J 0007/90 (Berichtigung der Benennung) of 8.8.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:J000790.19910808
Datum der Entscheidung: 08 August 1991
Aktenzeichen: J 0007/90
Anmeldenummer: 88305201.1
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Toledo
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: 1. Die Juristische Beschwerdekammer hält an ihrer Rechtsprechung fest, daß die Hinzufügung der Benennung eines Vertragsstaats durch Berichtigung nach Regel 88 Satz 1 EPÜ von einer Zeitgrenze abhängig ist. Demnach kann eine Berichtigung nur erfolgen, wenn der Antrag darauf so frühzeitig beim EPA eingeht, daß in der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung noch auf ihn hingewiesen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn alle übrigen Bedingungen, von denen in der Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer eine solche Berichtigung abhängig gemacht wird, erfüllt sind. Vor allem gilt diese Zeitgrenze auch, wenn der Anmelder den Antrag auf Berichtigung unverzüglich gestellt hat, nachdem er seinen Irrtum entdeckt hat (Bestätigung der vorausgegangenen Rechtsprechung, nämlich der Entscheidungen J 12/80 (ABl. EPA 1981, 143), J 3/81 (ABl. EPA 1982, 100), J 21/84 (ABl. EPA 1986, 75) und J 8/89 (1990 EPOR 57)).
2. Dennoch kann das bestehende Benennungssystem - insbesondere die "vorsorgliche Benennung" und Regel 85a EPÜ - zu rechtlichen Problemen führen. Dieses System kann nur auf legislativem Wege weiterentwickelt werden. Hierzu verleiht das Übereinkommen dem Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation ausreichende Befugnisse.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 79
European Patent Convention 1973 R 88 Sent 1
Schlagwörter: Berichtigung von Benennungen
Zeitgrenze für Berichtigungen
Rechtsprobleme und Entwicklungsmöglichkeiten des Benennungssystems
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0003/91
J 0002/92
J 0027/96
J 0017/99
J 0007/00
J 0016/00
J 0017/00
J 0006/02
J 0016/08
T 0994/95
T 0055/00
T 1160/00
T 0315/03
T 0262/10

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 88 305 201.1 wurde am 8. Juni 1988 unter Beanspruchung einer Priorität vom 12. Juni 1987 eingereicht. Im Formblatt für den Erteilungsantrag (vgl. ABl. EPA 1986, 306, 308) wurden in Feld 26 ("Benennung von Vertragsstaaten") 7 Staaten, darunter "Griechenland", benannt, und es wurden 7 Benennungsgebühren gezahlt. In diesem Feld 26 wurden die kombinierten Angaben "Schweiz und Liechtenstein" nicht angekreuzt. Das Feld 27 ("Vorsorgliche Benennung sämtlicher Vertragsstaaten") war unverändert, bezog sich also auf alle Vertragsstaaten und damit auch auf die Schweiz und Liechtenstein. Nach einer Mitteilung vom 3. November 1988 nach Regel 50 (1) EPÜ wurde die europäische Patentanmeldung am 14. Dezember 1988 ohne Recherchenbericht als "A2"-Schrift mit der Nr. 0 295 067 veröffentlicht. Als benannte Vertragsstaaten waren darin die 7 Staaten, darunter "Griechenland", aufgeführt, nicht aber die "Schweiz und Liechtenstein".

II. Mit Schreiben vom 5. Juli 1989 beantragte der Vertreter der Anmelderin, die Benennungen nach Regel 88 Satz 1 EPÜ dahingehend zu berichtigen, daß "Griechenland" durch "Schweiz und Liechtenstein" ersetzt wird. Er führte aus, daß ein Irrtum vorliege, der von der Anmelderin entdeckt und ihm am 4. Juli 1989 mitgeteilt worden sei. Es wurden Beweise dafür vorgelegt, daß es sich bei der ursprünglichen Benennung Griechenlands statt der Schweiz und Liechtensteins um einen Irrtum handelte. Mit Telekopie vom 3. August 1989 stellte der Vertreter außerdem vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung für den Fall, daß nach Auffassung des EPA für Anträge auf Berichtigung von Benennungen eine Zeitgrenze zu beachten sei - eine Auffassung, die er nicht teile.

