J 0001/89 (Freiwillige Serviceleistung) of 1.2.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:J000189.19900201
Datum der Entscheidung: 01 Februar 1990
Aktenzeichen: J 0001/89
Anmeldenummer: 83903170.5
IPC-Klasse: A23B 4/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Liesenfeld
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: 1.1. Der Vertrauensschutz, der das Verfahren zwischen EPA und Anmelder beherrscht (J 2/87 ABl. EPA 1988, 330 und J 3/87 ABl. EPA 1989, 3) gilt auch gegenüber freiwilligen Serviceleistungen des EPA, wenn diese nicht so abgefaßt sind, daß Mißverständnisse bei einem vernünftigen Adressaten ausgeschlossen sind.
1.2. Ein Anmelder kann nicht darauf vertrauen, daß ihm bestimmte freiwillige Serviceleistungen des EPA (hier: Hinweise auf die Fälligkeit von Jahresgebühren) regelmäßig zugestellt werden und kann daher keine Ansprüche daraus herleiten, wenn sie nicht erfolgen (Bestätigung von J 12/84 ABl. EPA 1985, 108); erhält der Anmelder aber eine freiwillige Serviceleistung, so kann er auf deren Richtigkeit und Vollständigkeit vertrauen.
1.3. Zahlt ein Anmelder Jahresgebühren im Einklang mit einem mißverständlichen Hinweis über die Fälligkeit der Jahresgebühren, so ist er so zu behandeln, als ob er die Jahresgebühr rechtzeitig entrichtet hätte.
2. Verschiebt sich der Beginn der regionalen (europäischen) Phase auf den Zeitpunkt des Ablaufes des 30. Monats ab dem Anmeldedatum der internationalen Anmeldung, so wird die Jahresgebühr für das dritte Patentjahr erst mit Ablauf des 30. Monats, d. h. am letzten Tag der 30-Monatsfrist fällig (Art. 40 PCT; Art. 150 (2) Satz 3 EPÜ). ( Neue Rechtslage ab 1.6.1991 (Regel 104 (1) (e) EPÜ). Dieser verschobene Fälligkeitstag ist für die Berechnung der Nachfrist zur Zahlung der Jahresgebühr mit Zuschlag maßgebend.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 86
European Patent Convention 1973 Art 150(2) Sent 3
Patent Cooperation Treaty Art 40
Schlagwörter: Hinweis auf Jahresgebührenzahlung/Freiwillige Serviceleistung des EPA
Bescheide - Klarheit und Unmissverständlichkeit
Vertrauensschutz
Fälligkeitstag der 3. Jahresgebühr
Internationale Anmeldung mit Kapitel II PCT
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0002/97
J 0027/92
J 0034/92
J 0013/93
J 0014/94
J 0030/94
J 0007/97
J 0032/97
J 0038/97
J 0034/03
J 0001/08
J 0010/17
T 0489/93
T 0690/93
T 0069/95
T 0815/02
T 1181/04
T 0861/12
W 0001/07

Sachverhalt und Anträge

I. Der Beschwerdeführer reichte am 30. September 1983 eine EURO- PCT-Anmeldung ein.

II. Mit Schreiben vom 3. Juni 1986, das die Überschrift "Hinweis auf Art. 86 (2) EPÜ, Art. 2 Nr. 5 GebO - Zahlung der Jahresgebühr mit Zuschlagsgebühr" trägt, wurde der Anmelder darauf hingewiesen, daß die dritte Jahresgebühr am 1. April 1986 fällig geworden, bis zum Fälligkeitstag aber nicht entrichtet worden sei. Gemäß Artikel 86 (2) EPÜ könne die Jahresgebühr noch innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit mit Zuschlag im Gesamtbetrag von DEM 506 entrichtet werden. Der Anmelder zahlte daraufhin die dritte Jahresgebühr durch einen Scheck über DEM 506, der seinem Schreiben vom 24. September 1986 beigefügt war.

