T 0718/99 () of 21.3.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T071899.20020321
Datum der Entscheidung: 21 März 2002
Aktenzeichen: T 0718/99
Anmeldenummer: 87907305.4
IPC-Klasse: G09B 29/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Ausgabe von Wegeinformationen für Fahrer von Landfahrzeugen und Informationsausgabesystem
Name des Anmelders: ROBERT BOSCH GMBH
Name des Einsprechenden: SIEMENS AG
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja, nach Einschränkung)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 331 675 (Anmeldenummer 87. 907 305.4) wurde von der Einspruchsabteilung mit der Begründung widerrufen, daß der Gegenstand der abgeänderten Fassung des Anspruchs 1 gemäß dem dann gültigen Haupt- bzw. Hilfsantrag des Patentinhabers im Hinblick auf den Inhalt der Druckschrift

D1: EP-A-0 085 422

nicht neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ sei.

II. Gegen den Widerruf des Patents hat der Beschwerdeführer (Patentinhaber) Beschwerde eingelegt.

III. Nach Erhalt der Beschwerdebegründung des Beschwerdeführers hat der Beschwerdegegner (Einsprechende) seinen Einspruch ohne Stellungnahme zur Sache zurückgenommen.

IV. Es wurde am 21. März 2002 mündlich verhandelt. Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte der Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in veränderter Fassung aufrechtzuerhalten auf der Grundlage eines Satzes von Ansprüchen, aus welchem der Anspruch 1, der einzige unabhängige Anspruch, wie folgt lautet:

"1. Ortungsvorrichtung für Landfahrzeuge mit einem autarken rechnergestützten Ortungssystem, einem Speicher mit Daten für eine elektronische Straßenkarte, wobei Straßennetzdaten in Form einer elektronischen, digitalisierten Straßenkarte gespeichert sind und mit einer Ausgabeschaltung für Weginformationen, dadurch gekennzeichnet, daß der Speicher (10) als zusätzliche sicherheitsrelevante Informationen scharfe Kurven in einem Wegabschnitt und eine empfohlene Richtgeschwindigkeit der gespeicherten Straßen enthält, daß eine Korrelationsschaltung (16) zur Korrelation der geographischen Daten mit den sicherheitsrelevanten Informationen vorgesehen ist, daß Sensoren (30) und/oder Eingabemittel (32) für die Geschwindigkeit vorhanden sind, daß die Ausgabeschaltung (18) ein Signal abgibt, wenn aufgrund der sicherheitsrelevanten Informationen eine Zusatzinformation erforderlich wird, da die aktuelle Geschwindigkeit des Landfahrzeuges oberhalb der empfohlenen Richtgeschwindigkeit liegt, und daß der Zeitpunkt der Ausgabe des Signals in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit gewählt wird."

V. Zur Stützung seines Antrags wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß das angefochtene Patent auf einer Prioritätsanmeldung beruhe, die bereits Anfang 1987 eingereicht wurde, d. h. in der Anfangsphase der Entwicklung der inzwischen weit verbreiteten Ortungs- und Navigationssysteme.

Damals waren einerseits Systeme wie dasjenige der Druckschrift D1 bekannt, bei welchen Weginformationen von am Straßenrand fest angeordneten Leitbaken an das jeweilige Fahrzeug übertragen wurden. Dadurch konnten im Laufe der im Fahrzeug erfolgten Koppelnavigation mittels Wege- und Winkelmeßdaten aufgetretene Fehler durch eine Neusynchronisation beim Vorbeifahren an der jeweiligen Bake korrigiert und frische Weginformationen für einen weiteren Wegabschnitt in Richtung Ziel übermittelt werden.

Andererseits waren von jeglicher straßengebundener Infrastruktur unabhängige autarke Navigationssysteme bekannt, bei welchen ein ganzes Straßennetz in einem Massenspeicher im Fahrzeug gespeichert und die aktuelle Lage dieses Fahrzeugs aufgrund der gespeicherten Informationen anhand von verschiedenen Map-Matching-Verfahren ermittelt wurde.

Das angefochtene Patent betrifft diese zweite Art von Ortungs- und Navigationssystemen, die sich in der Praxis gegenüber den ersten weitgehend durchgesetzt haben.

