T 0289/99 () of 22.11.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T028999.20011122
Datum der Entscheidung: 22 November 2001
Aktenzeichen: T 0289/99
Anmeldenummer: 90916734.8
IPC-Klasse: D06G 3/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Automatisches Strumpfwendegerät für eine Kettelmaschine
Name des Anmelders: Rosso Industrie S.p.A.
Name des Einsprechenden: Fadis S.p.A.
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 67
European Patent Convention 1973 R 68(2)
Schlagwörter: Zulässigkeit (Haupt-, Hilfsantrag 1) - nein
Zulässigkeit (Hilfsantrag 2) - ja
Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Hilfsantrag 2) - ja
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 14. November 1990 unter Inanspruchnahme einer italienischen Priorität vom 14. November 1989 eingereichte internationale Patentanmeldung PCT/EP 90/01941 wurde das europäische Patent Nr. 0 453 543 erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents. Das beanspruchte Strumpfwendegerät beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil es nur eine Aggregation durch den Stand der Technik nahegelegter Maßnahmen darstelle (Einspruchsgrund Artikel 100 a) EPÜ). Nach Ablauf der Einspruchsfrist machte sie mit ihrem am 10. November 1998 eingegangenen Schreiben ferner geltend, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen durch Herausnahme wesentlicher Merkmale unzulässig erweitert worden sei (Einspruchsgrund Artikel 100 c) EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch mit ihrer in der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 1998 verkündeten Entscheidung zurück. Die schriftliche Begründung wurde am 15. Januar 1999 zur Post gegeben.

Sie kam zu dem Ergebnis, daß der verspätet vorgebrachte Einwand nach Artikel 100 c) EPÜ nach Artikel 114 EPÜ nicht berücksichtigt zu werden brauche, weil er bereits Gegenstand des Prüfungsverfahrens gewesen und dort prima facie korrekt abgehandelt worden sei. Unter Berücksichtigung des entgegengehaltenen Standes der Technik genüge das europäische Patent den Erfordernissen des EPÜ.

IV. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin am 12. März 1999 beschwert und am selben Tag die Beschwerdegebühr bezahlt. Mit der am 14. Mai 1999 eingereichten Beschwerdebegründung hat sie die Nichtzulassung des Einspruchsgrundes des Artikels 100 c) EPÜ durch die Einspruchsabteilung als verfahrensfehlerhaft gerügt und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Gleichzeitig hat sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit weiter verfolgt.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrer Mitteilung vom 26. April 2001 auf die mögliche Relevanz des Einspruchsgrundes des Artikels 100 c) EPÜ und daneben auf Diskussionsbedarf der erfinderischen Tätigkeit hingewiesen. Einen Grund für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr könne sie allerdings nicht erkennen.

VI. Am 22. November 2001 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Entgegenhaltungen

D1: US 4 627 557 A und

D2: US 4 509 666 A

diskutiert wurden.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 453 543 und Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag),

hilfsweise das Patent aufrecht zu erhalten gemäß

- Hilfsantrag 1,

weiter hilfsweise das Patent aufrecht zu erhalten gemäß

- Hilfsantrag 2.

Der erteilte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"1. Automatisches Strumpfwendegerät, das mit einer Kettelmaschine kombinierbar ist, mit

- Wendeorganen (3, 7, 8), die von einem Gehäuse (1) getragen werden und umfassen:

- einen vertikalen Wendestab (3), dessen freies Ende nach unten weist,

- ein erstes Paar oberer (7) und ein zweites Paar unterer (8), geschlossener, in Längsrichtung umlaufender Bänder, deren ebene Trume parallel zur vertikalen Arbeitsebene und Verschiebeebene des Wendestabes (3) verlaufen, symmetrisch zu den einander gegenüberliegenden Seiten dieser Ebene angeordnet sind und normalerweise zu dieser einen Abstand aufweisen, wenn das Gerät nicht in Aktion ist,

