T 0850/97 () of 15.10.1999

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T085097.19991015
Datum der Entscheidung: 15 October 1999
Aktenzeichen: T 0850/97
Anmeldenummer: 90115759.4
IPC-Klasse: H02J 13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Synchronisierung der Sender mehrerer Sendestationen einer Rundsteuersendeanlage
Name des Anmelders: Asea Brown Boveri Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Siemens AG
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 100
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Patentinhaber mit der Prüfung eines neuen Einspruchsgrunds im Beschwerdeverfahren (keine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1)) nicht einverstanden - keine Prüfung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 414 139. Der Einspruchgrund war mangelnde erfinderische Tätigkeit.

II. In der angefochtenen Entscheidung sowie in der vorangegangenen mündlichen Verhandlung wurden zum Stand der Technik folgende Druckschriften berücksichtigt:

D1: Fachbuch "Fernwirken", M. Fender, Teubner Studienskripten, ISBN 3-519-00085-7, 1981, Seiten 9, 14, 15, 48 und 49

D2: Fachbuch "Fernwirktechnik", VDI-Verlag GmbH, ISBN 3-18-400317-5, 1975, Seiten 1, 134 und 135

D3: ETG-Fachberichte 7, "Netzbetrieb", VDE-Verlag GmbH, ISBN 3-8007-1178-8, 1980, Seiten 99 bis 117

D4: DE-A1-2 812 668

D5: DE-A1-3 536 505

D6: ABB Druckschrift Nr. D SN 107688 D Bd. 109, Nr. 5, 1988, Ladenburg, Seiten 1 bis 8, Dobberstein et al: "Rundsteuerzentrale RICONTIC RLZ 400 - Neue Fähigkeiten und Strukturen"

D7: Elektrizitätswirtschaft, Jg. 83 (1984), Heft 22, "Zentrale in Doppelrechnertechnik für die Rundsteueranlage eines großstädtischen EVU", Seiten 952 bis 957.

In der Beschwerdebegründung wurde zusätzlich genannt:

D8: DE-A1-3 423 217.

III. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 15. Oktober 1999 statt, bei der der Beschwerdeführer Kopien von Seiten 38 und 39 aus "Visser, The Annotated European Patent Convention [January 1999]" überreichte.

IV. Das Streitpatent wurde mit drei Ansprüchen erteilt und wurde nicht geändert. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 lauten:

"1. Verfahren

- zur Übertragung von Datentelegrammen von einer Rundsteuerzentrale zu mehreren Unterstationen, die je einen Rundsteuersender enthalten und

- zur Steuerung der Rundsteuersender um eine tastsynchrone Sendung eines tonfrequenten Rundsteuertelegramms zu erreichen,

a) wobei zunächst von der Rundsteuerzentrale ein erstes Datentelegramm im Gemeinschaftsverkehr zu allen Unterstationen übertragen wird und dort den Beginn einer Verzögerungsdauer auslöst, nach deren Ablauf die Sendung des Rundsteuertelegramms erfolgt,

gekennzeichnet durch nachstehende weitere Schritte:

b) nach Sendung des ersten Datentelegramms fordert die Rundsteuerzentrale die Unterstationen auf, den ordnungsgemäßen Empfang des ersten Datentelegramms zu bestätigen (ja); wenn alle Unterstationen den Empfang bestätigen, erfolgt keine weitere Reaktion der Rundsteuerzentrale und nach Ablauf der Verzögerungsdauer wird das Rundsteuertelegramm gesendet;

c) falls wenigstens eine der Unterstationen keine Bestätigung des Empfangs des ersten Datentelegramms meldet (nein), erfolgt nachstehender weiterer Ablauf:

c1) die Rundsteuerzentrale sendet noch vor Ablauf der Verzögerungsdauer ein Widerruftelegramm, woraufhin in denjenigen Unterstationen, in denen die Verzögerungsdauer läuft, der Lauf der Verzögerungsdauer gelöscht wird,

c2) die Rundsteuerzentrale sendet ein zweites Datentelegramm, das den Beginn der Verzögerungsdauer erneut auslöst,

c3) die Rundsteuerzentrale fordert die Unterstationen auf, den ordnungsgemäßen Empfang des zweiten Datentelegramms zu bestätigen und unterläßt weitere Reaktionen, wenn sie von allen Unterstationen eine Bestätigung empfängt (ja), so daß nach Ablauf der Verzögerungsdauer die Sendung des Rundsteuertelegramms erfolgt;

d) falls wenigstens eine der Unterstationen keine Bestätigung des Empfangs des zweiten Datentelegramms meldet (nein), sendet die Rundsteuerzentrale erneut ein Widerruftelegramm, woraufhin in den Unterstationen der Lauf der Verzögerungsdauer wieder gelöscht wird und somit keine Sendung des Rundsteuertelegramms erfolgt."

