T 0434/98 (Pigmente/CONSORTIUM) of 4.4.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T043498.20010404
Datum der Entscheidung: 04 April 2001
Aktenzeichen: T 0434/98
Anmeldenummer: 93119438.5
IPC-Klasse: C09K 19/40
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Pigmente mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit, ihre Herstellung und Verwendung
Name des Anmelders: Consortium für elektrochemische Industrie GmbH
Name des Einsprechenden: (I) Merck Patent GmbH
(II) BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen
(III) GIESECKE & DEVRIENT GmbH
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja) - Merkmale nicht implizit offenbart - keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung der Merkmalskombination
Erfinderische Tätigkeit (nein) - willkürliche Auswahl von Abmessungen für Teilchengröße
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0245/00

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 24. April 1998 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers I (Einsprechender III) und die am 4. Mai 1998 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers II (Einsprechender II) richten sich gegen die am 24. Februar 1998 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher die Einsprüche gegen das europäischen Patent Nr. 601 483 zurückgewiesen wurden. Das Streitpatent enthielt neun Ansprüche, deren unabhängiger Anspruch 1 wie folgt lautete:

"1. Pigmente einer Dicke von 1 bis 100 µm und einem Durchmesser von 1 bis 10000 µm mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit, dadurch gekennzeichnet, daß sie aus orientierten dreidimensional vernetzten Substanzen mit flüssigkristalliner Struktur mit chiraler Phase sowie gegebenenfalls weiteren Farbstoffen und Pigmenten bestehen, wobei die gegebenenfalls vorhandenen weiteren Farbstoffe und Pigmente nicht als Träger für die orientierten dreidimensional vernetzten flüssigkristallinen Substanzen mit chiraler Phase dienen."

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden. Zur Stützung der Einsprüche wurden unter anderem folgende Druckschriften angezogen:

(1) EP-A-0 358 208,

(2) EP-A-0 383 376.

III. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, daß der Gegenstand des Streitpatents neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie führte bezüglich der Neuheit insbesondere aus, daß die Druckschrift (1) weder die anspruchsgemäße Trägerlosigkeit der Pigmente noch die anspruchsgemäßen Dimensionen der Pigmentteilchen offenbare. Daher nehme diese Druckschrift den Anspruchsgegenstand nicht neuheitsschädlich vorweg. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei von der Druckschrift (1) auszugehen, die dreidimensional vernetzte flüssigkristalline Substanzen als Pigmente ohne Dimensionsangabe offenbare. Die Einspruchsabteilung hob hervor, daß dieser Stand der Technik gleichwohl nicht die Herstellung trägerloser Flüssigkristallpigmente vorschlage. Die Druckschrift (2) gebe zwar die Dimension von Flüssigkristallpigmenten an, lehre jedoch, die Pigmente zu trägern. Folglich könne diese den beanspruchten Gegenstand nicht nahelegen.

IV. Der Beschwerdeführer I greift zur Rüge der Neuheit auf die Druckschrift (1) zurück. Diese beschreibe ein dreidimensional vernetztes flüssigkristallines Polyorganosiloxan in Form eines Filmes, der als trägerloses Lackpigment zur Anwendung komme. Beispiel 3 offenbare einen auf einem Substrat aufgetragenen Film mit einer Dicke von 20 µm. Obwohl nicht explizit ausgeführt, werde der Fachmann die Lackpigmente aus diesem Film durch Ablösung vom Substrat und Zerkleinerung herstellen, wodurch sich zwangsläufig Pigmentteilchen mit dem anspruchsgemäßen Durchmesser von 0,001 bis 10 mm ergäben. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher neuheitsschädlich vorweggenommen.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei die Druckschrift (1) zweifellos nächstkommender Stand der Technik, demgegenüber die Aufgabe in der körperlichen Ausgestaltung eines Lackpiments mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit bestehe. Dessen Dicke, die für seine Eigenstabilität entscheidend sei, entnehme der Fachmann dem Beispiel 3 der Druckschrift (1), welche mit 20 µm im beanspruchten Bereich liege. Hinsichtlich seines Durchmessers orientiere sich der Fachmann an der Lehre der Druckschrift (2), welche gattungsgemäße Pigmentteilchen mit anspruchsgemäßem Durchmesser vorschlage. Nachdem mit den Abmessungen der anspruchsgemäßen Pigmentteilchen auch kein technischer Effekt verknüpft sei, stütze sich das Streitpatent nicht auf erfinderische Tätigkeit.