III. Durch die Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ vom 22. September 1987 wurde dem Anmelder mitgeteilt, daß die Prüfungsabteilung beabsichtige, ein europäisches Patent zu erteilen. Innerhalb der gesetzten Vier-Monatsfrist erklärte der Anmelder sein Einverständnis mit der mitgeteilten Fassung, übersandte eine Übersetzung der Patentansprüche in die englische und französische Sprache und zahlte die Erteilungsgebühren und die Druckkosten.

IV. Mit Schreiben vom 29. September 1987 übersandte der Anmelder unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 3. Juni 1986 zur Entrichtung der vierten Jahresgebühr zuzüglich des Verspätungszuschlags in Höhe von 10 % einen Scheck über den Betrag von DEM 671.

V. Durch Mitteilung gemäß Regel 69 (1) EPÜ vom 3. November 1987 wurde dem Anmelder mitgeteilt, daß seine europäische Patentanmeldung gemäß Artikel 86 (3) EPÜ als zurückgenommen gelte, da er die vierte Jahresgebühr nebst Zuschlag nicht rechtzeitig entrichtet habe. Die vierte Jahresgebühr habe gemäß Artikel 86 (2) und Regel 37 EPÜ zuschlagsfrei bis zum 30. September 1986 und mit Zuschlag bis zum 30. März 1987 gezahlt werden können. Die Tatsache, daß dem Anmelder ein Gebührenhinweis gemäß Artikel 86 (2) EPÜ für die vierte Jahresgebühr nicht zugestellt worden sei, sei unbeachtlich, da es sich bei diesen Gebührenhinweisen nur um eine Serviceleistung des EPA handele (Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 25.01.1985 ABl. EPA 1985, 108). Die Berechnung der Fälligkeit im Bescheid vom 3. Juni 1986 beruhe auf Artikel 40 PCT und Artikel 150 (2) Satz 3 EPÜ und gelte nur für die dritte Jahresgebühr, während für die vierte Jahresgebühr die normale Fälligkeit gemäß Artikel 86 (2) in Verbindung mit Regel 37 EPÜ gelte.

VI. Durch Mitteilung vom 7. Dezember 1987 wurde der Anmelder auf die Fälligkeit der fünften Jahresgebühr am 30. September 1987 hingewiesen, die noch innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit mit Zuschlag entrichtet werden könne. Die 5. Jahresgebühr (DEM 770) nebst Zuschlag (DEM 77) entrichtete der Anmelder mit Scheck, der seinem Schreiben vom 23. Dezember 1987 beigefügt war.

VII. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1987 stellte der Anmelder Antrag auf Entscheidung gemäß Regel 69 (2) EPÜ. Er bat die Fristüberschreitung zu entschuldigen und die Anmeldung weiterzubehandeln. Eine Sorgfaltsverletzung des Anmelders liege nicht vor, da er sich auf die Angabe des Fälligkeitsdatums in dem Gebührenhinweis vom 3. Juni 1986 verlassen habe. Er habe zwar Gebührenhinweise für die dritte und fünfte Jahresgebühr erhalten, nicht aber für die vierte Jahresgebühr. Der Anmelder habe darauf vertrauen können, daß das EPA für die vierte Jahresgebühr die gleiche Serviceleistung gewähre wie für die dritte und fünfte Jahresgebühr. Das ergebe sich aus dem PCT-Leitfaden für Anmelder, Ausgabe Juli 1986, in der unter EP.12 ausgeführt sei, daß der Anmelder vom EPA eine Mahnung erhalte, wenn er nicht fristgerecht zahle. Die Zahlung vom 29. September 1987 stelle inhaltlich einen Wiedereinsetzungsantrag dar. Die Wiedereinsetzungsgebühr in Höhe von DEM 125 sei nicht entrichtet worden, weil beim PCT-Anmeldeamt ein Gebührenguthaben in Höhe von DEM 160 vorgelegen habe.

