European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:R001212.20130114 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Januar 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | R 0012/12 | ||||||||
Antrag auf Überprüfung von: | T 0321/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04012124.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65B 55/06 B65B 55/10 B65B 43/36 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung und Verfahren zum Befüllen flexibler Folienbeutel | ||||||||
Name des Anmelders: | Deutsche SiSi-Werke Betriebs GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | KHS GmbH | ||||||||
Kammer: | EBA | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Verstoß gegen Artikel 113 (nein) Antrag auf Überprüfung - offensichtlich unbegründet |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Antrag auf Überprüfung betrifft die Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.07 vom 22. März 2012 im Verfahren T 321/10. Bei der Antragstellerin handelt es sich um die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin. Mit der genannten Entscheidung hat die Beschwerdekammer das europäische Patent EP 1598274 mit dem Titel "Vorrichtung und Verfahren zum Befüllen flexibler Folienbeutel" widerrufen. Die Beschwerde war von der Einsprechenden gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt worden, den Einspruch zurückzuweisen. Für die Zwecke der vorliegenden Entscheidung geht die einschlägige Vorge schichte des Verfahrens ausreichend aus der Zusammen fassung der Argumente der Antragstellerin unter Abschnitt III hervor.
II. Der Antrag stützt sich auf einen einzigen Grund gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ, nämlich eine schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ. In der Entscheidung wurde über einen Hauptantrag und zwei Hilfsanträge entschieden. Laut Antragstellerin beruht die Entscheidung zu Hilfsantrag II auf allge meinem Fachwissen und einer darauf aufbauenden Begrün dung, das bzw. die nicht in das Verfahren eingeführt waren, sodass dazu nicht Stellung genommen werden konnte.
III. Die Antragstellerin hat im Überprüfungsantrag und in der mündlichen Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer im Wesentlichen wie folgt argumentiert:
1. Der in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerde kammer eingereichte Hilfsantrag II basiert auf dem mit Datum vom 22. Oktober 2009 in Vorbereitung der mündli chen Verhandlung vor der ersten Instanz eingereichten Hilfsantrag I. Hierbei wurde zu dem Anspruch, der sich auf das Verfahren zum Füllen von flexiblen Folienbeuteln bezieht, das Merkmal
"dass der Folienbeutel nur teilweise mit dem gasförmigen, desinfizierenden Medium ausgeformt und anschliessend mit einem desinfizierten und/oder sterilen Medium, das vorzugsweise nicht mehr desinfizierend wirkt, voll ausgeformt wird".
hinzugefügt. In der Entscheidung der Beschwerdekammer wird auf dieses Merkmal als "Merkmal f" verwiesen. Im Einspruchsverfahren sei dieser Hilfsantrag nicht disku tiert worden. Im Beschwerdeverfahren habe die Beschwer deführerin (Einsprechende) erst mit Schreiben vom 22. Februar 2012 vorgetragen, dass sie durch das hinzu gefügte Merkmal keine Unterscheidung gegenüber der D1 und D9 und ansonsten Unklarheiten gemäß Artikel 84 EPÜ sieht. In der mündlichen Verhandlung wurde der Hilfs antrag II eingereicht, in dem das Wort "vorzugsweise" in Anspruch 1 und 8 im Vergleich zum Hilfsantrag I gestri chen wurde. Auf diese geänderte Fassung des Merkmals wird in der Entscheidung der Beschwerdekammer als "Merkmal g" hingewiesen.
2. Über den Hilfsantrag II sei in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer diskutiert worden. Zuvor habe die Beschwerdekammer nach einer Beratungs pause erklärt, dass sie in Bezug auf Hilfsantrag I und II die Probleme zum einen darin sehe, dass kein Unter scheidungsmerkmal gegenüber der D1 durch das hinzu gefügte Merkmal gegeben sein könne und dass zweitens durch das hinzugefügte Merkmal keine Aufgabe gelöst werde. Von einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit aufgrund des allgemeinen Fachwissens sei zu diesem Zeitpunkt keine Rede gewesen.