- wobei jedes Band (7, 8) über zwei Rollen (9, 10) läuft und beide in einer Tragstruktur (11, 12; 11', 12') gelagert sind, wobei die jedem Bandpaar zugeordneten beiden Tragstrukturen simultan in Richtung auf die vertikale Arbeitsebene des Wendestabes (3) verstellt und von dieser wegbewegt werden können,

- einer Übergabeeinrichtung zur Abnahme der zu wendenden Strümpfe (44) von der Kettelmaschine (41) und zur Übergabe an die Wendeorgane (2), wobei

- die Übergabeeinrichtung einen Greifer (26) mit zwei Backen (27, 28) aufweist, deren einander gegenüberliegende Greifränder (27', 28') aneinander angepaßt sind und in einer im wesentlichen horizontalen Ebene liegen, und

- Mittel (30, 31) zum Öffnen und Schließen der Backen (27, 28) vorgesehen sind,

dadurch gekennzeichnet,

daß der vertikale Wendestab (3) in dem Gehäuse (1) in Längsrichtung zwischen einer untersten und einer obersten Endstellung verschiebbar gelagert und mit Antriebsmitteln (6) zu seiner Längsverschiebung verbunden ist, wobei das erste Bandpaar (7) zwischen seinen unmittelbar gegenüberliegenden Trumen das freie Ende des Wendestabes (3) aufnimmt, wenn sich dieser in seiner oberen Endstellung befindet,

daß Mittel (37) zum Verschieben des Greifers (26) auf einer vorbestimmten Bahn zwischen zwei Endstellungen vorgesehen sind, nämlich einer bezüglich der Wendeorgane (3, 7, 8) äußeren Stellung und einer inneren Stellung zwischen den Bändern (7) des oberen Bandpaares, wobei die einander gegenüberliegenden Greifränder (27', 28') der Backen (27, 28) des Greifers (26) parallel zur vertikalen Verschiebeebene des Wendestabes (3) verlaufen, und

daß eine Stabilisierungseinrichtung (46, 48) zur Kontrolle der ausgerichteten Lage des Strumpfes (44) während des Wendevorgangs am Gehäuse (1) gelagert und unter dem unteren Bandpaar (8) angeordnet ist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 enthält den Wortlaut dieses Anspruchs, wobei in den zweiten Absatz, Zeile 4, des kennzeichnenden Teils zwischen den Worten "äußerer" und "Stellung" eingefügt ist:

"... zum oberen Ende des zu erfassenden Strumpfes (44) durch einen Sensor (43) zentrierten ..."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 umfaßt ebenfalls den Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, an den angefügt ist:

"..., wobei ferner vorgesehen sind

- eine Photozelle (43) in der Abgabezone (40) der mit dem Strumpfwendegerät gekoppelten Kettelmaschine (41), welche Photozelle (43) einen Impuls abgibt, wenn der vom Greifer (26) zu erfassende Strumpf eine zu den Backen (27, 28) zentrierte Stellung erreicht hat,

- ein erster und ein zweiter Magnetsensor (38, 39) zur Abgabe von Impulsen, wenn der Greifer (26) seine bezüglich der Wendeorgane (3, 7, 8) äußere bzw. innere Stellung erreicht hat, und

- eine programmierbare Steuereinheit (59) für die Betätigung der Antriebsmittel für die Übergabeeinrichtung mit dem zugehörigen Greifer (26), für die Antriebsrollen der beiden Bandpaare (7, 8), für die Tragstrukturen (11, 12; 11', 12') der Bandpaare sowie für die Stabilisierungseinrichtung für den zu wendenden Strumpf, wobei diese Betätigung erfolgt aufgrund der Steuerbefehle, die die Steuereinheit (59) von der Photozelle (43) und den Magnetsensoren (38, 39) erhält, so daß ein automatischer Zyklus für die Zufuhr und den Wendevorgang der Strümpfe abläuft, welche von der Kettelmaschine (41) in das Strumpfwendegerät gelangen."

