W 0014/03 (Uneinheitlichkeit a posteriori; Bestimmung des nächstliegenden … of 27.10.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:W001403.20041027
Datum der Entscheidung: 27 October 2004
Aktenzeichen: W 0014/03
Anmeldenummer: -
IPC-Klasse: B23D 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 65 KB)
-
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einrichtung zum Bruchtrennen von Werkstücken
Name des Anmelders: Mauser-Werke Obersdorf Maschinenbau GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Patent Cooperation Treaty Art 17(3)
Patent Cooperation Treaty R 13(1)
Patent Cooperation Treaty R 13(2)
Patent Cooperation Treaty R 13(3)
Patent Cooperation Treaty R 40(2) e)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/89
W 0011/89
W 0006/97
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die internationale Anmeldung PCT/DE02/02720 wurde am 24. Juli 2002 mit einem unabhängigen Anspruch 1 und den abhängigen Ansprüchen 2 bis 15 eingereicht.

Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Einrichtung zum Bruchtrennen von Werkstücken (2) mit einer Bruchtrennstation (88) zum Bruchtrennen von gekerbten Abschnitten und/oder einer Kerbstation (86) zum Einbringen von der die Bruchebene vorgebenden Kerben und/oder einer Fügestation (90) zum Verschrauben der zu trennenden Abschnitte und einem Werkstücktisch (8) zum Aufspannen des zu trennenden Werkstücks (4), dadurch gekennzeichnet, daß zumindest eine der Bearbeitungsstationen (86; 88; 90) an einem Mittenaufbau (10) angeordnet ist, wobei der Mittenaufbau (10) von einem als drehbarer Ringtisch (8) ausgebildeten Werkzeugtisch umgriffen ist."

II. Mit Bescheid vom 6. März 2003 unterrichtete das EPA in seiner Eigenschaft als Internationale Recherchenbehörde (IRB) die Anmelderin von seiner Auffassung, daß die Anmeldung dem Erfordernis der Einheitlichkeit nicht entspricht, da sie drei Erfindungen umfasse, nämlich sowohl die im Anspruch 1 angegebene erste Alternative einer Einrichtung mit einer an einem Mittenaufbau angeordneten Bruchtrennstation, wobei der Mittenaufbau von einem als drehbarer Ringtisch ausgebildeten Werkzeugtisch umgriffen ist, als auch die im Anspruch 1 angegebene zweite Alternative einer solchen Einrichtung mit einer Kerbstation, als auch die im Anspruch 1 angegebene dritte Alternative einer solchen Einrichtung mit einer Fügestation. Die Anmelderin wurde im Bescheid vom 6. März 2003 aufgefordert, innerhalb von 30 Tagen zwei weitere Recherchengebühren zu entrichten.

III. Zur Begründung führte die IRB aus, daß aus der D1 (US-A-1 907 550) eine Einrichtung bekannt sei, die Bearbeitungsstationen aufweise, wobei zumindest eine der Bearbeitungsstationen an einem Mittenaufbau angeordnet sei und ein als drehbarer Ringtisch ausgebildeter Werkzeugtisch den Mittenaufbau umgreife. Dabei bemerkte sie, daß der an letzter Stelle in Anspruch 1 verwendete Begriff "Werkzeugtisch" als offensichtlicher Fehler anzusehen sei, weil der sonstige Wortlaut des Anspruchs und die Beschreibung keinen Zweifel darüber bestehen ließen, daß ein "Werkstücktisch" den Mittenaufbau umgreife.

In den folgenden, potentiellen speziellen, technischen, im Anspruch 1 enthaltenen Merkmale könnten folgende Erfindungen gesehen werden:

a) eine Einrichtung mit einer Bruchtrennstation,

b) eine Einrichtung mit einer Kerbstation,

c) eine Einrichtung mit einer Fügestation,

wobei die Beiträge dieser Merkmale zum Stand der Technik die Lösung folgender Probleme bezweckten:

a) Trennen eines Werkstücks,

b) Bearbeiten der Oberfläche eines Werkstücks,

c) Handhabung der Werkstücke.

Zwischen den oben erwähnten Erfindungen könne das gemeinsame Problem des Brechens von Werkstücken gesehen werden, das jedoch im Gebiet der Herstellung von Pleueln ganz allgemein bekannt sei, z. B. aus D2 (DE-C-19 841 027). Zwischen den Lösungen bestehe kein technischer Zusammenhang, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden technischen Merkmalen zum Ausdruck komme. Infolgedessen gebe es keine einzige allgemeine erfinderische Idee, die diese Erfindungen verbinde.

IV. Die Anmelderin hat am 4. April 2003 die weiteren Recherchengebühren unter Widerspruch gezahlt. Der Widerspruch wurde damit begründet, daß der Gegenstand der Erfindung nicht auf die einzelnen Bearbeitungs stationen, sondern auf den Mittenaufbau und den Ringtisch gerichtet sei, wobei eine Vielzahl von Bearbeitungsstationen an dem Mittenaufbau angeordnet werden könnte.