3. In der auf diese Beratungspause folgenden Diskussion habe sich die folgende Situation ergeben. Der Bericht erstatter der Beschwerdekammer habe die Beschwerde führerin gefragt, was sie zu dem Hilfsantrag II vor tragen würde, falls in dem hinzugefügten Merkmal eine Unterscheidung zur D1 gesehen werden könnte. Hierauf habe der Vertreter der Beschwerdeführerin erwidert, dass er dann nichts mehr vortragen könne. An den Vertreter der Antragstellerin gerichtet habe der Berichterstatter gefragt, wie er die erfinderische Tätigkeit in Bezug auf den druckschriftlichen Stand der Technik und das "allge meine Fachwissen" beurteilen würde. Die Erwähnung des "allgemeinen Fachwissens" sei nur in dieser abstrakten und unkonkretisierten Form erfolgt. Da zu diesem Zeit punkt keinerlei allgemeines Fachwissen dokumentiert, erwähnt, eingeführt oder sonst wie diskutiert war, sei nichts anderes übrig geblieben als zu bestreiten, dass es irgendwelches Fachwissen gäbe, das das im Hilfs antrag II hinzugefügte Merkmal nahelegen würde.
4. Von der Beschwerdekammer sei nicht erläutert worden, was sie unter diesem "allgemeinen Fachwissen" konkret verstehe oder warum aus diesem allgemeinen Fachwissen heraus der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II nahegelegt sein solle. Es sei somit im Beschwerde verfahren den Parteien überlassen worden, sich auszu malen, welches allgemeine Fachwissen denn hier relevant sein solle, worin es bestehe und inwieweit es für die Frage der erfinderischen Tätigkeit relevant sein könne. Wie die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zeige, finde sich das allgemeine Fachwissen in der Regel in Enzyklopädien, Handbüchern oder Wörterbüchern; was das allgemeine Fachwissen darstelle, hänge vom jeweiligen Gebiet der Technik ab und sei je nach Sachverhalt zu bestimmen (siehe T 890/02, ABl. 2005, 497; T 766/91 vom 29. September 1993; und T 939/92, ABl. 1996, 309). Die Beschwerdekammer, die von sich aus diesen Angriff mit der erfinderischen Tätigkeit formuliert habe, sei diesen Prinzipen nicht bzw. erst in der schriftlichen Begrün dung gefolgt. Die Entscheidung beruhe somit auf Tat sachen, die nicht in das Verfahren eingeführt worden seien. Neue Beweismittel könnten nicht berücksichtigt werden, wenn sie erst in der mündlichen Verhandlung vorgebracht würden (siehe G 4/92, ABl. 1994, 149), und jede Partei müsse ausreichend Gelegenheit haben, zu den Tatsachen, Beweismitteln und Argumenten einer anderen Partei Stellung zu nehmen (siehe G 4/95, ABl. 1996, 412). Dies müsse auch für neue Tatsachen gelten, die eine Beschwerdekammer einführt.
5. Die Ausführungen in der Entscheidung (s. Punkt 9, Seite 20 und 21), warum es die Kammer als im Rahmen des fachmännischen Handelns liegend sah, das im Hilfs antrag II im Anspruch 1 ergänzte Merkmal vorzusehen, sowie das Argument, dass das hinzufügte Merkmal kein spezifisches Handeln, sondern vielmehr eine allgemein übliche Vor gehensweise betreffe, seien nicht vorgetragen und nie diskutiert worden. Die Kammer erachte es somit als zum allgemeinen Fachwissen gehörend, dass ein höherwertiger Stoff nur in dem Ausmaß eingesetzt würde, in dem er abhängig vom Anwendungsfall erforderlich sei. Sei dieser Zweck erreicht und bedürfe es erkennbar dieses höher wertigen Stoffes zum Erreichen eines weiteren Zwecks nicht mehr, dann sei es als im Rahmen fachmännischen Handelns liegend anzusehen, ein hierfür geeignetes günstigeres Mittel einzusetzen. Dieser in der Entscheidung als Fakt eingeführte Bestand teil, also konkret aufgeführte Teil des allgemeinen Fachwissens, aufgrund dessen der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II nahegelegt sein soll, sei von der Kammer, geschweige denn vom Gegner, nie einge führt und auch nicht zur Diskussion gestellt worden.
