T 0637/99 () of 11.10.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T063799.20011011
Datum der Entscheidung: 11 October 2001
Aktenzeichen: T 0637/99
Anmeldenummer: 94107210.0
IPC-Klasse: B60R 22/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Gurtaufroller für Fahrzeugsicherheitsgurtsysteme
Name des Anmelders: TRW Occupant Restraint Systems GmbH
Name des Einsprechenden: (01) Köster, Gerhard
(02) HS Technik und Design Technische Entwicklungen GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Prüfung der Patentfähigkeit
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0026/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 628 454 (Anmeldenummer 94 107 210.0).

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Gurtaufroller (10) für Fahrzeugsicherheitsgurtsysteme, mit einem an der Gurtspule (16) angreifenden rotatorischen Gurtstrafferantrieb (12), dadurch gekennzeichnet, daß in den Kraftfluß zwischen dem Gurtstrafferantrieb (12) und der Gurtspule (16) ein ins Schnelle übersetzendes Planetengetriebe (26, 28, 30) mit einem Planetenradträger (323) eingefügt ist."

II. Die Beschwerdegegnerinnen I und II (Einsprechenden 01 und 02) legten gegen das europäische Patent Einspruch ein und beantragten, das Patent wegen mangelnder Patentfähigkeit zu widerrufen.

Sie beriefen sich u. a. auf

D1: JP-A-53 129 020

D3: EP-A-0 581 288 (Stand der Technik nach Art. 54 (3) EPÜ).

III. Mit am 27. April 1999 zur Post gegebener Entscheidung wurde das europäische Patent widerrufen.

Die Widerrufsentscheidung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 im Hinblick auf D3 oder D1 nicht neu sei.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 18. Juni 1999 unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein.

In der am 31. August 1999 eingereichten Beschwerdebegründung wurde das Dokument

"Kraftfahrtechnisches Taschenbuch" der Firma Bosch, 21. Aufl. 1991, Seiten 552, 553 und 659, 717

zitiert.

Am 11. Oktober 2001 wurde vor der Kammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise mit der Fassung des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 bzw. 2.

Sie macht im wesentlichen geltend, daß entgegen den Feststellungen der Widerrufsentscheidung der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 im Hinblick auf Dokument D1 neu sei, weil die Gurtaufrollfeder gemäß D1 keinesfalls mit dem im Patentanspruch 1 erwähnten Gurtstrafferantrieb vergleichbar sei.

Des weiteren sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die ältere europäische Patentanmeldung D3 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen, da das dort beschriebene Planetengetriebe keinen Planetenradträger enthalte.

V. Die Beschwerdegegnerinnen I und II (Einsprechenden 01 und 02) traten dem Vorbringen der Patentinhaberin in allen Punkten entgegen und trugen im wesentlichen folgendes vor:

i) Bei dem Planetengetriebe von D3 haben das Sonnenrad und das Hohlrad Trägereigenschaften für das Planetenrad. Mit anderen Worten bilden das Sonnenrad und das Hohlrad den Planetenradträger.

Dies gelte auch für das in der Streitpatentschrift definierte Planetengetriebe. Bei dem einzigen in der Streitpatentschrift dargestellten Ausführungsbeispiel seien die Planetenräder in Ausnehmungen des Planetenradträgers gelagert. Wie die Figuren 2 und 3 der Streitpatentschrift zeigten, genüge es zur ortsfesten Lagerung der Planetenräder nicht, diese in den Ausnehmungen des Planetenradträgers einzusetzen. In radialer Richtung haben auch hier das Sonnenrad und das Hohlrad Trägereigenschaften für das Planetenrad.

Es folge daraus, daß auch in der älteren europäischen Patentanmeldung D3 ein Planetenradträger im Sinne des Inhalts des erteilten Patentanspruchs 1 vorbeschrieben sei. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 sei daher im Hinblick auf diesen Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ nicht neu.

ii) Dokument D1 offenbare einen Gurtaufroller für Fahrzeugsicherheitsgurtsysteme mit einer an der Gurtspule angreifenden Spiralfeder und ein ins Schnelle übersetzendes Planetengetriebe mit einem Planetenradträger.

Die spiralförmige Aufrollfeder diene zum Aufrollen des Gurtes bei dessen Nichtgebrauch und zum Anlegen des Gurtes an den Körper der Fahrzeuginsassen. Da diese Feder die Gurtlose beim Anlegen beseitige und somit eine gewisse Straffung des Gurtes erfolge, sei sie auch als rotatorischer Gurtstraffer im Sinne der beanspruchten Erfindung anzusehen.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 sei daher auch im Hinblick auf diesen Stand der Technik nicht neu.