III. Mit Entscheidung vom 2. Oktober 1989 lehnte die Eingangsstelle des EPA beide Anträge ab. Zur Begründung führte sie aus, daß nach der Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer Anträge auf Berichtigung dieser Art so rechtzeitig gestellt werden müßten, daß es noch möglich sei, einen Hinweis darauf in die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung aufzunehmen. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung könne nicht stattgegeben werden, weil es sich hier nicht um eine "Frist" im Sinne des Artikels 122 (1) EPÜ, sondern um eine "Zeitgrenze" handle.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin am 29. November 1989 Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde am 30. November 1989 entrichtet und die Begründung am 29. Januar 1990 eingereicht. Später wurde noch eine eidesstattliche Versicherung eines Angestellten der Anmelderin vorgelegt, in der erklärt wurde, daß der Benennungsfehler erst "kurz vor dem 29. Juni 1989" anläßlich einer EDV-Speicherung der Angaben in der "A2"-Schrift entdeckt worden sei und man zunächst an einen Druckfehler geglaubt habe.

V. Mit Schreiben vom 9. Mai 1990 bat die Beschwerdeführerin, die bevorstehende Veröffentlichung des europäischen Recherchenberichts zurückzustellen, damit in die spätere "A3"- Schrift die berichtigte Liste der benannten Staaten aufgenommen werden könne. Die "A3"-Schrift erschien am 20. Juni 1990 mit der ursprünglichen Liste der benannten Staaten.

VI. In ihrer Beschwerdebegründung und in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 1991 machte die Beschwerdeführerin folgendes geltend: Bei der Benennung Griechenlands statt der Schweiz und Liechtensteins handle es sich nachweislich um einen Irrtum, dessen Berichtigung sofort nach seiner Entdeckung beantragt worden sei. Abgesehen von der Vorschrift, daß der Anmelder den Antrag auf Berichtigung nach der Entdeckung eines Fehlers nicht schuldhaft verzögern dürfe, könne nach dem Übereinkommen keine Zeitgrenze für Berichtigungen gesetzt werden. Eine solche sehe Regel 88 auch nicht vor. Auch bei anderen Fehlern, die nach dieser Regel berichtigt werden könnten, komme es nicht auf einen "Schutz Dritter" an. Als Beweis legte sie Beispiele fehlerhafter Veröffentlichungen von Patentanmeldungen vor, um zu zeigen, daß Dritte auf die Richtigkeit solcher Veröffentlichungen nicht vertrauen dürften. Es sei auch bekannt, daß Anmelder europäischer Patente in vielen der benannten Staaten ihren Patentschutz später nicht realisieren würden, so daß dort nach Artikel 65 (3) EPÜ jeder Schutz rückwirkend entfalle. Die Beschwerdekammer sei nicht befugt, die Berichtigung nach Regel 88 EPÜ von der Einhaltung einer Zeitgrenze abhängig zu machen. Außerdem sei der "Schutz Dritter" kein stichhaltiges Argument; ein solcher Schutz sei Sache des nationalen Rechts. Das EPA könne und dürfe den nationalen Gerichten nicht dadurch vorgreifen, daß es eine Berichtigung unter Berufung auf den "Schutz Dritter" verweigere. Werde ein Staat im Wege der Berichtigung in eine europäische Patentanmeldung eingefügt, so sei es Sache der Gerichte dieses Staats zu entscheiden, ob dort Patentschutz gewährt und wie dabei den Interessen Dritter Rechnung getragen werde. Die Beschwerdekammer habe zwei Möglichkeiten: Sie könne eine Berichtigung von Staaten überhaupt ablehnen, weil eine Berichtigung dieser Art nicht unter Regel 88 Satz 1 EPÜ falle. Wenn sie diese Regel aber bei der Berichtigung von Benennungen anwende, dann müsse sie dies für die Dauer des gesamten Prüfungsverfahrens tun. Die Einführung einer Zeitgrenze innerhalb des Verfahrens vor dem Europäischen Patentamt sei unrechtmäßig.

