T 0976/97 () of 16.8.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T097697.20000816
Datum der Entscheidung: 16 August 2000
Aktenzeichen: T 0976/97
Anmeldenummer: 90123153.0
IPC-Klasse: C08J 9/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Schaumstoffen
Name des Anmelders: SOLVAY (Société Anonyme)
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 58
European Patent Convention 1973 Art 60
European Patent Convention 1973 Art 96(2)
European Patent Convention 1973 Art 97(1)
European Patent Convention 1973 Art 113(2)
European Patent Convention 1973 R 20
European Patent Convention 1973 R 51(4)
European Patent Convention 1973 R 51(6)
European Patent Convention 1973 R 67
European Patent Convention 1973 R 86(3)
Schlagwörter: Berechtigter Inhaber
Rechtliches Gehör - vom Patentanmelder gebilligte Fassung
Wesentlicher Verfahrensfehler (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/89
G 0010/92
G 0007/93
G 0010/93
J 0013/94
J 0027/94
J 0026/95
J 0029/95
T 0549/96
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0482/06
T 0570/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 4. Dezember 1990 unter Beanspruchung der Priorität zweier deutscher Voranmeldungen (3940447) vom 7. Dezember 1989 und (4008041) vom 14. März 1990 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 90. 123 153.0 mit der Veröffentlichungsnummer 0 431 542 und dem Titel "Verfahren zur Herstellung von Schaumstoffen" wurde von der Prüfungsabteilung mit einer am 25. April 1997 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.

II. Die Anmeldung enthielt zum Zeitpunkt der Zurückweisung zwei Anspruchssätze für den benannten Vertragsstaat GR ("Anspruchssatz 1") und für die benannten Vertragsstaaten AT, BE, CH, DE, DK, ES, FR, GB, IT, LI, LU, NL und SE ("Anspruchssatz 2"), sowie zwei an den jeweiligen Anspruchssatz angepaßte Beschreibungen.

i) Anspruchssatz 1 enthielt sieben Ansprüche mit dem ursprünglich eingereichten Wortlaut. Anspruch 1 lautete:

"Verfahren zur Herstellung von Schaumstoffen auf Basis von Polyisocyanaten durch Umsetzung von Polyisocyanaten, Verbindungen mit mindestens zwei gegenüber Isocyanatgruppen reaktionsfähigen Wasserstoffatomen, Treibmitteln und gegebenenfalls weiteren Zusatzmitteln, dadurch gekennzeichnet, daß man ein Treibmittel verwendet, das zu mindestens 10 Mol-% aus einem oder mehreren fluorierten Ethern der allgemeinen Formel I

CaHbFc - O - CdHeFf.....mit

a = 1-6.....d = 1-2

b = 1-12....e = 0-5

c = 1-12....f = 0-5

besteht."

Die Ansprüche 2 bis 7 betrafen bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1.

ii) Anspruchssatz 2, eingegangen am 18. Oktober 1995, enthielt fünf Ansprüche. Der geänderte Anspruch 1 lautete:

"Verfahren zur Herstellung von Schaumstoffen auf Basis von Polyisocyanaten durch Umsetzung von Polyisocyanaten, Verbindungen mit mindestens zwei gegenüber Isocyanatgruppen reaktionsfähigen Wasserstoffatomen, Treibmitteln und gegebenenfalls weiteren Zusatzmitteln, dadurch gekennzeichnet, daß man ein Treibmittel verwendet, das zu mindestens 10 Mol-% aus einem oder mehreren der fluorierten Ether

CF3-CHF-CF2 - O - CH3

CHF2-CF2 - O - CH2-CH3

CHF2-CF2 - O - CH2-CF3

besteht."

Der Wortlaut der Ansprüche 2 bis 5 war identisch zu dem der Ansprüche 2 bis 5 in Anspruchssatz 1.

III. Die Zurückweisung wurde auf die Artikel 97 (1) und 113 (2) EPÜ gestützt, da nach Erlaß der Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ ein Antrag auf Änderung der Unterlagen eingereicht worden war, dem die Prüfungsabteilung unter Hinweis auf Regel 86 (3) EPÜ nicht zustimmte und der auch nach einem Bescheid gemäß Artikel 96 (2) EPÜ aufrechterhalten wurde, in dem die Zurückweisung der Anmeldung für diesen Fall angekündigt worden war.

IV. Am 25. Juni 1997 wurde gegen diese Entscheidung von der Beschwerdeführerin BF (Anmelderin) unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben. In der am 5. September 1997 eingereichten Beschwerdebegründung wurden ein Haupt- und zwei Hilfsanträge gestellt, sowie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt, sofern dem Hauptantrag nicht stattgegeben werde. Im Rahmen der beiden Hilfsanträge wurde wegen eines geltend gemachten wesentlichen Verfahrensfehlers der Prüfungsabteilung die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. In allen Anträgen wurde die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents beantragt. Einzelheiten der vorgetragenen Argumentation werden wegen der engen Verflechtung des Verfahrensablaufs und der Beschwerdebegründung weiter unten wiedergegeben.

V. Das Verfahren vor der Prüfungsabteilung bis zur Zurückweisung wird im folgenden kurz dargestellt. Daten geben das Datum des Posteingangs beim EPA bzw. bei Aktionen des EPA das Datum des Postausgangs wieder:

i) Strittig ist ausschließlich der Anmeldungsgegenstand gemäß Anspruchssatz 2, der wegen des im Prüfungsverfahren unter Artikel 54. (3) und (4) EPÜ zitierten Dokuments EP-A-0 416 777 (D1) geändert worden war. Alle Verweise in dieser Entscheidung beziehen sich auf den zu Anspruchssatz 2 gehörenden Teil der Anmeldungsunterlagen, soweit nichts anderes angegeben ist.

ii) Auf Grundlage der eingangs unter Punkt II. wiedergegebenen Unterlagen erging am 15. Mai 1996 die Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ, in der der damaligen Patentanmelderin Hoechst AG die Fassung der Unterlagen mitgeteilt wurde, auf deren Grundlage die Erteilung durch die Prüfungsabteilung beabsichtigt war.

