T 1024/02 () of 12.5.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T102402.20040512
Datum der Entscheidung: 12 Mai 2004
Aktenzeichen: T 1024/02
Anmeldenummer: 93103013.4
IPC-Klasse: B29C 49/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur fortlaufenden Herstellung eines Verbundrohres mit Rohr-Muffe
Name des Anmelders: Hegler, Ralph-Peter, Dr.-Ing.
Name des Einsprechenden: Corma Inc.
Fränkische Rohrwerke Gebr. Kirchner GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 Art 122
Schlagwörter: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - ja
Zulässigkeit der Beschwerde - ja
Erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0013/07
T 0065/11

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 01) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die am 24. Juli 2002 zur Post gegeben wurde und mit der die Einsprüche gegen das europäische Patent Nr. 0 563 575 zurückgewiesen worden sind, Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde ist am 30. September 2002 eingelegt worden. Die Beschwerdegebühr wurde gleichzeitig entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am Mittwoch, den 4. Dezember 2002 per Telefax eingereicht.

Mit den Einsprüchen war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ) angegriffen worden.

II. In einer Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 108 und Regel 65. (1) EPÜ, datiert vom 20. Dezember 2002, wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß die Beschwerde nicht fristgerecht begründet worden sei und die Beschwerde daher voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen sei.

Daraufhin hat die Beschwerdeführerin am 31. Januar 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 (1) EPÜ beantragt. Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde am gleichen Tag entrichtet und der Antrag begründet (Artikel 122 (3) EPÜ).

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2003, eingegangen am 12. Dezember 2003, wurde ein Vertreterwechsel angezeigt.

III. Am 12. Mai 2004 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Es wurden folgende Anträge gestellt:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung sowie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 563 575.

Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die weitere Verfahrensbeteiligte im Sinne des Artikels 107 EPÜ, zweiter Satz (Einsprechende 02) ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

V. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D1 WO90/14208

D2 DE-A 24 13 878

D4 DE-A 37 01 822

D8 EP-B 0 108 598

VI. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 gemäß dem Streitpatent wie erteilt lauten wie folgt (die von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren benutzte Merkmalsnumerierung wurde im Beschwerdeverfahren beibehalten):

1.1. "1. Verfahren zur fortlaufenden Herstellung eines aus einem glatten Innenrohr (107) und einem mit diesem verschweißten mit Querrillen (24) versehenen Außenrohr (105) bestehenden Verbundrohres (23) mit einer Rohr-Muffe (108) mit folgenden Verfahrensschritten:

1.2. - Es wird ein Außen-Schlauch (104) extrudiert;

1.3. - der Außen-Schlauch (104) wird durch von außen aufgebrachtes Teil-Vakuum mit einer Wellung mit Querrillen (24) versehen;

1.4. - es wird ein Innen-Schlauch (106) in den Außen- Schlauch (104) extrudiert;

1.5. - der Innen-Schlauch (106) wird gegen die Wellentäler (24a) des Außen-Schlauches (104) gedrückt und dort mit dem Außen-Schlauch (104) verschweißt;

1.6. - der Außen-Schlauch (104) wird in vorgegebenen Abständen unter Aufbringung des Teil-Vakuums von außen zu einer im wesentlichen glattwandigen etwa zylindrischen Rohr-Muffe (108) aufgeweitet, gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

1.7. - Nach dem Extrudieren des Innen-Schlauches (106) in den Außen-Schlauch (104) und vor dem Andrücken des Innen-Schlauches (106) gegen die Wellentäler (24a) des Außen-Schlauches (104) wird in den Bereich zwischen Außen-Schlauch (104) und Innen- Schlauch (106) Gas mit einem über Armosphärendruck (p3) liegenden Druck (p2) eingeblasen;

1.8. - nach dem Aufweiten des Außen-Schlauches (104) zu einer im wesentlichen glattwandigen etwa zylindrischen Rohr-Muffe (108) wird der Bereich zwischen Außen-Schlauch (104) und Innen-Schlauch (106) entlüftet; und

1.9. - anschließend wird der Innen-Schlauch (106) von innen mit Gas mit einem Druck (p4) über Atmosphärendruck (p3) beaufschlagt und unter Aufweitung vollflächig gegen den aufgeweiteten Bereich des Außen-Schlauches (104) gedrückt."

