European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1999:T061299.19990817 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 August 1999 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0612/99 | ||||||||
Anmeldenummer: | 94104039.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65D 85/18 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verpackungszwecken dienende Vorrichtung zum Legen eines Hemdes, insbesondere Herrenoberhemdes oder dgl. Kleidungsstückes | ||||||||
Name des Anmelders: | Riedmayer, Martin | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Streichung eines unwesentlichen Merkmals im ursprünglich eingereichten Patentanspruch (zulässig) Erfinderische Tätigkeit (ja) Rückzahlung der Beschwerdegebühr (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Mit am 12. Januar 1999 zur Post gegebener Entscheidung wies die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 94 104 039.6 (Veröffentlichungsnummer: 0 618 152) zurück.
Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des am 3. August 1996 eingegangenen Patentanspruchs 1 im Hinblick auf das Dokument
D1: GB-A-1 381 438
und das Fachwissen auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Gegen diese Entscheidung legte der beschwerdeführende Anmelder Beschwerde ein.
III. Der Beschwerdeführer beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Basis der am 3. August 1996 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 10. zu erteilen.
Er ist der Auffassung, daß der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Der Beschwerdeführer beantragt ferner die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, weil die von der Prüfungsabteilung durchgeführte Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit auf einer Teile der beanspruchten Lehre auf den Gegenstand des Dokuments D1 projizierenden Betrachtungsweise beruhe. Der Anmelder sei wegen dieser unzulässigen ex-post-Analyse zu einem kostenträchtigen und mit weiterem Zeitverzug verbundenen Beschwerdeverfahren gezwungen worden.
IV. Der geltende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Verpackungszwecken dienende Vorrichtung zum Legen eines Hemdes, insbesondere Herrenoberhemdes oder dgl. Kleidungsstücks, sowie zum Sichern gegen Auseinanderfallen im gelegten Zustand, mit einer flachen, im wesentlichen rechteckigen Einlage (1), an deren einer Schmalseite (Kragenseite 2) nach dem Legen des Hemdes der Hemdkragen angeordnet ist, und deren andere Schmalseite (8) sowie deren beide Längsseiten (6) freie Ränder bilden, mit Haltemitteln (5,7) zum Fixieren der Schulterteile der symmetrisch um beide Längsseiten (6) der Einlage (1) bis zur Auflage auf deren Rückseite herumgefalteten Seitenbereiche des Hemdes gegenüber der Einlage (1) und mit Haltemitteln (5) zur Lagesicherung des Randbereiches des zum Abschluß des Legevorgangs um die der Kragenseite (2) gegenüberliegende Schmalseite (8) der Einlage (1) bis auf deren Rückseite umgeschlagenen Hemdenunterteils, dadurch gekennzeichnet, daß die Haltemittel (5,7) ausschließlich aus zur der Kragenseite gegenüberliegenden Schmalseite (8) der als steifes Formteil ausgebildeten Einlage (1) offenen Federzungen (5,7) gebildet sind, die an ihren zur Kragenseite (2) hinweisenden Enden, und zwar nur dort, fest mit der Einlage verbunden sind und die betreffenden Hemdbereiche gegen die Ebene der Einlage (1) andrücken."
Patentansprüche 2 bis 10 sind auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht worden und daher zulässig.
2. Artikel 123 (2) EPÜ
Der geltende Patentanspruch 1 unterscheidet sich von dem ursprünglich eingereichten im wesentlichen dadurch, daß das Merkmal "Kragenstütze" weggelassen ist.
Zur Frage, ob für das Streichen dieses Merkmals eine Offenbarungsgrundlage in den ursprünglich eingereichten Unterlagen vorliegt, wird folgendes bemerkt:
Als gattungsbildender Stand der Technik wird in der ursprünglich eingereichten Beschreibung die DE-B-2 356 262 (Dokument D2) angeführt.
Zu diesem Stand der Technik wird ausgeführt, daß das um die Einlage gefaltete Hemd nur mit einer einzigen Klammer, die die zwei längsgefalteten, seitlichen Schulterteile im Bereich der Armansätze unter Einschluß der Pappeinlage zusammenhalte, direkt an der Einlage befestigt sei. Weitere Klammern verbänden lediglich ohne Einschluß der Pappeinlage andere Teile des Hemdes untereinander. Das Hemd habe daher insgesamt nur einen losen Sitz auf der Einlage.
Überdies sei von Nachteil, daß zur Befestigung die Klammern als lose, verlierbare Teile gehandhabt werden müßten.
Ausgehend von diesem Stand der Technik bezeichnet es die Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten wie in der geltenden Beschreibung als der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe, "eine verbesserte Vorrichtung der eingangs genannten Art anzugeben, die bei einfacher Handhabung ein kostengünstiges und insbesondere maschinelles Verpacken von Hemden bzw. beliebigen Kleidungsstücken mit Ärmeln ermöglicht. Das Kleidungsstück soll dabei sicher auf der Einlage befestigbar sein".
