T 1227/97 () of 10.5.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T122797.20000510
Datum der Entscheidung: 10 Mai 2000
Aktenzeichen: T 1227/97
Anmeldenummer: 91916776.7
IPC-Klasse: B22D 11/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Flüssigkeitsgekühlte Kokille für das Stranggießen von Strängen aus Stahl im Brammenformat
Name des Anmelders: a) Mannesmann Aktiengesellschaft b) Arvedi, Giovanni
Name des Einsprechenden: I: Voest-Alpine Industrieanlagenbau GmbH
II: SMS Schloemann-Siemag AG
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - verneint (Bonuseffekt)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. In der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 1997 hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 0 551 311 in geändertem Umfang auf der Basis von Anspruch 1 bis 9 aufrechterhalten. Die schriftliche Entscheidung erging am 27. Oktober 1997.

II. Anspruch 1 vorgenannter Entscheidung hat unter Richtigstellung von drei Druckfehlern folgenden Wortlaut:

"1. Flüssigkeitsgekühlte, breitenverstellbare Plattenkokille für das Stranggießen von Strängen aus Stahl im Brammenformat, für eine Dicke der Bramme unter 100 mm, wobei

die formgebenden Breitseitenplatten (1) und Schmalseitenplatten (2) der Kokille in Richtung ihrer Quererstreckung im Sinne einer Queschnittsvergrößerung für den Strang ausgebildet sind,

die Schmalseitenplatten (2) über die Kokillenhöhe im wesentlichen parallel zueinander angeordnet sind, die Breitseitenplatten (1) mindestens in einem Bereich (3) geringster Brammenbreite konkav ausgebildet sind, derart, daß im Querschnitt die Scheitelhöhe (13) der einen Bogen bildenden Kokillenwand gegenüber einem eingeschriebenen Rechteck auf der Eingießseite (4) der Kokille zwischen 5-12 mm pro 1000 mm Brammenbreite (Sehnenlänge) beträgt und die Form der Breitseitenplatten (1) am Strangaustrittsende (5) der Kokille dem zu erzeugenden Strangformat entspricht, wobei die Breitseitenplatten (1) am Strangaustrittsende (5) der Kokille derart konkav ausgebildet sind, daß im Querschnitt gesehen die Scheitelhöhe (13) der den Bogen bildenden Kokillenwand noch mindestens 0,5 bis 2 mm beträgt, die Breitseitenplatten (1) im Verstellbereich (3') der Schmalseitenplatten (2) als ebene Fläche ausgebildet sind und in der der formgebenden Seite abgewandten Seite schlitzartige Kanäle (8) angeordnet sind."

III. Gegen die Entscheidung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, haben die Einsprechenden II und I am 17. bzw. 18. Dezember 1997 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt; die Beschwerdebegründung wurde am 27. Februar bzw. 23. Januar 1998 eingereicht.

IV. Mit Schriftsatz vom 4. April 2000 hat die Einsprechende II - SMS Schloemann Siemag AG - ihre Beschwerde zurückgenommen.

V. Nach vorbereitender Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 11 (2) VOBK vom 11. August 1999 fand am 10. Mai 2000 eine mündliche Verhandlung statt, an der die Einsprechende II nicht teilnahm. Die mündliche Verhandlung wurde gemäß Regel 71 (2) EPÜ ohne sie fortgesetzt. Die wesentlichen Argumente der Einsprechenden I - nachfolgend Beschwerdeführerin - und der Patentinhaber - nachfolgend Beschwerdegegner - können wie folgt zusammengefaßt werden, wobei für die Druckschriften nachfolgende Zitierweise gilt:

(E1) DE-A-3 501 422,

(E11) DE-A-3 627 991,

(E15) "Steel Times", November 1989, Seiten 505 bis 507,

(E16) "Stranggießen von Stahl", Hans Schrewe, Verlag Stahleisen mbH, Düsseldorf, 1987, Seiten 33 bis 36, und

(E17) WO-A-89/12516.

a) Beschwerdeführerin:

- aus dem nächstkommenden Stand der Technik gemäß (E1) sei sowohl eine Ein- als auch eine Auslaufbombierung einer Plattenkokille bekannt, so daß allenfalls ein Neuheitsüberschuß des Anspruchs 1 in den speziellen Maßangaben dieser Bombierungen vorliegen könne;

- aus (E15), die auf (E1) aufbaue, lasse sich eine Brammenbreite von 2100 mm entnehmen, die in Beziehung zu setzen sei mit der Brammen-Eingangsdicke von 150 mm sowie mit der Brammen-Auslaufdicke von 100 mm dergestalt, daß sich eine Einlaufbombierung von 11,9 mm pro 1000 mm Brammenbreite ergebe;