3.1. "3. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1 oder 2,

- wobei mit ringförmigen Formausnehmungen (102) versehene, sich auf einer Formstrecke (9) jeweils paarweise zu einer Form mit einer MittelLängs- Achse (29) ergänzende Halbkokillen (2, 2') auf einem Maschinentisch (1) im Kreislauf und in Produktionsrichtung (4) geführt angeordnet sind,

3.2. - wobei die Formausnehmungen (102) an in den Halbkokillen (2, 2') ausgebildete Teil-Vakuum- Kanäle (103) angeschlossen sind,

3.3. -wobei der Formstrecke (9) ein Spritzkopf (25) eines Extruders vorgeordnet ist,

3.4. - wobei der Spritzkopf (25) mit einer Außen-Düse (93) zur Extrusion eines Außen-Schlauches (104) und in Produktionsrichtung (4) nachgeordnet mit einer Innen-Düse (63) zur Extrusion eines Innen- Schlauches (106) und an seinem in Produktionsrichtung (4) hintenliegenden Ende mit einer Temperierglocke (62) versehen ist,

3.5. - wobei zwischen Außen-Düse (93) und Innen-Düse (63) aus dem Spritzkopf (25) mindestens ein Gaskanal (56) ausmündet, und

3.6. - wobei zwischen Innen-Düse (63) und Temperierglocke (62) ein zusätzlicher Gas-Kanal (100) aus dem Spritzkopf (25) ausmündet,

dadurch gekennzeichnet,

3.7. - daß mindestens ein Paar Halbkokillen (2, 2') mit einer Muffen-Ausnehmung (109) versehen ist,

3.8. - daß der mindestens eine Gaskanal (56) an ein Ventil (125a) angeschlossen ist, das auf Gas mit Druck (p2) über Atmosphärendruck (p3) und auf Entlüftung umschaltbar ist,

3.9. - daß der zusätzliche Gas-Kanal (100) an ein Ventil (125) angeschlossen ist, das auf Gas mit Druck (p4) über Atmosphärendruck schaltbar ist, und

3.10. - daß Schalter (123, 124) vorgesehen sind, die in Abhängigkeit von der Stellung der Muffen- Ausnehmung (109) zu dem zusätzlichen Gas-Kanal (100) und/oder dem mindestens einen Gaskanal (56) die Ventile (125a, 125) schalten."

VII. Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bezüglich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Einreichung der Beschwerdebegründung auf die Ausführungen des ehemaligen Vertreters verwiesen, mit denen der Wiedereinsetzungsantrag begründet worden war:

Die Patentanwaltskanzlei des ehemaligen Vertreters verfüge über ein computergestütztes Fristenüberwachungssystem. Im vorliegenden Fall seien die Fristen für die Einlegung bzw. die Begründung zuverlässig erfaßt worden und auch die Wiedervorlage der Akte sei rechtzeitig erfolgt. Die Sachbearbeiterin Frau S., die halbtags im Büro beschäftigt sei, habe am 3. Dezember 2002 vormittags die vom Vertreter veranlaßten Änderungen der Beschwerdebegründung wegen Zeitmangels nicht mehr vollständig durchführen können und habe ihre Kollegin, Frau P., gebeten, die begonnenen Vorgänge weiterzubearbeiten. Dies sei auch geschehen. Der Vertreter habe, kurz bevor er dringend zur Zweigstelle der Kanzlei in der Stadt S. aufbrechen mußte, noch wenige Schreibkorrekturen gefunden, die Beschwerdebegründung aber bereits unterschrieben. Er habe Frau P. ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung an diesem Tag ablaufe und daß der Schriftsatz noch am gleichen Tag dem EPA per Telefax zugestellt werden müsse. Frau P. habe um etwa 15.30 Uhr einen Anruf von ihrer Mutter erhalten, die ihr mitgeteilt habe, ihre 4- jährige Tochter sei krank und sie solle so schnell wie möglich nach Hause kommen. Daraufhin sei Frau P. nach Hause gefahren und habe die Absendung der Beschwerdebegründung vergessen.