Mit einem "2. Juli 1995" datierten Schreiben, eingegangen am 3. Juli 1996, erklärte diese Anmelderin ihr Einverständnis zu der in der obigen Mitteilung angegebenen Fassung.

Daraufhin wurde die Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ am 9. Juli 1996 erlassen.

iii) Am 30. August 1996 wurde das Einverständnis widerrufen, da die Anmeldung "in kürze auf einen neuen Inhaber übergehen" solle, der sich die Einverständniserklärung nach Regel 51 (4) EPÜ selbst vorbehalten wolle. Außerdem wurde die Verlängerung der Frist vom 15. Mai 1996 um zwei Monate beantragt.

iv) In einer weiteren Eingabe benannte die damalige Anmelderin am 27. September 1996 die Firma Solvay S.A. als künftige Inhaberin, nahm nach telefonischer Rücksprache ihrerseits und "seitens des zukünftigen Inhabers" mit dem EPA den Widerruf des Einverständnisses zurück, beantragte die Übernahme der Fassung der Beschreibung zum Anspruchssatz 1 für alle benannten Vertragsstaaten, beantragte eine kurze Einfügung, D1 betreffend, auf Seite 3 der Beschreibung, reichte einen Anspruchssatz 2, bestehend aus einem geänderten Anspruch 1, den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 5 und neuen Ansprüchen 6 bis 10, ein und machte weitere Ausführungen zur Neuheit der vorgeschlagenen geänderten bzw. neuen Ansprüche und ihrer Basis in den ursprünglichen Unterlagen.

v) Die beim Europäischen Patentamt eingegangene Fassung des Vorschlages für den geänderten Anspruch 1 von Anspruchssatz 2 wird in der folgenden Abbildung wiedergegeben:

ABBILDUNG

Der neue unabhängige Anspruch 6 setzte sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 4 zusammen, wobei der Mindestgehalt an fluorierten Ethern von 10. auf 51 Mol-% geändert war. Daran schlossen sich die Ansprüche 3 und 5 bis 7 des Anspruchssatzes 1 als von Anspruch 6 abhängige Ansprüche 7 bis 10 an, wobei in Anspruch 7 die Untergrenze des Gehalts an fluorierten Ethern ebenfalls in 51 Mol-% modifiziert worden war.

vi) Seitens des Amtes wurde am 11. Oktober 1996 die Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ aufgehoben und mitgeteilt, daß die Prüfungsabteilung mit dem Antrag befaßt werde.

vii) In Unkenntnis der am 14. Oktober 1996 rechtswirksam gewordenen Übertragung der Anmeldung auf die BF wurde die Firma Hoechst AG von der Prüfungsabteilung am 15. Oktober 1996 gemäß Artikel 96 (2) EPÜ zur Stellungnahme aufgefordert, ob sie die beantragten Änderungen zurückziehe, da dem Antrag vom 27. September 1996 nicht stattgegeben werden könne.

Die Prüfungsabteilung sah keinen hinreichenden Grund, bei der vorliegenden Sachlage in eine durch die beantragten Änderungen notwendig werdende ausführliche Prüfung wieder einzutreten, die einen unzumutbaren Arbeitseinsatz erfordern würde. Daher wies sie die Änderungen unter Anwendung der Regel 86 (3) EPÜ zurück.

viii) Am 4. Dezember 1996 beantragte die BF, die gemäß Regel 1 (1) EPÜ alle ihre Schriftsätze in Französisch eingereicht hat, hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, sofern die Prüfungsabteilung den obigen Änderungsantrag verwerfen wolle. Sie sei von der vorigen Anmelderin über den Bescheid informiert worden.

Des weiteren argumentierte sie, der späte Änderungsantrag sei auf die Übertragung der Anmeldung zurückzuführen. Die BF betrachte die Einschränkung der Ansprüche des Anspruchssatzes 2 im Hinblick auf den Stand der Technik jedoch als zu weitgehend. Sie werde dadurch ihres Rechts beraubt, alles geschützt zu bekommen, auf das sie Anrecht habe, wenn die Prüfungsabteilung die Wiederaufnahme der Prüfung weiterhin ablehne. Zudem sei die Einreichung einer Teilanmeldung mit demselben Ziel, alle patentfähigen Gegenstände zu schützen, in diesem Verfahrensstadium nicht mehr möglich. Im Hinblick auf D1 sei nur die Neuheit zu überprüfen, dazu seien die Argumente am 27. September 1996 vorgelegt worden. Die Änderungen hielten sich genau an den Bescheid vom 26. April 1995 und nur die aus D1 bekannten Verbindungen seien durch Disclaimer ausgeschlossen worden, daher werde Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt.

Der Antrag, der mit der Übertragung der Patentanmeldung zusammenhänge, sei verhältnismäßig außergewöhnlich, er sei aber nicht auf eine Verschleppung des Erteilungsverfahrens gerichtet. Daher sollte die Prüfungsabteilung auch im Hinblick auf ihren Ermessensspielraum unter Regel 86 (3) EPÜ die Prüfung wiederaufnehmen.

ix) Am 9. Dezember 1996 fand eine persönliche Rücksprache des Vertreters der BF mit dem beauftragten Prüfer statt, in der dem Vertreter mitgeteilt wurde, daß einer Wiederaufnahme der Prüfung von der Prüfungsabteilung nicht zugestimmt werde, und am 12. Dezember 1996 erging ein Bescheid an die BF mit dem gleichen Wortlaut wie in der unter Punkt V.vii) erwähnten Aufforderung an die vorige Anmelderin.

x) Daraufhin zog die BF mit Schreiben vom 3. März 1997 den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück, stellte hilfsweise den Antrag, in der anhängigen Anmeldung auf Seite 1 (letzte handschriftliche Zeile) den Ländercode "LN" durch "LU" sowie auf Seite 8 (Zeile 11) der Beschreibung "Beispiel 2" durch "Vergleichsbeispiel 2" zu ersetzen und eine neue Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ zu erlassen.