V. Der Beschwerdeführer II hat die Neuheit des Anspruchsgegenstandes ebenfalls im Hinblick auf die Druckschrift (1) angegriffen. Er hat vorgetragen, daß diese Druckschrift dreidimensional vernetzte Substanzen mit flüssigkristalliner Struktur mit chiraler Phase, insbesondere die im Streitpatent bevorzugten Polyorganosiloxane, offenbare. Diese würden vor ihrer Vernetzung auf einem Substrat orientiert, wodurch sie eine vom Betrachtungswinkel abhängige Farbigkeit aufwiesen. Als konkrete Anwendungsform werde in Druckschrift (1) für auf diese Weise erhältliche Polyorganosiloxane die Verwendung "als Lackpigment" offenbart. Aus der Angabe "als" Lackpigment entnehme der Fachmann ein aus dem Polyorganosiloxan als solchem gebildeten Pigment, d. h. ungeträgert. Hinsichtlich der Größe der Pigmentteilchen sei dem Fachmann deren übliche Dicke für die Erzielung der farbgebenden Interferenzeffekte bekannt, die im beanspruchten Bereich läge. Aus der bekanntermaßen flächigen Struktur der Teilchen ergebe sich notwendigerweise ein Durchmesser, welcher größer als deren Dicke sei, wodurch der Fachmann zwanglos zum anspruchsgemäßen Durchmesser gelange. Hierdurch seien die Abmessungen der streitgegenständlichen Pigmentteilchen, wenn auch nicht explizit, so doch wenigsten implizit in der Druckschrift (1) für den Fachmann mit offenbart.

Im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit liege dem Streitpatent gegenüber der Druckschrift (1) die Aufgabe zugrunde, die Teilchengröße der Pigmente mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit festzulegen. Die Auswahl der Pigmentabmessungen könne indessen nicht als erfinderisch betrachtet werden, nachdem eine geeignete Dicke innerhalb des anspruchsgemäßen Bereiches bereits aus dem Beispiel 3 der Druckschrift (1) hervorgehe und die Druckschrift (2) auf den gängigen Durchmesser derartiger Pigmentteilchen von 5 bis 500 µm, der im beanspruchten Bereich liege, hinweise.

VI. Der Verfahrensbeteiligte (Einsprechender I) hat zur Neuheit vorgetragen, daß die Druckschrift (1) Filme mit einer Dicke von 20 µm aus dreidimensional vernetztem flüssigkristallinem Polyorganosiloxan offenbare, welcher bei seiner Verwendung als Lackpigment die anspruchsgemäßen Pigmente ergäbe. Im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit schloß er sich den Ausführungen der Beschwerdeführer an.