Der Beschwerdegegner hat während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer seinen zuvor schriftlich gestellten Antrag, den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin zurückzuweisen und die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, zurückgenommen, weil er an einer sachlichen Entscheidung interessiert sei.

VIII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung bezüglich der erfinderischen Tätigkeit der Gegenstände der Ansprüche 1 und 3 wie erteilt im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 betreffe ein Verfahren zur Herstellung eines Verbundrohres, bei dem abwechselnd Abschnitte mit zwischen Innenrohr und Außenrohr angeordneten Querrillen ("Wellrohrabschnitte") und Abschnitte, die als Rohr-Muffe ausgebildet seien ("Muffenabschnitte"), hergestellt würden. Das Merkmal 1.7, welches besage, daß Gas mit einem über Atmosphärendruck liegenden Druck ("Stützluft") in den Innenraum zwischen Innen- und Außen-Schlauch eingeblasen werde, betreffe - in Kombination mit den Merkmalen 1.3 bis 1.5 - die Ausbildung der Wellrohrabschnitte. Das Einblasen von Stützluft bei der Ausbildung von Wellrohrabschnitten sei eine übliche Maßnahme, siehe zum Beispiel die Druckschrift D8, Spalte 2, Zeilen 24 bis 30 und die Druckschrift D2, Seite 3, Zeilen 5 bis 21. Die Merkmale 1.6, 1.8 und 1.9 beträfen die Ausbildung der Muffenabschnitte. Der Wortlaut des Merkmals 1.8 "nach dem Ausweiten ... wird entlüftet" müsse wörtlich genommen werden und dürfe nicht im Lichte der im Streitpatent beschriebenen Ausführungsbeispiele (siehe Spalte 3, Zeilen 27ff) im engeren Sinn als "nach dem Beginn der Ausweitung ... wird entlüftet" ausgelegt werden. Die zeitliche Vorgabe "anschließend" in Merkmal 1.9. stehe im Widerspruch zu der Beschreibung des Streitpatents , wo in Spalte 12, Zeilen 1 bis 11 beschrieben sei, daß gleichzeitig mit der Entlüftung des Innenraums zwischen Innen- und Außen-Schlauch der Innen- Schlauch mit einem höheren Druck beaufschlagt werde. Das Merkmal 1.8 sei eindeutig bei dem aus der Druckschrift D8 bekannten Verfahren realisiert. Die Entlüftung erfolge durch Anstechen des Außen-Schlauches (siehe Druckschrift D8, Spalte 3, Zeilen 4 bis 11, und Figur 1). Gemäß der Druckschrift D8 werde der Innen- Schlauch ebenfalls vollflächig gegen den aufgeweiteten Bereich des Außen-Schlauches gedrückt, allerdings nicht mit Druckgas sondern mittels mechanischer Mittel. Dieser Unterschied könne keine erfinderische Tätigkeit begründen, da die Benutzung von Druckgas für diesen Zweck bereits aus den Druckschriften D4 (siehe Figur 4) und D1 (siehe Figur 10) bekannt sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem Verfahren gemäß Druckschrift D8 ferner dadurch, daß die Aufbringung eines Teil-Vakuums von außen einerseits dazu benutzt werde, um den Außen-Schlauch mit Querrillen zu versehen (vgl. Merkmal 1.3), und andererseits um den Außen- Schlauch als Rohr-Muffe aufzuweiten (vgl. Merkmal 1.6). Die Aufbringung eines Teil-Vakuums für diesen Zweck sei ebenfalls eine übliche Maßnahme, siehe die Druckschriften D4, Spalte 6, Zeilen 5 bis 9 (die mit der Außenluft in Verbindung stehenden Kanäle 15 bewirkten ein relatives Teil-Vakuum) oder D1, Seite 1, Zeilen 10 bis 15. Ausgehend von dem aus der Druckschrift D8 bekannten Verfahren habe der Gegenstand des Anspruchs 1 in Hinblick auf die aus der Druckschrift D4 bekannten Maßnahmen für den Fachmann somit nahegelegen. Auch ausgehend von der Druckschrift D1 würde der Fachmann zu der Erfindung gelangen. Diese Druckschrift offenbare ein Verfahren zur fortlaufenden Herstellung eines mit Wellen und Rohrmuffen versehenen Verbundrohres, bei dem bei der Ausbildung einer Muffe zwangsläufig der Innenraum zwischen Innen- und Außen-Schlauch entlüftet werde. Im Vorrichtungsanspruch 3 seien lediglich fachübliche Maßnahmen aufgeführt, die das Verfahren gemäß Anspruch 1 umsetzen. Auch dessen Gegenstand beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

