T 1160/00 (Berichtigung der Benennung/UNI-CHARM) of 16.4.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T116000.20020416
Datum der Entscheidung: 16 April 2002
Aktenzeichen: T 1160/00
Anmeldenummer: 93108446.1
IPC-Klasse: A61F 13/58
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wegwerfwindeln
Name des Anmelders: UNI-CHARM CORPORATION
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 79(2)
European Patent Convention 1973 Art 91(4)
European Patent Convention 1973 R 88
Schlagwörter: Vertrauensschutz; Berichtigung von Benennungen nach Veröffentlichung der Anmeldung - nein unter früherer Fassung von Artikel 79 (2) EPÜ
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0004/98
J 0007/90
J 0003/91
T 0007/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der um einen rechtskundigen Prüfer ergänzten Prüfungsabteilung vom 2. November 1999, mit welcher der in der europäischen Patentanmeldung Nr. 93 108 446 gestellte Antrag auf Berichtigung der Benennung von Vertragsstaaten zurückgewiesen wurde.

II. Folgender wesentlicher Sachverhalt lag der angefochtenen Entscheidung zugrunde:

i) Im am 25. Mai 1993 eingereichten Erteilungsantrag (EPA Form 1001) war in der Rubrik "BENENNUNG VON VERTRAGSSTAATEN" neben anderen Vertragsstaaten Portugal angekreuzt worden. Die Anmeldung wurde mit den Benennungen laut Erteilungsantrag am 1. Dezember 1993 veröffentlicht (Veröffentlichungsnummer 0 571 958 A-2, unter INID Code 84: "DE ES FR IT NL PT").

ii) Dementsprechend war in der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ vom 27. Juli 1998 Portugal als benannter Staat erwähnt, welcher eine Übersetzung der europäischen Patentschrift in seine Amtssprache (Regel 51 (10) EPÜ) verlangt. Am 7. September 1998 wurde von der Anmelderin ein Berichtigungsantrag dahingehend gestellt, daß die Benennung von "Portugal" durch die Benennung von "Schweden" ersetzt werden soll.

III. Zur Begründung dieses Berichtigungsantrages brachte die Anmelderin schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung am 23. Juni 1999 im wesentlichen vor:

i) Portugal sei entgegen den von den japanischen Korrespondenzanwälten an den zugelassenen Vertreter der Anmelderin erteilten Instruktionen statt Schweden angekreuzt worden. Es handle sich dabei nachweislich um einen Irrtum, der auch entschuldbar sei. Der Berichtigungsantrag sei unverzüglich, nämlich ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntnis von der fehlerhaften Benennung gestellt worden. Auf den Fehler sei der zugelassene Vertreter von den Korrespondenzvertretern mit Schreiben vom 12. August 1998 aufmerksam gemacht worden; nachdem er sie auf die Berichtigungsmöglichkeit hingewiesen hatte, sei er mit Schreiben vom 1. September 1998 mit der Stellung des Berichtigungsantrages beauftragt worden.

ii) Der Antrag sei auch rechtzeitig gestellt worden: Dem Vertreter seien vor Veröffentlichung der Anmeldung keine amtlichen Schriftstücke zugestellt worden, welche die Staatenbenennung wiedergeben, so daß er mangels Gelegenheit, diese zu überprüfen, von deren Korrektheit ausgehen durfte; auch aus der Veröffentlichung der Anmeldung sei die Benennung von Portugal nicht als fehlerhaft zu erkennen gewesen, weil diese ja mit den Angaben im Erteilungsantrag übereinstimmte. Erst nach Erhalt der Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ mit dem Übersetzungshinweis sei die Anmeldung mit den ursprünglichen, aus Japan erhaltenen Unterlagen verglichen worden, bis dahin nur mit dem Antrag auf Erteilung des Patents.

iii) Die zeitliche Begrenzung der Berichtigung von Staatenbenennungen auf den Zeitraum vor Veröffentlichung der Anmeldung beruhe auf Rechtsprechung zur früheren Fassung von Artikel 79 EPÜ. Nach dessen geltender Fassung werden in der Veröffentlichung der Anmeldung in der Regel sämtliche Vertragstaaten als benannt angegeben, weil die Benennungsgebühren erst zu einem späteren Zeitpunkt zu zahlen seien. Die Veröffentlichung ließe damit keinen Rückschluß auf den beanspruchten territorialen Schutzbereich zu; damit sei der Veröffentlichungstag für eine zeitliche Begrenzung der Berichtigung von Benennungen nicht mehr geeignet, vielmehr müsse dies jetzt auch noch danach möglich sei. Als Verfahrensvorschrift sei Artikel 79 EPÜ in seiner geänderten Fassung auch auf Patentanmeldungen anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung eingereicht wurden.