V. In ihrer Mitteilung über die Überprüfung der Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren auf ihre Berechtigung vom 18. Juni 2003 hat die IRB die Anmelderin unterrichtet, daß die Aufforderung berechtigt war, und sie aufgefordert, für die weitere Überprüfung des Widerspruchs innerhalb eines Monats die Widerspruchsgebühr zu zahlen. Sie hat hierzu im wesentlichen ausgeführt, daß der "Mittenaufbau" und der "Ringtisch" aus der D1 bekannt seien und diese Merkmale deswegen nicht mehr als die einzige allgemeine erfinderische Idee zwischen den verschiedenen Alternativen des Anspruchs 1 in Betracht kommen könnten.

Die Widerspruchsgebühr wurde am 4. Juli 2003 bezahlt.

Entscheidungsgründe

1. Der Widerspruch ist zulässig.

2. Bei einer Gruppe von Erfindungen, die nach Regel 13.3 PCT als Alternativen innerhalb eines einzigen Patentanspruchs beansprucht werden können, ist gemäß Regel 13.2 PCT das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nach Regel 13.1. nur erfüllt, wenn zwischen diesen Erfindungen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden besonderen technischen Merkmalen zum Ausdruck kommt. Unter dem Begriff "besondere technische Merkmale" sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen. Die jeweiligen besonderen technischen Merkmale und ihr Zusammenhang können also nur im Hinblick auf den relevanten Stand der Technik bestimmt werden. Die Erfindungen müssen weiterhin so zusammenhängen, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen.

Die Prüfung, ob dieser Tatbestand erfüllt ist, erfordert eine inhaltliche Bewertung der beanspruchten Gegenstände unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung gegenüber dem Stand der Technik (vgl. W 11/89, ABl. 1993, 225 und W 6/97).

3. Im vorliegenden Fall wurde als relevanter Stand der Technik die D1 zitiert, die nach Meinung der IRB eine Bearbeitungseinrichtung mit zumindest einer an einem Mittenaufbau angeordneten Bearbeitungsstation offenbare, wobei der Mittenaufbau von einem als drehbarer Ringtisch ausgebildeten Werkstücktisch umgeben sei. Durch die drei alternativen Ausführungsformen der Bearbeitungsstation (Bruchtrennstation, Kerbstation, Fügestation) gebe es drei Erfindungen, die ein gemeinsames Problem lösten: das Brechen der Werkstücke. Dieses Problem sei jedoch im Gebiet der Herstellung von Pleueln bereits aus D2 bekannt, mit der Folge, daß zwischen diesen Lösungen kein technischer Zusammenhang, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden technischen Merkmalen zum Ausdruck komme, bestehe. Infolgedessen seien diese Erfindungen nicht durch eine einzige, allgemeine erfinderische Idee verbunden.

4. Durch das Heranziehen des in der Recherche ermittelten Standes der Technik nach D1 wird ersichtlich Uneinheitlichkeit "a posteriori" geltend gemacht, was nach der Entscheidung G 1/89 (ABl. 1991, 155) der Grossen Beschwerdekammer grundsätzlich zulässig ist.

Durch die Bezeichnung der Bearbeitungsstation in Anspruch 1 als "Bruchtrennstation und/oder Kerbstation und/oder Fügestation" ergeben sich aus dem Wortlaut dieses Anspruchs in der Tat zumindest drei alternative Ausführungsformen der beanspruchten Bearbeitungseinrichtung.

Die Kammer schließt sich der Meinung der IRB an, daß die Verwendung des Begriffes "Werkzeugtisch" in der letzten Zeile des Anspruchs 1 der vorliegenden internationalen Anmeldung auf einen offensichtlichen Fehler beruht und statt dessen der Begriff "Werkstücktisch" gelesen werden soll.

5. Die Kammer kann den von der IRB erhobenen Einwand nur so deuten, daß die drei verschiedenen Ausführungsformen der oben genannten Bearbeitungseinrichtung außer ihren oben genannten - aus dem nach ihrer Sicht nächstliegenden Stand der Technik D1 bekannten - konstruktiven Merkmalen nur noch gemeinsam hätten, daß sie "zum Bruchtrennen geeignet" sind. Nachdem sie festgestellt hatte, daß diese Aufgabe bereits in dem Gebiet der Herstellung von Pleueln (D2) bekannt sei, hat sie gefolgert, daß sodann zwischen der Anordnung einer Bruchtrennstation bzw. einer Kerbstation bzw. einer Fügestation kein technischer Zusammenhang bestehe und die drei diesbezüglichen alternativen Ausführungsformen aus diesem Grund nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden seien.

6. Bei der Anwendung des Aufgabe-Lösungsansatzes ist es in erster Linie wichtig, den nächstliegenden Stand der Technik zu bestimmen. Darunter ist die in einer einzigen Quelle offenbarte Kombination von Merkmalen zu verstehen, die den erfolgversprechendsten Ausgangspunkt für eine naheliegende Entwicklung darstellt, die zur beanspruchten Erfindung führt. Die erste Überlegung bei der Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik ist die, daß er auf einen ähnlichen Zweck oder eine ähnliche Wirkung wie die Erfindung gerichtet oder zumindest demselben Gebiet der Technik wie die beanspruchte Erfindung oder einem eng verwandten Gebiet zuzuordnen sein sollte.