Für den fachmännischen Leser ist es ohne weiteres erkennbar, daß die Kragenstütze keinen Beitrag zur Lösung der in den ursprünglichen Unterlagen gestellten Aufgabe leistet. Es kann mithin keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Merkmal nicht als für die Erfindung wesentlich offenbart ist, sondern lediglich eine vorteilhafte Weiterbildung der im geltenden Patentanspruch 1 definierten Erfindung darstellt.
Aus alledem folgt, daß für das Weglassen des Merkmals "Kragenstütze" aus dem Patentanspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Offenbarungsgrundlage vorhanden ist. Eine solche Änderung geht somit nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und ist daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ zulässig.
Dasselbe gilt für das Weglassen des Merkmals, daß die Haltemittel in Längsrichtung des steifen Formteils ausgerichtet sind, zumal sich dieses Merkmal aus den Angaben im kennzeichnenden Teil, wonach die Federzungen an der Kragenseite mit dem Formteil verbunden und auf der gegenüberliegenden Seite offen sind, zwangsläufig ergibt.
2. Neuheit
Die Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 ist offensichtlich. Sie wurde im Prüfungsverfahren nicht bestritten, so daß sich ein näheres Eingehen hierauf erübrigt.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1. Ausgang für die Erfindung ist - wie sich aus den Ausführungen in Punkt 2 ergibt - die in der Anmeldung gewürdigte DE-B-2 356 262 (Dokument D2), auf die sich der Oberbegriff des Patentanspruchs 1 bezieht.
Wie vorstehend dargelegt, liegt der Anmeldung die technische Aufgabe zugrunde, die bekannte Vorrichtung nach Dokument D2 dahingehend zu verbessern, daß sie bei einfacher Handhabung ein kostengünstiges und insbesondere maschinelles Verpacken von Hemden bzw. beliebigen Kleidungsstücken mit Ärmeln ermöglicht. Das Kleidungsstück soll dabei sicher auf der Einlage befestigbar sein.
Diese Aufgabe wird durch die im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 aufgeführten Merkmale gelöst.
3.2. Dokument D1 zeigt eine Vorrichtung zum Legen eines Hemdes, bei der an eine flache, im wesentlichen rechteckige Einlage seitlich Flügel angelenkt sind, um die die Seitenbereiche des Hemdes herumgefaltet werden. Zum Halten der Schulterteile sind einstückig mit den Flügeln ausgebildete Zungen vorgesehen. Die Flügel mit den umgefalteten Seitenbereichen des Hemdes werden um die Längsseiten der Einlage geklappt. Dabei gelangen die Schulterteile des Hemdes zwischen die Flügel und die Einlage und werden somit zusätzlich zur Wirkung der Zungen auch durch Klemmwirkung zwischen Flügel und Einlage gehalten. Zum Abschluß des Legevorgangs wird das Unterteil des Hemdes um die eine Schmalseite der Einlage umgeschlagen und durch Einrasten eines Hemdknopfes in eine starre, an der Einlage gehaltene Knopflochleiste festgehalten.
Bei dieser Vorrichtung werden somit die Schulterteile des Hemdes nicht - wie bei der Erfindung - nach dem Herumfalten der Seitenbereiche um die Längsseiten der Einlage an mit der Einlage verbundenen Federzungen gehalten, sondern sie werden um die Längsseiten der Flügel gefaltet und an mit den Flügeln verbundenen Zungen gehalten. Die Einlage ist überhaupt nicht mit Haltezungen ausgebildet. Die Haltemittel zur Lagesicherung der Schulterteile sind auch nicht, wie beansprucht, ausschließlich durch Zungen gebildet, denn ganz wesentlich für die Halterung der Schulterteile ist bei dieser Vorrichtung die mit den nach innen geklappten Flügeln erzielte zusätzliche Klemmwirkung der Schulterteile zwischen den Flügeln und der Einlage. Es ist schließlich nicht das kennzeichnende Merkmal erfüllt, daß Mittel zum Halten des Randbereiches des Hemdes ausschließlich aus Federzungen gebildet sind, denn dazu ist die Knopfverrastung vorgesehen.
Infolge ihres grundlegend unterschiedlichen Aufbaus weist die Vorrichtung gemäß Dokument D1 auch nicht die in der Anmeldungsbeschreibung für die erfindungsgemäße Vorrichtung herausgestellten Vorteile auf. Insbesondere kann das Hemd weder mit einer einzigen geradlinigen Bewegung von der Einlage abgezogen werden, noch ist es möglich, das Hemd im vorgefalteten Zustand mit einer geradlinigen Bewegung auf die Einlage aufzuschieben. Beides wird verhindert durch den fest zu verrastenden Knopf und die beabsichtigte Klemmwirkung zwischen Einlage und Flügeln. Die der Anmeldung zugrundliegende Aufgabe ist daher mit dieser Vorrichtung nicht zu lösen.