VII. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, daß der Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ prima facie hochrelevant sei. Die in den erteilten Anspruch 17 überführten, im Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung enthaltenen Merkmale seien für die Lösung der angegebenen Aufgabe, insbesondere um die "richtige Stellung" des Strumpfes vor dem Wenden zu bestimmen, notwendig und könnten ohne Verletzung des Artikels 123 (2) EPÜ nicht weggelassen werden. Der gesamten Beschreibung des Patents sei nicht entnehmbar, daß es sich dabei um unwesentliche Merkmale handele. Daher sei mit dem erteilten Anspruch 1 gegenüber der ursprünglichen Offenbarung in unzulässiger Weise ein "aliud" patentiert worden.

Angesichts der Tatsache, daß die formulierte Aufgabe mehrere voneinander unabhängige Teilaufgaben umfasse, bestehe die Lösung aus einer Aggregation von Lösungsmerkmalen, die sich gegenseitig nicht beeinflußten und die dem Fachmann zur Lösung des jeweiligen Problems durch den Stand der Technik angeboten würden. Daher beruhe der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in allen Fassungen gemäß Haupt- und Hilfsanträgen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr sei dadurch gerechtfertigt, daß die Einspruchsabteilung ihr Ermessen bei der Bewertung, ob der spät vorgebrachte Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ prima facie relevant sei, fehlerhaft ausgeübt und keine Begründung dafür gegeben habe, sondern rein formalistisch vorgegangen sei. Hätte sie sich an den Grundsätzen der Entscheidung G 10/91 orientiert, dann hätte sie zu einer anderen Entscheidung gelangen müssen. Da die Gründe der fehlerhaften Ermessensentscheidung nicht nachvollziehbar seien, liege ein Begründungsmangel im Sinne von Regel 68 EPÜ und damit ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

VIII. Die Beschwerdegegnerin trug vor, in Anbetracht der Entscheidung G 10/91 sei eine prima-facie-Relevanz des Einspruchsgrundes des Artikels 100 c) EPÜ nicht gegeben, insbesondere, weil dieser Grund erst 2 1/2 Jahre nach dem Einspruch und wenige Wochen vor der Einspruchsverhandlung geltend gemacht worden sei.

Die Erfindung könne anhand der im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Merkmale durch einen Fachmann ohne weiteres ausgeführt werden, so daß Artikel 123 (2) EPÜ nicht verletzt werde. Die aus dem Anspruch 1 in den neuen Anspruch 17 übernommenen Merkmale seien für dessen Lehre nicht wesentlich, denn für den Fachmann sei es aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis klar, daß es beim störungsfreien Wendevorgang auf die richtige, nämlich zentrierte Stellung des Greifers durch einen Sensor ankomme. Deshalb brauche das betreffende Merkmal nicht im Anspruch enthalten sein. Zwar sei nur eine Photozelle explizit offenbart; diese könne jedoch im fachmännischen Verständnis auch als Sensor bezeichnet werden.

Zumindest der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 sei durch den Stand der Technik auch unter Berücksichtigung rein fachmännischer Fähigkeiten nicht nahegelegt, sondern nur durch rückschauende Betrachtung in Kenntnis der Erfindung zu erreichen, so daß das Patent aufrechterhalten werden müsse.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde erfüllt die Vorschriften der Artikel 106 bis 108 EPÜ und ist somit zulässig.

2. Hauptantrag

2.1. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ entspricht Artikel 123 (2) EPÜ, wonach ein europäisches Patent nicht in der Weise verändert werden darf, daß sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

Im vorliegenden Fall war der Inhalt des erteilten Anspruchs 17 mit drei Merkmalskomplexen ursprünglich im Hauptanspruch enthalten. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin handelt es sich dabei nicht um wesentliche Merkmale, die zur Lösung der Aufgabe erforderlich seien. Diese Meinung kann die Kammer jedoch nicht teilen.

