T 0616/98 () of 1.2.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T061698.20010201
Datum der Entscheidung: 01 Februar 2001
Aktenzeichen: T 0616/98
Anmeldenummer: 90113834.7
IPC-Klasse: C08L 77/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Flammgeschützte thermoplastische Formmassen
Name des Anmelders: BASF Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: (01) Toray Industries, Inc.
(02) Mitsui Chemicals, Inc.
(03) EMS-INVENTA AG
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit - Zusammensetzung des Erzeugnisses
Erfinderische Tätigkeit - Aufgabe und Lösung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0279/89
T 0789/89
T 0378/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0051/00
T 0876/00

Sachverhalt und Anträge

I. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 410 301 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 90 113 834.7, die am 19. Juli 1990 eingereicht worden war und die Priorität einer früheren Patentanmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. Juli 1989 (3924869) beanspruchte, erfolgte am 5. Oktober 1994 (Patentblatt 94/40). Das Patent enthielt zwei Anspruchssätze für die benannten Vertragsstaaten BE, CH, ES, FR, IT, LI und NL ("Anspruchssatz 1") bzw. DE und GB ("Anspruchsatz 2") mit jeweils 10 Ansprüchen.

Die unabhängigen Ansprüche von Anspruchssatz 1 lauteten:

"1. Flammgeschützte, thermoplastische Formmassen, bestehend aus

A) 10 - 98 Gew.-% eines teilaromatischen Copolyamids, aufgebaut im wesentlichen aus

a1) 40 bis 90 Gew.-% Einheiten, die sich von Terephthalsäure und Hexamethylendiamin ableiten,

a2) 0 bis 50 Gew.-% Einheiten, die sich von -Caprolactam ableiten und

a3) 0 bis 60 Gew.-% Einheiten, die sich von Adipinsäure und Hexamethylendiamin ableiten,

wobei die Komponente a2) und/oder a3) insgesamt mindestens 10 Gew.-% der Gesamteinheiten ausmachen,

B) 1 - 30 Gew.-% eines bromierten Polystyrols oder eines bromierten Styrol-Oligomeren oder deren Mischungen,

C) 1 - 15 Gew.-% eines synergistischen Metalloxides oder Metallborates oder deren Mischungen

sowie darüber hinaus

D) 0 - 60 Gew.-% eines faser- oder teilchenförmigen Füllstoffes oder deren Mischungen

und

E) 0 - 20 Gew.-% eines kautschukelastischen Polymerisates und gegebenenfalls bis zu 20. Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Komponenten A) bis E), üblicher Zusatzstoffe und Verarbeitungshilfsmittel."

"9. Verwendung der thermoplastischen Formmassen gemäß den Ansprüchen 1 bis 5 zur Herstellung von Folien, Fasern und Formkörpern."

"10. Formkörper, erhältlich aus den thermoplastischen Formmassen gemäß den Ansprüchen 1 bis 8."

Die Ansprüche 2 bis 8 betrafen bevorzugte Ausführungsformen der Formmassen gemäß Anspruch 1.

An das Ende von Anspruch 1 von Anspruchssatz 2 schloß sich ein Disclaimer folgenden Wortlauts an:

", mit der Maßgabe, daß die Formmassen kein Anhydridgruppen aufweisendes bromiertes Polystyrol enthalten."

II. Gegen die Erteilung wurden am 3. Juli 1995 (Einsprechende 1) und am 5. Juli 1995 (Einsprechende 2 und 3) drei Einsprüche eingelegt, die sich auf Artikel 100 a) EPÜ stützten, insbesondere wurde von allen Einsprechenden mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend gemacht. Die Einsprechenden 2 und 3 erhoben zusätzlich Einwände wegen fehlender Neuheit.

Im Einspruchsverfahren sind von den Einsprechenden insgesamt 16 verschiedene Druckschriften zitiert worden, von denen nur

D1: EP-A-0 288 269,

D2: DE-B-2 703 419 und

D3: EP-A-0 299 444

von der Einspruchsabteilung als entscheidungserheblich angesehen worden sind.

III. Die im Anschluß an eine mündliche Verhandlung vom 20. Januar 1998 am 28. April 1998 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung gründete sich auf zwei neue Anspruchssätze 1 und 2 mit jeweils 8. Patentansprüchen, die am 3. November 1997 eingereicht wurden und als Reinschrift zusammen mit einer Neufassung der Beschreibung am 4. Februar 1998 erneut eingegangen sind. Anspruch 1 von Anspruchssatz 1 lautete:

"1. Flammgeschützte, thermoplastische Formmassen, bestehend aus

A) 35 - 97 Gew.-% eines teilaromatischen Copolyamids mit einem Triamingehalt von weniger als 0,5 Gew.-% aufgebaut im wesentlichen aus

a1) 40 bis 90 Gew.-% Einheiten, die sich von Terephthalsäure und Hexamethylendiamin ableiten,

a2) 0 bis 50 Gew.-% Einheiten, die sich von -Caprolactam ableiten und

a3) 0 bis 60 Gew.-% Einheiten, die sich von Adipinsäure und Hexamethylendiamin ableiten,

wobei die Komponente a2) und/oder a3) insgesamt mindestens 10 Gew.-% der Gesamteinheiten ausmachen,

B) 1 - 20 Gew.-% eines bromierten Polystyrols oder eines bromierten Styrol-Oligomeren oder deren Mischungen,

C) 1 - 10 Gew.-% eines synergistischen Metalloxides oder Metallborates oder deren Mischungen

sowie darüber hinaus

D) 1 - 35 Gew.-% eines faser- oder teilchenförmigen Füllstoffes oder deren Mischungen

und

E) 0 - 20 Gew.-% eines kautschukelastischen Polymerisates und gegebenenfalls bis zu 20. Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Komponenten A) bis E), üblicher Zusatzstoffe und Verarbeitungshilfsmittel."