VII. Der Beschwerdegegner hat die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes unterstrichen. Keiner Entgegenhaltung sei die Herstellung trägerloser Pigmente mit den beanspruchten Abmessungen zu entnehmen; selbst Angaben über trägerlose flüssigkristalline Pigmente ohne Dimensionsangaben fänden sich nicht im Stand der Technik. Die Druckschrift (1) beschreibe zwar einen auf einem Substrat aufgebrachten, orientierten und vernetzten flüssigkristallinen Polyorganosiloxan-Film, offenbare jedoch nicht, hieraus ein Pigment herzustellen, beispielsweise durch dessen Ablösen vom Substrat und folgendem Zerkleinern. Auch die in dieser Druckschrift beschriebene Verwendung "als Lackpigment" offenbare nicht die Trägerlosigkeit des Pigments. Bereits das Merkmal "trägerlos" stelle somit die Neuheit der Pigmente des Streitpatents her. Darüber hinaus seien anspruchsgemäße Dicke und Durchmesser der Pigmentteilchen im Stand der Technik nicht in Kombination offenbart.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit stellten die geträgerten flüssigkristallinen Pigmente der Druckschrift (2) den nächstliegenden Stand der Technik dar, da nirgendwo trägerlose Pigmente offenbart seien. Demgegenüber bestehe die Aufgabe darin, Pigmente bereitzustellen, welche die Nachteile dieses Standes der Technik vermieden. Ausgehend von den geträgerten Pigmenten der Druckschrift (2) habe der Fachmann keinen Anlaß gehabt, trägerlose Pigmente herzustellen. Die erfinderische Qualität des beanspruchten Gegenstandes liege daher insbesondere in der erstmaligen Bereitstellung ungeträgerter Pigmente. Auch die Druckschrift (1) könne ungeträgerte Pigmente nicht nahelegen, da der Fachmann keine Veranlassung hatte, die darin offenbarten Filme vom Substrat abzulösen und zu Pigmenten zu zerkleinern. Höchst hilfsweise trug der Beschwerdegegner außerdem vor, daß der Stand der Technik auf weitaus kleinere als die beanspruchten Abmessungen der Pigmentteilchen hindeute. Folglich beruhe der beanspruchte Gegenstand auf erfinderischer Tätigkeit.

VIII. Die Beschwerdeführer I und II haben beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen.

Der Verfahrensbeteiligte hat keine Anträge gestellt.

IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung, die am 4. April 1998 stattfand, wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Neuheit

2.1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 betrifft Pigmente mit einer Dicke von 1 bis 100 µm und einem Durchmesser von 1. bis 10000 µm mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit, die aus orientierten dreidimensional vernetzten Substanzen mit flüssigkristalliner Struktur mit chiraler Phase bestehen. Die anspruchsgemäße Angabe, daß die Pigmente aus diesen Substanzen "bestehen", kennzeichnet zur Überzeugung der Kammer die anspruchsgemäße Aufzählung der in den Pigmenten enthaltenen Bestandteile als abschließend, wodurch unzweifelhaft die Anwesenheit eines Trägers in diesen Pigmenten ausgeschlossen ist. Dies wird auch in Spalte 2, Zeilen 42 bis 45 der Streitpatentschrift explizit festgehalten.

Aus diesem Grunde ist der Einwand des Verfahrensbeteiligten, das geltende Anspruchsbegehren fordere nicht die Trägerlosigkeit der Pigmente, nicht stichhaltig.

2.2. Die Beschwerdeführer und der Verfahrensbeteiligte stützen ihre Rüge der mangelnden Neuheit des Anspruchsgegenstandes ausschließlich auf die Druckschrift (1).

Diese Druckschrift offenbart vernetzbare flüssigkristalline Polyorganosiloxane (Anspruch 5), welche im Streitpatent bevorzugt als Substanz mit flüssigkristalliner Struktur mit chiraler Phase eingesetzt werden (Streitpatentschrift Spalte 3, Zeilen 41 und 42). Der Druckschrift (1) ist des weiteren die Offenbarung zu entnehmen, diese Polyorganosiloxane beim Auftragen auf einem Substrat zu orientieren und dreidimensional zu vernetzen (Seite 8, Zeilen 23 bis 27), wodurch eine vom Betrachtungswinkel abhängige Farbigkeit erzeugt wird, die von keiner Partei bestritten und durch die Angaben auf Seite 11, Zeile 58 bis Seite 12, Zeile 14 bestätigt wird. Darüber hinaus offenbart diese Druckschrift auf Seite 8, Zeilen 46 bis 52. als konkrete Anwendungsform, die auf diese Weise erhältlichen, d. h. orientierten, dreidimensional vernetzten flüssigkristallinen Polyorganosiloxane "als Lackpigment" zu verwenden. Das artbestimmende Verhältniswort "als" enthüllt dem Fachmann die Verwendung dieses Polyorganosiloxans als solches in Form eines Lackpigments, womit ein trägerloses Pigment in Druckschrift (1) offenbart ist.