"2. Verfahren

- zur Übertragung von Datentelegrammen von einer Rundsteuerzentrale zu mehreren Unterstationen, die je einen Rundsteuersender enthalten und

- zur Steuerung der Rundsteuersender um eine tastsynchrone Sendung eines tonfrequenten Rundsteuertelegramms zu erreichen,

A) wobei zunächst von der Rundsteuerzentrale ein Datentelegramm im Gemeinschaftsverkehr zu allen Unterstationen übertragen wird und dort den Beginn einer Verzögerungsdauer auslöst, nach deren Ablauf die Sendung des Rundsteuertelegramms erfolgt,

gekennzeichnet durch nachstehende weitere Schritte:

B) nach Sendung des Datentelegramms fordert die Rundsteuerzentrale die Unterstationen auf, den ordnungsgemäßen Empfang des Datentelegramms zu bestätigen; wenn alle Unterstationen den Datentelegramm-Empfang bestätigen (ja), erfolgt keine weitere Reaktion der Rundsteuerzentrale und nach Ablauf der Verzögerungsdauer wird das Rundsteuertelegramm gesendet;

C) falls wenigstens eine der Unterstationen keine Bestätigung des Empfangs des Datentelegramms meldet (nein), erfolgt nachstehender weiterer Ablauf:

C1) die Rundsteuerzentrale sendet noch vor Ablauf der Verzögerungsdauer ein Widerruftelegramm, woraufhin in denjenigen Unterstationen, in denen die Verzögerungsdauer läuft, der Lauf der Verzögerungsdauer gelöscht wird,

C2) die Rundsteuerzentrale fordert die Unterstationen auf, den ordnungsgemäßen Empfang des Widerruftelegramms zu bestätigen,

D) wenn alle Unterstationen den Empfang des Widerruftelegramms bestätigen (ja), prüft die Zentrale, ob eine vorgegebene Zeitspanne erreicht ist, falls die vorgegebene Zeitspanne noch nicht erreicht ist (nein), folgt eine Wiederholung des Sendeversuchs durch Sendung eines Datentelegramms (Schritt A) und des Abfrageschritts B; falls die vorgegebene Zeitspanne erreicht ist (ja), erfolgt ein Abbruch des Sendeversuchs;

E) wenn wenigstens eine der Unterstationen keine Bestätigung des Empfangs des Widerruftelegramms meldet (Ergebnis "nein" im Schritt C2), prüft die Rundsteuerzentrale, ob die Verzögerungsdauer abgelaufen ist; falls die Verzögerungsdauer abgelaufen ist (ja), erfolgt ein Abbruch des Sendeversuchs, falls die Verzögerungsdauer noch nicht abgelaufen ist (nein), erfolgt eine Wiederholung der Schritte C und D, also eine wiederholte Sendung eines Widerruftelegramms."

Anspruch 3 ist vom Anspruch 1 bzw. 2 abhängig.

V. Die Argumente des Beschwerdeführers lassen sich wie folgt zusammenfassen:

i) Ausgehend von D6 bestehe die Aufgabe darin, die verschiedenen Sender zu synchronisieren bzw. zu verhindern, daß unsynchronisierte Teilnachrichten gesendet würden. Um diese Aufgabe zu lösen, würde der Fachmann einsehen, daß es um eine Koordinationsaufgabe gehe, die sich analog in vielen gut bekannten Lebensbereichen stelle, und daher mit entsprechenden bekannten Maßnahmen zu lösen sei. Der Dirigent eines Orchesters stehe z. B. vor einer ähnlichen Aufgabe, wenn er versuche, einen gleichzeitigen Spielbeginn einer Gruppe von Orchestermitgliedern zu erreichen. Er gebe einen ersten Taktaufschlag und sobald er merke, daß mindestens ein Mitglied nicht darauf reagiere, unterbreche er und fange von vorne an. Ein weiteres Beispiel ergebe sich aus der Festlegung eines Termins für eine mündliche Verhandlung beim EPA; wenn mindestens eine Partei aus schwerwiegenden Gründen nicht zustimme, werde der Terminvorschlag annulliert und das ganze Ladungsverfahren von vorne angefangen. Ein weiteres Beispiel zeige sich in der Tätigkeit eines Vorsitzenden bei einer Tagung mit einer größeren Anzahl von Teilnehmern. Diese und andere Beispiele würden zeigen, daß die beanspruchte Lösung nichts anderes darstelle, als die Anwendung bekannter organisatorischer Maßnahmen. Die dazu verwendeten technischen Mittel seien hinlänglich bekannt aus D6 selbst und, was den Kommunikationsverkehr zwischen der Rundsteuerzentrale und den untergeordneten Sendern (Unterstationen) betreffe, aus dem durch die Dokumente D4, D5 und D8 belegten allgemeinen Fachwissen; insbesondere gehöre die Maßnahme eines Aufrufs- und Quittierungstelegramms zu diesem Fachwissen. Es bedürfe keiner erfinderischen Tätigkeit, diese dem Fachmann geläufigen Maßnahmen der Punkt-zu-Punkt-Datenkommunikation bzw. Fernwirktechnik einzusetzen, um diese organisatorische Aufgabe zu lösen.

