T 0872/98 () of 26.10.1999

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T087298.19991026
Datum der Entscheidung: 26 October 1999
Aktenzeichen: T 0872/98
Anmeldenummer: 94116696.9
IPC-Klasse: B21B 1/14
B21B 1/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Walzen von Fertigprofilen aus einem Vorprofil mittels einer im Reversierbetrieb arbeitenden Walzgerüst-Anordnung
Name des Anmelders: SMS Schloemann-Siemag Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Zum Stand der Technik entgegengesetzte Entwicklungsrichtung
Beweisanzeichen für erfinderische Tätigkeit
Inventive step - secondary indicia - development of the art in a different direction
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0053/00

Sachverhalt und Anträge

I. Mit am 27. April 1998 zur Post gegebener Entscheidung wies die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 94 116 696.9 (Veröffentlichungsnummer 0 653 253) zurück.

Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 insbesondere im Hinblick auf die Dokumente

D1: Stahl und Eisen, Band 113, Nr. 9, Seite 58

D3: Stahl und Eisen, Band 113, Nr. 5, Seiten 43, 44

und das Fachwissen auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe.

II. Gegen diese Entscheidung legte die beschwerdeführende Anmelderin frist- und formgerecht Beschwerde ein.

III. In der europäischen Patentanmeldung wurde noch das Dokument

D4: EP-A-265 757

berücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin verwies außerdem auf

D5: DE-A-4 415 762 (nach dem Anmeldetag veröffentlicht).

IV. Es wurde am 26. Oktober 1999 vor der Kammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent mit den folgenden Unterlagen zu erteilen:

- Patentansprüche 1 bis 5 und Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung,

- ursprünglich eingereichte Zeichnungen.

Sie vertrat die Auffassung, daß der Gegenstand des geänderten Patentanspruchs 1 sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

V. Der geltende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zum Walzen von Fertigprofilen aus einem Vorprofil mittels einer im Reversierbetrieb arbeitenden Walzgerüst-Anordnung, die eine Kompakt-Walzgruppe bildet, bestehend aus einem eingangsseitigen ersten Universalgerüst (U1), einem ausgangsseitigen zweiten Universalgerüst (U2) und einem, zwischen diesen Universalgerüsten angeordnetem Stauchgerüst (SG), wobei das Vorprofil ein aus einer Stranggußeinrichtung kommendes Profil ist, das beidendig eines Steges dem späteren Fertigprofil entsprechende Verstärkungen aufweist, und die Abmessungen des Vorprofils auf vorgegebene Abmaße wie Steghöhe, Stegdicke und/oder Flanschenbreite des zu walzenden Fertigprofils so abgestimmt sind, daß dieses Vorprofil entweder direkt in das erste Universalgerüst (U1) der Kompakt-Walzgruppe eingeführt und dann in dieser zu dem Fertigprofil mit den vorgegebenen Abmaßen fertig walzbar ist oder der stegartige Abschnitt und/oder die flanschartigen Verstärkungen des Vorprofils zur Erzielung von anderen, von der ursprünglichen Vorgabe der Steghöhe, Stegdicke und/oder Flanschenbreite abweichenden Abmaßen des in der Kompaktwalzgruppe fertig zu walzenden Fertigprofils vor Einführung des Vorprofils in das erste Universalgerüst (U1) der Kompaktwalzgruppe in einer dieser vorgeordneten, ein Stauchgerüst (VG) aufweisenden Walzeinrichtung reduzierend walzverformt werden,

dadurch gekennzeichnet,

daß die reduzierende Walzverformung in einer parallel zur Walzlinie (W2) der Kompakt-Walzgruppe (U1, SG, U2) verlaufenden Walzlinie (W1) mit freiem Auslauf erfolgt und das Vorprofil in eine Position unmittelbar vor der Kompakt-Walzgruppe (U1, SG, U2) quer verschoben in diese eingebracht wird."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

Der geltende Patentanspruch 1 entspricht mit Ausnahme von einigen redaktionellen Berichtigungen dem ursprünglich eingereichten Patentspruch 1. Die geänderten Verfahrensansprüche 2 bis 5 sind auf Patentanspruch 1 rückbezogen. Sie stützen sich auf die ursprünglichen Patentansprüche 2 bis 5.

Die Änderungen der Beschreibung betreffen Anpassungen im Rahmen der Regel 27 (1) b) und c) EPÜ.

3. Aufgabe und Lösung

Die Anmeldung betrifft ein Verfahren zum Walzen sogenannter endabmessungsnaher Vorprofile mittels einer Kompakt-Walzgruppe und eines der Kompakt-Walzgruppe vorgeordneten Stauchgerüsts gemäß Oberbegriff des Patentanspruchs 1.