Die beanspruchte Lehre basiert insbesondere auf dem Gedanken, im Speicher zusätzliche Informationen bezüglich der jeweiligen Kurven zu hinterlegen, insbesondere bezüglich der maximalen Geschwindigkeit, bei der diese noch sicher durchfahren werden können. Falls die aktuelle Geschwindigkeit des Fahrzeugs diesen Grenzwert überschreitet, wird eine entsprechende Warnung ausgegeben, und zwar umso früher, je schneller das Fahrzeug fährt. Eine solche Warnung wird daher nur ausgegeben, wenn es tatsächlich erforderlich ist, wodurch die Übertragung einer unnötigen Informationsflut vermieden werden kann.

Dagegen betrifft die Druckschrift D1 lediglich ein Leitbakensystem, mittels welchem das Einhalten von verschiedenen Verboten und Geboten durch den Fahrer überwacht werden kann. Die für einen gegebenen Wegeabschnitt gültigen Verkehrsvorschriften können dabei von den zuständigen städtischen oder staatlichen Behörden jederzeit unter gleichzeitiger Korrektur der von den Leitbaken übermittelten Informationen geändert werden.

Ähnliches ist jedoch bei einem autarken Navigationssystem mit im Fahrzeug eingebautem Massenspeicher nicht möglich. Schon daher hätte der Fachmann eine Übertragung der Lehre aus der Druckschrift D1 in ein gattungsgemäßes autarkes System nicht ins Auge gefaßt.

Die Vorrichtung des Patents versorgt den Fahrer auch nicht mit Informationen zu Verkehrsvorschriften im Sinne der Druckschrift D1, sondern mit Informationen in bezug auf dem Straßenverlauf nicht angepaßte Geschwindigkeit.

Auch das Merkmal des vorliegenden Anspruchs 1, wonach der Zeitpunkt der Ausgabe des Signals in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit gewählt wird, wird durch die Druckschrift D1 nicht nahegelegt. Dort wird nämlich, wenn das Fahrzeug auf eine Kreuzung zufährt, ein Hinweis auf das Vorfahrrecht von rechts unmittelbar in dem Zeitpunkt ausgegeben, bei welchem die Näherungsfunktion des Fahrzeugs von einer vorgegebenen solchen Funktion abweicht.

Aufgrund dieser Unterschiede ist der beanspruchte Gegenstand nicht nur neu, sondern auch erfinderisch.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1. Im Vergleich zum Anspruch 1 in der erteilten Fassung enthält der vorliegende Anspruch 1 noch die weiteren Präzisierungen, wonach die zusätzlichen sicherheitsrelevanten Informationen über die gespeicherten Straßen scharfe Kurven in einem Wegabschnitt und eine empfohlene Richtgeschwindigkeit umfassen, die Fahrdaten, die über Sensoren und/oder Eingabemittel eingegeben werden, die Geschwindigkeit darstellen, eine Zusatzinformation dann erforderlich wird, wenn die aktuelle Geschwindigkeit des Landfahrzeuges oberhalb der empfohlenen Richtgeschwindigkeit liegt und der Zeitpunkt der Ausgabe des Signals in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit gewählt wird.

Diese Präzisierungen schränken den Umfang des Patentschutzes ein und sie stützen sich auf die Angaben auf Seite 12, Zeilen 11 bis 25 der ursprünglich eingereichten Beschreibung, sowie auf das Merkmal des ursprünglich eingereichten abhängigen Anspruchs 4.

2.2. Die abhängigen Ansprüche 2 und 3 entsprechen den abhängigen Ansprüchen 2 und 4 in der erteilten Fassung.

2.3. Somit genügen die in den Ansprüchen vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Neuheit

Die Druckschrift D1, die einzige Entgegenhaltung des ehemaligen Einsprechenden, offenbart ein Verkehrsleit- und Informationssystem, das im Gegensatz zur beanspruchten Vorrichtung nicht autark arbeitet, sondern am Straßenrand fest angeordnete Leitbaken mitumfaßt (vgl. Spalte 1, Zeilen 3 bis 24). Dieses System übermittelt dem Fahrer auch keine Information zur empfohlenen Richtgeschwindigkeit in scharfen Kurven.

Eine Übermittlung solcher Informationen ist auch aus keiner der anderen in der Akte befindlichen, zum Stand der Technik gehörenden Druckschriften zu entnehmen.

Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

4. Erfinderische Tätigkeit

Das durch Leitbaken unterstützte Verkehrsleit- und Informationssystem der Druckschrift D1 erlaubt, "daß der Fahrzeugführer bei einem nicht verkehrsgerechten Verhalten gewarnt und an die jeweilige Vorschrift erinnert wird, ohne daß er durch ständige Anzeige aller geltenden Vorschriften einer überflüssigen Reizüberflutung unterliegt" (vgl. Spalte 2, Zeilen 14 bis 20). Die im Detail beschriebenen Ausführungsbeispiele, bei welchen der Fahrzeugführer entweder auf die Vorfahrtsregel "rechts vor links", an die Einschränkung "für Anlieger frei" oder an verschiedene Verbote, wie Geradeausfahrt-, Park-, Abbieg- bzw. Überholverbote erinnert wird, zielen alle auf die Überwachung des Einhaltens amtlich vorgeschriebener Verkehrsvorschriften ab (vgl. Spalte 5, Zeile 21 bis Spalte 7, Zeile 36).

Die Druckschrift D1 beschäftigt sich dagegen nicht mit dem sicheren Durchfahren von Kurven und sie liefert auch keinen Hinweis auf die Abgabe einer rechtzeitigen Warnung bereits dann, wenn die Geschwindigkeit des Fahrzeugs von einer jeweils empfohlenen Richtgeschwindigkeit in scharfen Kurven abweicht, also nicht erst, wenn eine Geschwindigkeitsbeschränkung amtlich vorgeschrieben ist und überschritten wird.

Darüber hinaus ist zum letzten Merkmal des vorliegenden Anspruchs 1, wonach der Zeitpunkt der Ausgabe des Signals in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit gewählt wird, zu bemerken, daß in einem Ausführungsbeispiel der Druckschrift D1 der Zeitpunkt der Ausgabe eines Warnsignals zwar auch von der Fahrgeschwindigkeit abhängt. Wenn nämlich bei einer Kreuzung die Verkehrsvorschrift "rechts vor links" gilt, wird eine entsprechende Warnung nur dann ausgelöst, wenn die Näherungsfunktion des Fahrzeugs, die dessen Fahrgeschwindigkeit als Funktion der Zeit definiert, von einer vorgegebenen Näherungsfunktion abweicht, die sich aus den Fahrbahnbreiten, den daraus resultierenden Sichtverhältnissen sowie einem durchschnittlichen Reaktionsvermögen ergibt. Wenn eine Abweichung erfolgt, wird eine Warnung aber unmittelbar abgegeben (vgl. Spalte 5, Zeilen 21 bis 50). Auch wenn im Ergebnis daher bei unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten das Warnsignal tatsächlich zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgegeben wird, wird dieser Zeitpunkt jedoch nicht im Sinne des Anspruchs 1 in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit gewählt. Bei der beanspruchten Vorrichtung wird nämlich zunächst ermittelt, ob die aktuelle Geschwindigkeit des Fahrzeuges oberhalb der empfohlenen Richtgeschwindigkeit liegt, und erst dann wird auf der Grundlage der gemessenen Fahrgeschwindigkeit der Zeitpunkt der Ausgabe dieses Signals so gewählt, daß bei schneller fahrenden Fahrzeugen der Hinweis frühzeitiger erfolgt, damit dem Fahrer ausreichend Zeit zum Reagieren bleibt (vgl. die Patentschrift, Seite 3, Zeile 54 bis Seite 4, Zeile 2). Eine derart gezielte Auswahl des Ausgabezeitpunkts des Signals ergibt sich somit auch nicht unmittelbar aus der Druckschrift D1.

Aus diesen Gründen kann nach Auffassung der Kammer im Hinblick auf die einzige im Einspruchsverfahren entgegengehaltene Druckschrift D1 und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der ehemalige Einsprechende im Beschwerdeverfahren seinen Einspruch zurückgenommen hat, ohne irgendwelche Einwände geltend zu machen, dem Gegenstand des Anspruchs 1 die erforderliche erfinderische Tätigkeit nicht aberkannt werden.

Das gleiche gilt für den Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2 und 3 aufgrund ihrer Rückbeziehung auf den Anspruch 1.

5. Die Beschreibung muß der abgeänderten Fassung des Anspruchs 1 noch angepaßt und durch eine kurze Zusammenfassung des relevanten Inhalts der Druckschrift D1 ergänzt werden (vgl. Regel 27 (1) b) und c) EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang wie folgt aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2002, mit daran anzupassender Beschreibung und, falls erforderlich, Anpassung der Zeichnungen.

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