ii) In diesem Sinne fehle der beanspruchten Lösung eine neue technische Wirkung. Die in dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs angegebenen technischen Merkmale, nämlich die Merkmale c2) und c3), zweiter Satzteil ("so daß nach Ablauf der Verzögerungsdauer die Sendung des Rundsteuertelegramms erfolgt") seien aus dem nächstliegenden Stand der Technik D6 schon bekannt. So gesehen sei der Anspruchsgegenstand eigentlich keine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ.

iii) Während des Einspruchsverfahrens habe der Einsprechende (nunmehr Beschwerdeführer) aus übergeordneten Gründen eine seinerzeit bereits von der Einspruchsabteilung anberaumte mündliche Verhandlung absagen müssen, worauf der Termin amtsseitig aufgehoben worden sei. In seinem sich daran anschließenden Schriftsatz vom 11. April 1997 habe der Einsprechende darauf hingewiesen, daß zunächst eine schriftliche Weiterführung des Verfahrens als sachgerecht angesehen würde. Die Einspruchsabteilung habe dann aber ohne weiteren Zwischenbescheid eine Entscheidung erlassen, obwohl zu erkennen gewesen sei, daß seitens des Einsprechenden vor der Beschlußfassung noch Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt werden sollte. Auch dies sei ein Grund, das Verfahren mit der Beschwerde nochmals aufzugreifen. Angesichts des nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht sachgerecht abgeschlossenen Einspruchsverfahrens sollte gegebenenfalls die Sache an die Vorinstanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen werden.

VI. Die Argumente des Beschwerdegegners lassen sich wie folgt zusammenfassen:

i) Der vom Beschwerdeführer erst in der mündlichen Verhandlung erhobene Einwand, daß der Anspruchsgegenstand keine neue technische Wirkung beinhalte und daher keine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) EPÜ darstelle, sei ein neuer Einspruchsgrund und der Beschwerdegegner als Patentinhaber sei mit der Prüfung dieses neuen Grundes im Beschwerdeverfahren nicht einverstanden.

ii) Die Einwände des Beschwerdeführers gegen die Abgrenzung des Anspruchs 1 gegenüber D6 seien für den einschlägigen Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ohne Belang. Man könne die Abgrenzung einfach außer acht lassen und beim Erörtern der erfinderischen Tätigkeit von einer einteiligen Form des Anspruchs ausgehen.

iii) Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik D6 bestehe die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe darin, die in D6 verwendeten Echtzeitrechner durch einfache PCs zu ersetzen, ohne aber die taktsynchrone Einspeisung der Rundsteuerbefehle an den Rundsteuersender zu gefährden. Dieses Ziel werde durch das beanspruchte Steuerverfahren erreicht, insbesondere durch die Aktion der Rundsteuerzentrale, nämlich die Sendung eines Widerruftelegramms an allen Rundsteuersender (Unterstationen) im Fall des Fehlens der Quittierung wenigstens eines Rundsteuersenders. Diese Aktion sei nicht durch den Stand der Technik nahegelegt. In der Beschwerdebegründung würden zwar die Begriffe Datentelegramm und Widerruftelegramm aufeinanderfolgend so erwähnt, als seien sie dem Fachmann gleichermaßen geläufig, dies seien sie jedoch nicht.

iv) Der Beschwerdegegner habe nichts dagegen, wenn das erst in der Beschwerdebegründung genannte Dokument D8 zugelassen werden sollte. Dieses Dokument beziehe sich lediglich auf eine durch Quittierung und gegebenenfalls zweite Übertragung der Information gesicherte Informationsübertragung. D8 enthalte somit keine Lehre, die über die aus D4 und D5 bekannte bidirektionale Kommunikation mit Quittierung und Wiederholung der Übertragung hinausgehe. Auch D8 lege also nicht nahe, selbst in Verbindung mit dem Inhalt der anderen Dokumente, einen Sendeauftrag mit Hilfe eines Widerruftelegramms in allen Rundsteuersendern zu annullieren.