6. Hätte die Antragstellerin zu dieser Argumentation Stellung nehmen können, so hätte dann auch konkret und nicht nur abstrakt bestritten werden können, dass dies Teil des allgemeinen Fachwissens für einen Fachmann im Bereich der Folienbeuteldesinfektion sei und dass dies keine Veranlassung für einen Fachmann darstelle, in dem konkreten Anwendungsfall sein abstraktes Fachwissen hier zu konkretisieren. Die Antragstellerin habe aber keine Gelegenheit bekommen, dazu Stellung zu nehmen, was ein klarer Fall einer Verletzung des rechtlichen Gehörs sei.
7. Die Bemerkung der Großen Beschwerdekammer in der mündlichen Verhandlung, wonach aus den Seiten 4 und 5 der zu überprüfenden Entscheidung hervorgehe, dass in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eine Diskussion über das "fachmännische Handeln" stattge funden habe, wurde von der Antragstellerin bestätigt, die aber argumentierte, aus der Entscheidung (siehe S. 18, Nr. 9.2 ff.) gehe hervor, dass die Beschwerde kammer trotzdem danach ihre eigene Version des "fach männischen Handelns" eingeführt habe.
8. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs habe im Beschwerdeverfahren nicht gerügt werden können, da sie erst mit Vorliegen der schriftlichen Begründung der Entscheidung zu erkennen gewesen sei.
IV. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer heißt es (siehe Seite 2, 3. Absatz):
"Dabei wurde insbesondere der Aspekt der erfinderischen Tätigkeit betreffend Anspruch 1 nach dem Hauptantrag und den beiden Hilfsanträgen unter Berücksichtigung der Dokumente D1, D3, D7 und D9 sowie des allgemeinen Fachwissens diskutiert."
V. Die schriftliche Entscheidung der Kammer enthält eine Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien (siehe Abschnitte IV und V unter "Sachverhalt und Anträge"). Laut Abschnitt IV hat die Beschwerdeführerin wie folgt argumentiert:
"Das Verfahren nach dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II sei aufgrund der in dem Merkmal g enthaltenen Formulierungen bezüglich der Verwendung unterschiedlicher Medien sehr allgemein definiert. Aufgrund dieser allgemeinen Definitionen sei nicht erkennbar, dass davon ausgegangen werden könne, dass sich, zumindest in technisch bedeutsamer Weise, die Wirkung einstellt, nach der der Verbrauch an höherwertigem desinfizierenden Gas reduziert werden kann.
Anlässlich der Diskussion in der mündlichen Verhandlung sei im Übrigen davon auszugehen, dass sich die Aufgabe, den Verbrauch an desinfizierendem Gas möglichst klein zu halten, für den Fachmann ohne Weiteres stelle. Die Lösung dieser Aufgabe nach dem angesprochenen Merkmal sei ausgehend von dem Verfahren nach D1 unter Berücksichtigung solchen allgemeinen fachmännischen Handelns als naheliegend anzusehen."