VIII. Mit Entscheidung vom 29. Juli 1988 wurde entschieden:

1. Die Anmeldung gilt wegen der verspäteten Zahlung der Jahresgebühr für das vierte Jahr als zurückgenommen und

2. der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach Artikel 86 (2) EPÜ gilt wegen Nichtzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr als nicht gestellt.

IX. Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerechte Beschwerde des Anmelders. Der Beschwerdeführer stellte klar, daß sein Schreiben vom 21. Dezember 1987 keinen Wiedereinsetzungsantrag darstelle. Die Sache solle zum Erlaß einer Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ zurückverwiesen werden. Die Gebührenhinweise gemäß Artikel 86 (2) EPÜ seien zwar freiwillige Dienstleistungen des EPA, jedoch habe der Beschwerdeführer sich nach dem Prinzip von Treu und Glauben darauf verlassen können, daß diese Dienstleistung lückenlos erbracht werde. Ein Hinweis auf die Fälligkeit der vierten Jahresgebühr sei aber unerklärlicherweise unterblieben. Diesen Mangel könne das EPA durch eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ heilen und dem Antrag auf Weiterbehandlung stattgeben.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die angefochtene Entscheidung stellt zu Recht fest, daß die vierte Jahresgebühr nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des Artikel 86 EPÜ entrichtet worden ist. Da der Anmeldetag der EURO- PCT-Anmeldung der 30. September 1983 ist, wurde die vierte Jahresgebühr gemäß Artikel 86 (1) Satz 2 EPÜ am 30. September 1986 fällig. Gemäß Artikel 86 (2) EPÜ konnte sie mit Zuschlagsgebühr noch bis zum 30. März 1987 wirksam entrichtet werden. Jahresgebühr und Zuschlagsgebühr sind jedoch erst am 1. Oktober 1987 entrichtet worden.

3. Eine verspätete Zahlung hat nach Artikel 86 (3) EPÜ zur Folge, daß die europäische Anmeldung als zurückgenommen gilt. Die verspätete Zahlung ist aber im vorliegenden Fall durch das Verhalten des EPA mitverursacht worden.

4. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine EURO-PCT- Anmeldung, für die hinsichtlich der Fälligkeit der dritten Jahresgebühr die besonderen Bestimmungen des Artikel 40 PCT und des Artikels 150 (2) Satz 3 EPÜ gelten. Danach wird anders als nach Artikel 86 EPÜ die dritte Jahresgebühr ausnahmsweise erst mit Ablauf des 30. Monats1 nach dem hier maßgebenden Anmeldetag vom 30. September 1983, also am 1. April 1986 fällig. Folglich konnte in diesem Fall die dritte Jahresgebühr mit Zuschlag noch bis zum 1. Oktober 1986 entrichtet werden.