An das Ende von Anspruch 1 des Anspruchssatzes 2 schloß sich wiederum der Disclaimer folgenden Wortlauts an:

", mit der Maßgabe, daß die Formmassen kein Anhydridgruppen aufweisendes bromiertes Polystyrol enthalten."

Die Ansprüche 2 und 4 wurden aus beiden Anspruchssätzen gestrichen, woraus sich eine Umnumerierung der verbleibenden inhaltlich unveränderten Ansprüche mit entsprechender Anpassung der Rückbezüge auf vorangehende Ansprüche ergab.

Die Einspruchsabteilung erkannte die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit des Patentgegenstandes an.

i) Keines der Dokumente beschreibe alle Merkmale des beanspruchten Gegenstandes. Insbesondere sei weder in D1 noch in D2 das Merkmal eines niedrigen Triamin-Gehaltes des Copolyamids von weniger als 0,5 Gew.-% offenbart. Auch sei nicht belegt worden, daß dieses Merkmal den Polyamiden von D1 oder D2 generell inhärent sei. Zudem wiesen Copolyamide mit niedrigem Triamin-Gehalt nicht die gleichen Eigenschaften auf wie solche mit hohem Gehalt, z. B. die damit beobachteten Vernetzungsgrade, und außerdem seien mehrere Auswahlen hinsichtlich der Monomeren des Polyamids und ihrer Mengenverhältnisse zueinander zu treffen gewesen.

ii) Der Beschreibungseinleitung zufolge ziele der Patentgegenstand darauf, flammfeste thermoplastische Formmassen zur Verfügung zu stellen, deren Formkörper gute elektrische Eigenschaften sowie ein gutes Gesamtspektrum mechanischer Eigenschaften aufwiesen. Die Formkörper sollten zudem eine helle Eigenfarbe besitzen, und ihre Flammschutz- sowie elektrischen Eigenschaften sollten weitestgehend unabhängig von der Art und Menge der Füllstoffe sein.

Wegen der Zahl der übereinstimmenden Merkmale für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wurde D1 als nächstliegender Stand der Technik angesehen, der die anspruchsgemäß definierten teilaromatischen Polyamide generisch umfasse und auch die Anwendung der Flammschutzkombination B) + C) sowie Füllstoffe betreffe.

Der Gegenstand des Streitpatents unterscheide sich davon durch die Auswahl des speziellen Polyamids, das aber als solches aus D3 im Zusammenhang mit einem anderen Flammschutzmittel, nämlich Phosphor bekannt gewesen sei.

Die Patentinhaberin habe im Prüfungs- und im Einspruchsverfahren durch Versuchsberichte gezeigt, daß mit der Wahl des speziellen Polyamids ein die erfinderische Tätigkeit stützender überraschender Effekt verbunden sei, nämlich ein überraschend verbesserter Flammschutz (nach UL-94) und verbesserte mechanische Eigenschaften (E-Modul und Schlagzähigkeit). Die Testergebnisse der Patentinhaberin wurden als aussagekräftig angesehen.

iii) Zur gleichen positiven Einschätzung hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit komme man auf der Basis von D3 als nächstliegendem Stand der Technik, da die Verbesserung des Flammschutzes durch den Ersatz des dortigen Phosphors durch das Flammschutzsystem gemäß Streitpatent nicht zu erwarten gewesen sei.

IV. Die Einsprechende 03 erhob am 17. Juni 1998 zunächst Beschwerde gegen diese Zwischenentscheidung, die sie am 3. September 1998 begründete, nahm dann aber ihren Einspruch am 10. April 2000 schriftlich zurück. In ihrer Begründung hatte sie ausgeführt, der Triamingehalt stelle eine inhärente Eigenschaft der Polyamide dar, ihm komme daher keine Bedeutung zu. Außerdem könne im Lichte der Versuche der Einsprechenden hinsichtlich der Flammwidrigkeit gegenüber der Kombination von D1 mit D3 nicht von einem überraschenden Effekt gesprochen werden. Die Versuche der Patentinhaberin seien hingegen im Hinblick auf die Breite der Ansprüche und wegen der miteinander verglichenen unterschiedlichen Massen nicht aussagekräftig.

Die Einsprechende 2 und nunmehr einzige Beschwerdeführerin erhob am 24. Juni 1998 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde, deren Begründung am 20. August 1998 eingereicht und mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 weiter ausgeführt wurde. In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin zusätzlich zu den im Einspruch genannten Druckschriften noch auf zwei weitere Publikationen hingewiesen und außerdem weitere Versuchsberichte zur Flammwidrigkeit bzw. Triaminfreiheit von Polyamid-Massen vorgelegt.