Laut Abschnitt V hat die Antragstellerin wie folgt argumentiert:
"Die Verfahren nach dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag sowie gemäß Hilfsantrag II unterschieden sich von dem aus D1 bekannten Verfahren weiter durch die Merkmale f bzw. g, aufgrund derer in vorteilhafter Weise der Verbrauch des - höherwertigen - desinfizierenden Mediums durch die anschließende Verwendung eines lediglich desinfizierten und/oder sterilen Mediums reduziert werden kann. Da es für diese Maßnahmen im vorliegenden Stand der Technik keinerlei Anhaltspunkt gebe, seien sie, in Verbindung mit den übrigen Merkmalen der betreffenden Ansprüche, als zu einem auf erfinderischer Tätigkeit beruhenden Verfahren führend zu erachten. Die speziellen Maßnahmen nach dem Merkmal f bzw. g könnten mangels jedweden Anhaltspunktes hierfür auch nicht als im Rahmen fachmännischen Handelns liegend angesehen werden."
VI. In einer mit der Ladung der Parteien zur mündlichen Verhandlung gesandten Mitteilung vom 22. Oktober 2012 hat die Große Beschwerdekammer der Antragstellerin ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt. Die Große Beschwerde kammer war der vorläufigen Meinung, dass der Antrag nicht offensichtlich unzulässig, aber wahrscheinlich offensichtlich unbegründet sei. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2012 reichte die Antragstellerin ihre Bemer kungen zu der Mitteilung ein. In diesem Vorbringen wurde klar, dass die Antragstellerin die Ausdrücke "allge meines Fachwissen" und "fachmännische Handeln" als gleichbedeutend verwendet hat, und die Große Beschwerde kammer schloss sich dieser Sichtweise für die Zwecke des Überprüfungsverfahrens an. Am 14. Januar 2013 fand eine mündliche Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer statt.
VII. Die Antragstellerin hat beantragt:
- die Aufhebung der Entscheidung und die Wieder eröffnung des Verfahrens vor der Technischen Beschwerdekammer,
- die Anordnung, die Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, zu ersetzen und
- die Rückzahlung der Gebühr für den Antrag auf Über prüfung.
Entscheidungsgründe
1. Der Antrag auf Überprüfung wurde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der betreffenden Entscheidung gestellt, die Antragstellerin ist durch diese beschwert, die vorgeschriebene Gebühr wurde rechtzeitig entrichtet, und der Antrag erfüllt die Erfordernisse der Regel 107 EPÜ. Falls ein Verfahrensmangel wie behauptet aufge treten sein sollte, scheint ferner die Ausnahme gemäß Regel 106 EPÜ Anwendung zu finden, sodass die Erforder nisse dieser Regel offensichtlich erfüllt sind. Somit ist der Antrag auf Überprüfung nicht offensichtlich unzulässig.
2. Die Große Beschwerdekammer stimmt dem Vorbringen der Antragstellerin (siehe oben, Abschnitt III.4) zu, dass das allgemeine Fachwissen auf einem bestimmten Gebiet der Technik von Fall zu Fall anhand der jeweiligen Tatsachen und Beweismittel zu bestimmen ist, dass solche Tatsachen und Beweismittel in der Regel in Enzyklopädien, Handbüchern und Wörterbüchern zu finden sind und dass wie bei allen Tatsachen oder Beweismitteln die Partei, die sich nicht auf sie stützt, Gelegenheit zur Stellung nahme haben muss. Dasselbe gilt, wenn - was in Einzel fällen vorkommt - neue Tatsachen nicht von einer Partei, sondern von einer Beschwerdekammer in das Verfahren ein geführt werden; in diesem Fall muss jede Partei Gelegen heit zur Stellungnahme erhalten. Unabhängig davon, wie die Tatsachen eingeführt wurden, ist nach Artikel 113 (1) EPÜ die Möglichkeit zur Stellungnahme verpflichtend bei Tatsachen, die die Beweismittel oder Argumente bilden, die einer Entscheidung zugrunde gelegt werden; wurde eine solche Möglichkeit nicht gewährt, kann die Ent scheidung folglich nicht mit solchen Tatsachen begründet werden bzw. falls dies geschehen ist, kann sie nach Artikel 112a (2) c) EPÜ aufgehoben werden.