Außerdem trug sie vor, daß die Verschäumung mit fluorierten Ethern wieder besonderes Gewicht bekommen habe, wie beigefügte Literatur

D2 A. Sekiya, S. Misaki, Chemtech, Dezember 1996, 44. bis 48, "A continuing search for new refrigerants" und

D3 Publikation von RITE (Research Institute of Innovative Technology for the Earth), "Development of New Refrigerants, Blowing Agents and Cleaning Solvents for Effective Use of Energy", undatiert

belege. Die Ablehnung des Antrages habe daher zur Folge, daß das legitime Interesse der BF durch ein zu enges Patent verletzt werde.

Außerdem sei die dieses Gebiet betreffende Aktivität ("activité concernée") am 28. Juni 1996 von der vorigen Anmelderin auf die BF übergegangen. Die Zustimmung der vorigen Anmelderin, die ohne Konsultation mit ihr gegeben worden sei, hindere nun die BF, eine Teilanmeldung einzureichen.

Die Prüfungsabteilung möge ihren Ermessensspielraum im Hinblick auf die vorgetragenen Tatsachen gemäß der Entscheidung G 7/93, Punkt 2.5 der Entscheidungsgründe (ABl. EPA 1994, 775) in diesem Ausnahmefall zugunsten der BF ausüben.

Die zu starke Einschränkung durch die vormalige Anmelderin sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem diese nicht mehr Inhaberin der Anmeldung gewesen sei. Die BF habe dagegen ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Akte alles versucht, innerhalb der ursprünglichen Frist nach Regel 51 (4) EPÜ die Zustimmung zu widerrufen und eine Verlängerung dieser Frist zu erhalten. Während des Monats September 1996 habe sie deswegen mehrfach telefonisch Kontakt mit Bediensteten des EPA aufgenommen. Am 25. September 1996 sei ihr telefonisch mitgeteilt worden, dem Antrag vom 27. August 1996 könne nicht stattgegeben werden, da die Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ bereits am 9. Juli 1996 ergangen sei. Der einzig mögliche Weg sei ein Änderungsantrag für die Anmeldung, was am 27. September 1996 geschehen sei. Die Gewährung dieses Antrags hätte die Einreichung einer Teilanmeldung ermöglicht. Dazu sei die BF immer noch bereit.

VI. Die Anmeldung wurde am 25. April 1997 durch die Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

i) Die Abteilung begründete ihre Entscheidung im Einzelnen mit der Tatsache, daß sie am 12. Dezember 1996 die am 4. Dezember 1996 beantragten Änderungen unter Ausübung ihres Ermessens gemäß Regel 86 (3) EPÜ nicht zugelassen und die BF zur Stellungnahme gemäß Artikel 96 (2) EPÜ aufgefordert habe.

ii) Mit dem Schreiben vom 7. März 1997 seien von der BF neue rechtserhebliche Faktoren genannt und die Zulassung der besagten Änderungen erneut beantragt worden.

iii) Bei der Ausübung des Ermessens nach Regel 86 (3) Satz 2 EPÜ müsse die Abteilung allen rechtserheblichen Faktoren Rechnung tragen, darunter die geltend gemachte Übertragung der "activité concernée" am 28. Juni 1996 und die fehlende Einverständniserklärung durch die berechtigte Inhaberin sowie die Aussage, die Zustimmung der vormaligen Anmelderin vom 3. Juli 1996 sei im Lichte des wieder gewachsenen allgemeinen Interesses an Fluorkohlenwasserstoff-Treibmitteln als zu beschränkt für einen genügenden Schutzumfang zu bezeichnen.

iv) Die Übertragung der Anmeldung vor der Zustimmung zur für die Erteilung vorgesehenen Fassung sei nicht nachgewiesen worden, vielmehr sei die BF am 27. August 1996 noch als "zukünftige" Inhaberin bezeichnet worden. Der offizielle Übertragungsantrag sei erst am 14. Oktober 1996 eingereicht worden.

v) Das Interesse der Industrie an Fluorkohlenwasserstoff-Treibmitteln stelle keinen ausreichenden Grund für eine Wiederaufnahme der Sachprüfung zu einem so späten Stadium des Erteilungsverfahrens dar. Die Zulassung von Änderungen sei zu diesem Zeitpunkt eher die Ausnahme als die Regel, z. B. um ein in allen benannten Vertragsstaaten rechtsbeständiges Patent zu erteilen oder bei kleinen Änderungen, die keine Wiederaufnahme der Sachprüfung erfordern.

vi) Die von der ursprünglichen Anmelderin gebilligte Fassung führe aber zu einem in allen benannten Vertragsstaaten rechtsbeständigen Patent und die ausführliche Prüfung der beantragten Änderungen erforderte einen unzumutbaren Arbeitseinsatz, da die Ansprüche hinsichtlich der Artikel 54, 84 und 123 (2) EPÜ geprüft werden müßten.

vii) Es sei daher kein ausreichender Grund genannt worden, der die Aufhebung der Zurückweisung des Änderungsantrags vom 4. Dezember 1996 in der Mitteilung vom 12. Dezember 1996 rechtfertigen würde. Die BF habe auch Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt, ihren Antrag aber aufrechterhalten. Die Anmeldung wurde daher gemäß den Artikeln 97 (1) und 113 (2) EPÜ zurückgewiesen.