Im schriftlichen Verfahren und während der mündlichen Verhandlung am 1. Februar 2001, an der die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 1), wie am 14. September 2000 schriftlich angekündigt, nicht teilnahm, trug die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:

i) In der Beschreibung von D1 seien Ausführungsformen beschrieben, die unter Berücksichtigung allgemeinen Fachwissens geradewegs zu einem Polyamid gemäß Komponente A) führten. Bei dem beanspruchten Gegenstand handle es sich um eine Auswahl aus den von D1 umfaßten Zusammensetzungen, die aber die in Entscheidungen der Beschwerdekammern festgelegten Kriterien für die Neuheit einer Auswahlerfindung nicht erfülle und auf die durch Vorzugsbereiche bereits hingewiesen werde. Obwohl D1 den geforderten niedrigen Triamingehalt nicht explizit erwähne, führten die in D1 offenbarten Herstellungsverfahren unausweichlich zu einem Produkt mit einem solchen Triamingehalt.

ii) Für die Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit ging die Beschwerdeführerin von D3 als nächstliegendem Stand der Technik aus. Dessen Formmasse basiere auf einem Polyamid, das mit Komponente A) des Streitpatents identisch sei. Im Vergleich zu D3 seien nicht nur, wie durch die vorgelegten Versuchsberichte belegt, die mechanischen, sondern auch die elektrischen Eigenschaften der bekannten und der beanspruchten Formmassen gleichwertig, denn der beschriebene Einsatz der Formmassen von D3 in elektrischen Leiterplatten lasse den Schluß auf hohe Werte der Kriechstromfestigkeit zu. Deren einfache Messung sei ohnehin für die Beurteilung der elektrischen Eigenschaften üblich. Da jedoch die LOI-Werte etwas verbessert seien, könne die gegenüber D3 zu lösende technische Aufgabe ausschließlich in einer Erhöhung der Flammwidrigkeit gesehen werden. Diese leichte Verbesserung sei aber nur als Bonus-Effekt zu werten, da der Fachmann ohnehin die Lehre von D2, bromierte oligomere Styrole als Flammschutzmittel einzusetzen, in Massen gemäß D3 anwenden würde.

Diese Argumentation werde auch durch die Hinweise in D1 auf die Verwendung der dortigen Formmassen für "electrical appliance parts" und "electric and electronic component parts" und ihre "soldering resistance" sowie durch den Hinweis in D2 auf die Eignung der Formmassen zur Herstellung von Spritzgußteilen z. B. für die Elektroindustrie gestützt.

Der beanspruchte Gegenstand sei daher nicht erfinderisch.

V. Die Beschwerdegegnerin hat dem Vorbringen in den Schriftsätzen der Beschwerdeführerin und der Einsprechenden 3 in einer am 11. März 1999 eingegangenen Stellungnahme unter Beibehaltung des Wortlauts der Anspruchssätze widersprochen und drei Versuchsberichte zum Triamingehalt, zur Flammwidrigkeit und zu den mechanischen Eigenschaften vorgelegt. Während der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdegegnerin dann einen neuen einzigen Antrag vor, in dessen jeweiligem Anspruch 2 der beiden Anspruchssätze die Untergrenze des Mengenbereichs der Komponente A) von "25" in "35" geändert worden ist.

Die von der Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren sowie während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente können wie folgt zusammengefaßt werden:

i) D1 beschreibe nur allgemein die zu verwendenden Polyamide. Die jetzt beanspruchten genauen Angaben der Monomerenzusammensetzung und ihrer Mengen würden jedoch nicht offenbart. Insbesondere sei die Kombination von Merkmalen, wie sie jetzt beansprucht werde, nicht erwähnt, und es würden auch keine Angaben zum Triamingehalt gemacht. D1 sei daher nicht neuheitsschädlich.

ii) D1 sei die nächstliegende Druckschrift, da es sich dort wie im Streitpatent um flammwidriges und hitzefestes Polyamid handele. Von elektrischen Eigenschaften, insbesondere Kriechstromfestigkeit, sei jedoch nicht die Rede und auch die Unabhängigkeit dieser Eigenschaft von der Art und Menge der Füllstoffe sei nicht erwähnt worden. Da weder D2, das die Kombination von Metalloxid und bromierten oligomeren Styrolen als Flammschutzmittel erwähne, noch D3, das nur allgemein die Verwendung in Leiterplatten und die Lötstabilität nenne, eine Aussage zu elektrischen Eigenschaften wie die Kriechstromfestigkeit machten, könne deren Lehre den beanspruchten Gegenstand nicht nahelegen.

VI. Am 31. Januar 2001 gelangte eine Eingabe Dritter gemäß Artikel 115 (1) EPÜ zur Akte, dessen Berücksichtigung von der Beschwerdegegnerin widersprochen wurde.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Zwischenentscheidung und den Widerruf des Streitpatents, die Beschwerdegegnerin hingegen die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents mit den zwei in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssätzen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verfahrensrechtliche Fragen

2.1. Die Einsprechende 3 hat nach Beschwerdeerhebung und -begründung mit Schreiben vom 10. April 2000, das am selben Tag einging, ihren Einspruch zurückgenommen. Sie ist daher am Verfahren bezüglich der materiell-rechtlichen Fragen nicht mehr beteiligt (siehe T 789/89, ABl. EPA 1994, 482, insbesondere Punkt 2.6).

2.2. Die am 31. Januar 2001 zur Akte gelangte Eingabe Dritter verweist nur auf die Entscheidung einer Einspruchsabteilung des EPA über das D3 entsprechende europäische Patent, das keine Zusammensetzung aus den zwingenden in Anspruch 1 definierten Komponenten A) bis D) und ihre Verwendung betrifft. Den Vertretern der Beschwerdegegnerin ist die Eingabe nach eigener Aussage nicht zugegangen, so daß sie keine Gelegenheit hatten, sich dazu zu äußern. Die Kammer sieht daher keinen Grund, die Eingabe zu berücksichtigen (Artikel 114 (1) und (2) EPÜ).

2.3. Die erstmals in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin benannten Druckschriften werden zwar in D1 zitiert, sind jedoch nicht relevanter als die sich bereits im Verfahren befindlichen Dokumente und somit nicht entscheidungserheblich. Sie werden daher nicht berücksichtigt (Artikel 114 (1) und (2) EPÜ).