Abschließend brachte die Beschwerdeführerin vor, daß eine Zeitgrenze, wenn sie denn eingeführt werden könne, eine "Frist" im Sinne des Artikels 122 (1) EPÜ wäre, in die nach diesem Artikel auch eine Wiedereinsetzung möglich sein müsse.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und anzuordnen, daß die Schweiz und Liechtenstein anstelle von Griechenland in die Liste der benannten Vertragsstaaten aufgenommen werden, sei es durch Berichtigung nach Regel 88 Satz 1 EPÜ oder durch Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ.

Hilfsweise beantragt sie, der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfragen vorzulegen:

1. "Die zu Regel 88 EPÜ entwickelte Rechtsprechung verbietet die Anwendung dieser Regel nach Veröffentlichung der Anmeldung mit der Begründung, daß eine Änderung dem Interesse der Öffentlichkeit entgegensteht.

2. In den Vertragsstaaten gibt es keinen allgemein anerkannten Grundsatz des Verfahrensrechts, der es erlauben würde, materielles Recht zu ändern oder unwirksam zu machen mit der Begründung, daß das öffentliche Interesse zu schützen sei. Eine solche Änderung kann nur durch Gesetze erfolgen.

3. Somit ist die EPO nicht befugt, Bedingungen aufzuerlegen, die auf eine Gesetzesänderung hinauslaufen. Dementsprechend ... muß die Rechtsprechung [der Juristischen Beschwerdekammer] wieder an die Entscheidung J 12/80 angeglichen werden."

Entscheidungsgründe

1. Die zulässige Beschwerde stellt die Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer zur Hinzufügung der Benennung von Vertragsstaaten durch Berichtigung nach Regel 88 Satz 1 EPÜ in einem entscheidenden Punkt - nämlich demjenigen einer Zeitgrenze - in Frage. Obwohl nach Unterzeichnung des Europäischen Patentübereinkommens zunächst die Auffassung vorherrschte, daß jede Benennung eines Staats der Einreichung einer Patentanmeldung für diesen Staat entspricht und damit nicht durch Berichtigung nachholbar ist (vgl. Van Empel, The Granting of European Patents, Leyden 1975, S. 139), hat die Juristische Beschwerdekammer erstmalig mit ihrer Entscheidung J 8/80 vom 18. Juli 1980 (ABl. EPA 1980, 293) eine solche Berichtigung unter Anwendung der Regel 88 Satz 1 EPÜ grundsätzlich erlaubt. In der Folgezeit hat sie diese Rechtsprechung weiterentwickelt und dabei die Berichtigung von Benennungen von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht. Bereits in der Entscheidung J 8/80 wurden an die vom Antragsteller zu erbringenden Beweise hohe Anforderungen gestellt. Die Entscheidung J 10/87 (ABl. EPA 1989, 323) setzte ein gewisses "entschuldbares Versehen" voraus und bestätigte vorangegangene Entscheidungen, die vor allem verlangen, daß der Antrag auf Berichtigung unverzüglich gestellt wird. Nach Auffassung der Beschwerdekammer hat die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall alle diese Bedingungen, besonders die letzte, erfüllt.

2. Eine weitere Bedingung, die hier als "Zeitgrenze" bezeichnet werden soll, wurde im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin jedoch nicht erfüllt. Diese Bedingung wurde in den Entscheidungen J 12/80 (ABl. EPA 1981, 143), J 3/81 (ABl. EPA 1982, 100), J 21/84 (ABl. EPA 1986, 75) und zuletzt J 8/89 (1990 EPOR 57) gestellt. Die Bedingung der "Zeitgrenze" verlangt, daß der Antrag auf Berichtigung in aller Regel im Interesse der Öffentlichkeit abzuweisen ist, wenn er nicht so frühzeitig gestellt wird, daß in der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung ein entsprechender Hinweis gegeben werden kann.