In den Dokumenten D4, D3 (Bild 1a)) oder D1 (Bild 11, mittlere Darstellung, im folgenden Bild 11B genannt) ist ein gattungsgemäßes Verfahren beschrieben. Dort wird vorgeschlagen, Fertigprofile mit bedeutenden Endabmessungsunterschieden aus einem einzigen endabmessungsnahen Vorprofil in ein und derselben Kompakt-Walzgruppe dadurch zu walzen, daß dieses Vorprofil in einem der Kompakt-Walzgruppe unmittelbar vorgeordneten Stauchgerüst z. B. durch Beaufschlagung des stegartigen Abschnitts bzw. der flanschartigen Verstärkungen des Vorprofils reduzierend walzverformt und dann in die Kompakt-Walzgruppe eingebracht wird.

Gemäß der angepaßten Beschreibung der europäischen Patentanmeldung läßt sich hierdurch der stegartige Abschnitt des Vorprofils entweder durch Stauchen verkürzen oder auch, gegebenenfalls unter Einbeziehung von fließbaren Verstärkungen, verlängern und auch gegebenenfalls die Breite der flanschartigen Verstärkungen reduzieren. Die dem Stauchgerüst unmittelbar nachgeordnete Kompakt-Walzgruppe könne bei diesem bekannten Verfahren teilweise zu der reduzierenden Verformung des Vorprofils herangezogen werden z. B. zur anpassenden Beaufschlagung der Flansche dieses Vorprofils. Die Palette der aus einem einzigen Vorprofil in einer wegen der verwendeten Universalgerüste an sich unflexiblen Kompakt-Walzgruppe walzbaren Fertigprofile werde damit erheblich vergrößert.

Als Nachteil dieses bekannten Verfahrens ist in der europäischen Patentanmeldung herausgestellt, daß die Kompakt-Walzgruppe während der reduzierenden Walzverformung des Vorprofils nicht für einen Fertigwalzvorgang zur Verfügung stehe und dadurch die mit dem Verfahren erreichbare Gesamtleistung der Anlage begrenzt werde und daß weitere Leistungserhöhungen in erster Linie von einer optimalen Anpassung der am Verbundbetrieb zwischen Stranggußeinrichtung und der dieser nachgeordneten Profilwalzstraße beteiligten Einrichtungen abhingen. Dabei bestehe eine wesentliche Schwierigkeit darin, daß die Profilwalzstraße immer schneller sein müsse als die Stranggußeinrichtung. Diese Schwierigkeit erhöhe sich bei der Herstellung von kleineren und leichteren Fertigprofilen, weil mit abnehmenden Gewichten pro Meter Profillänge auch die Gewichte der Stahlmengen sinken, die die Profilwalzstraße der Stranggußeinrichtung in einer Zeiteinheit abzunehmen vermöge.

Hiervon ausgehend kann die der europäischen Patentanmeldung zugrundeliegende Aufgabe, wie in der angepaßten Beschreibung angegeben, darin gesehen werden, das bekannte Verfahren so zu verbessern, daß sich höhere Leistungen und bessere Ausnutzungsgrade der Walzgerüstanordnung bei unterschiedlichen Profilanforderungen erzielen lassen.

Diese Aufgabe wird nach Auffassung der Kammer ausgehend von einem Walzverfahren gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 dadurch gelöst, daß die reduzierende Walzverformung des Vorprofils in einer parallel zur Walzlinie der Kompakt-Walzgruppe verlaufenden Walzlinie mit freiem Auslauf erfolgt und das reduziert verformte Vorprofil in eine Position unmittelbar vor der Kompakt-Walzgruppe quer verschoben in diese eingebracht wird.

4. Neuheit

Die Neuheit des Walzverfahrens gemäß Patentanspruch 1 ist offensichtlich.

Sie wurde weder im Prüfungs- noch im Beschwerdeverfahren bestritten, so daß sich ein näheres Eingehen hierauf erübrigt.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung ergibt sich die Lehre des Kennzeichens des Patentanspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Fachwissen, wie es u. a. durch die Druckschrift D1 (Bild 11B) dokumentiert ist:

Dieses Bild illustriert ein früheres Verfahren zum Walzen konventioneller Vorprofile, auch "Dog-bones" genannt, die in Fig. 12, Mitte von Dokument 1 dargestellt sind. Wie aus diesem Bild zu ersehen ist, benötigt man zum Walzen dieser konventionellen Vorprofile zwei parallel verlaufende Walzlinien, d. h. eine erste Walzlinie und eine dahinter angeordnete Walzlinie. In der ersten Walzlinie ist ein herkömmliches schweres Vorgerüst und in der zweiten Walzlinie eine Kompakt-Walzgruppe angeordnet, die aus einem Universalvorgerüst (U), einem Universalfertiggerüst (U') und einem dazwischen angeordneten Stauchgerüst (H) besteht. Zwischen diesen beiden Walzlinien ist ist in Bild 11B von Dokument D1 eine Querförderanlage skizzenhaft dargestellt. Dort wird somit das in dem Vorgerüst reduziert verformte konventionelle Vorprofil querverschoben, bevor es in die Kompakt-Walzgruppe eingebracht wird. Die Funktion dieser angedeuteten Querverschiebung ist in diesem Dokument nicht näher beschrieben.

