European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T096999.20030117 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 Januar 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0969/99 | ||||||||
Anmeldenummer: | 92906693.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61C 7/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Hilfsteil zur Korrektur zur Zahnstellung | ||||||||
Name des Anmelders: | DENTAURUM J.P. Winkelstroeter KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Bernhard Förster GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (ja, nach Änderung) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 576 500.
II. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) legte gegen das Patent Einspruch ein und beantragte, das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) zu widerrufen.
III. Mit am 11. August 1999 zur Post gegebener Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent mit der Begründung, daß der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung u. a. der Druckschriften
D1: US-A-4 197 643,
D2: H. Küpper: Reintitan: Materialeigenschaften und Verarbeitungstechnologien eines Dentalmetalles, "Die Quintessenz" Heft 9, September 1989, S. 1625-1636,
D3: Richter et. al.: Die Titan-Suprakonstruktion auf enossalen Implantaten, "Die Quintessenz" Heft 12, Dezember 1990, S. 1965-1977,
D4: Jakob Wirz: Klinische Bewährung von Legierungen (II), "Die Quintessenz" Heft 12, Dezember 1990, S. 2039-2044,
D6: J. Geis-Gerstorfer et. al.: Grundsätzliches zur Methodik potentiodynamischer Polarisationsmessungen and Dentallegierungen in künstlichen Speicheln, Deutsche Zahnärzl. Zeitschrift 42, 1987, S. 91-97,
D8: Untersuchungsbericht von Herrn Prof. Dr. Kappert vom 20.05.1999,
D8a: DIN 17850
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die folgenden Druckschriften sind von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren genannt worden.
D9: Dentaurum Orthodontie Katalog Nr. 11, Ausgabe 1997, Seiten 51, 54, 99, 158, 159,
D10: Ullmans Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl., Verlag Chemie, Weinheim 1983, Seiten 267-271, 278-281.
IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin am 8. Oktober 1999 unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein.
Die Beschwerdebegründung wurde am 13. Dezember 1999 eingereicht.
V. Am 17. Januar 2003 fand vor der Kammer eine mündliche Verhandlung statt, an deren Ende die Antragslage wie folgt war:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten mit den Ansprüchen 1 bis 7 (1. Hilfsantrag) oder mit den Ansprüchen 1 bis 6 (2. Hilfsantrag), diese jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung, sowie zum zweiten Hilfsantrag mit Beschreibung, Spalten 1 bis 4, eingereicht in der mündlichen Verhandlung und Figuren 1 bis 3 in der erteilten Fassung.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückzuweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
VI. Die unabhängigen Patentansprüche der Anträge lauten wie folgt:
Hauptantrag
"1. Hilfsteil zur Korrektur der Zahnstellung in Form einer Dehnschraube (10, 12, 14), eines Brackets (20) oder eines Bukkalröhrchens (24) oder eines ringförmigen Zahnbandes, dadurch gekennzeichnet, daß das Hilfsteil (10, 12, 14; 20; 24) aus Titan oder einer Titanbasislegierung besteht und seine Oberflächen von einer Haut aus Titanoxid gebildet werden, deren elektrisches Durchbruchspotential in synthetischem Speichel mit einem PH-Wert von 2,3 bei 37°C größer als 2000 mV ist."
Erster Hilfsantrag
"1. Hilfsteil zur Korrektur der Zahnstellung in Form einer Dehnschraube (10, 12, 14), eines Brackets (20) oder eines Bukkalröhrchens (24) oder eines ringförmigen Zahnbandes, dadurch gekennzeichnet, daß das Hilfsteil (10, 12, 14; 20; 24) aus einer Titanbasislegierung, die mehr als 50 Gew.% Titan enthält, besteht und seine Oberflächen von einer Haut aus Titanoxid gebildet werden, deren elektrisches Durchbruchspotential in synthetischem Speichel mit einem PH-Wert von 2,3 bei 37°C größer als 2000 mV ist."