IX. Der Beschwerdegegner hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Ein wesentlicher Aspekt der Erfindung sei, daß das Rohr nach dem Vakuumverfahren hergestellt werde, d. h. daß das Außenrohr von außen her mit Teil-Vakuum beaufschlagt werde und, bei der Ausbildung von Wellrohr- bzw. Muffenabschnitten, in Querrillen bzw. Muffen entsprechenden Formausnehmungen gezogen werde. Während der Aufweitung des Außen-Schlauches zu einer Rohr-Muffe werde der Innenraum zwischen Innen- und Außen-Schlauch entlüftet (vgl. Merkmal 1.8) und unmittelbar anschließend, d. h. sequentiell, werde der Innen- Schlauch gegen den Außen-Schlauch angedrückt (vgl. Merkmal 1.9), wodurch eine besonders feste, vollflächige Verschweißung von Innen- und Außen-Schlauch erreicht werde. Dagegen seien bei dem Verfahren gemäß der Druckschrift D8 die Aufweitung des Außen-Schlauches und die Entlüftung zwei zeitlich getrennte Vorgänge. Die Merkmale 1.8 und 1.9 seien dieser Druckschrift nicht zu entnehmen. Außerdem offenbare diese Druckschrift kein Vakuumverfahren im Sinne der Erfindung (vgl. die Merkmale 1.4 und 1.6). Der Zweck des Einblasens von Gas mit einem Überdruck p2 (vgl. Merkmal 1.7) bestehe darin, beim Abkühlen des noch plastischen Rohres in den Hohlräumen der Wellrohrabschnitte keinen Unterdruck entstehen zu lassen, der zu einer welligen, ausgebeulten Innen-Oberfläche des Innenrohres führen würde (siehe die Druckschrift D2, Brückenabsatz der Seiten 2 und 3). Die Druckschrift D2 befasse sich nicht mit der Herstellung eines Verbundrohres, das Rohr-Muffen aufweise. Bei dem aus der Druckschrift D8 bekannten Verfahren werde die Zufuhr von Stützluft in den Innenraum zwischen Innen- und Außen-Schlauch während der Ausformung des Außen- Schlauchs zur Muffe offensichtlich nicht unterbrochen. Dagegen werde bei der Erfindung die Zufuhr von Stützluft während der Ausformung einer Muffe nicht nur unterbrochen, sondern der Innenraum werde darüber hinaus entlüftet. Weder die Druckschrift D4 noch die Druckschrift D1 beschreibe die Herstellung eines Verbundrohres nach dem Vakuumverfahren. In der Druckschrift D1 werde lediglich beschrieben, daß das Innenrohr mittels Teil-Vakuum an eine Temperierglocke gezogen werde (siehe Seite 5, Zeilen 4 bis 13). Eine Zusammenschau der genannten Druckschriften D8, D4, D1 und/oder D2 könne den Fachmann somit nicht zu der Erfindung führen.

Entscheidungsgründe

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zulässigkeit der Beschwerde

Die angefochtene Entscheidung trägt das Datum 24. Juli 2002. Die Frist für die Einlegung der Beschwerdebegründung lief am Dienstag, den 3. Dezember 2002 ab (Artikel 108, Satz 3, und Regel 78(2) EPÜ). Die Beschwerdebegründung wurde am Mittwoch, den 4. Dezember 2002 per Telefax eingereicht. Dieses Schreiben trägt das Datum "03.Dezember 2002". Nach Eingang der vom 20. Dezember 2002 datierten Mitteilung (vgl. Punkt II oben) hat die Beschwerdeführerin am 31. Januar 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 (1) EPÜ beantragt. Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde am gleichen Tag entrichtet und der Antrag begründet (Artikel 122 (3) EPÜ). Die versäumte Handlung war bereits am 4. Dezember 2002 nachgeholt worden (Artikel 122 (2) EPÜ, Satz 2).