3. Wortlaut der Ansprüche

Da der Disclaimer in Anspruchssatz 2 im Beschwerdeverfahren keinerlei Rolle gespielt und keine Bedeutung für diese Entscheidung hat, werden die beiden Anspruchssätze in dieser Entscheidung nicht getrennt voneinander behandelt. Im folgenden sind daher stets die jeweiligen Ansprüche mit derselben Bezeichnung in beiden Anspruchssätzen gleichermaßen gemeint.

3.1. Artikel 123 (2) EPÜ

3.1.1. Die Mengenangaben der Komponenten A) bis D) in Anspruch 1 wurden durch die engeren Bereiche der Prozentzahlen aus Anspruch 2 der ursprünglichen wie auch der erteilten Fassung ersetzt.

3.1.2. In der Definition von Komponente A) in Anspruch 1 wurde nach "Copolyamids" unter Weglassen des Kommas das Merkmal "mit einem Triamingehalt von weniger als 0,5 Gew.-%" eingefügt. Die Basis für diese Einschränkung findet sich auf Seite 4, Zeilen 19/20 der Patentschrift bzw. Seite 6, Zeilen 9 bis 11 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen.

3.1.3. Die Einschränkung auf "A) 35 - 87 Gew.-%" in Anspruch 2 basiert auf Anspruch 2 der ursprünglichen Fassung.

3.2. Artikel 123 (3) EPÜ

Da diese Anspruchsänderungen Einschränkungen bedeuten (siehe die Punkte 3.1 bis 3.1.3), geht der geänderte Anspruchsgegenstand nicht über den Schutzbereich der erteilten Fassung hinaus.

3.3. Artikel 84 EPÜ

Die Einschränkung auf "A) 35 - 87 Gew.-%" in Anspruch 2 stellt zwar eine Klarstellung dar, sie beruht aber auf der Änderung von Anspruch 1 im Einspruchsverfahren. Die Beschwerdeführerin erhob keine Einwände gegen diese Änderung. Da durch sie keine Unklarheit eingeführt, sondern eine bestehende Unklarheit beseitigt wird, sieht die Kammer keinen Grund, sie zu beanstanden. Auch die übrigen Änderungen führen nicht zu Unklarheiten.

3.4. Die Änderungen der Unterlagen erfüllen somit alle Erfordernisse der Artikel 123 (2) und (3) sowie 84 EPÜ.

4. Dokumente

In diesem Beschwerdeverfahren spielten nur D1, D2 und D3 eine Rolle.

4.1. D1 beschreibt flammgeschützte Polyamid-Massen mit verbesserter thermischer Stabilität während der Formgebung. Sie enthalten neben einem hitzebeständigen Polyamid (I) als zwingende Komponenten ein halogeniertes Polystyrol oder halogeniertes Polyphenylenoxid (II) und Natriumantimonat (III) (Anspruch 1).

Die dortigen Polyamide können aus Einheiten rein aromatischer bis rein aliphatischer Dicarbonsäuren, Diamine oder Aminocarbonsäuren oder deren Mischungen aufgebaut sein (Seite 3, Zeile 35 bis Seite 5, Zeile 45; Beispiele 14 bis 17; Ansprüche 3 und 5). In Anspruch 4 wird eine Ausführungsform weiter spezifiziert: Polyamid aus einer dibasigen Säurekomponente (a) und einem C4- bis C25-Alkylendiamin-Monomer (b), wobei (a) aus 100 bis 60. Mol-% Terephthalsäure und 0 bis 40 Mol-% einer anderen aromatischen Dicarbonsäure zusammengesetzt ist. Komponente (a) kann in dieser Ausführungsform zusätzlich ungefähr 10 Mol-% weitere Carbonsäuren wie Adipin-, Sebacin-, Trimellit- oder Pyromellitsäure, d. h. aliphatische oder aromatische di- bzw. polybasige Säuren enthalten (Seite 3, Zeilen 59 bis 62). Das Diamin (b) kann vorzugsweise 6 bis 18 C-Atome aufweisen (Seite 3, Zeilen 63 bis 65; Seite 4, Zeilen 39/40).

Als Komponente (II) kommen chloriertes oder bromiertes Polystyrol und chloriertes oder bromiertes Polyphenylenoxid in Frage. Vom ersten Typ wird Polytribromstyrol bevorzugt (Ansprüche 6 und 7; Seite 5, Zeile 46 bis Seite 6, Zeile 25).

Neben dem als Komponente (III) zwingend enthaltenen Antimonat können zusätzlich ein hydrotalcitartiges komplexes Hydroxid oder dessen Calcinierungsprodukt, Magnesium- und/oder Zinkoxid zugesetzt werden, ebenso ein faseriger Verstärkungsfüllstoff. Dadurch wird die thermische Zersetzung des Flammverzögerers, Verfärbung und Schäumen des Formkörpers verhindert (Ansprüche 10 und 11; Seite 3, Zeilen 7 bis 11). In Tabelle 1 wird die nachteilige Folge des Ersatzes des Antimonats (Beispiel 6) durch Antimontrioxid (Vergleichsbeispiel 5) gezeigt: Verfärbung von gelb nach schwarzbraun, dazu eine Verlängerung der mittleren Brenndauer und die Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften.

Außerdem werden verschiedene fakultativ einsetzbare Additive und Polymere ohne Hinweis auf deren spezielle Eigenschaften aufgezählt (Seite 7, Zeilen 7 bis 12).