2.1 Die Beschwerdeführerin spricht der Beschwerdekammer die Befugnis ab, eine solche Zeitgrenze zur Bedingung für die Berichtigung von Benennungen zu machen. Sie vertritt die Auffassung, daß die Beschwerdekammer nur die Wahl habe, Regel 88 Satz 1 EPÜ entweder auf Benennungen überhaupt nicht anzuwenden oder deren Berichtigung bis zur Erteilung des europäischen Patents zu erlauben. Der Beschwerdeführerin ist zwar darin zuzustimmen, daß Dritte auf die in einer veröffentlichten Patentanmeldung gegebenen Informationen nur beschränkt vertrauen dürfen. Was Benennungen anbelangt, so kann man sogar sagen, daß der echte, branchenkundige Wettbewerber einen Fehler in den Benennungen zumindest erahnen kann und somit weiß, daß der Patentanmelder auch nach der Veröffentlichung der Anmeldung noch ein Interesse an seiner Berichtigung hat. Ein solcher Wettbewerber vermag die relative Bedeutung der benannten und der nicht benannten Staaten für die wirtschaftliche Verwertung der Erfindung einzuschätzen und ist daher möglicherweise nicht geschützt, wenn er aus erkennbaren Fehlern des Patentanmelders Nutzen zieht. Es mag daher teilweise zutreffen, daß ein "Schutz Dritter" keine überzeugende Begründung dafür ist, innerhalb des europäischen Patenterteilungsverfahrens eine Zeitgrenze für die Berichtigung von Benennungen zu setzen.

2.2 Dennoch vermag die Beschwerdekammer der Logik der Beschwerdeführerin nicht zu folgen, daß das EPA nur die Wahl habe, eine Berichtigung von Benennungen entweder überhaupt nicht oder aber bis zur Erteilung des europäischen Patents zuzulassen. Gemäß der Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer ist die Berichtigung unvermeidlicher Fehler in der Benennung von Vertragsstaaten nur unter bestimmten Bedingungen und auch nur bis zu dem bereits genannten Zeitpunkt im Verfahren zulässig. Regel 88 Satz 1 EPÜ zwingt das EPA keineswegs dazu, Berichtigungen von Fehlern jedweder Art zu jeder Zeit zuzulassen. Aus den drei Texten dieser Regel ("können" - "may be" - "peuvent") ergibt sich, daß die Zulassung bestimmter Arten von Berichtigungen in das Ermessen des EPA gestellt ist. Dies bedeutet auch, daß die Berichtigung von Bedingungen abhängig gemacht werden kann. Eine Zeitgrenze ist eine angemessene Bedingung, um die Hinzufügung einer Benennung im Wege der Berichtigung überhaupt möglich zu machen.

2.3 Die Tatsache, daß durch die Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer, durch die vorsorgliche Benennung (vgl. Rechtsauskunft Nr. 7/80, ABl. EPA 1980, 395) und durch Regel 85a EPÜ Möglichkeiten geschaffen worden sind, weitere Staaten in die Benennungen einzubeziehen, verpflichtet das EPA jedoch nicht dazu, dies ohne zeitliche Beschränkung bis zur Erteilung des Patents zuzulassen. Wenn überhaupt eine Zeitgrenze innerhalb des Verfahrens möglich ist, dann ist es die von der Juristischen Beschwerdekammer gewählte, die wohl kaum willkürlich genannt werden kann. Der Anmelder und sein Vertreter haben nach Einreichung der Anmeldung wiederholt Gelegenheit, die Benennungen zu überprüfen; den letzten Anlaß hierzu bietet die auch im vorliegenden Fall ergangene Mitteilung nach Regel 50 (1) EPÜ.

3. Der vorsorgliche Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer "Frist" kann keinen Erfolg haben, weil die nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammer als Bedingung gesetzte "Zeitgrenze" keine "Frist" im Sinne des Artikels 122 (1) EPÜ ist (siehe Nr. 2.2). Anträge auf Berichtigung nach Regel 88 EPÜ sind in der Tat nicht fristgebunden. Dies schließt aber nicht aus, daß von der Rechtsprechung für bestimmte Arten von Berichtigungen gewisse Bedingungen - einschließlich Zeitgrenzen - gestellt werden.

