zusammengefasst und somit "integriert".

3. Hilfsantrag 1

3.1 In den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen ist keine explizite Grundlage für das neue Merkmal "ein vom Feststellbrems-Signalgeber (1) getrenntes und vom Feststellbrems-Signalgeber (1) beabstandet angeordnetes Feststellbrems-Modul (2) vorgesehen ist" zu finden. Es stellt sich somit die Frage, ob dieses Merkmal sich eindeutig und unmittelbar aus den von der Beschwerdeführerin zitierten Stellen der ursprünglichen Offenbarung D0 ergibt.

3.2 Das neue Merkmal lässt offen, in welchem Abstand der Feststellbrems-Signalgeber und das Feststellbrems-Modul beabstandet angeordnet sind. Der Fachmann kann den Figuren 1 und 7 von D0 mit dazugehöriger Textstelle zwar entnehmen, dass der Feststellbrems-Signalgeber 1 vom Feststellbrems-Modul 2 getrennt ist und dass beide über eine elektrische Leitung 101 verbunden sind, der Abstand zwischen diesen Komponenten ist jedoch nicht ein beliebiger Abstand. Vor dem Hintergrund der in D0 erwähnten Problematik der Reduzierung des Fertigungs- und Montageaufwands, der insbesondere durch die Verlegung der Druckluftleitungen für die Betätigung der Feststellbremsvorrichtung des Fahrzeugs (vgl. Absätze [0003] bis [0005] sowie [0025] bis [0026] von D0) verursacht wird, erkennt der Fachmann aus den Figuren 1 und 7 von D0, dass das Feststellbrems-Modul 2 im Bereich der Achse der Hinterräder 40 angeordnet ist, wohingegen der Feststellbrems-Signalgeber 1 im Bereich des Bremspedals 4 in der Fahrzeugkabine und somit, in Fahrtrichtung gesehen, vor der Achse der Vorderräder 10 angeordnet ist. In Kontrast dazu, schließt die allgemeine Angabe des Anspruchs 1, dass der Feststellbrems-Signalgeber vom Feststellbrems-Modul (beliebig) beabstandet sein kann, z.B. ein, dass beide Teile sich in der Fahrerkabine befinden. Diese Änderung stellt daher eine unzulässige Verallgemeinerung der in den Figuren 1 und 7 von D0 gezeigten Anordnung dar und verstößt deshalb gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ.

3.3 Die These der Beschwerdeführerin, das neue Merkmal sei als nicht offenbarter Disclaimer im Sinne der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/03 bzw. G 2/03 (ABl. EPA 2004, 413 und 448) zu betrachten, welches die Neuheit gegenüber einer zufälligen Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ 1973 wiederherstelle, ist nicht nachvollziehbar. Die Gültigkeit dieser These setzt voraus, dass das Dokument D1 eine zufällige Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ 1973 darstellt. Nach der Entscheidung G 1/03 bzw. G 2/03 ist eine Vorwegnahme zufällig, wenn sie so unerheblich für die beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, dass der Fachmann sie bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte. Dies trifft für das Dokument D1 offensichtlich nicht zu (vgl. die obigen Ausführungen zum Hauptantrag in Bezug auf die Frage der Neuheit gegenüber D1).

4. Hilfsantrag 2

4.1 Die Beschwerdeführerin hat die These aufgestellt, dass die Merkmalsgruppe b) des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 einen eigenständigen Aspekt der Erfindung betreffen solle (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 17, Punkt 4: Aspekt einer Ansteuerung über einen externen Bremsanforderungssignal). Sie hat die Absätze [0055] und [0059] der ursprünglichen Anmeldung D0 als Grundlage für diese These zitiert.

4.2 Es ist daher im Rahmen des Artikels 123 (2) EPÜ und bezüglich der Merkmalsgruppe b) zu prüfen, ob diese Eigenständigkeit der Merkmalsgruppe b) aus dem Offenbarungsinhalt der ursprünglichen Anmeldung D0 eindeutig und unmittelbar hervorgeht. Diesbezüglich teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdegegnerin II, dass eine Zwischenverallgemeinerung in dem Weglassen des Nachsatzes des Absatzes [0059] ("derart, dass der Istwert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Sollwert entspricht") stattgefunden hat. Die im Absatz [0059] erwähnten Merkmale beziehen sich zwar gemäß Absatz [0055] auf eine "vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung", jedoch betrifft diese vorteilhafte Ausgestaltung eine ganz konkrete Ausführung der Bremsanlage, nämlich "die zuvor beschriebene Bremsanlage". Bei dieser Bremsanlage ist der Feststellbrems-Signalgeber zur Aktivierung der Feststellbrems-Funktion als Wippe mit einer Feststellbrems-Stellung ausgebildet (vgl. [0048] bis [0054] von D0) und gemäß Absatz [0059] sendet die elektronische Steuereinrichtung das Bremsanforderungssignal solange aus, wie diese Wippe (Feststellbrems-Signalgeber) in der Feststellbrems-Stellung gehalten wird. In diesem Kontext besteht zwischen der im Absatz [0059] beschriebenen Regelung der Fahrzeugverzögerung durch die Bremssteuermodule 3,5 ("derart ansteuern, dass der Istwert der Fahrzeugverzögerung möglichst genau dem Sollwert entspricht") und dem Bremsanforderungssignal (Sollwert für die Fahrzeugverzögerung) ein klar erkennbarer funktioneller Zusammenhang. Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es gemäß Artikel 123 (2) EPÜ nicht statthaft, aus mehreren in Kombination miteinander offenbarten Merkmalen einzelne zur Definition eines erfinderischen Gegenstands herauszugreifen (unzulässige Zwischenverallgemeinerung).