- durch Abnutzung liege gemäß EP-B1-0 120 338 (in der mündlichen Verhandlung überreicht) bereits nach wenigen Betriebsstunden eine Auslaufbombierung von z. B. 0,5 mm vor, so daß sich die beanspruchte Scheitelhöhe am Kokillenauslauf für den Fachmann ohne sein Zutun ergebe, weil sich der Langseitenverschleiß nach der Betriebserfahrung des Stranggießers bevorzugt in der Mitte der Langseiten auswirke und zu einer Polygonform führe;

- die vorhandenen Bombierungen an der Ein- und Auslaufseite der Kokille führten zu einer Einspannung der Dünnbramme und damit zu einem axialen Fixieren derart, daß ein seitliches Wandern innerhalb der Kokille unterbunden werde;

- da seitens der Beschwerdegegnerinnen eine Bombierung der Dünnbramme als besonders vorteilhaft für das Auswalzen der Dünnbramme geltend gemacht worden sei, sei darauf zu verweisen, daß dies aus Anspruch 1, der auf eine Plattenkokille abgestellt sei, nicht hervorgehe;

- obige Argumente zusammenfassend sei die Lehre von Anspruch 1 nicht als erfinderisches Tätigwerden des Fachmannes anzuerkennen.

b) Beschwerdegegnerin:

- bei gegebener Neuheit des Beanspruchten sei der hier zu berücksichtigende Stand der Technik nicht dazu angetan, die beanspruchte Plattenkokille nach Anspruch 1 dem Fachmann nahezulegen;

- die Aussage von (E1), wonach die Auslaufbombierung "etwa den Wert Null" annehmen könne, lasse nicht notwendigerweise auf eine Konkavbombierung schließen; zudem sei ein etwaiger Verschleiß der Kokille im Stranggießbetrieb nicht gleichzusetzen mit einer gezielten Bemessung der Kokillenbombierung;

- das Problem, wie das Pendeln d. h. eine zyklische Querverschiebung der Dünnbramme innerhalb der Plattenkokille verhindert werden könne, sei von Anfang an im Streitpatent angesprochen gewesen, wenn auch mit anderen Worten;

- der Stand der Technik befasse sich zwar mit dem Bombieren von Kokillen, sei aber unergiebig im Hinblick auf das Verhindern des Pendelns der Dünnbramme; dies gelte auch für den zentrischen Lauf der Dünnbramme und die Möglichkeit einer sanften Reduktion der Dünnbramme in den nachgeordneten Walzgerüsten;

- insgesamt sei nicht erkennbar, daß der von (E1) ausgehende Fachmann vom hier zu berücksichtigenden Stand der Technik unmittelbar auf den Gegenstand von Anspruch 1 gelenkt werden könne; es habe vielmehr eines erfinderischen Zutuns bedurft, die Lehre gemäß Anspruch 1 zu erzielen.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patentes Nr. 0 551 311.

Die Einsprechende II hat schriftsätzlich ebenfalls die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents beantragt.

VII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Die Einsprechende II nimmt nach Rücknahme ihrer Beschwerde im Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 107 Satz 2 EPÜ die Stellung einer weiteren Verfahrensbeteiligten ein.

3. Neuheit

Dem nächstkommenden Stand der Technik (E1) sind die beanspruchten Scheitelhöhen des Anspruchs 1 an der Ein- und an der Auslaufseite der Plattenkokille nicht direkt entnehmbar, so daß der Gegenstand von Anspruch 1 neu ist.

Da die Frage der Neuheit zwischen den Parteien nicht strittig war und auch von der Kammer als gegeben angesehen wird, erübrigen sich weitere ins Detail gehende Erörterungen zu dieser Frage.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. In (E1) liegt nach Überzeugung der Kammer nicht nur eine einlauf- sondern auch eine auslaufseitige Bombierung der Kokille vor, vgl. Figur 7 der (E1), die zwei Bogenlinienpaare aufweist, nämlich die äußeren Bogenlinien als Aussage zum Einlauf und die inneren Bogenlinien zum Auslauf der Kokille. Da Figur 7 eine Detailvergrößerung zu Figur 6 der (E1) darstellt, stellen beide Figuren den Querschnitt der Kokille in ein und derselben Ebene dar, auch wenn die Beschwerdegegnerinnen in dieser Beziehung eine andere Auffassung vertreten haben.

4.2. Wie in vorstehendem Abschnitt 3. Neuheit schon herausgestellt wurde, lehrt (E1) nicht die Maßangaben der Scheitelhöhen der Bombierungen gemäß Anspruch 1, nämlich zwischen 5 bis 12 mm pro 1000 mm Brammenbreite am Kokilleneinlauf und mindestens 0,5 bis 2 mm am Kokillenauslauf.

4.3. Mit diesen Merkmalen des Anspruchs 1 wird laut geltender Beschreibung Seite 4, Zeilen 48 bis 50 ein zentrischer Lauf der Bramme erzielt.