Spezielle Formmassen, bei denen die Zusammensetzung der rein aromatischen Säurekomponente (a) entsprechend der Zahl der Kohlenstoffatome im Diamin (b) ausgewählt wird, sollen ausgezeichnete Formbarkeit besitzen und Formkörper ergeben, die sich durch hohe Thermostabilität, z. B. Hitzealterungs- und Wärmeformbeständigkeit, und gute mechanische Eigenschaften, wie Biege- und Abriebfestigkeit, auszeichnen (Seite 5, Zeilen 3 bis 16).

Als weitere Vorteile der Massen gemäß D1 werden neben erhöhter thermischer Stabilität sowie Feuer- und Hitzebeständigkeit (insbesondere beim Löten) des weiteren Steifigkeit, Schlagzähigkeit, hohe Wärmeformbeständigkeit sowie die gute Formbarkeit z. B. in Maschinenteile oder Teile elektrischer und elektronischer Komponenten aufgezählt. Aufgrund ihrer erhöhten thermischen Stabilität selbst bei hohen Verarbeitungstemperaturen können Schäumen und Verfärbung sowie Maschinenkorrosion vermieden werden (Seite 7, Zeilen 19 bis 30).

4.2. D2 betrifft thermoplastisch verarbeitbare Polyamid-Formmassen mit 5 bis 30 Gew.-% bromierten oligomeren Styrolen und synergistisch wirkendem Metalloxid, sowie gegebenenfalls anorganischem Füllstoff, wie z. B. Kaolin, Talkum, Kreide, Quarz, Glimmer und Bentonit, oder in dessen Abwesenheit anderen Füllstoffen, wie z. B. PTFE, Pfropfpolymeren oder kautschukelastischen Polymeren (Ansprüche 1, 5 und 6; Spalte 4, Zeile 48 bis Spalte 5, Zeile 9).

Aus den verschiedenen Polyamid-Typen werden gesättigte lineare Homopolyamide bevorzugt. Abgesehen davon werden auch Copolyamide genannt, die auf einer Vielzahl denkbarer Kombinationen von Carbonsäuren und Diaminen basieren können. Als eine der Säuren ist Terephthalsäure, als eines der Amine ist Hexamethylendiamin genannt. Spezielle Zusammensetzungen von Copolyamiden und deren Eigenschaften werden nicht offenbart (Spalte 3, Zeile 15 bis Spalte 4, Zeile 7).

In den Beispielen wird ausschließlich Polyamid-6,6 eingesetzt. Als Eigenschaften werden die Massetemperatur beim Spritzgießen, der minimale Spritzdruck, Grad der Verfärbungen und schließlich die Flammbeständigkeit in Anlehnung an die UL 94-Vorschriften angesprochen.

Die Flammschutzmittelkomponenten entsprechen weitgehend den Definitionen im Streitpatent (Spalte 4, Zeile 8 bis Spalte 3, Zeile 58).

Die Problematik des Brandverhaltens von Polyamidmassen mit oder ohne Faserverstärkung besteht einerseits in der Kaminwirkung von Fasern, andererseits im Abtropfen des brennenden Harzes (Spalte 2, Zeilen 5 bis 22).

Ziel der dortigen Erfindung ist die Bereitstellung verhältnismäßig billiger Flammschutzmittel, die geringen Dampfdruck ausweisen, thermisch sehr stabil sind, geringe Toxizität besitzen und gut mit dem Polyamid verträglich sind, ohne Fließfähigkeit und Verarbeitbarkeit der Massen wesentlich zu beeinträchtigen (Spalte 3, Zeilen 1 bis 7).

Als eine Verwendung der dortigen Massen werden Spritzgußteile für die Elektroindustrie genannt (Spalte 5, Zeilen 23 bis 25).

4.3. D3 beschreibt im wesentlichen wortgleich die Polyamid-Komponente des Streitpatents (Anspruch 1; Seite 1, Zeilen 1 bis 6; Abbildung). Es sollen teilaromatische Copolyamide mit verbesserter Wärmeformbeständigkeit unter Beibehaltung der verbliebenden guten mechanischen Eigenschaften bereitgestellt werden. Die Produkte sollen leicht herstellbar sein, wobei Probleme hinsichtlich des Auftretens von Vernetzungen vermieden werden, und sie sollen sich flammwidrig oder mit Kautschuken schlagzäh ausrüsten sowie mit Füllstoff modifizieren lassen (Seite 2, Zeilen 16 bis 18; Seite 3, Zeilen 22 bis 29; Seite 7, Zeilen 45 bis 55; Seite 8, Zeilen 19 bis 21). Sie eignen sich aufgrund ihres ausgewogenen Eigenschaftsspektrums unter anderem für elektrische Leiterplatten sowie Fasern, Folien und Formkörper, darüber hinaus, wenn schlagzäh modifiziert, insbesondere für Gehäuseteile im Fahrzeugbau (Anspruch 6; Seite 2, Zeilen 7 bis 10 und Seite 11, Zeilen 8 bis 15).

Flammschutzmittel sind im Rahmen einer allgemeinen Aufzählung üblicher Zusatzstoffe erwähnt, aber nur durch ein Beispiel, roten Phosphor, spezifiziert (Seite 10, Zeilen 47 bis 49; Seite 14, Zeile 7; Anwendungsbeispiel 3).

5. Neuheit

Die Neuheit ist auf Grundlage von D1 und D2, teilweise in Verbindung mit allgemeinem Fachwissen angegriffen worden.

5.1. D1 beschreibt Formmassen aus einer Vielzahl verschiedener Homo- und Copolyamide, die neben den beiden zwingend vorgeschriebenen Zusatzkomponenten (II) und (III) eine Reihe weiterer optionaler Komponenten enthalten können (siehe Punkt 4.1).