VII. In ihrer Beschwerdebegründung, die am 5. September 1997 eingereicht wurde,

i) trug die BF im wesentlichen dieselben Argumente vor wie vor der Prüfungsabteilung,

ii) verwies erneut auf die Entscheidung G 7/93, derzufolge weder das Einverständnis des Anmelders mit der mitgeteilten Fassung noch der Erlaß einer Mitteilung des EPA nach Regel 51 (6) EPÜ den Anmelder oder das EPA im eigentlichen Sinne des Wortes "binden". Daher hätte es genügt, diese Mitteilung zu widerrufen, um den Antrag vom 27. August 1996 zulassen zu können;

iii) argumentierte auch, daß die Prüfungsabteilung gemäß der Großen Beschwerdekammer in der zitierten Entscheidung bei der Ausübung ihres Ermessens allen im jeweiligen Fall rechtserheblichen Faktoren Rechnung tragen müsse. Sie müsse insbesondere das Interesse des Anmelders an einem in allen Staaten rechtsbeständigen Patent wie auch das seitens des EPA bestehende Interesse, das Prüfungsverfahren durch Erlaß eines Erteilungsbeschlusses zum Abschluß zu bringen, berücksichtigen und gegeneinander abwägen; das berechtigte Interesse der Anmelderin sei im vorliegenden außergewöhnlichen Fall aber als höher zu bewerten als das des Amtes an einer schnellen Erledigung des Falles;

iv) legte außerdem dar, daß die vormalige Anmelderin zum Zeitpunkt der Erklärung des Einverständnisses nicht mehr legale Inhaberin der Anmeldung gewesen sei, auch wenn sie gemäß Regel 20 EPÜ noch als solche angesehen worden sei;

v) beklagte, daß sie keine Teilanmeldung mehr einreichen könne, nachdem das EPA den Widerruf des Einverständnisses nicht mehr für möglich hielt;

vi) stimmte aber zu, daß das industrielle Interesse an den Treibmitteln keinen ausreichenden Grund für die Wiederaufnahme der Prüfung darstelle;

vii) trug zu den beiden Hilfsanträgen ergänzend vor, daß die sachlichen Änderungen im Sinne von Regel 88 EPÜ zulässig seien. Es sei auch vorstellbar, daß das Amt nach Widerruf der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ eine neue Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ unter Berücksichtigung der beantragten Änderungen in der Beschreibung erlassen könne.

viii) stellte einen Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr im Rahmen der Hilfsanträge und begründete ihn damit, daß die Prüfungsabteilung den am 3. März 1997 gestellten Hilfsantrag in der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt und begründet abgelehnt habe. Dies stelle einen wesentlichen Verfahrensfehler dar.

VIII. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung, die für den 13. April 2000 anberaumt wurde, wurden der BF in einer Anlage vom 21. Dezember 1999 die wesentlichen Diskussionspunkte unter Hinweis auf die Regeln 20 und 86. (3) EPÜ, auf die Entscheidung G 7/93 und die Stellungnahme G 10/92 (ABl. EPA 1994, 633) der Großen Beschwerdekammer mitgeteilt, sowie eine Tabelle zum zeitlichen Ablauf des Verfahrens vor dem EPA übersandt.

IX. Mit Schreiben vom 6. April 2000 zog die BF ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte die Fortsetzung im schriftlichen Verfahren. Daraufhin wurde am 10. April 2000 der Termin für die mündliche Verhandlung aufgehoben.

X. Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin ist auf die Aufhebung der angefochtenen Zurückweisung vom 25. April 1997 und die Erteilung eines Patents auf der Basis des Antrags vom 27. September 1996 gerichtet.

Im Hilfsantrag 1 beantragte sie

i) die Aufhebung der angefochtenen Zurückweisung,

ii) die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der in der Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ mitgeteilten Fassung der Anmeldungsunterlagen mit den oben genannten Änderungen der Beschreibung (Punkt V.x), Absatz 1),

iii) den Erlaß einer neuen Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ und

iv) die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ.

Der Hilfsantrag 2 umfaßt in identischer Weise die Punkte i), ii) und iv) von Hilfsantrag 1.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neu genannte Literatur

Die BF stimmte der Prüfungsabteilung in ihrer Beschwerdebegründung zu, daß industrielles Interesse an Treibmitteln keinen ausreichenden Grund für die Wiederaufnahme der Prüfung darstelle, und legte dar, daß die neu genannten Druckschriften D2 und D3 aber die Nachteile belegten, die sie durch ein zu enges Patent erleiden würde (Punkt 2.1.8).

Die beiden Druckschriften können also nicht zur Beantwortung der Frage beitragen, ob die Entscheidung der Prüfungsabteilung richtig oder falsch war. Sie stellen lediglich Literatur über den technischen oder kommerziellen Hintergrund des betroffenen Fachgebietes dar, sind demzufolge nicht entscheidungserheblich und werden daher von der Kammer nicht in Betracht gezogen (Artikel 114 (2) EPÜ).

3. Patentanmelderin und Übertragung der Anmeldung

3.1. Die Einverständniserklärung auf die Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ ist am 3. Juli 1996 beim EPA eingelangt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist weder der Akte eine Eingabe, noch dem europäischen Patentregister eine Eintragung zu entnehmen, die der Verfügungsberechtigung der damaligen als Anmelderin eingetragenen Hoechst AG widersprechen.

3.2. Daraus folgt, daß das nach Regel 51 (4) EPÜ erforderliche Einverständnis von der zu diesem Zeitpunkt berechtigten Anmelderin fristgerecht erklärt worden ist. Folglich konnte die Prüfungsabteilung am 9. Juli 1996 der damaligen Anmelderin in Übereinstimmung mit Regel 51. (6) EPÜ die entsprechende Aufforderung zur Erfüllung der weiteren Erfordernisse für die Erteilung zusenden lassen.

3.3. In einem am 30. August 1996 eingegangenen Schriftsatz wurde dem Amt erstmals die Absicht der damaligen Anmelderin mitgeteilt, die Anmeldung auf einen neuen Inhaber zu übertragen. Auch in der Eingabe mit Datum vom 27. September 1996 ist noch davon die Rede, daß die Anmeldung in kürze auf einen neuen Inhaber übergehen solle. In diesem Schreiben ist auch erstmals die BF als neue Anmelderin namentlich angegeben worden. Am 14. Oktober 1996 ist dann die am 16. September 1996 von der Fa. Hoechst AG und am 9. Oktober 1996 von der Fa. Solvay (Société Anonyme) unterzeichnete Übertragungserklärung beim EPA eingelangt und gemäß Regel 20 EPÜ umgesetzt worden.