4. Die von der Beschwerdeführerin formulierten Rechtsfragen haben den Charakter von Feststellungen; sie entsprechen eher einem Antrag auf Zulassung einer Revision. Selbst wenn man diese Feststellungen in Fragen umformuliert, laufen sie auf den Antrag hinaus, daß die Große Beschwerdekammer entweder die Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer zur Berichtigung von Benennungen für unrechtmäßig erklärt oder aber eine Berichtigung zeitlich bis zur Erteilung des europäischen Patents zuläßt. Dies ist ein in sich widersprüchliches Begehren. Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer erscheint daher weder nach Artikel 112 (1) a) EPÜ erforderlich noch zur Weiterentwicklung des Benennungssystems im Europäischen Patentübereinkommen hilfreich.

5. Die Beschwerde wird daher zurückgewiesen und der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer als für eine Reform des Benennungssystems ungeeignet abgelehnt.

6. Dennoch bleibt zu bedenken, ob es nicht an der Zeit ist, das Benennungssystem durch Rechtsetzung weiterzuentwickeln. Durch Rechtsprechung kann die Juristische Beschwerdekammer hierzu kaum noch etwas beitragen. Sie kann jedoch darauf aufmerksam machen, daß das derzeitige Benennungssystem der Zielsetzung der europäischen Patentrechtsharmonisierung nicht entspricht (siehe Nr. 6.1), daß dieses System rechtlich nicht unbedenklich ist (Nr. 6.2) und daß das Europäische Patentübereinkommen dem Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation für eine Weiterentwicklung des Rechts den notwendigen Spielraum läßt (Nr. 6.3).

6.1 Das geltende Benennungssystem ist im Grunde ein System der Einzel-Benennung, das früheren Projekten zur Schaffung eines europäischen Patents fremd war. Diese wollten in Europa das Territorialitätsprinzip überwinden, eine zentrale Patentprüfung für alle Staaten wirksam werden lassen und einheitliche Rechtsverhältnisse herstellen. Das geltende System hingegen stammt aus dem PCT (zur Geschichte siehe Münchner Kommentar, Art. 79, Rdn. 23 ff.). Als System der Einzel-Benennung hätte es keine große Bedeutung gehabt, wenn das Gemeinschaftspatentübereinkommen (GPÜ) bald nach dem Europäischen Patentübereinkommen in Kraft getreten wäre. Im PCT ist das System der Einzel-Benennung inzwischen weiterentwickelt worden: Auch wenn eine Vielzahl nationaler und regionaler Patente beantragt wird, sind höchstens 10 Gebühren zu zahlen (Regel 96 und GebVerz. Nr. 2 PCT). Damit ist im PCT-Verfahren eine "weltweite" Globalbenennung möglich. Auf das regionale/europäische Patent entfällt dabei nur eine einzige Gebühr. Das PCT-Formblatt PCT/RO/101 stellt außerdem sicher, daß sich alle Euro-PCT- Anmeldungen auf alle Mitgliedstaaten des EPÜ beziehen, die dem PCT angehören. Erst nach Eintritt der Euro-PCT-Anmeldung in die regionale Phase beim EPA sind für die einzelnen EPÜ-Staaten Benennungsgebühren zu entrichten. Dann tritt allerdings der gleiche Zustand ein wie bei europäischen Patentanmeldungen. Die territoriale Einheit der beim EPA anhängigen Patentanmeldungen zerfällt, d. h., daß in rund 85 % der Anmeldungen nicht alle Staaten benannt sind, die künftig vom Gemeinschaftspatent umschlossen werden. Eine "nachträgliche Wahl des Gemeinschaftspatents", wie sie in Artikel 82 GPÜ vorgesehen ist, wird daher nur sehr begrenzt möglich sein (vgl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1989, L 401). Das derzeitige Benennungssystem im Europäischen Patentübereinkommen läuft daher dem Gemeinschaftspatent und dessen Zielsetzung zuwider, einheitliche Rechtsverhältnisse in Europa herzustellen und damit dem Binnenmarkt und dem europäischen Wirtschaftsraum zu dienen.