"4. Hilfsteil zur Korrektur der Zahnstellung in Form einer Dehnschraube (10, 12, 14), welche zwei mittels einer Gewindespindel (14) gegeneinander verstellbare Schraubenkörperteile (10, 12) besitzt, wobei die Dehnschraube (10, 12, 14) aus einem Titanwerkstoff besteht, ausgewählt aus Titan oder einer Titanbasislegierung, und ihre Oberflächen von einer Haut aus Titanoxid gebildet werden, deren elektrisches Durchbruchspotential in synthetischem Speichel mit einem PH-Wert von 2,3 bei 37°C größer als 2000 mV ist, und wobei die Gewindespindel (14) aus einem Titanwerkstoff höherer Festigkeit besteht als die Schraubenkörperteile."
Zweiter Hilfsantrag
"1. Hilfsteil zur Korrektur der Zahnstellung in Form einer Dehnschraube (10, 12, 14), eines Brackets (20) oder eines Bukkalröhrchens (24) oder eines ringförmigen Zahnbandes, dadurch gekennzeichnet, daß das Hilfsteil (10, 12, 14; 20; 24) aus einer Titanbasislegierung, die mehr als 50 Gew.% Titan enthält, besteht und seine Oberflächen von einer Haut aus Titanoxid gebildet werden, deren elektrisches Durchbruchspotential in synthetischem Speichel mit einem PH-Wert von 2,3 bei 37°C größer als 2000 mV ist."
"4. Hilfsteil zur Korrektur der Zahnstellung in Form einer Dehnschraube (10, 12, 14), welche zwei mittels einer Gewindespindel (14) gegeneinander verstellbare Schraubenkörperteile (10, 12) besitzt, wobei die Dehnschraube (10, 12, 14) aus einem Titanwerkstoff besteht, ausgewählt aus einer Titanbasislegierung, und ihre Oberflächen von einer Haut aus Titanoxid gebildet werden, deren elektrisches Durchbruchspotential in synthetischem Speichel mit einem PH-Wert von 2,3 bei 37°C größer als 2000 mV ist, und wobei die Gewindespindel (14) aus einem Titanwerkstoff höherer Festigkeit besteht als die Schraubenkörperteile."
VII. Die Beschwerdeführerin argumentierte wie folgt:
Die im Anspruch 1 genannten Hilfsteile seien bei der Nahrungsaufnahme nicht zu vernachlässigenden mechanischen Belastungen und abrasiven Kräften ausgesetzt, die auf die Oberfläche derartiger Hilfsteile einwirkten. Der Erfindung liege deshalb die Aufgabe zugrunde, Hilfsteile der in Rede stehenden Art zu schaffen, die auch dann nicht zu Problemen führten, wenn bei ihrem Träger schon eine restaurative Zahnbehandlung stattgefunden habe.
D1 erwähne nur die Verwendung von Beta-Ti und anderen Ti-Legierungen in Form von Draht. D2 erwähne Hilfsteile der beanspruchten Art nicht. Zudem könne der Fachmann im Hinblick auf die spezielle Problematik der gleichzeitigen Anwesenheit von im Mund zu tragenden Hilfsteilen und restaurativ behandelten Zahnbereichen der D2 nichts entnehmen. Außerdem sei die dort erwähnte Oxidhaut für sich gesehen keine Gewähr für die Vermeidung von Korrosion, da die Oxidschicht bei solchen mechanischen Belastungen beschädigt werde und zu elektrochemischer Korrosion führen könne.
Insbesondere rate D2 von der Verwendung von Titan in einer Chlorid-Ionen enthaltenden Lösungen ab, da die Oxidschicht lokal zusammenbrechen könne und dadurch eine Spaltkorrosion begünstigt werde. In D3 werde ganz allgemein darauf hingewiesen, daß Titan eine hohe Korrosionsbeständigkeit aufweise. D4 spreche das Problem der Spaltkorrosion an, wobei allgemein festgestellt werde, daß eine VMK-Edelmetallbrücke an allen Prädilektionenstellen für Spaltkorrosion massive Korrosionszerstörungen aufwies, und daß die Ursachen für Unverträglichkeit gegenüber Metallen und Legierungen häufig unbekannt sei. Keine der Druckschriften D1 bis D4 erwähne orthodontische Hilfsteile oder ein Durchbruchspotential. Im Hinblick auf D6 sei ein höheres Durchbruchspotential als 1000 mV im Mund nicht zu erwarten.