4.4. Die Kammer geht zunächst davon aus, daß gleiche technische Merkmale zu gleichen technischen Wirkungen führen. Im konkreten Fall bedeutet dies, daß es aus (E1) bereits bekannt ist, sowohl eine einlauf- als auch eine auslaufseitige Bombierung der Plattenkokille vorzusehen. Für die Erzwingung eines zentrischen Laufes der Bramme sind somit schon in (E1) alle baulichen Vorkehrungen getroffen, so daß es im Sinne einer objektiv noch verbleibenden technischen Aufgabe nur noch darum gehen kann, die Randbedingungen für oben genannte Wirkung der Kokillenbombierung zu optimieren.

4.5. Mit Blick auf die auf (E1) aufbauende (E15) zeigt sich jedoch, daß die beanspruchte Einlaufbombierung der Kokille zum Stand der Technik gehört und zwar aus folgenden Gründen:

- in (E1) ist die Einlaufdicke der Bramme laut Seite 8, Absatz 2 z. B. 150 und die Auslaufdicke z. B. 100 mm, so daß eine Bogenhöhe von 150 minus 100 geteilt durch zwei folgt, nämlich 25 mm;

- aus (E15), vgl. Seite 506, linke Spalte, ergibt sich eine Brammenbreite bis zu 2100 mm;

- die Kombination dieser beiden Informationen führt zu einer längenbezogenen Bombierung am Kokilleneinlauf von 11,9 mm pro 1000 mm Brammenbreite und liegt damit im Bereich des Anspruchs 1 für die Einlaufseite der Kokille.

4.6. Zur Abschätzung der beim Stand der Technik bei Dünnbrammen üblichen Einlaufbombierung bedurfte es ersichtlich nicht der Kenntnis der Erfindung, um durch Rechnung zu dem Wert zu gelangen, der im Bereich des Anspruchs 1 liegt. Dieses Merkmal des Anspruchs 1 muß daher als für den Fachmann vorgegeben angesehen werden.

4.7. Es verbleibt auf die Verhältnisse am Kokillenauslauf einzugehen. Zunächst ist festzuhalten, daß die Auslaufbombierung mit einem Wert von herab bis zu mindestens 0,5 mm sehr klein ist und gemäß EP-B1-0 120 338 (in der mündlichen Verhandlung vorgelegt) im Bereich des Verschleißes der Kokille liegt, vgl. Spalte 1, Zeilen 13 bis 19.

4.8. Schon aus der (E1), vgl. Figur 7 bzw. Seite 10, Absatz 1, ist ersichtlich, daß einerseits eine Auslaufbombierung vorgesehen ist, daß sie aber andererseits kleine Werte annehmen ("auf etwa den Wert Null ...") kann.

4.9. Der Fachmann wird somit durch die vorgenannten zwei Informationen aus dem Stand der Technik auf geringe Auslaufbombierungen gestoßen, so daß im Einzelfall nur noch gezielte Versuche anzustellen sind, die günstigsten Werte dafür zu ermitteln.

Da die Auslaufbombierung der Kokillen ohnehin auf den Bereich, der der Stranggießkokille nachgeordnet ist, ausstrahlt, nämlich auf das Walzverformen der erstarrten Bramme, ist die Auslaufbombierung nicht der Parameter, der mit dem Problem des Pendelns der Bramme im Einlaufbereich der Kokille direkt verbunden ist, vgl. EP-B1-0 551 311, Seite 3, Zeilen 21 bis 24 ("Der vorliegenden Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde ...").

4.10. Vorstehende Überlegungen zusammenfassend kann auch in der Bemessung der Auslaufbombierung gemäß Anspruch 1 nichts von erfinderischem Tätigwerden des Fachmannes gesehen werden.

4.11. Anspruch 1 erfüllt somit nicht die Erfordernisse der Artikel 56 und 100 a) EPÜ und ist demzufolge nicht rechtsbeständig.

4.12. Wie vorstehende Ausführungen deutlich machen, vermochte sich die Kammer dem Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen, wonach dem hier zu berücksichtigenden Stand der Technik das Problem des Pendelns der Dünnbramme fremd sei, nicht anzuschließen, da der Stand der Technik mit den beanspruchten gegenständlichen Merkmalen des Anspruchs 1 qualitativ übereinstimmt, indem sowohl an der Ein- als auch an der Auslaufseite Bombierungen an der Kokille vorgesehen sind.

4.13. Auch wenn die damit erzielten Wirkungen im Stand der Technik nicht herausgestellt sind, muß davon ausgegangen werden, daß sie da waren und zwar deshalb, weil gleiche technische Mittel gleiche technische Wirkungen zur Folge haben müssen. In der Rechtsprechung wird für diesen Sachverhalt der Begriff "Bonuseffekt" verwendet, der einen Patentschutz nicht zu begründen vermag. Somit ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht zu halten.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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