2.2. Auf Seite 10, letztem Absatz der ursprünglich eingereichten Beschreibung ist die Bedingung zur Lösung der Aufgabe genannt, die erfüllt sein muß, um den Strumpf fehler- und störungsfrei wenden zu können. Es handelt sich um die Bestimmung der "richtigen Stellung". Diese "richtige Stellung" wird gemäß dem ersten Absatz auf Seite 11 mit Hilfe der Photozelle 43 bestimmt. Aufgrund der fest eingestellten Magnetsensoren 38, 39 fährt der Schlitten 33 mit dem Greifer 26 genau in die Position, in der der Wendestab 3 in den Sack S in der Spitze des Strumpfes trifft. Zwar bezieht sich dieser Beschreibungsteil vom Beginn der Seite 10 ab auf ein Ausführungsbeispiel, jedoch ist der gesamten Patentschrift keine allgemeine Anleitung entnehmbar, wie die beanspruchte Lehre auf andere als die konkret beschriebene Weise ausgeführt werden könnte. Somit beschreiben die aus dem Anspruch 1 herausgenommenen Merkmale die notwendigen Mittel, um die Erfindung ausführen zu können. Durch die Herausnahme dieser nun im Anspruch 17 enthaltenen Merkmale wurde der Gegenstand der Anmeldung verändert und betrifft nun ein "aliud", nämlich eine Wendevorrichtung ohne die zuvor als wesentlich dargestellten Merkmale. Daher liegt ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor, so daß der Einspruch nach Artikel 100 c) EPÜ begründet und folglich der Hauptantrag nicht gewährbar ist.

3. Hilfsantrag 1

3.1. Anspruch 1 dieses Antrags enthält im Abschnitt q) u. a. das Merkmal einer durch einen "Sensor (43)" zentrierten Stellung des Greifers zum oberen Ende des zu erfassenden Strumpfes (44). Als Erfassungsorgan ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen eine "Photozelle (43)" offenbart, ein "Sensor" ist nicht erwähnt. Zwar treffen die Ausführungen der Beschwerdegegnerin insoweit zu, als eine "Photozelle" einen "Sensor" in einer speziellen Art darstellt, jedoch ist der Umkehrschluß nicht zulässig, daß anstelle der "Photozelle" ein beliebiger "Sensor" verwendet werden kann, weil ein "Sensor" in dieser allgemeinen Form nicht offenbart ist.

3.2. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 ein "aliud", nämlich ein Strumpfwendegerät mit einem "Sensor". Der Inhalt dieses Anspruchs geht folglich über den der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen hinaus und ist daher wegen Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig.

4. Hilfsantrag 2

4.1. Änderungen

Anspruch 1 dieses Antrags umfaßt die Merkmale des erteilten Anspruchs 1 und die des erteilten Anspruchs 17, entspricht also dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1. Anspruch 17 des erteilten Patents ist auf "einen der vorhergehenden Ansprüche" rückbezogen, so daß die Einschränkung des erteilten Anspruchs 1 nach Artikel 123 (2) und 123 (3) EPÜ in zulässiger Weise erfolgt ist.

4.2. Neuheit

Die Neuheit des Gegenstandes dieses Anspruchs 1 wurde im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß keines der entgegengehaltenen Dokumente sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 aufweist, wie auch die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung zutreffend festgestellt hat, so daß das Erfordernis des Artikels 54 (1) EPÜ erfüllt ist.

4.3. Erfinderische Tätigkeit

4.3.1. Der nächstliegende Stand der Technik, von dem die Erfindung ausgeht, wird durch D2 repräsentiert. Diese Druckschrift offenbart ein automatisches Strumpfwendegerät mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1.

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Patent die Aufgabe zugrunde, ein Strumpfwendegerät zur Verfügung zu stellen, das im Verbund mit einer Kettelmaschine automatisch arbeitet und die Nachteile bekannter Systeme vermeidet, wobei wirksame Maßnahmen vorgesehen sein sollen, um die richtige Lage des Strumpfes während des Wendevorganges auf dem Stab zu kontrollieren (Patentschrift Spalte 2, Zeilen 21 bis 28). Als Nachteile sind angegeben, daß bei Verwendung eines Rollenpaares infolge Linienberührung ein hoher Druck auf den Strumpf wirkt, die Einführung des Wendestabes in den "Sack" Probleme bereitet, der Wendezyklus verhältnismäßig lang ist, kurze Strümpfe schwierig oder gar nicht gewendet werden können und die Zuführung der Strümpfe zu den Wendeorganen kompliziert ist.