3.4. Aus Regel 20 EPÜ ergibt sich eindeutig, daß die Übertragung erst nach der Vorlage der entsprechenden Urkunden und Entrichtung einer Verwaltungsgebühr am 14. Oktober 1996 im Umfang des urkundlichen Nachweises rechtskräftig geworden ist. Alle bis dahin erfolgten Erklärungen der vormaligen Anmelderin, einschließlich der Rücknahme des Widerrufs der Einverständniserklärung nach Regel 51 (4) am 27. September 1996, waren zum jeweiligen Zeitpunkt als für das Amt verbindliche Willensbekundungen des nach den Artikeln 58 und 60 EPÜ berechtigten Anmelders anzusehen (vgl. J 26/95, ABl. EPA 1999, 668; Punkt 2 der Entscheidungsgründe). Eventuelle vorherige Absprachen zwischen den beiden Firmen Hoechst AG und Solvay S.A. betrafen lediglich das Binnenverhältnis der Firmen und waren für das EPA ohne Belang.

In Bezug auf diese Frage vermag die Kammer bei dieser Rechts- und Sachlage daher für die Prüfungsabteilung keinen Beurteilungsspielraum zugunsten der BF und folglich auch in der Begründung unter Punkt 3.i) der angefochtenen Entscheidung keine fehlerhafte Beurteilung zu erkennen.

4. Ablauf des Verfahrens vor der Prüfungsabteilung

4.1. Während des Prüfungsverfahrens wurden von der Prüfungsabteilung zwei Bescheide nach Artikel 96 (2) EPÜ wegen eines Neuheitseinwands hinsichtlich D1 erlassen (19. April 1994 und 26. April 1995), bevor sie am 26. April 1996 entschied, daß der Anmeldungsgegenstand gemäß den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Unterlagen dem EPÜ entsprach, und das Erteilungsverfahren in Gang setzte.

4.2. Jede weitere Änderung der Anmeldungsunterlagen, z. B. nach Zusendung der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ, setzte folglich gemäß Regel 86 (3) EPÜ die Zustimmung der Prüfungsabteilung voraus. Dies ist auch weder von der vorigen Anmelderin noch von der BF bestritten worden.

4.3. In Beantwortung der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vom 15. Mai 1996 stimmte die damalige Anmelderin mit der im Amt am 3. Juli 1996 eingegangenen Eingabe der für die Erteilung vorgesehenen Fassung der Anmeldungsunterlagen zu. Es gab in Anbetracht der klaren und eindeutigen Formulierung dieser Eingabe für die Prüfungsabteilung keinen Anlaß, die Gültigkeit dieser Erklärung anzuzweifeln: (i) die Zustimmung war an keinerlei Bedingungen gebunden, und (ii) es war klar, welchem Text die Zustimmung erteilt wurde (J 13/94 vom 4. Oktober 1996, nicht im ABl. EPA veröffentlicht; J 27/94, ABl. EPA 1995, 831; J 29/95, ABl. EPA 1996, 489).

4.4. Nach Regel 51 (6) EPÜ kann die Mitteilung, die eine neue zwei- bis dreimonatige nicht verlängerbare (Folge-)Frist in Gang setzt, erst und nur dann erlassen werden, wenn der Anmelder mit der Fassung einverstanden ist, in der die Prüfungsabteilung das europäische Patent zu erteilen beabsichtigt, d. h. wenn die Erfordernisse der Regel 51. (4) EPÜ erfüllt sind. Daraus folgt aber zwangsläufig, daß die vorherige Frist zur Stellungnahme gemäß Regel 51. (4) EPÜ vom 15. Mai 1996 gegenstandslos geworden sein mußte und demzufolge bei Erlaß der Mitteilung nach Regel 51. (6) EPÜ am 9. Juli 1996 nicht mehr bestand. Dem Antrag auf Verlängerung dieser Vorfrist, der gleichzeitig mit dem Widerruf des Einverständnisses mit der vorgeschlagenen Fassung der Unterlagen am 30. August 1996 gestellt wurde, konnte daher nicht stattgegeben werden.

4.5. Am 27. September 1996 wurde der Widerruf der Einverständniserklärung zurückgenommen, und es wurde ein neuer Anspruchsatz 2 eingereicht, entsprechend dem nunmehrigen Hauptantrag. Darüber hinaus wurden verschiedene Änderungen hinsichtlich der Beschreibung vorgeschlagen.

4.6. Da sich das Amt gemäß Artikel 113 (2) EPÜ an die vom Anmelder vorgelegte Fassung zu halten hat und folglich die Erteilung auf Grundlage der vorher gebilligten Fassung nicht mehr erfolgen konnte, wurde die Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ am 11. Oktober 1996 aufgehoben und die Anmeldung der Prüfungsabteilung erneut vorgelegt, die in Unkenntnis der noch nicht zur Akte gelangten am Vortag wirksam gewordenen Übertragung der Anmeldung mit einem am 15. Oktober 1996 zur Post gegebenen Bescheid gemäß Artikel 96 (2) EPÜ zunächst an die vorige Anmelderin reagierte. Darin wurde festgestellt, daß die ausführliche Prüfung der beantragten Änderungen einen unzumutbaren Arbeitseinsatz erforderte und kein hinreichender Grund gesehen wurde, der die späte Wiederaufnahme des Prüfungsverfahrens hätte rechtfertigen können. Daher wies sie die beantragten Änderungen unter Hinweis auf Regel 86 (3) EPÜ zurück. Diese Haltung wurde auch in Kenntnis der Argumentation der BF in der Eingabe mit Datum vom 4. Dezember 1996 und nach persönlicher Rücksprache des beauftragten Mitglieds der Prüfungsabteilung mit dem Vertreter der BF am 9. Dezember 1996 von der Prüfungsabteilung beibehalten (Bescheid vom 12. Dezember 1996 an die BF) und in der angefochtenen Entscheidung bestätigt.

5. Anträge

Dieser Beschwerde liegen ein Haupt- und zwei Hilfsanträge zugrunde. Da die Anmeldungsunterlagen gemäß Anspruchsatz 1 in diesem Verfahren außerhalb jeder Diskussion gestanden haben und für sämtliche Anträge identisch sind, sieht die Kammer keinen Grund, sich näher damit zu befassen.