Der Beschwerdegegner hat demgegenüber eingewandt, das Streitpatent stelle erstmalig ein trägerloses Pigment bereit; auch sei in der Druckschrift (1) kein Verfahren zur Herstellung eines derartiges Pigments angegeben, weswegen es nicht habe hergestellt werden können. Zur Überzeugung der Kammer ist aus den oben angeführten Gründen jedoch in dieser Druckschrift ein trägerloses Pigment offenbart, so daß der erste Einwand des Beschwerdegegners nicht durch die Fakten gestützt ist. Dem zweiten Einwand des Beschwerdegegners ist zwar insoweit beizutreten, als die Druckschrift (1) tatsächlich kein Verfahren zur Herstellung der teilchenförmigen Lackpigmente explizit offenbart; gleichwohl vermag er nicht durchzugreifen, da deren Herstellung aus den dreidimensional vernetzten Polyorganosiloxanen, etwa mittels üblicher Zerkleinerung, für den Fachmann auf der Hand liegt, ohne daß es hierfür eines expliziten Hinweises in der Druckschrift (1) bedürfte.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß die Druckschrift (1) ein trägerloses Pigment mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit, das aus einer orientierten dreidimensional vernetzten Substanz mit flüssigkristalliner Struktur mit chiraler Phase besteht, offenbart.

2.3. Indessen schweigt die Druckschrift (1) über die Abmessungen dieser Pigmente, während der Anspruch 1 des Streitpatents spezifische Dimensionen in Kombination fordert, nämlich gleichzeitig eine Dicke und einen Durchmesser innerhalb eines jeweilig zahlenmäßig bestimmten Bereiches.

2.3.1. Die Beschwerdeführer und der Verfahrensbeteiligte haben zwar eingeräumt, daß keine Abmessungen der Pigmentteilchen explizit in dieser Druckschrift offenbart seien, gleichwohl ergäben sich die beanspruchten Dimensionen dem Fachmann implizit. So lägen einerseits die Dicke und andererseits der Durchmesser der beanspruchten Pigmente jeweils für sich im aus dem allgemeinen Fachwissen bekannten üblichen Bereich für flächige Pigmentteilchen, wodurch der Fachmann zwanglos zu deren streitpatentgemäßen Abmessungen gelange. Im übrigen sei in Beispiel 3 der Druckschrift (1) ein Film mit einer Dicke innerhalb des beanspruchten Bereiches offenbart, bei dessen Zerkleinerung der Fachmann notwendigerweise Pigmentteilchen mit einem Durchmesser im beanspruchten Bereich erhalte.

2.3.2. Es kann dahinstehen, ob die beanspruchten zahlenmäßigen Dicke- und Durchmesserbereiche tatsächlich jeweils für sich im bekanntermaßen üblichen Bereich liegen, was der Beschwerdegegner bestreitet, denn zur Prüfung der Neuheit ist es keineswegs hinreichend, die einzelnen beanspruchten Bereiche jeweils getrennt mit einem jeweilig bekannten Bereich zu vergleichen, vielmehr ist die Neuheit der resultierenden Kombination aus beiden beanspruchten Bereiche zu prüfen. Die Beschwerdeführer und der Verfahrensbeteiligte haben weder vorgetragen noch belegt, daß die beanspruchten Bereiche für Dicke und Durchmesser in Kombination dem allgemeinen Fachwissen zu entnehmen sind und somit diese Kombination implizit in der Druckschrift (1) offenbart ist. Folglich erschließt sich dem Fachmann auch unter Berücksichtigung seines Fachwissens diese spezielle Merkmalskombination nicht unmittelbar und eindeutig aus dem Offenbarungsgehalt dieser Druckschrift, was nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern jedoch Voraussetzung für einen erfolgreichen Neuheitseinwand ist. Aus dem gleichen Grunde greift auch der auf Beispiel 3 der Druckschrift (1) gestützte Neuheitseinwand der Beschwerdeführer und des Verfahrensbeteiligten nicht durch, da diese Druckschrift keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung enthält, den spezifischen Film dieses Beispiels zu einem Pigment zu verarbeiten.