Aus der eidesstattlichen Erklärung von Frau P. vom 28. Januar 2003 (siehe Schreiben der Beschwerdeführerin vom 31. Januar 2003, Anlage 7, Seiten 2 und 3) geht hervor, daß der damalige Vertreter der Beschwerdeführerin am 3. Dezember 2002 Frau P., Patentsachbearbeiterin in der Kanzlei, gebeten hat, die Beschwerdebegründung am selben Tag durch Telefax abzuschicken, da die Frist an diesem Tag ablief. Weiter geht aus der Erklärung hervor, daß Frau P. am 3. Dezember 2002 unmittelbar nach einem Anruf ihrer Mutter um etwa 15.30 Uhr, bei dem sie erfahren hat, daß ihre 4-jährige Tochter krank war und unter starkem Erbrechen litt, nach Hause gefahren ist und in der Hektik des Aufbruchs die Absendung der Beschwerdebegründung vergessen hat.

Nach Auffassung der Kammer liegt hier ein einmaliges Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden System vor. Ein solches Versehen ist nach ständiger Rechtsprechung entschuldbar. Die Natur dieses Fehlers scheint derart, daß ein normaler Kontrollmechanismus den Fehler weder hätte verhindern noch beheben können.

Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher stattzugeben. Die Beschwerde entspricht daher dem Artikel 108, Satz 3 EPÜ. Es ist unbestritten, daß die Beschwerde auch den übrigen in Artikel 108, Satz 1 und 2 EPÜ genannten Erfordernissen sowie den Artikeln 106, 107 EPÜ und den Regeln 1, Absatz 1, und 64, Buchstaben a und b, EPÜ entspricht. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist somit zulässig, Regel 65 EPÜ.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1. Auslegung des Anspruchs 1

Die Kammer geht davon aus, daß dem Ausdruck "Armosphärendruck " im Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 die Bedeutung "Atmosphärendruck " zukommt.

Das mit dem Verfahren gemäß Anspruch 1 hergestellte Verbundrohr weist Abschnitte mit zwischen Innenrohr und Außenrohr angeordneten Querrillen ("Wellrohrabschnitte") und als Rohr-Muffe ausgebildete Abschnitte ("Muffenabschnitte") auf.

Das Merkmal 1.7 "Nach dem Extrudieren des Innen- Schlauches (106) in den Außen-Schlauch (104) und vor dem Andrücken des Innen-Schlauches (106) gegen die Wellentäler (24a) des Außen-Schlauches (104) wird in den Bereich zwischen Außen-Schlauch (104) und Innen-Schlauch (106) Gas mit einem über Atmosphärendruck (p3) liegenden Druck (p2) eingeblasen" bezieht sich auf die Formung eines Wellrohrabschnitts (vgl. der Hinweis auf "die Wellentäler").

In der Beschreibung des Streitpatents wird die Herstellung eines Muffenabschnitts anhand eines Ausführungsbeispiels beschrieben, siehe Figur 3 und Spalte 11, Zeile 47 bis Spalte 12, Zeile 6 des Streitpatents. In dem Augenblick, in dem der Zbergangsabschnitt 113 des Außen-Schlauches (Anfang der Muffe) in den Bereich des Gas-Spalt-Kanals 100 kommt und bereits teilweise aufgeweitet ist, wird der dazugehörige Innen-Schlauch gerade erst aus dem Innenkanal 37 extrudiert. Der Gaskanal 56, in dem ein Druck p2 herrschte (Stützluft), wird in diesem Moment mit der Atmosphäre verbunden, d. h. entlüftet.