Gelöst werden diese technischen Probleme durch ein automatisches Strumpfwendegerät mit den Merkmalen des Anspruchs 1.

4.3.2. Nach Meinung der Beschwerdeführerin besteht die Aufgabe aus voneinander unabhängigen Teilaufgaben, zu deren Lösung sich der Fachmann voneinander unabhängiger Maßnahmen bedienen würde, die ihm durch die bekannten Strumpfwendegeräte angeboten würden, ohne daß er dabei erfinderisch tätig werden müßte. Dieser Auffassung kann die Kammer nicht folgen.

Zwar erkennt der Fachmann beim Wendegerät nach D1, daß die Zuführung des Strumpfes oberhalb des geöffneten Walzenpaares 6 und 7 sicherer ist als bei der Wendevorrichtung nach D2, wo die Strumpfspitze von unten an das untere Bandpaar 9, 10 mit dem dazwischen angeordneten feststehenden Wendestab 6 herangeführt wird und das Ergreifen des Strumpfes daher weniger zuverlässig erfolgt. Aufgrund der unterschiedlichen Wendeorgane und der konzeptionell verschiedenen Abläufe der Wendevorgänge ist es jedoch nicht ohne weiteres möglich, einzelne Lösungsmerkmale der D1 auf die Vorrichtung nach D2 zu übertragen, denn dazu sind weitere Anpassungen erforderlich, die nicht allein mit fachlichen Überlegungen zu erhalten sind.

4.3.3. Wenn der Fachmann die Lehre der D1 mit dem oberen Rollenpaar 6, 7 und dem unteren Rollenpaar bei einer Anordnung nach D2 mit einem oberen Bandpaar 11, 12 und einem unteren Bandpaar 9, 10 anwenden will, stellt sich zusätzlich das Problem, den feststehenden Wendestab 6 der D1 durch den vertikal bewegbaren Wendestab 2 der D2 zu ersetzen. Da der Wendestab in D1 bei der Übergabe des Strumpfes bis oberhalb der Greifvorrichtung 5 zurückgezogen wird, spricht alles dafür, den Wendestab in D2 ebenfalls bis über beide Bandpaare zurückzuziehen. Folglich ist bereits das Merkmal des Anspruchs 1, daß das freie Ende des Wendestabes 3 in seiner oberen Endstellung zwischen den gegenüberliegenden Trumen des ersten (oberen) Bandpaares 7 aufgenommen ist, nicht naheliegend.

4.3.4. Die Transporteinrichtung für den Strumpf von der Kettelmaschine zur Wendevorrichtung gemäß D2 besteht aus einem Schlitten 59, der auf vertikal verschwenkbaren Führungsschienen 54, 55 bewegt wird und den Greifer 61, 62. trägt. Zur Übergabe wird die Führungseinrichtung in einer vertikalen Ebene nach oben verschwenkt. Gemäß D1 wird der Greifer 5 mit dem an der Kettelmaschine aufgenommenen Strumpf zunächst um 90 verschwenkt und dann entlang der Führung 41 zur Wendevorrichtung verschoben. Da beide Vorrichtungen mit einer Schwenkbewegung arbeiten, kann daher keines dieser Dokumente das weitere kennzeichnende Merkmal des Anspruch 1 nahelegen, wonach der Greifer 26 zwischen zwei Endstellungen ohne Verschwenken verschoben wird und die einander gegenüberliegenden Greifränder 27', 28' der Backen 27, 28 des Greifers 26 parallel zur vertikalen Verschiebeebene des Wendestabes 3 verlaufen.