iv) Sollte die Große Beschwerdekammer die ihr [damals unter G 4/98] vorliegende Frage dahingehend entscheiden, daß eine Benennung nicht rückwirkend wirkungslos ist und als nicht erfolgt gilt, wenn die Benennungsgebühr nicht fristgerecht gezahlt wurde - was die Große Beschwerdekammer dann auch am 27. November getan hat, siehe ABl. EPA 2001, 131 [Anmerkung der Kammer] - dann sei eine solche zeitliche Begrenzung ebenfalls sinnlos, da der territoriale Schutzbereich über die Benennung in einer Teilanmeldung, und somit auch nach Veröffentlichung der (Stamm-)Anmeldung, erweitert werden könne.

v) Für die Öffentlichkeit sei erkennbar gewesen, daß die Anmelderin an einem Patentschutz in Schweden interessiert war, weil sie Schweden in einer Vielzahl von Patentanmeldungen benannt habe. Diese Benennungspraxis der Anmelderin sei in dem betreffenden, oligopolistisch ausgerichteten Markt für die Wettbewerber erkennbar gewesen, so daß kein Vertrauensschutz bestehe.

IV. Die Beschwerde der Anmelderin, in welcher hilfsweise mündliche Verhandlung beantragt wird, wurde am 29. November 2000 eingereicht; am selben Tag wurde die Beschwerdegebühr gezahlt; die Beschwerdebegründung ging am 28. Januar 2001 ein.

V. Über ihr erstinstanzliches Vorbringen hinaus führte die Beschwerdeführerin noch folgendes an:

i) Auch wenn die Benennungspraxis der Beschwerdeführerin nicht immer einheitlich in dem Sinn gewesen sei, daß immer die selben Staaten benannt worden wären, so ändere dies nichts an der allein maßgebenden Tatsache, daß bisher stets Schweden benannt wurde, sodaß die einschlägigen Verkehrskreise - wobei nicht auf das Verständnis der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auf das eines europäischen Patentanwalts abgestellt werden müsse - angesichts der fehlenden Benennung von Schweden in der vorliegenden Anmeldung einen Fehler vermuten mußten; dies umso mehr, als auf dem einschlägigen technischen Gebiet (Windeln) nur wenige Großunternehmen tätig seien, so daß die Beobachtung des Anmeldegeschehens und damit die Erkennung der üblichen Anmeldepraxis einfach sei.

ii) Regel 88 EPÜ sei eine Ermessensbestimmung, die das Amt nicht zwinge, Anträge auf Berichtigung der Staatenbenennung nach Veröffentlichung der Anmeldung zurückzuweisen. Der Vertrauensschutz sei lediglich ein Gesichtspunkt, der zur Ausfüllung des durch diese Bestimmung eingeräumten Ermessensspielraumes heranzuziehen sei; alle Umstände des Einzelfalles seien zu berücksichtigen, so daß eine starre Zeitgrenze für Staatenberichtigungen zu einer Überbewertung des Vertrauensschutzes führe. Im übrigen könnten und sollten die Interessen Dritter, die auf die Richtigkeit der veröffentlichten Benennungen vertraut hätten, durch nationale Gerichte geschützt werden.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Benennung der Vertragsstaaten dahingehend zu berichtigen, daß die Benennung von "Portugal" durch die Benennung von "Schweden" ersetzt wird.

VII. In der mündlichen Verhandlung am 16. April 2002, welche mit der Verkündung der Entscheidung endete, blieb die Beschwerdeführerin bei diesem Antrag und dessen bisheriger Begründung und beantragte zusätzlich, der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfrage vorzulegen:

Kann der Anmelder bei der Berichtigung der Benennung von Vertragstaaten jederzeit auf die allgemeine Benennung zurückgreifen, die durch die Nichtzahlung gemäß G 4/98 nicht zurückwirkend wirkungslos wurden und somit eine Änderung der Benennung von Vertragsstaaten erreichen.

