T 0302/99 () of 15.6.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T030299.20000615
Datum der Entscheidung: 15 Juni 2000
Aktenzeichen: T 0302/99
Anmeldenummer: 94906161.8
IPC-Klasse: B60C 17/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Notlaufring für ein Fahrzeugrad
Name des Anmelders: Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: BASF Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 683 735 (Anmeldenummer: 94 906 161.8).

II. Die Beschwerdegegnerin legte gegen das erteilte Patent Einspruch ein und beantragte, das Patent wegen fehlender Patentfähigkeit zu widerrufen.

Sie berief sich dabei u. a. auf

E1: EP-A-0 142 844

E2: DE-U-8 325 913

E5: DE-A-2 722 885

E6: US-A-3 814 158.

III. Mit am 12. März 1999 zur Post gegebener Entscheidung wurde das Patent widerrufen.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 20. März 1999 unter Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein.

Die Beschwerdebegründung wurde am 26. Juni 1999 eingereicht.

V. Es wurde am 15. Juni 2000 vor der Kammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis von in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen.

Patentanspruch 1 lautet:

"Notlaufring (1) mit einem Fahrzeugrad (5), das sich aus einer einteiligen Felge (10) und einem Luftreifen (9) zusammensetzt, bestehend aus einem einstückigen, ringförmigen Körper (2) aus elastischem Material, mit ringförmigen Verstärkungseinlagen (6) und mit einer Außenseite (18), auf der im Notlauffall die der Lauffläche abgewandte Innenseite des Luftreifens aufliegt, einer äußeren und einer inneren Seitenfläche (20, 21) sowie einer dem Felgenbett (13) zugewandten Innenseite,

dadurch gekennzeichnet, dass die Innenseite des Notlaufringes (1) sich ausschließlich am Felgenbett (13) abstützt und zumindest eine Seitenfläche (20, 21) des unbelasteten Notlaufringes (1) zum benachbarten Seitenwandbereich (22, 23) des Luftreifens (9) beabstandet ist."

VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) vertrat folgende Auffassung:

Die Erfindung betreffe einen gattungsgemäßen Notlaufring für ein Fahrzeugrad bestehend aus einem einstückigen Körper aus elastischem Material mit eingebetteten ringförmigen Verstärkungseinlagen. Die Lehre des Kennzeichens des Patentanspruchs 1 beruhe auf dem Gedanken, diesen Typ von Notlaufring so auszubilden, daß er sich im unbelasteten Zustand ausschließlich am Felgenbett abstütze.

Eine Anregung in Richtung auf diese Lehre sei dem relevanten Stand der Technik zu elastischen Notlaufringen insgesamt nicht zu entnehmen. Die im Verfahren zitierten gattungsgemäßen Dokumente E2, E5 und E6 legten dem Fachmann jeweils die gleiche Lösung nahe, nämlich die Abstützung des Notlaufrings an den Flankenbereichen des Luftreifens. Gegenstand des Dokuments E1 sei kein elastischer, einteilig ausgebildeter, sondern ein starrer Notlaufring, der notwendigerweise zur Sicherstellung dessen Montierbarkeit auf einer einteiligen Felge mehrteilig ausgebildet sein müsse. Da ein solcher mehrteiliger, nicht verformbarer Notlaufring auch starr mit der Felge verbunden sei, liege hier ein gegenüber der Erfindung vollkommen anders gelagerter Sachverhalt vor, aus dem der Fachmann keine Anregungen in Richtung der Erfindung entnehmen konnte.

Demgemäß beruhe der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) widersprach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und trug im wesentlichen folgendes vor:

Dem Fachmann sei aus der Druckschrift E1 der Hinweis gegeben, einen Notlaufring in einem einteiligen Felgenbett so anzuordnen, daß dessen Seitenflächen nicht an den gegenüberliegenden Innenseiten der Reifenwülste anliegen. Dadurch ergebe sich die im Kennzeichen des Patentanspruchs 1 definierte seitliche Beabstandung zwangsläufig.