Unter "Reintitan" könne eine Vielzahl von Titanwerkstoffen mit unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen verstanden werden. Der Stand der Technik gebe keinen Hinweis darauf, daß aus dieser Vielzahl von Titanwerkstoffen diejenigen für den erfindungsgemäßen Zweck geeignet seien, bei welchen sich die in Anspruch 1 definierte Schutzschicht ausbilden lasse. Die Ausbildung einer Oxidhaut mit dem in Anspruch 1 definierten Durchbruchspotential sei keine inhärente Eigenschaft von Titan oder Reintitan.
VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:
Aus D2 sei bekannt, daß Reintitan wegen seiner günstigen physikalisch-chemischen Eigenschaften, insbesondere seiner Korrosionsbeständigkeit, für einen generellen Einsatz in der Zahnheilkunde geradezu prädestiniert erscheine. D2 berichte ausdrücklich über die Verwendung in der Kieferorthopädie, sodaß die Verwendung von Reintitan für typische kieferorthopädische Hilfsteile wie Dehnschrauben, Brackets, Bukkalröhrchen oder Zahnbänder auf der Hand liege.
Durch das Gutachten von Prof. Kappert werde nachgewiesen, daß bei Reintitan die beanspruchte Oxidschicht, die das patentgemäße Kriterium weit übererfülle, zwangsläufig auftrete. Was für Reintitan in dieser Hinsicht gelte, habe auch für Titanlegierungen zu gelten.
Es sei bei bekannten Dehnschrauben bereits üblich, die Gewindespindel aus einem Werkstoff höherer Festigkeit als die Schraubenkörperteile herzustellen. Der Fachmann wisse aus D10, daß durch Legierungszusätze vor allem die mechanischen Eigenschaften verbessert werden könnten, und daß die Anwesenheit von Fremdelementen, auch in geringen Konzentrationen, sich oft sehr stark, insbesondere auf die Zugfestigkeit und die Dehngrenze, auswirke. Daraus entnehme der Fachmann die Anregung, die verschiedenen Teile einer Dehnschraube aus Titanwerkstoff technischer Reinheit zu bilden, wobei ein Teil aus einem Werkstoff höherer Festigkeit als der andere Teil bestehe. Gleichzeitig würden beide Teile gleich korrosionsfest, da die Oberflächen beider Teile von selbst von einer Haut aus Titanoxid bedeckt würden.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
Der Anspruch 1 des ersten und zweiten Hilfsantrags entspricht den Anspruch 1 in der erteilten Fassung, aber ist auf eine Titanbasislegierung beschränkt. Diese Änderung ist daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht zu beanstanden.
Der Anspruch 4 des ersten und zweiten Hilfsantrags entspricht den Ansprüchen 1 und 2 in der erteilten Fassung, ist aber auf eine Dehnschraube beschränkt. Anspruch 4 des ersten Hilfsantrags ist auf Titan oder eine Titanbasislegierung als Werkstoff abgestellt, und Anspruch 4 des zweiten Hilfsantrags ist auf eine Titanbasislegierung beschränkt. Diese Ansprüche sind daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht zu beanstanden.
3. Neuheit
Die Neuheit der beanspruchten Gegenstände wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.
4. Erfinderische Tätigkeit
Hauptantrag
4.1. Hilfsteile zur Korrektur der Zahnstellung werden ihrer Natur nach offen im Mund getragen und sind deshalb den korrosiven Einflüssen dieser Umgebung ausgesetzt. Aus der Druckschrift D1 ist es bekannt, Spanndrähte für orthodontische Konstruktionen aus einer Beta-Titan Legierung herzustellen (Spalte 4, Zeilen 11 bis 15), wobei ausdrücklich auf die gute Beständigkeit und Biokompatibilität der Legierung im Mund hingewiesen wird (Spalte 6, Zeilen 18 bis 20). Da dieses Hilfsteil offen im Mund zu tragen ist, ist es in gleichem Maße korrosionsgefährdet wie alle anderen kieferorthopädischen Hilfsteile.