4.3.5. Bei der Strumpfwendevorrichtung nach D2 ist eine Stabilisierungseinrichtung nicht vorgesehen. Würde der Fachmann versuchen, die Stabilisierungseinrichtung (Platten 8) der D1 auf die Konstruktion der D2 zu übertragen, so würde er sie aufgrund der Lage gemäß D1 zwischen dem oberen Rollenpaar 6, 7 und dem unteren Rollenpaar 12, 13 bei der D2 ebenfalls zwischen dem oberen 11, 12 und dem unteren 9, 10 Bandpaar anordnen. Um eine andere, nämlich die beanspruchte Position der Stabilisierungseinrichtung gemäß dem nächsten Merkmal des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 unterhalb des unteren Bandpaares aufzufinden, muß er zunächst die ganz unterschiedliche Kinematik der D1 und der D2 beim Wendevorgang analysieren und einzelne Merkmale variieren, um eine solche Merkmalsübertragung erst möglich zu machen. Diese mehrere Schritte erfordernde Entwicklungstätigkeit geht aber über das durchschnittliche fachliche Können hinaus, so daß auch dieses Merkmal der Erfindung nicht naheliegt.

4.3.6. Den restlichen drei Merkmalen des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 (Photozelle, Magnetsensoren, programmierbare Steuereinheit) entsprechende Vorrichtungen sind zwar sowohl in D1 als auch in D2 vorgesehen, jedoch stehen diese beanspruchten Maßnahmen im funktionalen Zusammenhang mit den vorhergehenden Merkmalen des Oberbegriffs und den nicht naheliegenden Merkmalen des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1, so daß sie in dieser Kombination nicht nahegelegt sind.

4.3.7. Da somit der Gegenstand des Anspruchs 1 weder durch eine einzelne Entgegenhaltung noch durch deren Kombination zu erreichen ist und auch nicht erkennbar ist, wie der Fachmann nur unter Einsatz seiner fachlichen Fähigkeit dahin gelangen könnte, beruht das automatische Strumpfwendegerät nach Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

4.4. Zusammenfassend ist die Kammer aus den dargelegten Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ erfüllt. Zusammen mit diesem Anspruch können die abhängigen Ansprüche 2 bis 22, die weitere Ausgestaltungen der Erfindung enthalten, ebenfalls aufrecht erhalten werden.

5. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Nach Regel 67 EPÜ wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr dann angeordnet, wenn ihr durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers der Billigkeit entspricht.

Die Nichtzulassung des Einspruchsgrundes nach Artikel 100 c) EPÜ durch die Einspruchsabteilung für sich ist kein Verfahrensfehler, denn sie beruht auf einer Ermessensentscheidung, die sich mit der materiellrechtlichen Frage auseinandergesetzt hat, ob die Zulassung des neuen Einspruchsgrundes eine andere als die getroffene Entscheidung nach sich ziehen würde. Die Einspruchsabteilung ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß dieser Einwand prima facie bereits im Prüfungsverfahren ausreichend berücksichtigt worden ist. Dabei hat sie sich auf den Akteninhalt gestützt, wobei sie die Argumente der Anmelderin vom 8. September 1995 gegen die Rüge der Prüfungsabteilung im Bescheid vom 21. August 1995 nach Artikel 123 (2) EPÜ offensichtlich als überzeugend angesehen hat. Da Entscheidungen der Prüfungsabteilung, mit denen einem Antrag in vollem Umfang entsprochen wird, nicht begründet werden müssen, ist auch das Prüfungsverfahren insoweit nicht zu beanstanden.

In Konsequenz dieser Folgerung hat die Einspruchsabteilung das Patent aufrechterhalten und den Einspruch zurückgewiesen. Zwar ist die Begründung dieser Entscheidung unter Nummer 2 der Entscheidungsgründe ziemlich kurz abgefaßt, es ist aber ohne weiteres erkennbar, daß eine Prüfung stattgefunden hat und von welchen Gedanken sich die Einspruchsabteilung dabei hat leiten lassen. Da somit eine Begründung gegeben wurde, liegt auch kein Begründungsmangel nach Regel 68 (2) EPÜ vor, der als Verfahrensfehler gewertet werden müßte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent aufrecht zu erhalten mit folgenden Unterlagen:

- Patentansprüche 1 bis 22 gemäß Hilfsantrag 2, überreicht in der mündlichen Verhandlung;

- Beschreibung Spalten 1 bis 12 und

- Zeichnungen, Figuren 1 bis 10, wie erteilt.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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