2.3.3. Die Kammer hält es in diesem Zusammenhang für angezeigt darauf hinzuweisen, daß das obige Vorbringen der Beschwerdeführer und des Verfahrensbeteiligten zur Neuheit auf Überlegungen und Argumente zurückgreift, die bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Patentgegenstandes zu berücksichtigen sind. Neuheit und erfinderische Tätigkeit sind gemäß Artikel 52 (1) EPÜ indessen zwei eigenständige Erfordernisse für die Patentfähigkeit einer Erfindung und für deren Beurteilung gelten demzufolge unterschiedliche Kriterien. Einer Vermischung dieser beiden eigenständigen Erfordernisse durch die Anwendung sich deckender Beurteilungskriterien, wie sie augenscheinlich die Beschwerdeführer und der Verfahrensbeteiligte vorzunehmen versuchen, vermag die Kammer nicht zuzustimmen.

2.3.4. Folglich fehlt es der Druckschrift (1) an der notwendigen Offenbarung der zahlenmäßigen Bereiche für Dicke und Durchmesser der Pigmente gemäß Anspruch 1 des Streitpatents.

2.4. Der Neuheitseinwand der Beschwerdeführer und des Verfahrensbeteiligten kann aus diesem Grunde nicht durchgreifen. Die Kammer kommt daher zu dem Schluß, daß die Druckschrift (1) den beanspruchten Gegenstand nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Gemäß Artikel 56 EPÜ beruht eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Für die Beantwortung dieser Frage aus objektiver Sicht ist es nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erforderlich, den nächstliegenden Stand der Technik festzustellen, demgegenüber die Aufgabe zu ermitteln, die erfindungsgemäß gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann zu klären.

3.2. Als erstes ist somit der zur Erfindung nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, wozu eine Auswahl unter den im Verfahren angezogenen Druckschriften zu treffen ist. Während die Beschwerdeführer und der Verfahrensbeteiligte die Druckschrift (1) als nächstliegend angesehen haben, hat der Beschwerdegegner dem widersprochen und die Druckschrift (2) als nächstkommend betrachtet.

3.2.1. Das Streitpatent betrifft trägerlose Pigmente mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit aus orientierten dreidimensional vernetzten Substanzen mit flüssigkristalliner Struktur mit chiraler Phase (siehe Punkt 2.1 supra).

3.2.2. Die Druckschrift (1) betrifft trägerlose Pigmente der gattungsgemäßen Art, d. h. mit vom Betrachtungswinkel abhängiger Farbigkeit, aus den gleichen orientierten dreidimensional vernetzten Substanzen (siehe Punkt 2.2 supra). Somit stimmen die Pigmente dieser Druckschrift in dem wesentlichen Merkmal der Trägerlosigkeit mit jenen des Streitpatents überein, weswegen die Druckschrift (1) zur Überzeugung der Kammer den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

3.2.3. Die Druckschrift (2) betrifft geträgerte Pigmente der gattungsgemäßen Art, bei denen ein Träger mit einer orientierten flüssigkristallinen Substanz beschichtet ist. Aus dem Unterschied zwischen Druckschrift (2) und Streitpatent in dem wesentlichen Merkmal der An- bzw. Abwesenheit eines Trägers im Pigment, den die Druckschrift (1) nicht aufweist, schließt die Kammer, daß die Druckschrift (2) dem Streitpatent ferner liegt als Druckschrift (1).