3. Im vorliegenden Fall ist deshalb zu klären, ob die Antragstellerin die Möglichkeit hatte, sich zu den Tatsachen zu äußern, die die Beschwerdekammer ihrer Entscheidung über die mangelnde erfinderische Tätigkeit im Hilfsantrag II der Antragstellerin zugrunde gelegt hat (S. 17 bis 21 der Entscheidung, Nrn. 9.1 bis 9.5). Die einzigen Aussagen in diesem Teil der Entscheidung, die von der Antragstellerin beanstandet werden, betreffen das, was die Antragstellerin als "allgemeines Fachwissen" bezeichnet. (In der Entscheidung ist nur von "fachmännischem Handeln" die Rede, doch wird für die Zwecke dieses Überprüfungsverfahrens davon ausgegangen, dass die beiden Formulierungen austauschbar sind - siehe oben, Abschnitt VI. Anders als bei Zitaten aus der zu überprüfenden Entscheidung, in der "fachmännisches Handeln" benutzt wurde, wird die Große Beschwerdekammer wie die Antragstellerin von "allgemeinem Fachwissen" sprechen).
4. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer heißt es - wenn auch allgemein formuliert -, dass das "allgemeine Fachwissen" in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit aller Anträge der Antragstellerin erörtert wurde (siehe oben, Abschnitt IV). Die angefochtene Entscheidung enthält ferner in den Abschnitten IV und V unter "Sachverhalt und Anträge" eine Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien sowie Argumente, die sich eindeutig auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit der Hilfsanträge beziehen (siehe oben, Abschnitt V). Aus der Entscheidung geht somit hervor, dass beide Parteien in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags II unter anderem zum "allgemeinen Fachwissen" (bezeichnet als "fachmännisches Handeln") Stellung genommen haben. Die Antragstellerin stimmte der Großen Beschwerdekammer auch darin zu, dass eine solche Diskussion stattgefunden hat (siehe oben, Abschnitt III.7).
5. Der einzige Unterschied zwischen dem Protokoll der mündlichen Verhandlung und der schriftlichen Entscheidung der Beschwerdekammer zum einen und dem Überprüfungsantrag zum anderen besteht deshalb in der Behauptung der Antragstellerin, die Kammer habe bei der Diskussion in der mündlichen Verhandlung nicht spezifiziert, was sie unter dem Hinweis auf "allge meines Fachwissen" verstehe, sondern es den Parteien überlassen, sich darunter etwas vorzustellen. Die Antragstellerin führt dann aus, sie habe nicht gewusst, was unter "allgemeinem Fachwissen" zu verstehen sei, und konnte deshalb nur behaupten, dass keines vorlag; sie habe dann erst aus der schriftlichen Entscheidung erkannt, woran die Kammer beim "allgemeinen Fachwissen" offenbar gedacht habe (siehe oben, Abschnitt III.5). Die Große Beschwerdekammer wird für den vorliegenden Zweck und zugunsten der Antragstellerin davon ausgehen, dass die Darstellung dieser Diskussion durch die Antrag stellerin richtig ist und dass die Beschwerdekammer den Begriff "allgemeines Fachwissen" zwar eingeführt hat, aber ohne zu spezifizieren, was darunter zu verstehen ist.
6. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer kann es nicht richtig sein, dass eine Partei einfach einen solchen Hinweis akzeptieren kann oder soll, dass nicht offenbarte Tatsachen von der Beschwerdekammer oder von einer anderen Partei berücksichtigt werden, ohne dass sie offenbart wurden oder dazu Stellung genommen wurde. Die Situation wäre natürlich ohne diesen Hinweis ganz anders gewesen; wenn aber die Antrag stellerin wie von ihr behauptet von möglichen neuen Tatsachen erfahren hat, die nicht oder nur zum Teil offenbart wurden, hätte sie die Kammer um eine Erklärung bitten müssen. Die Gelegenheit dazu verstreichen zu lassen und dann einen Antrag auf Überprüfung zu stellen, kommt dem Verhalten gleich, das die Große Beschwerde kammer in der Entscheidung R 21/11 vom 15. Juni 2012 für potenziell unbillig befunden hat (s. Nr. 5 der Entschei dungsgründe). Es obliegt einer Partei, die eine Ent scheidung zu ihren Gunsten anstrebt, sich aktiv am Verfahren zu beteiligen und dies zum angemessenen Zeitpunkt und von sich aus zu tun (siehe R 2/08 vom 11. September 2008, Nrn. 8.5 und 9.10 der Entscheidungs gründe).
7. Diese Grundsätze der Rechtsprechung zu Überprüfungs anträgen sollten nicht auf das eigene Vorbringen einer Partei beschränkt werden, sondern gelten gleichermaßen für die Stellungnahme zum Vorbringen einer anderen Partei oder zu Argumenten der Beschwerdekammer. So bemerkte die Große Beschwerdekammer in R 3/10 vom 29. September 2011 (siehe Nr. 2.11 der Entscheidungs gründe):
"Die mündliche Verhandlung soll ermöglichen, dass jede Partei ihre Argumente mündlich präsentieren kann, die Kammer den Parteien Fragen stellen kann, die Parteien auf diese Fragen antworten können und dass die Kammer und die Parteien Fragen erörtern können, zu denen auch kontroverse und möglicherweise entscheidende Fragen zählen. Der Wert der mündlichen Verhandlung liegt folglich darin, dass Fragen geklärt werden können und die Kammer sich schließlich davon überzeugen kann, dass die Position einer Partei richtig ist, von deren schriftlichem Vorbringen alleine sie nicht so überzeugt war." (Hervorhebung durch die Große Beschwerdekammer)
Laut Vorbringen der Antragstellerin im vorliegenden Fall hat die Kammer den Parteien Fragen gestellt, und die Antragstellerin - oder ihr Vertreter - entschied sich dafür, die Fragen nicht vollständig zu beantworten und nicht um die erforderliche Klarstellung zu bitten. Sie hatte die Gelegenheit zur Stellungnahme, die sie aber nicht so nutzte, wie es möglich gewesen wäre. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs stattgefunden hat.
8. Zu dieser Schlussfolgerung kommt die Große Beschwerde kammer anhand der Argumentation der Antragstellerin selbst. Die Große Beschwerde kammer ist der Ansicht, dass diese Argumentation einen großen Wider spruch aufweist und dass der von der Antragstellerin angefochtene Bestandteil der Entscheidung auf Fakten beruht, die von den Parteien diskutiert worden sind.
9. Die Antragstellerin bringt vor, sie habe erst aus der schriftlichen Entschei dung erfahren, was unter dem "allgemeinen Fachwissen" zu verstehen sei, auf das die Beschwerdekammer ihre Entscheidung gründe, nämlich der an geblich erst in der Entscheidung als Fakt eingeführte Bestandteil, dass das hinzugefügte Merkmal g kein spezifisches Handeln, sondern vielmehr eine allgemein übliche Vorgehensweise betreffe; dass die Kammer es somit als zum allgemeinen Fachwissen gehörend erachte, dass ein höherwertiger Stoff nur in dem Ausmaß einge setzt würde, in dem er abhängig vom Anwen dungsfall erforderlich sei; und dass, sei dieser Zweck erreicht und bedürfe es erkennbar dieses höherwertigen Stoffes zum Erreichen eines weiteren Zwecks nicht mehr, es dann als im Rahmen fachmännischen Handelns liegend anzusehen sei, ein geeignetes günstigeres Mittel einzusetzen (siehe oben, Abschnitt III.5 sowie den Antrag, S. 6). Obwohl die Antragstellerin be hauptet, dass diese Aus sagen erst in der schriftlichen Entscheidung erschienen seien, spiegeln sie offenbar ganz deutlich das Vor bringen der Parteien wider.