5.1. Hauptantrag

Zur Stützung ihres Hauptantrags, der dem Antrag vom 27. September entspricht, verweist die BF in der Beschwerdebegründung insbesondere auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 7/93 (siehe oben), der zufolge weder der Anmelder noch das EPA bis zum Erlaß des Erteilungsbeschlusses an die in der Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ mitgeteilte Fassung gebunden sind (Entscheidungsgründe Punkt 2.1).

5.1.1. Diese Entscheidung betont aber auch, daß die Zulassung oder Ablehnung weiterer Änderungen der Anmeldungsunterlagen im Ermessen der Prüfungsabteilung liegt.

Sie muß sich dabei nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls und danach richten, in welchem Stadium sich die Anmeldung befindet. Bei dem späten Stadium, wie im vorliegenden Fall, stellt eine Zulassung wohl eher die Ausnahme dar (Punkte 2.2 und 2.3). Dies hat auch die BF in Ihrer Beschwerdebegründung selbst festgestellt (Abschnitt 2.1.1).

5.1.2. Als Gründe zugunsten der Zulassung von späten Änderungen werden in G 7/93 genannt: (i) die Sicherstellung der Erteilung eines in allen benannten Vertragsstaaten rechtsbeständigen Patents (z. B. durch einen zusätzlichen Anspruchssatz für Staaten, die von Artikel 167 (2) EPÜ Gebrauch gemacht hatten) und (ii) kleinere Änderungen, die keine Wiederaufnahme der Sachprüfung erfordern (Punkt 2.5 der Entscheidungsgründe).

5.1.3. Unter Punkt 2.6 verweist die Große Beschwerdekammer ausdrücklich darauf, daß es nach einer Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung unter Regel 86. (3) EPÜ gegen den Anmelder nicht Aufgabe der Beschwerdekammer ist, die Sachlage nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Es bleibt der Kammer dann nur zu entscheiden, ob der in Punkt 2.5 von G 7/93 genannte Rahmen in unangemessener Weise ausgeübt oder überschritten wurde.

5.1.4. Beide oben genannte Aspekte (i) und (ii) sind in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 3 abgehandelt worden (2. Hälfte der Seite 3 und Seite 4 oben).

Außer Frage steht, daß unter Berücksichtigung der im Prüfungsverfahren in Betracht gezogenen Fakten und Dokumente die von der Prüfungsabteilung mitgeteilte Fassung des Anspruchssatzes 2 zu einem rechtsbeständigen Patent geführt hätte. Ansonsten hätte die beantragte Änderung von Anspruch 1 eine weitere Beschränkung erfordert, nicht aber - wie vorgeschlagen - eine Erweiterung des Anspruchsumfanges beinhalten können. Der vorliegende unterscheidet sich insoweit signifikant von dem in G 7/93 untersuchten Sachverhalt.

5.1.5. Bereits dem ersten Anschein nach (siehe Abschnitt V.v)) machen die neuen Unterlagen, schon wegen der vorgelegten Form, die offensichtlich nicht mit Regel 35 (3) EPÜ im Einklang steht, eine kritische Überprüfung hinsichtlich der Erfordernisse der Artikel 84, 123 (2) und schließlich auch 54 EPÜ notwendig. Diese Notwendigkeit wurde in der angefochtenen Entscheidung auch angesprochen.

5.1.6. Daher kann die Kammer hinsichtlich der Ablehnung der am 27. September 1996 beantragten Änderungen, die nun Grundlage des Hauptantrags sind, keine unangemessene oder falsche Ausübung des ihr nach Regel 86 (3) EPÜ zustehenden Ermessensrechts durch die Prüfungsabteilung erkennen.

5.2. Hilfsanträge 1 und 2

Beide Hilfsanträge stützen sich offensichtlich auf den Wortlaut des Anspruchsatzes 2 gemäß Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ. Sie unterscheiden sich von der damals mitgeteilten Fassung durch zwei Berichtigungen auf den Seiten 1 und 8 der Beschreibung. Aus sachlicher Sicht können beide daher miteinander behandelt werden. Hilfsantrag 1 enthält als einzigen Unterschied darüber hinaus den Antrag, eine neue Mitteilung nach Regel 51. (4) EPÜ zu erlassen.

5.2.1. Die Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ dient dazu, dem Anmelder die zur Erteilung vorgesehene Fassung der Anmeldungsunterlagen mitzuteilen. Sie soll also dem Anmelder letztmalig die Möglichkeit eröffnen, diese Unterlagen im Hinblick auf den von ihm als seine Erfindung betrachteten Gegenstand zu überprüfen und gegebenenfalls durch sachliche Änderungen damit in Übereinstimmung zu bringen (Artikel 113 (2) EPÜ), bevor durch die Erteilung beispielsweise die Bestimmung des Artikel 123 (3) EPÜ für den beanspruchten Gegenstand relevant wird und die Änderungsmöglichkeiten einschränkt.

5.2.2. Die Berichtigung von Mängeln nach Regel 88 EPÜ dient hingegen ausschließlich dazu, sprachliche Fehler, Schreibfehler und Unrichtigkeiten in den Unterlagen zu beseitigen, also den ursprünglich beabsichtigten Inhalt wiederherzustellen. Dies wird durch den Wortlaut des zweiten Satzes der Regel klar: "... daß nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird." Einer Berichtigung kommt also ein rein feststellender Charakter zu. Das wird auch in der Entscheidung G 3/89 festgestellt (ABl. EPA 1993, 117; siehe die Punkte 2 und 4 der Entscheidungsgründe).

Im vorliegenden Fall betreffen die Korrekturen neben der Berichtigung eines eindeutigen Schreibfehlers ("LN") die Wiederherstellung des Verweises auf ein ursprüngliches Beispiel, das nun ein Vergleichsbeispiel geworden ist.