Daß gemäß Merkmal 1.9 der Innen-Schlauch "anschließend" von innen mit Druckgas beaufschlagt und unter Aufweitung vollflächig gegen den aufgeweiteten Bereich des Außen- Schlauches gedrückt wird, steht nicht im Widerspruch zum Passus in Spalte 12, Zeilen 1 bis 11 der Beschreibung des Streitpatents, worin ausgeführt wird, daß die Magnetventile 125a und 125, mit denen die Entlüftung betätigt bzw. der Innen-Schlauch mit Druckgas p4 beaufschlagt wird, gleichzeitig umgeschaltet werden. Nach Auffassung der Kammer ist es für den Fachmann klar, daß die Vorgänge des Entlüftens einerseits und der Gasbeaufschlagung bzw. des Andrückens andererseits zeitlich weitgehend überschneidend stattfinden, wobei der Innen-Schlauch natürlich erst dann vollflächig gegen den aufgeweiteten Bereich des Außen-Schlauches gedrückt werden kann, wenn zuvor der Raum zwischen beiden Schläuchen entlüftet worden ist. Diese Auslegung steht in Einklang mit dem Passus in Spalte 2, Zeilen 27 bis 41 der Beschreibung des Streitpatents, worin zur Lösung der Aufgabe der Erfindung folgendes ausgeführt wird: "Durch die Kombination, daß einerseits in den Raum zwischen Außen-Schlauch und Innen-Schlauch während der Herstellung des normalen gewellten Verbundrohres Gas mit leichtem Überdruck gegenüber Atmosphärendruck eingeblasen wird, während dieser Raum während der Aufweitung von Außen-Schlauch und Innen-Schlauch zur Rohr-Muffe entlüftet wird, ...".

Obwohl im obengenannten Ausführungsbeispiel der Zeitpunkt des Entlüftens genau definiert ist, zeigt eine Zusammenschau der Merkmale 1.8 und 1.9, daß dem Wort "nach" in Merkmal 1.8 nicht die Bedeutung eines Zeitpunkts einer abgeschlossenen Handlung zukommt. Nach Auffassung der Kammer bedeutet der Ausdruck "nach dem Aufweiten des Außen-Schlauches ... wird ... entlüftet" vielmehr, daß nach einem (teilweisen oder vollständigen) Aufweiten ohne weitere Zwischenschritte entlüftet wird.

Es kann somit dahingestellt bleiben, wann der Übergangsabschnitt 113 des Außen-Schlauches (Anfang der Muffe) in den Bereich des Gas-Spalt-Kanals 100 kommt und ob erst dann entlüftet wird (wie es im Ausführungsbeispiel beschrieben ist).

Der Wortlaut des Merkmals 1.8 "wird ... entlüftet" deutet jedoch darauf hin, daß der Beginn des Aufweitens des Außen-Schlauches durch Einblasen von Gas mit einem über Atmosphärendruck liegenden Druck unterstützt wird, da sonst eine Entlüftung keinen Sinn macht.

Nach Auffassung der Kammer bringt Anspruch 1 zum Ausdruck, worauf es bei der Ausformung der Muffe ankommt, nämlich daß das Aufweiten des Außen-Schlauches, das Entlüften des Innenraums zwischen Außen- und Innen- Schlauch und das Aufweiten und Andrücken des Innen- Schlauches durch Druckgas ineinandergreifende Vorgänge sind.

2.2. Aufgabe und Lösung

Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur fortlaufenden Herstellung von Verbundrohren mit Rohr-Muffen zu schaffen, wodurch eine hohe Festigkeit der Rohr-Muffe mit geringem Aufwand gewährleistet ist (vgl. Spalte 2, Zeilen 22 bis 26 der Beschreibung des Streitpatents).

Diese Aufgabe wird durch die Gegenstände der Ansprüche 1 und 3 gelöst. Insbesondere durch die Verfahrensschritte nach den Merkmalen 1.8 und 1.9 bzw. durch die entsprechenden Vorrichtungsmerkmale 3.8 und 3.9, die die Verfahrensmerkmale 1.8 und 1.9 umsetzen, wird sichergestellt, daß eine vollflächige Verschweißung von Außen- und Innen-Schlauch, und damit eine hohe Festigkeit und Steifigkeit der Rohr-Muffen, erreicht wird (vgl. Spalte 2, Zeilen 28 bis 47 der Beschreibung des Streitpatents).