5.1.1. Aus der Beschreibung lassen sich für die Komponente A) eine Vielzahl möglicher Kombinationen unterschiedlicher Monomeren erdenken, aus denen sich die spezielle Kombination der Monomereinheiten in den in Anspruch 1 angegebenen Mengen nicht ohne weiteres zusammenstellen läßt.

Auch der Hinweis auf spezielle Herstellungsverfahren, die laut Beschwerdeführerin zu den geforderten niedrigen Triamingehalten führen sollen, führt nicht weiter. Auf Seite 5, Zeilen 19 bis 26, werden mindestens vier völlig verschiedene Verfahren zur Herstellung von Polyamid ohne jeden Hinweis auf einen Triamingehalt undifferenziert und als gleichwertig beschrieben: Lösungspolykondensation, Grenzflächenpolymerisation, Schmelztechnik mit oder ohne Lösungsmittel sowie Festphasenpolymerisation. Der Einfluß des Herstellungsverfahrens auf den Triamingehalt und dessen Bedeutung werden aber auf Seite 4, Zeile 7 bis Seite 5, Zeile 8 des Streitpatents dargelegt. Damit kann der Triamingehalt weder als explizit noch implizit in D1 offenbart angesehen werden.

5.1.2. In der mündlichen Verhandlung war zwischen den Parteien unstreitig, daß das in D1 zwingend vorgeschriebene Natriumantimonat Na2Sb2O6 (Komponente III; Seite 6, Zeile 26) unter keine der Definitionen für die Komponenten B) und C) von Anspruch 1 fällt. Eine Gleichsetzung des Antimonats mit Antimontrioxid kann auch im Hinblick auf den schon angesprochenen Unterschied in Tabelle 1 von D1 nicht in Betracht gezogen werden (Punkt 4.1).

5.1.3. Die vorstehenden Gründe machen auch offenkundig, daß es sich beim Gegenstand von Anspruch 1 keinesfalls um eine Auswahl aus den von D1 umfaßten Zusammensetzungen handelt, auf welche die von der Beschwerdeführerin zitierten Kriterien für Auswahlerfindungen (vgl. T 279/89 vom 3. Juli 1991; nicht im ABl. EPA veröffentlicht) anwendbar wären, da es sich einerseits bei Komponente A) von Anspruch 1 um ein Polyamid handelt, das aus einer spezifischen Kombination von Monomeren in bestimmten Mengen zusammengesetzt ist, die als solche nicht in D1 offenbart ist, und andererseits die bestimmte Komponente (III) der Zusammensetzung von D1 ersetzt werden müßte durch eine Kombination zweier davon unterschiedlicher Komponenten B) und C).

5.1.4. Da ein Gegenstand jedoch nur dann als im Stand der Technik offenbart gelten kann, wenn er sich aus einem Dokument unmittelbar und vollkommen eindeutig herleiten läßt (siehe Entscheidung T 378/94 vom 1. März 1996, nicht im Amtsblatt veröffentlicht), kommt die Kammer zum Schluß, daß D1 den Gegenstand des Streitpatents nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt.

5.2. Die bereits unter Punkt 5.1.1 genannten Gründe treffen auch auf die Frage der Neuheit gegenüber der noch allgemeineren Formulierung der Zusammensetzung des Polyamids in D2 (Spalte 3, Zeile 15 bis Spalte 4, Zeile 7) zu. Auch diese Druckschrift spricht das Merkmal eines beschränkten Triamingehaltes nicht an. Folglich ist auch gegenüber dieser Druckschrift die Neuheit anzuerkennen.

5.3. D3 beschreibt zwar das Polyamid gemäß Komponente A), nicht jedoch seine Kombination mit den Komponenten B) und C).

5.4. Das Erfordernis der Neuheit (Artikel 54 EPÜ) ist somit erfüllt.

6. Nächstliegender Stand der Technik

6.1. Das Streitpatent betrifft flammgeschützte thermoplastische Formmassen.

6.2. Derartige Massen sind aus D1 und D2 bekannt. Darüber hinaus ist die Komponente A), die sich flammwidrig ausrüsten läßt, aus D3 bekannt.

6.3. Zur Frage nach dem nächstliegenden Stand der Technik wurden von den beiden Parteien unterschiedliche Positionen bezogen. Während die Beschwerdeführerin ihre Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit auf D3 aufbaute, sah die Beschwerdegegnerin wie auch die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Zwischenentscheidung D1 als nächstliegenden Stand der Technik an.

6.4. Gemäß Wortlaut von Anspruch 1 umfassen die wesentlichen Bestandteile der beanspruchten Formmassen A) ein spezifisches teilaromatisches Polyamid, B) ein bromiertes Styrololigomer und/oder bromiertes Polystyrol, C) ein synergistisches Metalloxid und/oder -borat und D) einen Füllstoff.

D1 hingegen beschreibt eine Mischung aus einem Polyamid (I), einem halogenierten Polystyrol oder Polyphenylenoxid (II) und Natriumantimonat (III) sowie gegebenenfalls einem Füllstoff, D2 eine Mischung aus Polyamid, bromiertem oligomeren Styrol und einem synergistischen Metalloxid sowie gegebenenfalls Füllstoffe, und D3 offenbart das spezielle Polyamid gemäß Komponente A) des Streitpatents. Alle Dokumente scheinen daher auf den ersten Blick gleichermaßen relevant zu sein, da sie jeweils einen Teil der jetzt beanspruchten Merkmale umfassen oder gar beschreiben.