Die Beschwerdeführerin trat für eine bejahende Antwort auf diese Frage ein: Gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 4/98 würden Benennungen nicht ex tunc wegfallen, sondern blieben wirksam, so daß auch in der A-Schrift nicht als benannt angegebene Vertragsstaaten in Teilanmeldungen noch benannt werden könnten. Dies bedeute eine Einschränkung bzw. Durchbrechung des Vertrauensschutzgebotes zugunsten der Anmelder, welche unter den Umständen des vorliegenden Falles auch hier eine Abweichung vom Vertrauensgrundsatz rechtfertige; der Stattgabe des Berichtigungsantrages stehe somit nichts entgegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Kammer hat keine Schwierigkeiten davon auszugehen, daß es sich bei der Benennung von "Portugal" (durch Ankreuzen im Erteilungsantrag Formblatt 1001) um einen Irrtum handelte und die Berichtigung auf die von der Anmelderin tatsächlich beabsichtigte Benennung von Schweden insofern rechtzeitig beantragt wurde, als der Antrag ohne vorwerfbares Zuwarten gestellt wurde, nachdem der Fehler von der Anmelderin anläßlich des Erhalts der Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ entdeckt worden war.

3. Zu prüfen bleibt, ob - wie die Beschwerdeführerin meint - die Umstände des vorliegenden Falles es unter Berücksichtigung der aktuellen Gesetzeslage und der Stellungnahme G 4/98 der Großen Beschwerdekammer rechtfertigen könnten, von der Veröffentlichung der Anmeldung als von der ständigen Rechtsprechung gezogene Zeitgrenze für die Berichtigung von Staatenbenennungen (siehe etwa Entscheidung J 7/90, ABl. EPA 1993, 133 und die dort angeführten Entscheidungen) abzusehen.

3.1. Der Umstand, daß nach der Änderung von Artikel 79 (2) EPÜ in der veröffentlichten Anmeldung ("A-SCHRIFT")nicht nur die wirksam benannten, sondern alle Vertragsstaaten angegeben sind, hat keine Rückwirkungen auf Anmeldungen wie der vorliegenden, in denen gemäß der früheren Fassung dieser Bestimmung die Staatenbenennung vor Veröffentlichung der Anmeldung verbindlich vorzunehmen und dementsprechend in der Veröffentlichungschrift die konkret benannten Staaten als solche angegeben waren. Gerade diese förmliche Bekanntgabe der endgültigen Festlegung des Anmelders, in welchen Vertragsstaaten er Schutz begehrt, führte zu einem Schutzbedürfnis der Öffentlichkeit, insoweit sie darauf vertrauen konnte, daß der territoriale Schutzbereich nicht nachträglich erweitert wird. Diesem Schutzbedürfnis hat die Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Berichtigung von Staatenbenennungen nach Veröffentlichung der Anmeldung Rechnung getragen. Die einschlägige Rechtsprechung scheint daher überall dort voll und unverändert zutreffend, wo - wie im vorliegenden Fall - die Veröffentlichung der Anmeldung noch vor Inkrafttreten der geänderten Fassung von Artikel 79 EPÜ (am 1. Juli 1997) erfolgte und somit einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der spezifischen Staatenbenennung geschaffen hat. Damit in sachlichem Einklang steht auch, daß die geänderte Fassung des Artikels 79 (2) EPÜ nur auf jene Fälle für anwendbar erklärt wurde, in denen die Benennungsgebühren am 1. Juli 1997 noch nicht wirksam entrichtet und die Frist nach Artikel 79 (2) EPÜ noch nicht abgelaufen war (siehe ABl. EPA 1997, 13). Im übrigen erscheint durch diese spezifische und eindeutige Regelung eine Rückwirkung der geänderten Bestimmung auf frühere Fälle auch rechtlich ausgeschlossen.

3.2. Die Stellungnahme G 4/98 der Großen Beschwerdekammer betrifft die Frage "ob eine Benennung, für die keine Benennungsgebühr entrichtet wurde [und die deshalb nach Artikel 91 (4) EPÜ als zurückgenommen gilt] in der Zukunft, d. h. nach dem Fälligkeitstag der Zahlung keine Wirkung entfaltet (ex nunc) oder ob sie als nie erfolgt gilt und ihre Wirkung rückwirkend hinfällig wird (ex tunc)" (Pkt. 2 der Gründe). Die Große Beschwerdekammer hat eine rückwirkende Wirkungslosigkeit verneint (Leitsatz I). Die Frage nach dem Zeitpunkt, an dem die in Artikel 91 (4) EPÜ als Folge der Nichtzahlung von Benennungsgebühren vorgesehene Rücknahmefiktion ihre Wirkung entfaltet, stellt sich jedoch gar nicht im vorliegenden Fall, in dem die Benennungsgebühr gezahlt wurde, die dadurch (endgültig) wirksam gewordene und als solche förmlich bekanntgemachte Benennung jedoch nachträglich im Wege der Berichtigung abgeändert, konkret auf einen anderen Vertragsstaat verschoben werden soll, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Öffentlichkeit annehmen konnte, daß dieser andere Staat nicht (mehr) benannt werden würde bzw. könnte. Bei dieser Fallkonstellation kann daher die Frage des Vertrauensschutzes nicht vernachlässigt werden, während sie bei der der Stellungnahme G 4/98 zugrundeliegenden Situation nicht relevant ist. Aus dieser Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer ist daher für die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage nichts zu gewinnen.