6.2 Im vorliegenden Fall teilt die Juristische Beschwerdekammer die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, daß die Berichtigung von Benennungen entweder überhaupt nicht oder aber bis zur Erteilung des europäischen Patents zuzulassen sei. Dennoch scheinen bestimmte Gesichtspunkte des gegenwärtigen Systems rechtliche Probleme aufzuwerfen.

6.2.1 Zunächst ist daran zu denken, daß es für den Anmelder einer internationalen Anmeldung, mit der ein regionales, europäisches Patent begehrt wird, die von der Beschwerdeführerin in Frage gestellte Zeitgrenze nicht in gleicher Art gibt. Die Weiterentwicklung des PCT-Systems (siehe Nr. 6.1) hat dazu geführt, daß in der Veröffentlichung der internationalen Anmeldung nach Artikel 21 PCT immer alle EPÜ-Staaten als benannt erscheinen. Diese Veröffentlichung ersetzt nach Artikel 158 (1) EPÜ die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung nach Artikel 93 EPÜ. Nach Artikel 22 bzw. 39 PCT in Verbindung mit Regel 104b EPÜ muß der PCT-Anmelder die Benennungsgebühren für die einzelnen Mitgliedstaaten des EPÜ erst 21 bzw. 31 Monate nach dem Prioritätsdatum beim Eintritt seiner Anmeldung in die regionale Phase zahlen. Zu diesem Zeitpunkt aber ist die dem Anmelder einer europäischen Patentanmeldung für die Berichtigung von Benennungsfehlern gesetzte Frist längst überschritten.

6.2.2 Auch die Neufassung der Regel 85a EPÜ (ABl. EPA 1989, 1 ff.) führt zu rechtlichen und praktischen Problemen. Ein rechtliches Problem entsteht aus der Tatsache, daß für Benennungen in Feld 26 des Antragsformulars eine Mitteilung vorgesehen ist, für Benennungen im Feld 27 dagegen nicht (vgl. Entscheidung J 10/86 vom 4. Mai 1987, nicht veröffentlicht). Ein praktisches Problem kann sich aus der Tatsache ergeben, daß die Fristen für die Zahlung der Benennungsgebühren nach der neuen Regel 85a (1) und (2) EPÜ für die Felder 26 und 27 unterschiedlich lang sind.

6.2.3 Die derzeitige Benennungsgebühr in Höhe von 350 DEM, die ungeachtet der Größe und wirtschaftlichen Bedeutung des einzelnen Staates zu zahlen ist, erscheint insofern problematisch, als sie sich auf die Benennung bestimmter Staaten prohibitiv auswirken kann. Hier sei daran erinnert, daß 1970 auf der Washingtoner Konferenz der Betrag von 12 US-Dollar als Orientierung für die Höhe der Benennungsgebühr genannt worden war (vgl. Records, S. 648). Dementsprechend erscheint es zweifelhaft, ob Artikel 79 in Verbindung mit Artikel 40 (1) EPÜ eine so hohe einheitliche Benennungsgebühr für jeden einzelnen Vertragsstaat zulassen kann.

6.3 Aus all diesen Gründen möchte die Juristische Beschwerdekammer darauf hinweisen, daß das Europäische Patentübereinkommen dem Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation die Befugnis gibt, das Benennungssystem sowohl hinsichtlich einer Globalisierung der Benennungsgebühren als auch hinsichtlich der Fristen für ihre Zahlung fortzuentwickeln.

6.3.1 Es ist allerdings darauf hinzuweisen, daß die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der Anmeldegebühr nach Artikel 78 (2) EPÜ und der Benennungsgebühr nach Artikel 79 (2) EPÜ mit ihren unterschiedlichen Fälligkeiten (ein Monat nach Einreichung der Anmeldung bzw. 13 Monate nach dem Prioritätsdatum) aufrechterhalten bleiben muß. Dementsprechend sollten europäische Patentanmeldungen, die Erstanmeldungen sind, bei der Einreichung mit keinerlei Benennungsgebühren belastet werden. Der Präsident des EPA hat in seinem Sieben-Maßnahmen- Programm (vgl. ABl. EPA 1989, 523 und die Schrift "EPO Horizon 2000", Rdn. 69, S. 44) die Aufmerksamkeit erneut auf die Möglichkeit gelenkt, durch eine europäische Erstanmeldung eine beschleunigte europäische Recherche zu erlangen. Die europäische Erstanmeldung wird an Bedeutung gewinnen. Sie schafft nach Artikel 87 (1) EPÜ eine Prioritätsgrundlage für die Benennung aller Vertragsstaaten und enthält insofern eine "Globalbenennung".