5. Die Benachrichtigung des EPA vom 3. Juni 1986 weist zutreffend darauf hin, daß die dritte Jahresgebühr am 1. April 1986 fällig geworden ist. Sie enthält jedoch keinerlei Hinweis darauf, daß es sich um einen Ausnahmefälligkeitstag für die dritte Jahresgebühr handelt. Die Benachrichtigung zitiert nicht einmal die gesetzlichen Bestimmungen, aus denen sich dieser Ausnahmefälligkeitstag ergibt. Im Gegenteil erweckt die Benachrichtigung durch den Hinweis auf Artikel 86 EPÜ den Eindruck, daß es sich bei dem angegebenen Tag um den normalen Fälligkeitstag einer europäischen Patentanmeldung handelt. Daß der Fälligkeitstag vom 1. April 1986 in der Benachrichtigung vom 3. Juni 1986 einen Ausnahmefall gemäß Artikel 40 PCT und Artikel 150 (2) Satz 3 EPÜ darstellt, wurde dem Anmelder erst nach der Entrichtung der vierten Jahresgebühr durch die Mitteilung gemäß Regel 69 (1) EPÜ vom 3. November 1987, daß die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gelte, mitgeteilt. Es ist daher nach Auffassung der Kammer dem Anmelder nicht vorzuwerfen, wenn er die Benachrichtigung vom 3. Juni 1986 über die Fälligkeit der Jahresgebühr zur Grundlage der Überweisung der vierten Jahresgebühr machte. Das konnte er um so mehr, als ihm eine Benachrichtigung über die Fälligkeit der vierten Jahresgebühr, die dann den für diese von der dritten Jahresgebühr abweichenden normalen Fälligkeitstag gemäß Artikel 86 EPÜ enthalten hätte, nicht zugestellt worden ist. Die Kammer möchte jedoch betonen, daß sie an ihrer Rechtsprechung festhält, daß ein Anmelder nicht darauf vertrauen kann, daß ihm freiwillige Serviceleistungen des EPA - im vorliegenden Fall der Hinweis über die Fälligkeit einer Jahresgebühr - regelmäßig zugestellt werden, so daß er aus der Tatsache, daß ihm ein solcher Hinweis für die vierte Jahresgebühr nicht zugestellt worden ist, keine Ansprüche herleiten kann (Bestätigung von J 12/84 ABl. EPA 1985, 108). Dieser Rechtsprechung steht aber nicht entgegen, daß der Anmelder auf die Richtigkeit und Vollständigkeit einer ihm übersandten Benachrichtigung über die Fälligkeit einer Jahresgebühr vertrauen kann. Die Benachrichtigung vom 3. Juni 1986 war - wie ausgeführt - nicht so abgefaßt, daß sie Mißverständnisse über den Fälligkeitstag der Jahresgebühren bei einem vernünftigen Adressaten ausgeschlossen hätte. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn der Anmelder sich nach dem ihm mitgeteilten Fälligkeitstag richtete.

6. Die Kammer hat bereits mehrfach betont, daß der Vertrauensschutz, der das Verhältnis zwischen EPA und Anmelder beherrscht, erfordert, daß Bescheide für den Anmelder klar und unmißverständlich sind (vgl. Entscheidungen vom 20.07.1987 J 2/87 ABl. EPA 1988, 330 "Motorola" und vom 02.12.1987 J 3/87 ABl. EPA 1989, 3 "Membranen/MEMTEC"). Bescheide müssen so abgefaßt sein, daß Mißverständnisse bei einem vernünftigen Adressaten ausgeschlossen sind. Diesen Anforderungen genügte die Benachrichtigung vom 3. Juni 1986 - wie oben dargelegt - nicht.

7. Vertraut ein Anmelder einem mißverständlichen Bescheid, so darf ihm daraus kein Nachteil erwachsen (Entscheidung J 3/87 ABl. EPA 1989, 3). Er ist vielmehr so zu behandeln, als ob er die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt hätte, wenn er die mißverständliche Benachrichtigung zur Grundlage seines Verhaltens machte. Da die Benachrichtigung über die Zahlung der dritten Jahresgebühr den Eindruck erweckte, daß der Fälligkeitstag der Jahresgebühren der 1. April sei, durfte der Anmelder davon ausgehen, daß er die vierte Jahresgebühr gemäß Artikel 86 (2) EPÜ noch wirksam bis zum 1. Oktober 1987 entrichten konnte. Da er das getan hat, gilt die vierte Jahresgebühr als rechtzeitig entrichtet und damit die europäische Patentanmeldung gemäß Artikel 86 (3) EPÜ nicht als zurückgenommen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Mitteilung gemäß Regel 69 (1) EPÜ vom 3. November 1987 und die Entscheidung vom 29. Juli 1988 werden aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, daß die vierte Jahresgebühr rechtzeitig entrichtet ist und daher die europäische Patentanmeldung nicht als zurückgenommen gilt.

3. Die Sache wird zur Fortsetzung des Erteilungsverfahrens an die Vorinstanz zurückverwiesen.

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