Diese Korrekturen stellen also keine sachlichen Änderungen der ursprünglich beabsichtigten Offenbarung dar, für die die Prüfungsabteilung erneut in die Sachprüfung einzutreten gehabt hätte, um sie durch eine erneute Entscheidung in der Sache abzuschließen, deren Ergebnis der Zustimmung des Anmelders erneut bedurft hätte. Daher scheidet die Möglichkeit des Erlasses einer neuen Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ wegen der beantragten Korrekturen eindeutig aus.

5.2.3. Was die Fassung der Anmeldungsunterlagen gemäß den Hilfsanträgen insgesamt angeht, so wurden keine Gründe für eine Wiederaufnahme der von der Prüfungsabteilung bereits abgeschlossenen Sachprüfung vorgetragen. Dafür sieht die Kammer auch keine Gründe.

5.2.4. Es bleiben demzufolge nur die beantragten Korrekturen auf Seite 1 (Ersatz von "LN" durch "LU") und auf Seite 8, Zeile 11 (Ersatz von "Beispiel 2" durch "Vergleichsbeispiel 2"). Die Kammer erkennt an, daß diese beiden Korrekturen das Erfordernis von Satz 2 der Regel 88 EPÜ erfüllen und daher zulässig sind. Die Beschreibung ist dementsprechend zu berichtigen.

5.2.5. Da alle in den beiden Hilfsanträgen vorgeschlagenen Änderungen der Anmeldungsunterlagen unverändert berücksichtigt worden sind, folgt, daß es aus den vorgenannten Gründen keinen Raum für den Erlaß einer neuen Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ gibt. Hilfsantrag 1 kann daher keinen Erfolg haben.

5.2.6. Im Lichte der Formulierung von Hilfsantrag 2 wird davon ausgegangen, daß für die berichtigte Beschreibung zu Anspruchssatz 2 und die weiteren Unterlagen der in der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vom 15. Mai 1996 Einverständnis der Beschwerdeführerin besteht. Folglich ist das Erteilungsverfahren gemäß der Ausführungsordnung durch Erlaß einer neuen Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ fortzusetzen.

6. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

6.1. Die BF hat im Rahmen ihrer beiden Hilfsanträge, nicht aber im Rahmen ihres Hauptantrages einen wesentlichen Verfahrensfehler durch die Prüfungsabteilung geltend gemacht, da in der angefochtenen Entscheidung die am 7. März 1997 als Hilfsantrag vorgelegte Änderung der Beschreibung der anhängigen Patentanmeldung und die Aufforderung, bei Zustimmung zu dieser Änderung eine neue Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ zu erlassen (Seite 3, Mitte; hier im folgenden kurz als Hilfsantrag A bezeichnet), zwar im ersten Teil "Sachverhalt und Anträge" genannt, aber in den Entscheidungsgründen nicht berücksichtigt worden sei. Deshalb sei die Begründungspflicht der Regel 68 (2) EPÜ verletzt worden. Dieser Mangel rechtfertige die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ.

6.2. Gemäß Regel 67, Satz 1 EPÜ setzt die Rückzahlung der Beschwerdegebühr voraus, daß der Beschwerde abgeholfen oder von der Beschwerdekammer stattgegeben worden ist und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers der Billigkeit entspricht.

6.3. Zunächst muß die Formulierung des Hilfsantrags (Hilfsantrag A) in der Eingabe mit Datum vom 3. März 1997 (Seite 3) untersucht werden. Darin wurde beantragt, in der anhängigen Anmeldung Änderungen durchzuführen und eine neue Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ zu erlassen.

Im Hilfsantrag A wurde nur auf die anhängige Anmeldung ("la demande de brevet en instance") als solche Bezug genommen. Unterstellt man, daß damit die Fassung gemäß den Mitteilungen nach Regel 51 (4) und (6) EPÜ vom 15. Mai 1996 bzw. 9. Juli 1996 gemeint war, die nun doch hilfsweise weiterverfolgt werden sollte, obgleich sie von der Anmelderin in derselben Eingabe mit Datum vom 3. März 1997 als unzureichend angesehen worden war (vgl. Seite 2, Absätze 1 und 9), so hätte in der angefochtenen Entscheidung nur der Hinweis auf die ursprünglich von der Prüfungsabteilung beabsichtigte Erteilung wiederholt werden können.

Geht man von der vorstehenden Unterstellung zugunsten der damaligen Anmelderin aus, konnte es sich bei den beantragten Änderungen nur um die Korrektur offensichtlicher Fehler in der bezeichneten Fassung der Beschreibung gemäß Mitteilung 51 (4) EPÜ (ohne Einfluß auf die Frage einer Erteilung oder Zurückweisung) handeln. Aus denselben Gründen, wie vorstehend im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag 1 dargelegt, konnte eine erneute Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ nur wegen der beantragten Korrekturen nicht in Betracht kommen (siehe die obigen Punkte 5.2.2 bis 5.2.5).

6.3.1. Damit ähnelt der hier zu entscheidende Sachverhalt der Situation, die der nicht im Amtsblatt veröffentlichten Entscheidung T 549/96 vom 9. März 1999 zugrundelag.

Dort hatte die Prüfungsabteilung dem Anmelder in einer mündlichen Verhandlung die Erteilung auf der Grundlage des dritten Hilfsantrags in Aussicht gestellt. Der Anmelder hatte allerdings die in der Rangfolge vorangehenden Anträge aufrechterhalten, worauf die Anmeldung zurückgewiesen wurde.

Der dortige Anmelder machte daraufhin vor der Kammer geltend, er hätte wegen des Verbotes einer reformatio in peius statt der Zurückweisung der Anmeldung insgesamt eine Entscheidung erhalten sollen, in der der dritte Hilfsantrag hätte gewährt und die Zurückweisung der anderen Anträge hätte begründet werden sollen.