4.3 Die Kammer teilt auch die Auffassung der Beschwerdegegnerin II, dass durch die Rückbeziehung der abhängigen Ansprüche 2 bis 22 auf den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 (inklusiv der Alternative nach der Merkmalsgruppe b)) Gegenstände entstehen, die nicht ursprünglich offenbart worden sind. Als Beispiel wurde in der mündlichen Verhandlung der abhängige Anspruch 19 erwähnt, der sich auf einen Feststellbrems-Signalgeber bezieht, der ein Proportionalelement zur Vorgabe eines variablen Bremskraftwerts aufweist, wobei die elektronische Steuereinrichtung die Bremskraft der Feststellbrems-Funktion nach Maßgabe des Bremskraftwerts einstellt. Eine solche Ausbildung des Feststellbrems-Signalgebers ist mit der im Absatz [0059] von D0 beschriebenen Funktionsweise, bei der die Bremskraft nach Maßgabe des Sollwertes der Fahrzeugverzögerung angesteuert wird, nicht kompatibel und somit auch nicht offenbart. Somit stellt die Rückbeziehung der Patentansprüche 2 bis 22 gemäß Hilfsantrag 2 auf den Anspruch 1 mit der Alternative b) einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.

5. Hilfsanträge 3 bis 17

Der im Hilfsantrag 2 festgestellte Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ bezüglich der Rückbeziehung der abhängigen Ansprüche auf den unabhängigen Anspruch mit der Alternative b) ist auch in den Hilfsanträgen 3 bis 17 feststellbar. Die Alternative b) ist nämlich in einem unabhängigen Anspruch enthalten (Hilfsantrag 3: Anspruch 1; Hilfsantrag 4: Anspruch 2; usw.), auf den insbesondere ein Anspruch 19 gemäß Hilfsantrag 2 (Hilfsantrag 3: Anspruch 19; Hilfsantrag 4: Anspruch 22; usw.) rückbezogen ist. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Aus demselben Grund sind daher diese Hilfsanträge nicht gewährbar.

6. Hilfsanträge 18 und 19

6.1 Die Beschwerdeführerin reichte in der mündlichen Verhandlung die Hilfsanträge 18 und 19 ein, nachdem mit den Parteien der Sachverhalt diskutiert worden war, die Kammer sich diesbezüglich beraten und den Parteien ihre Auffassung in Hinblick auf die Gewährbarkeit des Anspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 bis 17 kundgetan hatte.

6.2 Gemäß Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen oder zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

6.3 Das Einreichen der Hilfsanträge 18 und 19 durch die Beschwerdeführerin läuft darauf hinaus, den Einwand in Bezug auf die Rückbeziehung der abhängigen Ansprüche zu überwinden. Dieser Einwand wurde jedoch von der Beschwerdegegnerin II bereits in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 23. August 2010 (Seite 8, Punkt 2.) vorgebracht und die Beschwerdeführerin hielt es in ihrem Schreiben vom 14. September 2012 für unnötig, aufgrund dieses Einwands ihre Anträge zu ändern. Vielmehr nahm sie in demselben Schreiben zu diesem Einwand ausführlich Stellung (vgl. Seite 8, erster Absatz). Der in den Hilfsanträgen 18 und 19 durchgeführte Ausschluss der Rückbeziehung ist somit nicht als Reaktion auf neue Einwände der Beschwerdegegnerinnen zu werten und hätte früher vorgelegt werden sollen.

6.4 Zudem teilt die Kammer die von der Beschwerdegegnerin II geäußerten Bedenken in Hinblick auf die Frage der unzulässigen Erweiterung, welche durch die in den Hilfsanträgen 18 und 19 durchgeführten Änderungen nicht eindeutig ausgeräumt worden seien. Nach wie vor blieb die Beschwerdegegnerin II der Auffassung, dass die im Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 18 und 19 umformulierte Merkmalsgruppe b) nicht als unabhängige Merkmalskombination aus dem Offenbarungsinhalt der ursprünglichen Anmeldung D0 eindeutig und unmittelbar hervorgehe.

6.5 Da die Hilfsanträge 18 und 19 in einem sehr späten Verfahrensstadium vorgelegt wurden und aus den obigen Gründen nicht zweifellos dienlich sind, die im Rahmen der Frage der unzulässigen Erweiterung benannten Beanstandungen eindeutig zu beheben, beschloss die Kammer, diese Hilfsanträge unter Berücksichtigung des Verfahrensstands und aus verfahrensökonomischen Gründen nicht in das Verfahren zuzulassen.

7. Antrag auf Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer

Nachdem der Hauptantrag und sämtliche Hilfsanträge aus den obigen Gründen nicht gewährbar sind und die von der Beschwerdeführerin eingereichte Frage diese Gründe nicht tangiert (die Frage befasst sich ausschließlich mit Artikel 84 EPÜ 1973 und Regel 29 (2) EPÜ 1973 bzw. Regel 43 (2) EPÜ) ist diese Frage nicht von Relevanz in dieser Sache. Ob diese Frage -angeblich- offenkundig von allgemeiner Bedeutung ist, spielt in diesem Fall keine Rolle. Der Antrag auf Vorlage der Frage an die Große Beschwerdekammer ist daher zurückzuweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

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