4.2. D2 berichtet über Untersuchungen der Materialeigenschaften und Verarbeitungstechnologien von Reintitan als Dentalmetall. Auf Seite 1626, Absatz 2 wird festgestellt: "Das preisgünstige Metall Titan zeichnet sich neben der sehr guten Biokompatibilität auch durch eine hohe Geschmacksneutralität aus und besitzt zudem günstige physikalisch-chemische Eigenschaften, zu denen besonders seine Korrosionsbeständigkeit sowie sein niedriges spezifisches Gewicht zählen, so daß es für einen Einsatz in der Zahnheilkunde geradezu prädestiniert erscheint." Weiterhin wird über die Verwendungsmöglichkeit ausgesagt (Seite 1626, Absatz 3) "Darüberhinaus wird Titan auch in der Kieferorthopädie und in der Endodontie zunehmend verwendet."
Auf der Seite 1629 (linke Spalte) wird darauf hingewiesen, daß die Korrosionsbeständigkeit auf die Passivierbarkeit von Titan zurückzuführen ist, die eine Ausbildung schützender oxidischer Deckschichten bewirkt. Weiterhin ist die Aussage zu entnehmen, daß "Titan mit Sauerstoff deutlich intensiver reagiert als mit Stickstoff. Bei Raumtemperatur entsteht innerhalb von zwei Stunden auf der Titanoberfläche ein etwa 17 Å dicker Oxidfilm, der sich nach etwa 40 Tagen verdoppelt".
4.3. Aus diesem Stand der Technik erfährt der Fachmann somit, daß es vorteilhaft ist, auch orthodontische oder kieferorthopädische Hilfsteile aus korrosionsbeständigen und biokompatiblen Reintitanwerkstoffen herzustellen, auf deren Oberflächen sich eine schützende Schicht aus Titanoxid bildet. Siehe dazu auch Seite 1626, Ende des Absatzes 3. Für den Fachmann liegt es deshalb auf der Hand, typische Hilfsteile zur Korrektur der Zahnstellung wie Dehnschrauben, Brackets, Bukkalröhrchen oder Zahnbänder aus Titanwerkstoffen herzustellen, deren Oberflächen durch eine Haut aus Titanoxid geschützt sind.
4.4. Die Druckschrift D2 enthält keine Aussage über das Durchbruchspotential der Haut aus Titanoxid. Aus diesem Grunde ließ die Beschwerdegegnerin von einem Sachverständigen die Korrosionsbeständigkeit von Prüflingen aus Reintitan mit der elektrochemischen Polarisationsmethode untersuchen, die im angegriffenen Patent in Spalte 2, Zeilen 47 bis 51 unter Verweis auf D6 angegeben ist. Der Bericht über diese Untersuchungen wurde als Dokument D8 eingereicht und ist von der Beschwerdeführerin unbestritten.
Die den Untersuchungen zugrundegelegten Prüfkörper waren aus handelsüblichem Titanblech mit einer Zusammensetzung nach DIN 3.7035 (siehe D8a und D10, Tabelle 3) ausgeschnitten. Die Oberfläche der Prüfkörper wurde vor der Versuchsdurchführung mit Diamant-Spray abgestrahlt und dadurch gereinigt, besondere Maßnahmen zur Bildung einer Oxidschicht wurden jedoch nicht ergriffen. Die Tatsache, daß ein Durchbruchspotential von ca. 2650 mV gemessen wurde, läßt den Schluß zu, daß Oberflächen aus Reintitan auch ohne jegliches Zutun eine Oxidhaut mit dem beanspruchten Durchbruchspotential aufweisen, die bei der Verarbeitung an Luft nicht zu verhindern ist und sich von selbst zwangsläufig einstellt.
Ausweislich der Druckschriften D8a und D10, Seite 269 und Tabelle 3, unterscheiden sich die handelsüblichen Titan-Sorten Ti1 bis Ti4 hauptsächlich durch einen kleinen Gehalt an Sauerstoff und Eisen. Es ist zu erwarten, daß alle diese Titan-Sorten von selbst eine solche Oxidschicht bilden, Das Ergebnis der Untersuchungen und diese Schlußfolgerung wurden von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung nicht bestritten.
Der Gegenstand des Anspruchs 1, insofern er auch Reintitan einbezieht, ist somit durch den Stand der Technik nahegelegt.