Wie oben ausgeführt (siehe Punkt 2.1), bezieht sich das weitere kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1, d. h. Merkmal 1.7, auf die Formung eines Wellrohrabschnitts. Durch das Einblasen von Gas zwischen Außen- und Innen- Schlauch mit einem über Atmosphärendruck liegenden Druck wird sichergestellt, daß, beim Abkühlen der an den Wellentälern miteinander verschweißten Schläuche zum gewellten Verbundrohr, der Innen-Schlauch nicht nach außen ausgewölbt wird, da sich beim Abkühlen der Schläuche Atmosphärendruck einstellt (vgl. Spalte 11, Zeilen 38 bis 46 der Beschreibung des Streitpatents; vgl. auch Druckschrift D2, Seite 2, Zeile 22 bis Seite 3, Zeile 31).

2.3. Stand der Technik

Die in der Beschreibung des Streitpatents in Spalte 1, Zeilen 6 bis 46 gewürdigten Druckschriften D1 und D8 sowie die Druckschrift D4 betreffen ein Verfahren bzw. eine Vorrichtung zur fortlaufenden Herstellung eines Verbundrohres mit einer Rohr-Muffe, das aus einem Innenrohr und einem mit diesem verschweißten mit Querrillen versehenen Außenrohr besteht.

Die Merkmale 1.3 und 1.6, die die Aufbringung eines von außen aufgebrachten Teil-Vakuums auf den Außen-Schlauch betreffen, gehen nicht aus der Druckschrift D8 hervor. Bei dem Verfahren gemäß der Druckschrift D8 (siehe Spalte 2, Zeile 9 bis Spalte 3, Zeile 20) werden

- der Außen-Schlauch mittels Druckgas von innen an die Außenprofilierung gedrückt,

- ein Muffenabschnitt so ausgebildet, daß zunächst Außen- und Innen-Schlauch zwischen zwei Wellenabschnitten einen geschlossenen Hohlraum (bell section or cavity 34) bilden,

- die Wände dieses Hohlraums dann mit Nadeln durchstochen und der Raum damit entlüftet, und

- anschließend der Innen-Schlauch mit mechanischen Mitteln an den Außen-Schlauch vollflächig angedrückt.

Im Gegensatz zum Streitpatent erlaubt es das Verfahren gemäß Druckschrift D8 somit nicht, unmittelbar nach dem Aufweiten des Außen-Schlauches zu einer Rohr-Muffe, den Bereich zwischen Außen- und Innen-Schlauch zu entlüften und den Innen-Schlauch gegen den aufgeweiteten Bereich des Außen-Schlauches zu drücken.

Die Druckschriften D1 und D4 offenbaren weder die Merkmale 1.3 und 1.6 ("Aufbringung eines Teil-Vakuums") noch die Merkmale 1.7 ("Stützluft einblasen bei der Ausbildung der Wellrohrabschnitte") und 1.8 ("Entlüften des Innenraums zwischen Außen- und Innen-Schlauch nach dem Aufweiten des Außen-Schlauches zu einer Rohr- Muffe").

Weder die Druckschriften D8, D1 und D4 noch die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften geben dem Fachmann einen Hinweis, die Anformung der Rohrmuffe in der in Anspruch 1 des Streitpatents beschriebenen Form zu gestalten.

2.4. Die Kammer gelangt somit zur Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Dies gilt gleichermaßen für den Gegenstand des Vorrichtungsanspruchs 3.

Das Gleiche gilt ferner auch für den Gegenstand des auf den Anspruch 1 rückbezogenen Anspruchs 2 sowie für die Gegenstände der auf den Anspruch 3 rückbezogenen Ansprüche 4 bis 10, welche eine besondere Ausführungsform des Verfahrens gemäß Anspruch 1 bzw. besondere Ausführungsformen der Vorrichtung gemäß Anspruch 3 betreffen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerdeführerin wird wieder in den vorigen Stand eingesetzt.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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