Es sei auch festzuhalten, daß die von der Beschwerdeführerin angegebene Aufgabe, eine verdrehsichere Befestigung des Notlaufringes am Felgenbett zu gewährleisten, keinen Niederschlag in den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gefunden habe. Die Befestigungsart des beanspruchten Notlaufrings und diejenige des Notlaufringes gemäß E1 am Felgenbett seien deshalb bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

Es sei richtig, daß die Seitenflächen des elastischen Notlaufringes gemäß Druckschrift E2 in Kontakt mit den Flankenbereichen des Luftreifens kommen und die Radfelge zweiteilig ausgebildet sei; dies ändere jedoch nichts daran, daß der elastische Notlaufring sich im wesentlichen am Felgenbett abstütze, so daß der Grundgedanke, auf dem die behauptete Erfindung beruhe, ebenfalls durch E2 nahegelegt worden sei.

Demgemäß fehle bei dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 die notwendige erfinderische Tätigkeit.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Artikel 123 EPÜ

Im Kennzeichen des geltenden Patentanspruchs 1 wird präzisiert, daß die Innenseite des Notlaufringes sich "ausschließlich" am Felgenbett abstützt und zumindest eine Seitenfläche des "unbelasteten" Notlaufringes zum benachbarten Seitenwandbereich des Luftreifens beabstandet ist. Diese Einfügungen sind Seite 2, Zeilen 20, 21 der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung zu entnehmen.

Der Gegenstand des geänderten Patentanspruchs 1 geht somit nicht über das ursprünglich Offenbarte hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ).

Da der geltende Patentanspruch 1 sämtliche Merkmale des erteilten Patentanspruchs aufweist, liegt eine Erweiterung des Schutzbereichs durch die vorgenommenen Änderungen nicht vor (Artikel 123 (3) EPÜ).

3. Neuheit

Die Neuheit des Notlaufrings mit einem Fahrzeugrad gemäß Patentanspruch 1 ist offensichtlich. Sie wurde weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren bestritten, so daß sich ein näheres Eingehen hierauf erübrigt.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Wie die Beschwerdeführerin überzeugend vorgebracht hat, stellt die in der Streitpatentschrift gewürdigte Druckschrift E6, auf die sich der Oberbegriff des Patentanspruchs 1 bezieht und von der ausgehend die in der Streitpatentschrift angegebene technische Aufgabe formuliert ist, den nächstkommenden Stand der Technik dar.

Die Druckschrift E2, die in der angefochtenen Entscheidung als nächstkommender Stand der Technik betrachtet wurde, geht von einer zweiteiligen Felge aus, bei der wegen des einfachen Montageablaufs eine große Gestaltungsfreiheit hinsichtlich Notlaufring und Luftreifen besteht. Die Erfindung und die E6 hingegen beziehen sich ausdrücklich auf einteilige Felgen, bei denen die Frage der Montierbarkeit von Luftreifen und Notlaufring eine entscheidende Rolle spielt.

4.2. E6 beschreibt einen gattungsgemäßen Notlaufring bestehend aus einem einstückigen, ringförmigen Körper aus elastischem Material mit ringförmigen Verstärkungseinlagen, die ein Abschleudern des Notlaufrings bei hohen Geschwindigkeiten verhindern sollen (Spalte 1, dritter Absatz der Patentschrift). Dieser bekannte Notlaufring stützt sich allerdings auf den Innenflächen der Reifenwülste ab.

Nachteilig sei hierbei (Spalte 1, zweiter Absatz der Streitpatentschrift), daß die aus Gründen der Montierbarkeit relativ weit außen liegenden Verstärkungseinlagen eine Aufweitung des weiter innen liegenden elastischen Materials des Notlaufrings nicht ausreichend verhinderten. Daher bestehe die Gefahr, daß sich der bekannte Notlaufring relativ zur Radfelge bewege und hierdurch Verschleiß und Temperaturerhöhung hervorrufe. Im Notlauffall sei der Notlaufring zu labil, um die Radaufstandskraft gezielt auf den Bereich der Reifenwülste zu übertragen und hierdurch den Luftreifen sicher auf der Felge zu halten.

Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe kann - wie im wesentlichen in der Streitpatentschrift angegeben - darin gesehen werden, den aus E6 bekannten Notlaufring so zu verbessern, daß er sich gegenüber der Radfelge nicht verdreht, und zwar unter Beibehaltung der erleichterten Montage des Notlaufrings bzw. des Luftreifens auf einer üblichen einteiligen Radfelge.

4.3. Diese Aufgabe wird durch die folgenden im Kennzeichen des Patentanspruchs angegebenen Merkmale gelöst:

i) Die Innenseite des Notlaufrings stützt sich ausschließlich am Felgenbett ab.

ii) Zumindest eine Seitenfläche des unbelasteten Notlaufrings ist zum benachbarten Seitenwandbereich beabstandet.

Der Abstand zwischen zumindest einer Seitenfläche des Notlaufrings und dem Luftreifen (kennzeichnendes Merkmal ii)) bewirkt einen erleichterten Ein- und Ausbau des Luftreifens an der mit dem Notlaufring ausgestatteten Felge. Hierdurch und durch die elastische Verformbarkeit ist die Montierbarkeit des erfindungsgemäßen Notlaufrings auf der einteiligen Felge gewährleistet. Mithin ist die Teilaufgabe, die Montierbarkeit des Notlaufrings bzw. des Luftreifens auf der Felge ohne Zweifel durch die Lehre des Patentanspruchs 1 tatsächlich gelöst. Hiergegen hat die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) auch keine Bedenken geäußert. Ihre Vorbehalte setzten erst hinsichtlich der Verwirklichung der anderen Teilaufgabe, nämlich die Verdrehsicherung des Notlaufrings durch den Gegenstand des Patentanspruchs 1 ein. Sie hat darauf verwiesen, daß dieses Ergebnis nur durch die besondere Geometrie der Verstärkungseinlagen erreichbar sei. So heiße es in Spalte 5, Zeilen 20 bis 23 der Streitpatentschrift:

"Für festen Sitz auf der Felge sorgen die Verstärkungseinlagen 6, deren Durchmesser Dv nur geringfügig größer ist als der Felgendurchmesser".

Diese Ausführungen vermögen jedoch nicht zu überzeugen.

Der Notlaufring ist gemäß dem kennzeichnenden Merkmal i) so ausgebildet, daß er sich im unbelasteten Zustand ausschließlich am Felgenbett abstützt. Hierdurch ist es möglich, über die ringförmigen Verstärkungseinlagen eine entsprechend große Spannung in radialer Richtung zu erzeugen, so daß der Notlaufring sich gegenüber der Radfelge nicht verdreht (vgl. Spalte 1, Zeilen 43 bis 48 der Streitpatentschrift).

Die Auswahl eines Durchmessers für die Verstärkungseinlagen, der nur geringfügig größer ist als der Felgendurchmesser, ist dabei eine Frage der Optimierung, nicht aber des Erreichens des erstrebten Ergebnisses an sich. Anders ausgedrückt, stellt die Auswahl eines solchen Durchmessers nur eine vorteilhafte oder bevorzugte Ausführungsform dar, ohne daß aber dieses Merkmal erfindungswesentlich ist.

4.4. Gegenstand der Druckschrift E1 ist ein Luftreifen-Fahrzeugrad, das aus einer einteiligen, üblichen genormten Radfelge und einem üblichen Luftreifen besteht und zusätzlich mit einem Notlaufring ausgestattet ist.

Diese Entgegenhaltung schildert verschiedene Notlaufringe, die Voll- oder Hohlkörper sein können. Die als Hohlkörper ausgebildeten Notlaufringe weisen eine rohrförmige Außenwand auf, auf die sich bei einem Notlauf die Reifeninnenfläche des luftleeren Luftreifens aufstützt, sowie äußere und innere Seitenwände, mit denen der Notlaufring im Bereich des Felgenbettes mit der Radfelge fest verbunden ist, z. B. durch Verschweißung oder Verschraubung, oder mit ihm eine Baueinheit bildet. Diese Notlaufringe können aus "metallischen oder zumindest teilweise metallischen Werkstoffen gebildet sein. Es können jedoch auch formfeste beanspruchungssichere Nichtmetalle, wie z. B. Kunststoffe oder Kunstharze, eingesetzt werden" (siehe Seite 6, dritter Absatz).