Sie beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

2.1. Dokument D1 zeigt einen Gurtaufroller, der zwar mit einer Aufrollfeder ausgestattet ist, jedoch keinen "rotatorischen Gurtstrafferantrieb" aufweist. Der Durchschnittsfachmann würde keinesfalls eine Gurtaufrollfeder mit einem Gurtstrafferantrieb gleichsetzen. "Gurtaufrollfeder" und "Gurtstraffer" sind klare gebräuchliche Fachbegriffe, die zwei verschiedene Bauteile bezeichnen. Die Gurtaufrollfeder ist im Prinzip bei jedem Gurtaufroller vorhanden, um die Aufrollfunktion im normalen Gebrauch des angelegten Gurtes sicherzustellen. Im Unterschied hierzu sorgt der Gurtstraffer dafür, daß der Gurt bei einem Aufprall nach Millisekunden fest am Körper des Fahrers anliegt.

Der Gurtaufroller gemäß Patentanspruch 1 unterscheidet sich somit von dem dieser Entgegenhaltung durch das Vorhandensein eines Gurtstrafferantriebes. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist deshalb im Hinblick auf diesen Stand der Technik neu (Artikel 54 EPÜ).

2.2. Die ältere EP-A-0 581 288 (D3) kann nach Artikel 54 (3) und (4) EPÜ insoweit als Stand der Technik entgegengehalten werden, als in ihr die Staaten DE, ES, FR, GB, IT, SE benannt sind, die auch in der europäischen Streitpatentschrift benannt sind.

Der Gurtaufroller gemäß Patentanspruch 1, wie erteilt, weist ein Planetengetriebe mit einem Planetenradträger auf. Entgegen den Auffassungen der Beschwerdegegnerinnen weist das Planetengetriebe gemäß der älteren europäischen Patentanmeldung D3 einen derartigen Planetenradträger nicht auf.

Wie aus dem "Kraftfahrtechnisches Taschenbuch" hervorgeht, besteht ein Planetengetriebe aus drei getrennten Elementen, nämlich Sonnenrad, Hohlrad und Steg (Planetenradträger) mit Planetenrädern, die jeweils Antrieb, Abtrieb oder festgehalten sein können. Bei der älteren europäischen Anmeldung D3 ist das als Schieber bezeichnete Hohlrad im Betrieb festgehalten. Mithin wäre auch ein von dem Hohlrad und dem Sonnenrad gebildeter "Planetenradträger" festgehalten, was begrifflich nicht möglich ist, da nur ein Element des Planetengetriebes fest sein kann. Schon aus diesem Grund können bei der älteren Patentanmeldung D3 das Hohlrad und das Sonnenrad keinen Steg oder Planetenradträger im Sinne des Streitpatents bilden.

Wie ferner der im Patentanspruch 1 eigens erwähnte Begriff "Planetenradträger" besagt, handelt es sich um einen Träger für mindestens ein Planetenrad. Der Durchschnittsfachmann wird bei Berücksichtigung des Gesamtinhalts des Streitpatents unter dieser Bezeichnung ein separates Element verstehen, an dem das Planetenrad drehbar und im ständigen Eingriff mit Hohlrad und Sonnenrad gelagert ist. Das als Schieber bezeichnete Hohlrad und das Sonnenrad gemäß der älteren Anmeldung D3 bilden deshalb keinen derartigen Planetenradträger, sondern lediglich einen Laufraum für ein in zeitweiligen Eingriff gelangendes, frei bewegliches Planetenrad.

Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 (Hauptantrag) im Hinblick auf diesen Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ neu ist.

Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 9 enthalten jeweils alle Merkmale des Patentanspruchs 1. Ihr Gegenstand ist daher ebenfalls neu.

3. Der Widerruf des angefochtenen Patents erfolgte wegen mangelnder Neuheit, so daß die Frage der erfinderischen Tätigkeit bisher nicht geprüft worden ist. Zu dieser Frage haben im Beschwerdeverfahren weder die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) noch die Beschwerdegegnerinnen detailliert Stellung genommen.

Die Kammer macht deshalb von ihrem Ermessen gemäß Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch und verweist die Sache an die erste Instanz zur weiteren Prüfung der Patentfähigkeit zurück.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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