4.5. Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß im Stand der Technik gegen den Einsatz von Titan für Hilfsteile zur Korrektur der Zahnstellung wie Dehnschrauben, Brackets, Bukkalröhrchen oder Zahnbänder ein technisches Vorurteil bestand, da diese Hilfsteile nicht nur chemischer und galvanischer Korrosion sondern, z. B. bei der Nahrungsaufnahme, auch erheblichen mechanischen Belastungen und abrasiven Kräften ausgesetzt sind, und eine Beschädigung der Oxidschicht in Verbindung mit dem chemischen Milieu im Mund ausweislich D2 (Seite 1629, linke Spalte, Ende des zweiten Absatzes) zu Spaltkorrosion und in Verbindung mit anderen restaurativ behandelten Zahnbereichen zu elektrochemischer Korrosion führen könne.
Da gemäß D2 die Spaltkorrosion nur "in seltenen Fällen" vorkommt, kann aus dieser isolierten Bemerkung kein allgemeines Vorurteil hergeleitet werden.
Vielmehr bestand im Stand der Technik eine generelle Empfehlung dafür, Titan als Werkstoff in der Kieferorthopädie einzusetzen. Die Druckschrift D2 (Seite 1626, linke Spalte unten und rechte Spalte) betont in diesem Zusammenhang, daß die Eigenschaften von Reintitan derartig günstig sind, daß es für einen Einsatz in der Zahnheilkunde geradezu prädestiniert erscheint, und daß Titan auch in der Kieferorthopädie zunehmend verwendet wird. Obwohl die aus der Druckschrift D1 bekannten Spanndrähte auch offen im Mund zu tragen und mechanischen Oberflächenbeanspruchungen ausgesetzt sind, wird von der Verwendung von Titanwerkstoffen nicht abgeraten.
Auch in der Druckschrift D10 (Seite 270, Kapitel 3. Korrosionsverhalten) wird Titan als korrosionsbeständiger Werkstoff empfohlen, da festgestellt wird, daß die Korrosionsbeständigkeit von Titan auf der Bildung eines dünnen, dichten, stabilen, festhaftenden Oxidfilms auf der Metalloberfläche, der sich nach mechanischer Beschädigung sofort nachbildet, wenn Sauerstoff im umgebenden Medium vorhanden ist, beruht, und daß Titan gegen Spaltkorrosion wenig empfindlich ist (Seite 270, linke Spalte, letzter Absatz).
Selbst wenn D2 in dieser Hinsicht nicht sehr konkret ist, bedarf es jedoch nur weniger, nicht aufwendiger Testversuche um die Eignung von Reintitan für kieferorthopädische Hilfsteile und die Beständigkeit der Oxidhaut zu untersuchen.
Erster Hilfsantrag
4.6. Wie oben in Zusammenhang mit dem Hauptantrag festgestellt wird, besteht eine generelle Empfehlung zur Verwendung von Reintitan als Werkstoff in der Kieferorthopädie. Der Fachmann wird somit dem Stand der Technik auch die Anregung entnehmen, Dehnschrauben aus Reintitan herzustellen.
Anspruch 4 des ersten Hilfsantrags betrifft ein Hilfsteil zur Korrektur der Zahnstellung in Form einer Dehnschraube, welche zwei mittels einer Gewindespindel gegeneinander verstellbare Schraubenkörperteile besitzt, wobei die Gewindespindel aus einem Werkstoff höherer Festigkeit besteht als die Schraubenkörperteile. Wie im Streitpatent angegeben (Spalte 1, Zeilen 18 bis 26 und Spalte 3, Zeilen 8 bis 14) waren solche Eigenschaftskombinationen bereits bekannt.
4.7. Ferner ist es den Fachmann aus D10, Seite 278, Kapitel 10. Titan-Legierungen geläufig, daß durch Legierungszusätze vor allem die mechanischen Eigenschaften verbessert werden können, und aus Seite 268, rechte Spalte, unten, daß die Anwesenheit von Fremdelementen, auch in geringen Konzentrationen, sich oft sehr stark auswirkt. Tabelle 3 auf Seite 269 zeigt wie stark sich die Anwesenheit von geringen Mengen von Sauerstoff insbesondere auf die Zugfestigkeit und die Dehngrenze auswirkt.