6.3.2 Danach steht einer Zusammenfassung aller Benennungsgebühren nach den Artikeln 3 und 79 (2) EPÜ zu einer einzigen Gebühr rechtlich nichts im Wege. Der Wortlaut dieser Bestimmungen ist aber nicht so zu verstehen, daß für jeden Staat eine Benennungsgebühr in jeweils gleicher Höhe gezahlt werden müßte. Dies zeigen der Patentschutzvertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein (vgl. ABl. EPA 1980, 407) und die vorbereitenden Studien zum Gemeinschaftspatent. Somit bleibt die Frage, ob es überhaupt möglich ist, für alle Vertragsstaaten - unabhängig davon, ob sie dem Gemeinschaftspatentübereinkommen angehören werden - eine globale Benennungsgebühr vorzusehen. Dies ist zu bejahen. Artikel 3 EPÜ würde natürlich eine gesonderte internationale Vereinbarung nach Artikel 142 in Verbindung mit Artikel 149 EPÜ notwendig machen, wenn die gemeinsame Benennung zwangsläufig zu einem gemeinsamen Patent führen würde. Eine globale Benennungsgebühr läßt es dem Patentanmelder aber unbenommen, vor Erteilung des europäischen Patents nach Artikel 79 (3) EPÜ Benennungen zurückzunehmen oder nach der Erteilung darauf zu verzichten, das europäische Patent in einem bestimmten Vertragsstaat weiterzuverfolgen oder aufrechtzuerhalten. Die "vorsorgliche" Benennung bedurfte noch nicht einmal einer Rechtsnorm, sondern nur eines Zusatzes in einem Formular. Eine einzige, globale Benennungsgebühr müßte jedoch sicherlich in der Gebührenordnung geregelt werden. Dafür bräuchte aber keine gesonderte internationale Vereinbarung im Sinne der Artikel 142 und 149 EPÜ geschlossen zu werden.

6.3.3 Neben einer pauschalen Benennungsgebühr zu Beginn des Verfahrens ist eine Erhebung von individuellen Benennungsgebühren bei der Erteilung des europäischen Patents rechtlich nicht ausgeschlossen. Dies entspräche einer Verlängerung der Frist für die Zahlung eines Teiles der Benennungsgebühren über den in Artikel 79 (2) EPÜ vorgesehenen Zeitraum hinaus. Eine derartige Verlängerung erscheint durch Artikel 33 (1) a) EPÜ gedeckt. Hierdurch würde zwar die gegenwärtige Situation verbessert, doch würden ähnliche Probleme, wie sie heute bestehen, geschaffen. Daher erscheint es ratsam, Einnahmeverluste teilweise durch eine generelle Erhöhung der Erteilungsgebühr auszugleichen. Die sinnvollste - und auch rechtlich mögliche - Lösung wäre es daher, bei unveränderter Anmeldegebühr eine pauschale Benennungsgebühr für alle Mitgliedstaaten innerhalb des in Artikel 79 (2) EPÜ vorgesehenen Zeitraums zu erheben und außerdem die Erteilungsgebühr zu erhöhen.

7. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Juristische Beschwerdekammer an dem derzeitigen Benennungssystem, wie es durch ihre eigene Rechtsprechung, durch die "vorsorgliche Benennung" und die Schaffung von Regel 85a EPÜ entstanden ist, festhält. Die erkennbaren rechtlichen Probleme des gegenwärtigen Systems könnten aber Anlaß für dessen Verbesserung sein.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer wird abgelehnt.

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