Die Beschreibungseinleitung des Streitpatents deutet jedoch an, daß bei der Formulierung der dem Patent zugrundeliegenden Anmeldung von D3 ausgegangen wurde. Dabei wurde erwähnt, daß bei der Verarbeitung solcher Polyamiden mit Flammschutzmitteln Schwierigkeiten auftreten (Seite 2, Zeilen 22 bis 34). In D3 wird auch beschrieben, daß das Polyamid in gleicher Weise zur Erreichung guter Wärmeformbeständigkeit und guter mechanischer Eigenschaften durch Zusätze modifiziert und zudem beispielsweise durch roten Phosphor flammfest ausgerüstet werden kann. Die Verwendungszwecke der bekannten Massen überschneiden sich mit denen im Streitpatent (D3: Seite 2, Zeilen 7 bis 10; Streitpatent: Ansprüche 9 und 10, Seite 9, Zeilen 30 bis 36, und D3: Seite 11, Zeile 26 bis Seite 12, Zeile 3 im Vergleich zum Streitpatent: Seite 9, Zeile 45 bis Seite 10, Zeile 19).

Deshalb sieht die Kammer keinen Grund von der Betrachtungsweise der Beschreibungseinleitung abzuweichen, und D3 wird als nächstliegender Stand der Technik betrachtet.

7. Aufgabe und Lösung

7.1. Wie oben erwähnt (Punkt 4.3), beschreibt D3 Polyamid-Formmassen, die durch roten Phosphor flammwidrig gemacht werden können. Diese Methode hat allerdings den Nachteil, daß man deswegen die Formmassen nicht mehr hell einfärben kann und auch weitere Probleme entstehen können, z. B. reduzierte Oberflächenwiderstände, wodurch die Verwendbarkeit der Formmassen als Formteile im Elektrobereich erheblich eingeschränkt wird (Streitpatent: Seite 2, Zeilen 26 bis 33).

7.2. Im Hinblick auf diese Nachteile und im Einklang mit Seite 2, Zeilen 53 bis 58 des Streitpatents kann die zu lösende technische Aufgabe darin gesehen werden, flammfeste thermoplastische Formmassen zur Verfügung zu stellen, aus denen Formkörper mit guten elektrischen Eigenschaften, insbesondere Kriechstromfestigkeit, sowie einem guten Gesamtspektrum der mechanischen Eigenschaften herstellbar sind. Darüber hinaus sollen diese Formkörper eine helle Eigenfarbe aufweisen und die Flammschutzeigenschaften sowie elektrischen Eigenschaften weitestgehend unabhängig von der Art und Menge der Füllstoffe sein.

Wie auch die experimentellen Daten in den Tabellen von D1 belegen, hat die oft geringfügige Veränderung der Zusammensetzung von Polymermassen aus verschiedenen Komponenten zum Zweck der Verbesserung einer bestimmten Eigenschaft stets auch, oft nachteilige, Auswirkungen auf andere Eigenschaften der Massen. Folglich kann die technische Aufgabe nicht, losgelöst von den übrigen vorstehend angesprochenen Eigenschaften, nur in einer Verbesserung der Flammwidrigkeit gesehen werden.

7.3. Laut Streitpatent wird die technische Aufgabe, wie in Anspruch 1 festgelegt, durch eine Mischung aus bestimmten Mengen eines spezifischen Polyamids A), eines bromierten Styrololigomers und/oder Polystyrols B), eines synergistischen Metalloxids und/oder -borats C) und eines Füllstoffes D) sowie gegebenenfalls eines kautschukartigen Polymerisats E) gelöst.

7.4. Die Beispiele des Streitpatents zeigen, daß bei unterschiedlichen Gesamtmengen der Komponenten D) (Füllstoffe) und E) (Copolymerisat) von 25 bis 38 Gew.-% die Prüfkörper bei Messungen des Brandverhaltens nach UL-94 stets als V-0 klassifiziert werden können, und sie LOI-Werte von 27,0 bis 30,2, Schlagzähigkeiten von 26 bis 40 kJ/m2, Elastizitätsmodule von 5300 bis 9800 sowie Kriechstromfestigkeiten CTI von 450 bis 500 V und CTI(M) von 375 bis 400 V aufweisen.

Von der Beschwerdegegnerin am 12. März 1999 eingereichte Versuchsberichte I, II und III zeigen darüber hinaus, daß (I) erhöhte Triamingehalte des Polyamids deutlich höhere Schmelzviskositäten, Drehmomente und Verfärbungen bei der Weiterverarbeitung nach sich ziehen und daß (II) die Flammfestigkeit der Massen gemäß Anspruch 1 erhöht ist (Klassen nach UL 94 und LOI-Werte). Dies wird auch in Versuchsbericht (III) bestätigt. Es sei hier nur auf den Vergleich der Massen 3a (erfindungsgemäß) und IIIa (Vergleich mit Polyamid-6,6) hingewiesen, denen zufolge bei ansonsten gleicher Zusammensetzung eine Klassifizierung nach UL-94 von V-0 einer Nichtklassifizierung und Durchschnittsbrenndauern von 5 bzw. 2 Sekunden solchen von stets über 30 Sekunden gegenüberstehen (48 h Klimaschrank 23 C, 50 % Feuchte, bzw. 168 h Trockenschrank 70 C). Die Versuchsberichte (II) und (III) zeigen außerdem, daß die mechanischen Eigenschaften Elastizitätsmodul und Schlagzähigkeit der beanspruchten Formmassen denen der Vergleichsmassen gleichwertig waren. Diese Meßergebnisse als solche sind von der Beschwerdeführerin nie in Zweifel gezogen worden.

Aus diesen experimentellen Unterlagen geht klar hervor, daß die oben gestellte Aufgabe durch die Kombination der Merkmale des Anspruchs 1 tatsächlich gelöst wird.