10. So erklärte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer (wie in der Entscheidung festgehalten - siehe oben, Abschnitt IV), dass sich die Aufgabe, den Verbrauch an desinfizierendem Gas möglichst klein zu halten, für den Fachmann ohne Weiteres stelle, und dass die Lösung dieser Aufgabe nach dem angesprochenen Merkmal ausgehend von dem Verfahren nach D1 unter Berücksichtigung solchen allgemeinen fachmännischen Handelns als naheliegend anzusehen sei.
11. In dieser Diskussion sagte die Antragstellerin (siehe oben, Abschnitt V), dass sich das Verfahren gemäß Hilfsantrag II von dem aus D1 bekannten Verfahren weiter durch die Merkmale g unterscheide, aufgrund derer in vorteilhafter Weise der Verbrauch des - höherwertigen - desinfizierenden Mediums durch die anschließende Verwendung eines lediglich desinfizierten und/oder sterilen Mediums reduziert werden könne und, da es für diese Maßnahme im vorliegenden Stand der Technik keiner lei Anhaltspunkt gebe, dass es in Verbindung mit den übrigen Merkmalen der betreffenden Ansprüche als zu einem auf erfinderischer Tätigkeit beruhenden Verfahren führend zu erachten sei. Die spezielle Maßnahme nach dem Merkmal g könnte nicht als im Rahmen fachmännischen Handelns liegend angesehen werden.
12. Aus einem einfachen Vergleich dieser Argumente der beiden Parteien und der daraus folgenden Entscheidung der Beschwerdekammer geht hervor, dass die Parteien in ihren Argumenten dieselben Punkte behandelt haben wie die Kammer in ihrer Entscheidung, nämlich dass das Merkmal g die Wirkung hatte, die Verwendung des desin fizierenden (und teureren) Gases durch die Verwendung eines anderen (und billigeren) Gases zum Ausformen der Beutel zu reduzieren, und die Frage, ob dies für den Fachmann aufgrund seines "allgemeinen Fachwissens" naheliegend gewesen wäre (Argumentation der Beschwerde führerin) oder nicht (Argumentation der Antragstellerin). Ferner scheint es, dass die Entscheidung der Kammer, insbesondere die von der Antragstellerin beanstandete Passage (S. 20 bis 21), auf den Argumenten der Parteien basiert, auf die auch verwiesen wird (siehe S. 20, Nr. 9.4, die ersten beiden Absätze), bevor die Kammer im Gegensatz zur Antragstellerin zu dem Schluss kommt, dass das Merkmal g kein spezifisches Handeln erfordert und dass es zum "allgemeinen Fachwissen" gehört, ein zweites und billigeres Gas zum Ausformen der Beutel zu verwenden.
13. Auch aus diesem Ansatz kann die Große Beschwerdekammer nicht erkennen, dass die Entscheidung auf Tatsachen beruht, zu denen sich die Antragstellerin nicht äußern konnte. Ganz im Gegenteil beruht die Entscheidung offen bar auf den Argumenten der Parteien, und das "allgemeine Fachwissen", von dem die Antragstellerin angeblich erst aus der Entscheidung erfahren hat, war nichts anderes als die Schlussfolgerung der Kammer nach Anhörung der Parteien zu der Frage, ob der Fachmann versuchen würde, die Verfahrenskosten nach Möglichkeit zu senken. Das einzige, was die Antragstellerin kritisieren kann, ist, dass ihre Argumentation nicht erfolgreich war.
14. Ob nun allein aufgrund der Argumente der Antragstellerin oder objektiv anhand sämtlicher verfügbarer Informa tionen über das Verfahren vor der Beschwerdekammer betrachtet, kommt die Große Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass das rechtliche Gehör nicht verletzt wurde. Der Antrag ist deshalb als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.