5.2. Der zuständige Fachmann wird jedoch im Zuge einer Verbesserung des späteren Walzverfahrens, von dem die Erfindung ausgeht, nicht dazu angeregt, diesen früheren Stand der Technik gemäß Bild 11B von Dokument D1 zu berücksichtigen: Wie vorstehend angedeutet, besteht die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe im wesentlichen darin, dieses spätere Verfahren, wo ein Stauchgerüst, das wesentlich kleiner als das herkömmliche Vorgerüst ist, unmittelbar vor der Kompakt-Walzgruppe herangezogen wird, derart zu entwickeln, daß sich größere Leistungen bei unterschiedlichen Profilanforderungen erzielen lassen. Das Dokument D1 liefert keine Anregung dazu, daß durch die in dem früheren Walzverfahren eingesetzte Querverschiebung, die hinter dem schweren und aufwendigen Vorgerüst vorgesehen ist, das vorerwähnte technische Problem gelöst werden könnte.

5.3. Das Prinzip des späteren Walzverfahrens, von dem die Erfindung ausgeht, besteht darin, endabmessungsnahe Vorprofile, d. h. Vorprofile, deren Querschnitt im Vergleich zum früheren Walzverfahren noch stärker auf die Fertigprofile zugeschnitten sind, einzusetzen und lediglich bei Bedarf die Steghöhe dieser Vorprofile in einem im Vergleich zum herkömmlichen Vorgerüst wesentlich kleineren und kostensparenden Stauchgerüst zu stauchen und diese reduziert verformten Vorprofile anschließend direkt der Kompakt-Walzgruppe zuzuführen. Dadurch werden der Umformprozeß und der Aufwand deutlich verringert. Das frühere und spätere Walzverfahren beruhen somit auf verschiedenen Prinzipien. Dabei stellt das spätere Walzverfahren, von dem die Erfindung ausgeht, eine wichtige Weiterentwicklung des vorerwähnten früheren Walzverfahrens dar. Es ist für den zuständigen Fachmann nicht selbstverständlich, gegen den Trend zum kürzeren, kostensparenden Umformprozeß auf das frühere traditionelle Walzverfahren zurückzugreifen und die hieraus an sich bekannte Querverschiebung nach dem im schweren Vorgerüst durchgeführten Stich bei dem späteren Walzverfahren ohne ein solches Vorgerüst zu einem anderen Zweck anzuwenden.

5.4. Für die erfinderische Tätigkeit der aufgefundenen Lösung spricht auch die Tatsache, daß ein Wettbewerber kurz nach dem Prioritätstag (04.11.1993) eine Patentanmeldung (D5) beim Deutschen Patentamt (am 29.04.1994) eingereicht hat. Ausgangspunkt für die dort beschriebene Erfindung ist ebenfalls das vorerwähnte spätere Walzverfahren, das u. a. aus dem Dokument D4 bekannt ist. Sie zielt aber in eine andere Richtung, um ebenfalls eine deutliche Verbesserung der Gesamtleistung des Umformprozesses zu erreichen, ohne die Flexibilität und Abmessungsvielfalt der Vorprofile einzuschränken, indem sie vorschlägt, daß eine gewisse Stichfolge auf dem Stauchgerüst und der unmittelbar dahinter angeordneten Kompakt-Walzgruppe durchgeführt wird. Das der europäischen Patentanmeldung zugrundeliegende technische Problem ist somit unter Heranziehung des an sich nicht modifizierten späteren Walzverfahrens, d. h. ohne eine Querverschiebung zwischen Stauchgerüst und Kompakt-Walzgruppe vorzusehen, dort durch eine gewisse Stichfolge, gelöst.

In einer solchen in unmittelbarer Prioritätsnähe von einem Wettbewerber eingereichten Patentanmeldung, deren Erfindung in eine völlig andere Richtung geht als die europäische Patentanmeldung, ist ein Beweisanzeichen für erfinderische Tätigkeit zu sehen (vgl. Pagenberg, Art. 56, Rdn. 100 EPÜ, Münchner Gemeinschaftskommentar).

5.5. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch auf erfinderischer Tätigkeit beruht und somit patentfähig ist.

6. Die Patentansprüche 2 bis 5 betreffen weitere Ausgestaltungen des Walzverfahrens gemäß Patentanspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, ein Patent mit den in der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 1999 überreichten Unterlagen (Patentansprüche 1 bis 5 und Beschreibung) und den ursprünglich eingereichten Zeichnungen zu erteilen.

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