8. Erfinderische Tätigkeit

Es ist zu entscheiden, ob sich die gefundene Lösung aus dem von der Beschwerdeführerin herangezogenen Stand der Technik für den Fachmann in naheliegender Weise ergibt.

8.1. In D3 werden die vorteilhafte Schlagzähigkeit und Wärmeformbeständigkeit der dort beschriebenen Formmassen betrachtet (Seite 11, Zeilen 8 bis 12). In den Versuchen der Tabelle 1 werden für Mischungen, die denen der Beispiele des Streitpatents hinsichtlich der Zusätze Füllstoff und zusätzliches Polymerisat vergleichbar sind, eine helle Eigenfarbe, ein äußerst niedriger Triamin-Gehalt (Seite 11, Zeile 54) sowie Izod- und Lochschlagzähigkeit und Schädigungsarbeit bei verschiedenen Temperaturen genannt (Seite 13, Tabelle). Des weiteren wird die durch roten Phosphor verminderte Brennbarkeit anhand von LOI-Werten beurteilt (Seite 14, Beispiel 3, LOI-Werte von 25,0 und 25,6).

Meßwerte zu den elektrischen Eigenschaften, beispielsweise für die Kriechstromfestigkeit, sind jedoch D3 nicht zu entnehmen. Dies war zwischen den Parteien unstreitig. Somit ist ersichtlich, daß D3 allein nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Streitpatents führt.

8.2. Die Lehre von D2 beschränkt sich auf die Problematik der Zersetzung bekannter Flammschutzmitteln auf Halogenbasis bei der Verarbeitung von mit Füllstoff verstärkten Polyamiden, der Verarbeitbarkeit solcher Massen allgemein und des Ausschwitzens dieser Substanzen (Spalte 2, Zeilen 29 bis 53; Spalte 3, Zeilen 1 bis 7). Der Einfluß zusätzlicher faserförmiger Verstärkungsmittel auf die Flammschutzwirkung und das Abtropfen geschmolzener Bestandteile im Brandfall wird ebenfalls angesprochen (Spalte 4, Zeilen 48 bis 59). Die anderen Aspekte der vorliegenden Aufgabe, insbesondere die Kriechstromfestigkeit, werden in D2 hingegen überhaupt nicht in Betracht gezogen. Eine Lehre zur Lösung aller Aspekte der obigen technischen Aufgabe ist dem Dokument folglich nicht zu entnehmen. Der Fachmann hatte daher keinerlei Veranlassung, zur Lösung der technischen Aufgabe mit all ihren Aspekten eine Kombination von D2 mit D3 überhaupt in Betracht zu ziehen.

8.3. Diese Feststellung trifft auch auf D1 zu. Darin werden die Lötfestigkeit als ein spezieller Vorteil der ausgezeichneten Hitzebeständigkeit beschrieben (Seite 7, Zeilen 29/30) und die Verwendbarkeit in elektrischen oder elektronischen Komponenten nur im Zusammenhang mit thermischer Stabilität, Hitze- und Wärmeformbeständigkeit, Flammfestigkeit, Steifigkeit und Schlagzähigkeit angesprochen (Seite 7, Zeilen 19 bis 24). Von Kriechstromfestigkeit ist keine Rede. Zudem beschreibt D1 zwingend die Anwesenheit von Natriumantimonat vor, so daß zum einen der Fachmann eine Kombination von D1 mit D3 nicht in Betracht ziehen, zum anderen eine solche Kombination keineswegs zum beanspruchten Gegenstand führen würde.

8.4. Bereits aus diesen Gründen ist das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit anzuerkennen.

9. Zu einem anderen Ergebnis kann auch die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auf der Basis von D1 als nächstliegendem Stand der Technik nicht führen, denn neben den in der angefochtenen Zwischenentscheidung bereits dargelegten Gründen treffen auch die obigen Feststellungen zur Kriechstromfestigkeit zu. Zudem ist aus D1 nicht verständlich, weshalb eine der zwingenden Komponenten, das Natriumantimonat, ersetzt werden sollte durch eine Komponente, von der sich ein Beispiel im Vergleichsversuch 5 ausdrücklich als nachteilig erwiesen hat (Seite 8, Tabelle 1). Außerdem sind keine Gründe erkennbar, warum ein bestimmtes Flammschutzmittel aus der Komponente (II) in D1 ausgewählt, mit dem in Tabelle 1. als nachteilig beschriebenen, wenngleich auch aus D2 bekannten Metalloxid und mit einem speziellem teilaromatischen Polyamid kombiniert werden sollte, das, zwar in D3 beschrieben, der breiten Offenbarung in D1 als solches aber nicht zu entnehmen ist.

Folglich kann eine Kombination von D1 mit D2 und/oder D3 ebensowenig zum Patentgegenstand führen.

10. Die Kammer kommt deshalb zum Schluß, daß der Gegenstand von Anspruch 1 beider Anspruchssätze auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

11. Die Patentfähigkeit der Ansprüche 2 bis 8 wird durch die des Anspruchs 1 gestützt, da sie alle Merkmale und Beschränkungen dieses Anspruchs beinhalten.

12. Daraus folgt, daß der Gegenstand des Streitpatents gemäß den beiden Anspruchssätzen mit jeweils 8 Ansprüchen, die in der mündlichen Verhandlung überreicht worden sind, die Erfordernisse des Artikel 56 EPÜ erfüllt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Zwischenentscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent mit den zwei in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssätzen für die benannten Vertragsstaaten BE, CH, ES, FR, IT, LI und NL, bzw. für DE und GB mit jeweils 8 Patentansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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