3.3. Zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung hat der Vertreter der Beschwerdeführerin nachhaltig damit argumentiert, daß in der Stellungnahme G 4/98 festgestellt wird, daß der Anmelder alle in der Stammanmeldung benannten Staaten in der Teilanmeldung benennen und alle diese Benennungen weiterfolgen kann, auch wenn er die Benennungsgebühren für die Stammanmeldung später nur zum Teil oder überhaupt nicht zahlt (Pkt. 5, vierter Absatz der Gründe). Auch aus dieser - an dieser Stelle genau genommen nur hypothetischen - Aussage läßt sich eine vom Vertreter behauptete Durchbrechung des Vertrauensschutzgebotes im Falle von Berichtigung von Benennungen nicht ableiten: Schon wegen der ausdrücklichen Bezugnahme auf die spätere Zahlung bzw. Nichtzahlung sind eindeutig nur Teilanmeldungen gemeint, die vor Ablauf der Frist zur Zahlung der Benennungsgebühren für die Stammanmeldung und somit zu einem Zeitpunkt eingereicht wurden, an dem ein entsprechender Vertrauenstatbestand noch gar nicht in Betracht kommt. Erst recht deutlich wird diese Eingrenzung aus dem textlichen und gedanklichen Kontext, in dem diese Aussage steht (gesamter vierter Absatz von Pkt. 5 der Entscheidungsgründe) und letztlich auch aus dem bereits erwähnten Umstand (oben, Pkt. 3.2), daß der Gegenstand der Stellungnahme keinen rechtlichen oder sachlichen Bezug zum Vertrauensschutz bei Berichtigungen von Benennungen aufweist.

3.4. Auch dem Argument, eine starre Zeitgrenze für die Berichtigung sei im vorliegenden Fall nicht angebracht, weil für die wenigen im einschlägigen, oligopolistisch geprägten Markt tätigen und daher mit der Benennungspraxis der Beschwerdeführerin vertrauten Wettbewerber einfach zu erkennen war, daß es sich bei der Unterlassung der Benennung von Schweden um einen einmaligen Fehler handelte, kann sich die Kammer nicht anschließen:

Zwar ist sie im Einklang mit der ständigen, zu diesem Aspekt einhelligen Rechtsprechung durchaus der Auffassung, daß eine zeitliche Beschränkung der Berichtigung von Benennungsangaben nur soweit gerechtfertigt ist, als es der Schutz der Interessen Dritter, die auf die Richtigkeit der veröffentlichten Benennungsangaben vertrauen konnten, erfordert. Dieses Schutzbedürfnis ist jedoch keineswegs auf den eng(er)en Kreis der direkten Wettbewerber der Beschwerdeführerin beschränkt, welchen es bei gezielter und intensiver Beobachtung ihrer Konkurrenten (vielleicht) aufgefallen wäre, daß die Nichtbenennung von SE in der vorliegenden Anmeldung eine Abweichung von der normalen Benennungspraxis der Beschwerdeführerin darstellt. Das ist schon deshalb so, weil eine Rechtspflicht, das Benennungsverhalten von Wettbewerbern zu beobachten, nicht besteht - schon gar nicht in einem Ausmaß, das eine sichere Beurteilung ermöglicht, ob die Benennungen in einer bestimmten Anmeldung gewollt oder irrtümlich von der Benennungspraxis des Anmelders abweichen. Die bei Prioritätsangaben u. U. gegebene Möglichkeit, dies im Wege der Akteneinsicht festzustellen, bestand im vorliegenden Fall ja nicht.