3.3. Die Prüfungsabteilung vertrat die Auffassung, daß das kennzeichnende Merkmal, daß Mittel zum Halten des Randbereichs des Hemdes ausschließlich aus Federzungen gebildet sind, bei Dokument D1 verwirklicht sei, weil die dort vorgesehene Knopfrastleiste nur als optionales Haltemittel beschrieben sei und die Federzungen aufgrund ihrer Anordnung ohne weiteres geeignet seien, das Hemdenunterteil und die Schulterpartie gemeinsam zu halten.
Sie hat dabei ersichtlich verkannt, daß zum Offenbarungsgehalt einer Entgegenhaltung nur das gehört, was der Fachmann eindeutig und zweifelsfrei entnimmt. Im vorliegenden Fall enthält Dokument D1 keinerlei Angaben über das Weglassen der Knopfrastleiste. Die Prüfungsabteilung stützt sich allein auf die Textstelle auf Seite 2, Zeilen 42 bis 44, in der es heißt "A shirt engaging button gripping member 18 may be hingeably mounted to the body portion". Diese Textstelle ist jedoch bei fachmännischer Betrachtung nicht in der Weise zu interpretieren, daß damit die Knopfrastleiste als lediglich optionales Haltemittel offenbart sein soll. Vielmehr ist das dort gebrauchte "may be" auf das direkt anschließende Wort "hingeably" zu beziehen, so daß sich daraus eine optionale schwenkbare Anordnung der Leiste ergibt.
Die Prüfungsabteilung hat bei ihrer Interpretation dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, daß das im Anschluß an das Einklappen der Seitenflügel umgeschlagene Hemdenunterteil bei Weglassen der Knopfrastleiste unbefestigt bliebe, sofern nicht zusätzliche Befestigungsnadeln verwendet werden. Die Haltezungen sind nämlich bei eingeklappten Seitenflügeln von den Schulterpartien des Hemdes verdeckt und stehen daher für eine etwaige Befestigung des Hemdenunterteils nicht zur Verfügung. Mithin würde das Weglassen der Knopfleiste zu einem unbefestigten Hemdenunterteil führen. Die Tatsache, daß die Knopfrastleiste im Anspruch 1 der D1 nicht erwähnt ist, läßt ebenfalls keine andere Interpretation zu, da der Anspruch 1 nicht die völlige Vermeidung von Befestigungsnadeln zum breitesten Ziel hat, sondern nur deren Reduktion (siehe Seite 1, Zeilen 25. bis 29 der D1). Die völlige Vermeidung wird erst durch den dortigen Anspruch 3 erreicht.
3.4. Ergänzend ist darauf hingewiesen, daß es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht darauf ankommt, ob der Fachmann durch Modifikation des Standes der Technik zur Erfindung hätte gelangen können. Zu fragen ist vielmehr ob er in Erwartung der tatsächlich erzielbaren Vorteile, d. h. im Lichte der bestehenden technischen Aufgabe so vorgegangen wäre, weil dem Stand der Technik Anregungen für die Erfindung zu entnehmen waren (siehe z. B. die Entscheidung T 219/87 vom 11. März 1988, Punkt 7.4 der Entscheidungsgründe).
Im vorliegenden Fall hätte der Fachmann zwar gewiß die Knopfleiste der Vorrichtung gemäß Dokument D1 weglassen können, hätte dies aber nicht getan, weil das Hemdenunterteil mittels dieser Knopfleiste auf der Einlage befestigt wird und die so zu lösende technische Aufgabe eben darin besteht, das Kleidungsstück im Vergleich zu der bekannten Vorrichtung gemäß Dokument D2 sicherer auf der Einlage zu befestigen.
3.5. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht und somit patentfähig ist.
4. Die Patentfähigkeit der abhängigen Patentansprüche 2 bis 10. wird von derjenigen des Patentanspruchs 1 getragen; diese sind daher gleichfalls patentfähig.
5. Da der Beschwerde stattzugeben ist, muß der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ geprüft werden.
Es ist richtig, daß die angefochtene Entscheidung im wesentlichen auf einer ex-post-Analyse des Dokuments D1 aus der Sicht der Erfindung beruht. Obwohl eine solche ex-post Betrachtung unzulässig ist, liegt hier jedoch eine Fehleinschätzung der Prüfungsabteilung ("error of judgment") und kein Verfahrensmangel vor.
Es besteht daher keine rechtliche Grundlage zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Beschreibung: Seiten 1, 1bis eingereicht am 22. Februar 1996
Seiten 2 bis 12, wie ursprünglich eingereicht
Patentansprüche 1 bis 10, eingereicht am 3. August 1996
Zeichnungen: Figuren 1 bis 10, wie veröffentlicht.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.