Aus diesen Tatsachen findet der Fachmann die Anregung, die unterschiedlichen Festigkeiten der verschiedenen Teile einer Dehnschraube durch Auswahl von Titan unterschiedlicher technischer Reinheit einzustellen. Dabei weiß er jedoch, daß beide Teile gleich korrosionsfest sein werden, da die Oberflächen von beiden Teilen in gleicher Weise von einer sich selbst bildenden Haut aus Titanoxid der beanspruchten Qualität geschützt sein werden.
Wie in Spalte 3, Zeilen 17 bis 32 des Streitpatents angegeben, gründet der Gegenstand des Anspruchs 4 des ersten Hilfsantrags auf dieser bekannten Lehre. Der Gegenstand des Anspruchs 4, insofern er Reintitan einschließt, ist deshalb durch den Stand der Technik nahegelegt.
Zweiter Hilfsantrag
4.8. Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 4 dieses Hilfsantrags sind auf Titanbasislegierungen abgestellt. Unter Titanbasislegierungen sollen hochlegierte Titanlegierungen gemäß DIN 17851 verstanden werden (Streitpatent Spalte 2, Zeilen 52 und 53). Die beanspruchten Hilfsteile sind in mehrfacher Hinsicht zu schützen, denn sie sind nicht nur durch chemische und elektrochemische Korrosion gefährdet, sondern auch erheblichen mechanischen Belastungen und abrasiven Kräften ausgesetzt. Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften erwähnt das letztgenannte Problem.
Obwohl diese Aufgabenstellung auch im Streitpatent nicht ausdrücklich erwähnt ist, ist es offensichtlich, daß Dehnschrauben, Brackets, Bukkalröhrchen und ringförmige Zahnbänder, die offen im Mund getragen werden, bei der Nahrungsaufnahme, Zähneputzen usw. mechanisch belastet sind.
4.9. Im Gegensatz zu Reintitan bilden nicht alle Titanbasislegierungen selbständig eine wirksame Oxidschicht. D6 berichtet über die elektrochemische Korrosionsprüfung und die Verwendbarkeit von Dentallegierungen im Medium Speichel, und es wird berichtet auf Seite 95 "Potentialbereich" und Seite 96, letzter Absatz bis Seite 97, daß die Differenzen der Ruhepotentiale von z. B. hochgoldhaltigen Legierungen gegenüber Amalgamen im Bereich von etwa 0,7 bis 0,8 V liegen, und daß grundsätzlich Messungen über einem Elektrodenpotential von 1,0 V klinisch nicht mehr bedeutsam sein dürften. Nach dieser Druckschrift werden Titanlegierungen somit zum Einsatz im Dentalbereich empfohlen, wenn die Oberfläche von einer Haut aus Titanoxid auf einer Dentallegierung gebildet wird, deren elektrisches Durchbruchspotential in synthetischem Speichel mit einem PH-Wert von 2,3 bei 37 °C größer als 1. V ist. Diese Legierung wird eine ausreichend hohe elektrochemische Korrosionsfestigkeit besitzen.
4.10. Bei dem speziellen Einsatz im Orthodontiebereich gemäß Streitpatent müssen Hilfsteile jedoch zusätzlich gegen abrasive Belastungen beständig sein. Gemäß den Ansprüchen 1 und 4 wird diese Aufgabe dadurch gelöst, daß man eine Oxidoberfläche mit einem elektrischen Durchbruchspotential in synthetischem Speichel mit einem PH-Wert von 2,3 bei 37 °C größer als 2000 mV herstellt. Dadurch ist bereits sicher gestellt, daß die Hilfsteile gegen chemische und elektrochemische Korrosion auch bei mechanischen Belastungen ausreichend gesichert sind.
4.11. Die Ansprüche 1 und 4 bieten somit eine Auswahlregel an, mit deren Hilfe aus einer breiten Wahl an Titanlegierungen diejenigen ausgewählt werden können, die im Hinblick auf die spezifische Umgebung und den damit verbundenen abrasiven Einwirkungen auf die orthodontische Hilfsteile geeignet sind. Somit beruhen die Gegenstände dieser Ansprüche auf einer erfinderischen Tätigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, mit den Patentansprüchen 1 bis 6 gemäß zweitem Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung und Beschreibung, Spalten 1 bis 4, ebenfalls überreicht in der mündlichen Verhandlung, sowie Figuren 1 bis 3 in der erteilten Fassung.