Vielmehr ist das Vertrauen jedes Dritten ("der Öffentlichkeit") zu schützen, weil das durch ein Patent begründete Schutzrecht, völlig unabhängig von Marktpositionen und -strukturen, gegen jedermann geltend gemacht werden kann. Entsprechend wird in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern darauf abgestellt, ob der Fehler "aus der veröffentlichten Patentanmeldung selbst ohne weiteres ersichtlich" war (so - nur beispielsweise - die von der Beschwerdeführerin selbst zitierte Entscheidung J 3/91, Pkt. 4.3 der Entscheidungsgründe), also ob "objektiv", d. h. ohne anmelderbezogene Informationen, zu erkennen war, daß es sich um eine irrtümliche Angabe handelt. Dabei ist durchaus auch allgemeines Fachwissen - etwa, über den Zeitbedarf für die Vergabe von Aktenzeichen durch die Patentämter - einzubeziehen (u. a. vorzitierte Entscheidung). Allerdings werden Irrtümer bei Benennungen in der Praxis kaum als "offensichtliche Unstimmigkeit" im vorstehend dargestellten Sinn in Erscheinung treten, weil es sich - anders als bei Prioritätsangaben - um allein vom Anmelder gemachte, nicht über Akteneinsicht oder sonst nachprüfbare Angaben handelt. Auf die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Erkennbarkeit des Irrtums durch ihre Wettbewerber kommt es somit nicht an (vgl. die ebenfalls von der Beschwerdeführerin erwähnte Entscheidung T 7/90, ABl. EPA 1993, 133, Pkt. 2.1 und 2.2 der Gründe).

3.5. Zum in der Beschwerdebegründung vorgetragenen grundsätzlichen Argument, daß der Schutz der Rechte Dritter den nationalen Verletzungsgerichten überlassen werden solle und das EPA nicht zwinge, Anträge auf Berichtigung von Staatenbenennungen, die erst nach Veröffentlichung der Anmeldung gestellt werden, zurückzuweisen, sondern es sich dabei um eine reine Ermessensentscheidung handle, sei folgendes bemerkt:

Die Rechtsprechung, auch die von der Beschwerdeführerin angeführte, hat niemals die verspätet beantragte Berichtigung eines für Dritte nicht erkennbaren Fehlers bei der Staatenbenennung unter Hinweis auf Verteidigungsmöglichkeiten vor nationalen Verletzungsgerichten zugelassen - nach Überzeugung der Kammer aus gutem Grunde: Rechtssicherheit ist nicht nur eine abstrakte, sondern auch konkret unabdingbare Forderung. So mag es schon sein, daß ein wegen Patentverletzung in Anspruch genommener Dritter einwenden kann, es liege kein Verschulden vor, da er aufgrund der Angaben in der Veröffentlichung der Anmeldung davon ausgehen hätte können, daß in dem betreffenden Vertragsstaat kein Patentschutz für den Anmeldungsgegenstand bestehe. Muß ein gutgläubiger Dritter es aber auf sich nehmen, in einen Verletzungsprozeß hineingezogen zu werden, bloß weil der Patentinhaber sich - möglicherweise sogar schuldhaft - geirrt hatte? Welche Nachforschungspflichten hat ein potentieller Benutzer, wenn die veröffentlichten Benennungen nicht maßgeblich sein sollen? Wie sieht es mit Weiterbenutzungsrechten bzw. wenn diese nicht zugesprochen werden, mit Schadenersatzansprüchen aus? Ungewißheit über diese Fragen und das damit einhergehende Prozeßrisiko behindern ganz massiv die Dispositionsfreiheit der Marktteilnehmer bis hin zur Abstandnahme von der Benützung einer Erfindung auch in nicht benannten Vertragsstaaten. Das aber würde dem Zweck des Patentsystems direkt zuwiderlaufen und die Patentinformation im weitesten Sinne wesentlich entwerten.

4. Weder das Amt noch die Kammer ist in der Ausübung des Ermessens nach Regel 88 EPÜ frei; vielmehr besteht auch innerhalb des dafür gegebenen Spielraumes das Gebot der Sachlichkeit. Nach diesem verbietet es sich aus den vorgenannten Gründen eine erst nach Veröffentlichung der Anmeldung beantragte Berichtigung einer vom Anmelder erklärten Benennung zuzulassen, jedenfalls unter den im vorliegenden Fall gegeben Umständen. Der Umstand, daß wegen der inzwischen erfolgten Änderung des Artikels 79 (2) EPÜ gleichgelagerte Situationen in Zukunft nicht mehr auftreten werden, ist kein Grund, von der einschlägigen - durchaus einheitlichen und klaren - Rechtsprechung abzugehen.

5. Die Rechtsfrage, deren Vorlage an die Große Beschwerdekammer von der Beschwerdeführerin beantragt wurde (Pkt. VII), konnte von der Kammer selbst und zweifelsfrei geklärt werden (Pkt. 3.3). Diesem Antrag war daher, nachdem die Voraussetzungen des Artikels 112 (1) EPÜ nicht erfüllt sind, nicht stattzugeben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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