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein solcher Notlaufring zur Sicherstellung der Montierbarkeit auf einer einteiligen Radfelge aufgrund seiner fehlenden Elastizität notwendigerweise aus mehreren Teilen oder Segmenten bestehen muß, die ihrerseits Befestigungsmittel erfordern, um sie zusammenzuhalten bzw. am Felgenbett zu befestigen. Das von der Erfindung erstrebte Ergebnis, eine erleichterte Montage des Notlaufrings auf der Radfelge zu ermöglichen, ist somit bei dieser Druckschrift keinesfalls erreicht.

Die Kammer folgt dem Argument der Beschwerdeführerin, daß der Fachmann, dem sich das durch die Erfindung gelöste Problem stellt, Radfelgen mit starr angebundenen, mehrteiligen Notlaufringen, die schwer montierbar sind, nicht in Betracht ziehen würde, da von diesem Stand der Technik keine Hinweise zu erwarten sind, wie ein verdrehbarer, elastischer und einteilig ausgebildeter Notlaufring an einer Verdrehung gegenüber der Radfelge gehindert werden kann.

Auch der Ansicht der Beschwerdegegnerin, der Notlaufring gemäß E1 sei elastisch verformbar, da er innen mit einem Hohlraum versehen sei, vermag die Kammer nicht zu folgen. Die Ausbildung des Notlaufringes als Hohlkörper bewirkt zwar eine gewisse Elastizität der Stützfläche des Notlaufrings. Jedoch von einer Elastizität im Sinne einer Aufweitung des Durchmessers des Notlaufrings zum Zwecke der Montage auf eine einteilige Radfelge sowie zur Fixierung durch Vorspannung am Felgenbett kann keine Rede sein.

Es ist zwar zutreffend, daß der Notlaufring gemäß E1 sich einerseits am Felgenbett abstützt und andererseits zum benachbarten Seitenwandbereich des Luftreifens beabstandet ist. Jedoch gibt, wie schon vorstehend ausgeführt, dieser Stand der Technik dem Fachmann aus obigen Gründen keinen Hinweis, diese Maßnahmen bei dem gattungsgemäßen Fahrzeugrad gemäß E6 mit einem einteiligen, elastischen Notlaufring anzuwenden.

4.5. Die Druckschrift E2 geht von einer zweiteiligen Radfelge aus, bei der die Frage der Montierbarkeit von Luftreifen und Notlaufring keine Rolle spielt. Der dort offenbarte elastische Notlaufring stützt sich an den Flankenbereichen des Luftreifens zu dessen Halterung ab, weshalb das Merkmal, daß der Notlaufring zu den benachbarten Seitenwandbereichen des Luftreifens beabstandet ist, hier notwendigerweise fehlt. Trotz des fehlenden Abstands zwischen Notlaufring und Luftreifen ist der Ein- und Ausbau eines Luftreifens aufgrund der mehrteiligen Radfelge gewährleistet.

Weder die beanspruchte Lösung noch die von der Erfindung angestrebte und erzielte Wirkung - Verdrehsicherung des elastischen Notlaufrings gegenüber der Radfelge sowie erleichterte Montage des Notlaufrings bzw. des Luftreifens auf eine einteilige Radfelge - ist demgemäß durch E2 nahegelegt.

4.6. Die Druckschrift E5 zeigt ebenfalls eine nur teilweise Abstützung des Notlaufrings am Felgenbett. Im übrigen fehlen dort die für die vorliegende Erfindung zwingend notwendigen Verstärkungseinlagen. Somit kann auch hieraus keine Anregung in Richtung der beanspruchten Lösung der gestellten Aufgabe ausgehen.

4.7. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Er ist daher patentfähig.

5. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 12 betreffen besondere Ausführungsformen des Notlaufrings gemäß Patentanspruch 1, die von dessen Patentfähigkeit getragen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Patentansprüche 1 bis 12 und Spalte 1 der Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung;

- Beschreibung, Spalten 2 bis 6 und Zeichnungen wie erteilt.

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