Aus diesem Grunde kann das Vorbringen des Beschwerdegegners zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit, insoweit es von der Druckschrift (2) als nächstliegendem Stand der Technik ausgeht, nicht überzeugen.

3.3. Ausgehend von Druckschrift (1) als nächstkommendem Stand der Technik liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, das dort allgemein beschriebene Pigment der gattungsgemäßen Art körperlich auszugestalten.

3.4. Zur Lösung der oben genannten Aufgabe schlägt das Streitpatent die Pigmente nach Anspruch 1 vor, die durch eine Dicke von 1 bis 100 µm und einen Durchmesser von 1. bis 10000 µm gekennzeichnet sind.

3.5. Die erfolgreiche Lösung der patentgemäßen Aufgabe durch die Bereitstellung der anspruchsgemäßen Pigmente wird von den Beschwerdeführern und dem Verfahrensbeteiligten im Beschwerdeverfahren nicht bestritten. Auch im Hinblick auf die Beispiele in der Streitpatentschrift hat die Kammer keinen Anhaltspunkt, den Erfolg der Lösung von sich aus in Zweifel zu ziehen.

3.6. Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Fachmann Anregungen erhalten hat, die genannte Aufgabe durch die Bereitstellung der anspruchsgemäßen Pigmente zu lösen.

Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 unterscheidet sich von der nächstliegenden Druckschrift (1) lediglich durch die Angabe zahlenmäßiger Bereiche für Dicke und Durchmesser der Pigmentteilchen (siehe Punkt 2.3.4 supra). Der Beschwerdegegner hat weder vorgetragen noch belegt, daß es sich bei den anspruchsgemäßen Abmessungen der Pigmentteilchen um ein erfindungswesentliches Merkmal handelt oder mit diesen ein besonderer technischer Effekt im Vergleich zur nächstkommenden Druckschrift (1) verbunden ist. Die Kammer sieht auch von sich aus keinen Anhaltspunkt hierfür. Folglich ist die zahlenmäßige Definition von Dicke und Durchmesser der Pigmentteilchen in Anspruch 1 weder zielgerichtet noch kritisch für die zu lösende Aufgabe, nämlich die allgemein beschriebenen Pigmente körperlich auszugestalten. Die willkürliche Wahl von zweckmäßigen Abmessungen für die körperliche Ausgestaltung dieser Pigmentteilchen, wie sie anspruchsgemäß vorgenommen wird, stellt jedoch lediglich eine Routinetätigkeit dar, die im Rahmen des handwerklichen Könnens des Fachmanns liegt, ohne daß es eines erfinderischen Tuns seinerseits bedürfte.

Der Beschwerdegegner hat demgegenüber eingewandt, daß im Stand der Technik weitaus kleinere Abmessungen der Pigmentteilchen als die in Anspruch 1 angegebenen üblich seien. Im vorliegenden Fall wird der routinemäßig handelnde Fachmann indessen durch den Stand der Technik zu den anspruchsgemäßen Zahlenbereichen für Dicke und Durchmesser hingeführt. So gibt bereits die nächstliegende Druckschrift (1) durch ihr Beispiel 3 dem Fachmann die Anregung zu einer Dicke von 20 µm und die Druckschrift (2) durch ihre Angabe in Spalte 3, Zeile 28 zu einem Durchmesser von 5 bis 500 µm, welche im jeweiligen anspruchsgemäßen Bereich liegen. Aus diesem Grunde vermag das Vorbringen des Beschwerdegegners nicht zu überzeugen.

3.7. Die Kammer kommt aus den oben angeführten Gründen zu dem Schluß, daß der Gegenstand des Anspruch 1 des Streitpatents eine naheliegende Lösung der patentgemäßen Aufgabe darstellt und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

3.8. Da über einen Antrag nur als Ganzes zu entscheiden ist, war auf dessen übrige Ansprüche nicht weiter einzugehen.

Der Antrag des Beschwerdegegners ist folglich wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 52 (1) und 56 EPÜ nicht gewährbar.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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