7. Die Kammer ist der Auffassung, daß die IRB sich in ihrer Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik zu sehr auf die konstruktiven Merkmale der Bearbeitungseinrichtung beschränkt und dabei nicht ausreichend berücksichtigt hat, ob die Einrichtung nach D1 tatsächlich zum Bruchtrennen geeignet ist.

Dieser Druckschrift aus dem Jahre 1933 ist zu entnehmen, daß mit der dort offenbarten Maschine spanende Metallbearbeitungen ("metal cutting") ausgeführt werden (Spalte 1, Zeile 7). Die Werkzeuge sind alle als Bohrer bzw. Fräser gezeichnet. In der Beschreibung gibt es keinen Hinweis, daß es beabsichtigt ist, mit dieser Einrichtung Bruchtrennungen durchzuführen. Die im wesentlichen Vorschubmechanismen bildenden dargestellten Mechanismen sind ebenfalls offensichtlich nicht geeignet, die normalerweise beim Bruchtrennen erforderlichen Kräfte und Geschwindigkeiten aufzubringen.

Für die Kammer steht somit fest, daß diese Einrichtung weder auf den Zweck des Bruchtrennens noch auf eine mit dem Bruchtrennen vergleichbare Wirkung gerichtet ist und weder demselben Gebiet noch einem eng verwandten Gebiet zugeordnet werden kann. Sie kommt daher als nächstliegender Stand der Technik nicht in Betracht.

8. D1 kann auch nicht als erfolgversprechendster Ausgangspunkt für eine Entwicklung in Richtung zum Bruchtrennen dienen, denn die Tatsache, daß die Metallbearbeitungsmaschine nach D1 mehrere konstruktive Merkmale mit der Bearbeitungseinrichtung nach der Erfindung gemeinsam hat (Mittenaufbau mit Bearbeitungsstation und Werkstückringtisch um den Mittenaufbau herum), gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, mit dieser Maschine einen Brech- oder Bruchtrennvorgang vornehmen zu wollen.

Da aus den oben stehenden Gründen der Stand der Technik nach D1 nicht als nächstliegend gelten kann, ist auch die hierauf basierte Schlußfolgerung der fehlenden Einheitlichkeit seitens der IRB nicht richtig.

9. Aber auch wenn man von der D1 als nächstliegendem Stand der Technik ausgehen würde, hätte die IRB nicht daraus schließen dürfen, daß es den drei alternativen Ausführungsformen an einer einzigen allgemeinen erfinderischen Idee mangele, da das Problem des Brechens bei der Herstellung von Pleueln ganz allgemein bekannt gewesen sei.

Die Bearbeitungsmaschine nach der D1 ist eindeutig eine spanende Metallbearbeitungsmaschine, zu der keinerlei Hinweise auf die Herstellung von Pleueln vorhanden sind. Auch wenn man annehmen würde, daß Pleuel auf einer solchen Maschine mit einem Bohrer oder Fräser bearbeitet werden könnten, liegt es fern, sie auf einer solchen Maschine auch noch bruchtrennen zu wollen. Denn sie ist dafür nicht geeignet und würde weitgehende technische Anpassungen erfordern. Die von der IRB verwendete Argumentationskette beruht daher auf einer ex-post-facto Analyse, der ungeeignet ist, die erfinderische Tätigkeit zu verneinen.

10. Wenn man den Beitrag einer Erfindung zum Stand der Technik bestimmen will (siehe Richtlinien für die internationale vorläufige Prüfung IV-8.5, PCT-Gazette S-07/1998), muß man auch auf den Stand der Technik achten, der vom Anmelder in der Beschreibung der Anmeldung bzw. den Ansprüchen berücksichtigt wurde. Dieser Stand der Technik wird im vorliegenden Fall von der D2 gebildet, die in der Tat eine Einrichtung zum Bruchtrennen offenbart. Sie weist einen Aufbau mit einer Bruchtrennstation auf, zu dem ein als drehbarer Ringtisch ausgebildeter Werkstücktisch gehört. Nach Meinung der Kammer kommt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eher diese Einrichtung als nächstliegender Stand der Technik in Betracht. Eine entsprechende Begründung fehlt aber in der Aufforderung der IRB.

11. Die Aufforderung zur Zahlung zweier weiterer Recherchengebühren war daher nicht berechtigt, sodaß der Widerspruch im Ergebnis begründet ist. Gemäß Regel 40.2 c) und e) PCT sind daher die zusätzlichen Recherchengebühren und die Widerspruchsgebühr zurückzuzahlen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Rückzahlung der zusätzlichen Recherchengebühren und der Widerspruchsgebühr wird angeordnet.

Quick Navigation