6.3.2. Dazu stellte die Kammer unter Punkt 4 ff. der Entscheidungsgründe fest, daß die Prüfungsabteilung gemäß Artikel 113 (2) EPÜ nur über einen Anmeldungstext entscheiden konnte, für den die Zustimmung des Anmelders vorlag. Folglich war Voraussetzung, daß am Ende des Prüfungsverfahrens eindeutig feststand, welche Unterlagen der Anmelder vorschlug. Wenn dies nicht zutraf, war die Prüfungsabteilung nicht in der Lage zu entscheiden, auf der Grundlage welcher Version sie fortfahren sollte, und die Anmeldung mußte gegebenenfalls zurückgewiesen werden, da kein klarer Antrag vorlag. Wenn also ein Anmelder seine Zustimmung zu einem gewährbaren Hilfsantrag nicht erteilt hat, sei es durch eindeutige Nichtzustimmung, sei es durch die Aufrechterhaltung nicht gewährbarer höherrangiger Anträge, so konnte die Prüfungsabteilung die Anmeldung zurückweisen.

6.3.3. Im weiteren ging die Kammer auf die Unterschiede zwischen Prüfungs- und Einspruchsverfahren ein.

Im letztgenannten Verfahren kann bei Vorliegen eines gewährbaren Hilfsantrags gemäß Artikel 106 (3) EPÜ eine Zwischenentscheidung auf Grund der Feststellung gefällt werden, daß das europäische Patent unter Berücksichtigung der vom Inhaber vorgenommenen Änderungen dem EPÜ entspricht. Eine solche Zwischenentscheidung muß dann auch die Gründe für die gegenteilige Feststellung zu rangmäßig vorangehenden Anträgen enthalten. Mit dieser Verfahrensweise sollen dem Patentinhaber die weiteren Kosten für die Erfüllung der formalen Erfordernisse der Regel 58 (5) EPÜ erspart werden, bevor die endgültige Fassung des aufrechterhaltenen Patents feststeht.

Im Prüfungsverfahren gibt es keine damit vergleichbare Situation. Vielmehr wird das Beschwerdeverfahren ex parte durch das Prinzip der Amtsermittlung beherrscht, und bis zur Erteilung muß sichergestellt werden, daß die Erfordernisse der Patentfähigkeit erfüllt werden. Eine Zwischenentscheidung, daß eine bestimmte Version der Anmeldung den Erfordernissen des EPÜ entspricht, würde dem zuwiderlaufen. Die Kammer verwies auf G 10/93, ABl. EPA 1995, 172, Punkt 3 der Entscheidungsgründe; T 839/95 vom 23. Juni 1998, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, und die revidierte Rechtsauskunft 15/98, veröffentlicht in ABl. EPA 1998, 133.

6.3.4. Abgesehen von den beantragten Korrekturen in der Beschreibung nach Regel 88 EPÜ und unter der oben genannten Annahme zugunsten der Anmelderin (siehe Punkt 6.3) unterschied sich die Fassung der Anmeldungsunterlagen gemäß Hilfsantrag A nicht von derjenigen, die der Anmelderin bereits mit den Mitteilungen nach Regel 51 (4) und (6) EPÜ mitgeteilt worden war, d. h., über deren Gewährbarkeit bereits positiv entschieden worden war. Damit unterscheidet sich die hiesige Situation von der Ausgangslage von T 549/96 nur dadurch, daß im vorliegenden Fall bereits einmal die Zustimmung durch die vorige Anmelderin zu dieser Fassung vorlag.

6.4. Die Kammer kommt in Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt zur gleichen Beurteilung wie die Kammer im Fall T 549/96, daß die Prüfungsabteilung nach der Einreichung von Hilfsantrag A nicht in der Lage war zu entscheiden, auf der Grundlage welcher Version der Anmeldung sie fortfahren sollte, da die Anmelderin auch nach dem Bescheid gemäß Artikel 96 (2) EPÜ vom 12. Dezember 1996 ihren Hauptantrag weiterhin aufrechterhielt.

Es lagen also zwei unterschiedliche Fassungen der Unterlagen vor, und es wurde ein höherrangiger Antrag aufrechterhalten, von dem nach dem genannten Bescheid vom 12. Dezember 1996 klar war, daß er nicht gewährbar war. Über die Anmeldung konnte aber nur als Ganzes, nicht aber über einzelne Teilaspekte entschieden werden.

6.5. Dies geschah mit der angefochtenen Entscheidung, nachdem die BF durch Vorlage eines neuen Anspruchssatzes 2 (gemäß Hauptantrag) und die ausführliche Argumentation im Schreiben vom 3. März 1997 dargelegt hatte, daß sie nicht mehr mit der mit der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ übersandten Fassung der Unterlagen einverstanden war. Die Prüfungsabteilung hat die Entscheidung über die Zurückweisung der Anmeldung wegen Nichtgewährbarkeit des Hauptantrags in Übereinstimmung mit Artikel 113 (1) und Regel 68 (2) EPÜ begründet und ist in Übereinstimmung mit der Entscheidung T 549/96 und nach Ansicht dieser Kammer zu Recht zum Schluß gekommen, daß keine eindeutige durch die damalige Anmelderin (BF) gebilligte Fassung der Anmeldung vorlag (Artikel 97 (1) und 113 (2) EPÜ), die zur Erteilung der Anmeldung hätte führen können. Die Zurückweisung der Anmeldung war daher auch mit Gründen versehen.

6.6. Aus diesen Gründen folgt, daß der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht zum Erfolg führen kann, da ein wesentlicher Verfahrensmangel wegen mangelnder Begründung von der Kammer nicht festgestellt werden konnte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 25. April 1997 wird aufgehoben.

2. Der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag werden zurückgewiesen.

3. Die Prüfungsabteilung wird angewiesen, auf der Basis der Unterlagen, die mit der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vom 15. Mai 1996 der Anmelderin zur Kenntnis gebracht worden sind, nach Berichtigung der Beschreibung für die benannten Vertragsstaaten AT, BE, CH, DE, DK, ES, FR, GB, IT, LI, LU, NL und SE gemäß zweitem Hilfsantrag vom 5. September 1997 ein Patent zu erteilen:

- Seite 1, am Ende der letzten handschriftlichen Zeile: Ersatz der Benennung "LN" durch "LU"

- Seite 8, Zeile 11: Ersatz von "Beispiel 2" durch "Vergleichsbeispiel 2".

4. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ wird zurückgewiesen.

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