VII. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents, hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung.

VIII. Der Beschwerdegegner beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2.1. Berücksichtigung des nachgereichten Dokuments D8

Da der Beschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, daß er nichts gegen die Zulassung von Dokument D8 einzuwenden habe, wird es von der Kammer im Beschwerdeverfahren berücksichtigt.

2.2. Prüfbarkeit des neuen Einspruchsgrunds

2.2.1. Unter Verweis auf Visser (vorne, Ziffer III) hat der einsprechende Beschwerdeführer argumentiert, daß angesichts des reinen organisatorischen Charakters der beanspruchten Lösung, die eigentlich keine neuen technischen Mittel einsetze, der Gegenstand des Anspruchs 1 keine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) und daher nicht patentfähig sei. Dies stellt einen neuen Einspruchsgrund dar (siehe vorne Ziffer I).

2.2.2. Der Beschwerdegegner stimmte der Einführung dieses neuen Einspruchsgrunds nicht zu, und da im Beschwerdeverfahren neue Einspruchsgründe nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden dürfen (Entscheidung G 10/91, ABl. EPA 1993, 420, Punkt 3 der Entscheidungsformel), werden diese Einwände des Beschwerdeführers von der Kammer nicht berücksichtigt.

3. Neuheit

Die Neuheit der Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 ist unbestritten gegeben.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Technischer Hintergrund

Rundsteuersendeanlagen, die aus einer Rundsteuerzentrale und mehreren dezentralen Rundsteuersendern bestehen, werden eingesetzt, um Verbraucher mittels Rundsteuertelegramme über das Stromversorgungsnetz zu steuern. Die dem Stromversorgungsnetz überlagerten tonfrequenten Impulse eines Rundsteuertelegramms müssen von allen Rundsteuersendern synchron eingespeist werden, damit beim vermaschten Betrieb bzw. beim Zusammenschalten unterschiedlicher Teilnetze der geforderte Spannungspegel erreicht wird. Daher ist es notwendig, für eine gesicherte Übertragung der Datentelegramme von der Rundsteuerzentrale zu den Rundsteuersendern und für eine geeignete Steuerung der Rundsteuersender zu sorgen.

4.2. Nächstliegender Stand der Technik und Aufgabe

4.2.1. Der unbestritten nächstliegende Stand der Technik D6, der im Einleitungsteil der Beschreibung des Streitpatents (Spalte 2, Zeilen 3 bis 43) gewürdigt ist, offenbart ein Verfahren zur zentralen Steuerung mehrerer Unterstationen mit Rundsteuersendern, das sämtliche Merkmale des Oberbegriffs der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 aufweist. Gemäß diesem bekannten Verfahren wird das sendeauftraggebende Datentelegramm von der Rundsteuerzentrale grundsätzlich zweimal nacheinander übertragen. Die beiden Datentelegramme werden in einem exakt einzuhaltenden zeitlichen Abstand von einem echtzeitbetriebsfähigen Prozeßrechner nacheinander gesendet. Der Empfang des ersten und des zweiten Datentelegramms in den Unterstationen löst, entsprechend dem Zeitabstand zwischen den Datentelegrammen, unterschiedliche Verzögerungszeiten aus, nach deren Ablauf das tonfrequente Rundsteuertelegramm von ihnen ins Netz eingespeist wird, auch wenn nur eines der Datentelegramme korrekt empfangen wurde.

4.2.2. Ausgehend von D6 liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, den gleichen Sicherheitsstand mit einfacheren technischen Mitteln zu erreichen, insbesondere ohne den Einsatz echtzeitfähiger Rechner; siehe Streitpatent, Spalte 2, Zeilen 44 bis 51.

4.3. Beanspruchte Lösung

4.3.1. Gemäß dem Streitpatent wird diese Aufgabe gelöst durch Abänderung des aus D6 bekanntem Verfahrens, wie in den kennzeichnenden Teilen der Ansprüche 1 und 2 detailliert angegeben. Insbesondere fordert, gemäß den beanspruchten Verfahren (erste Variante - Anspruch 1, und zweite Variante - Anspruch 2), die Rundsteuerzentrale die Unterstationen auf, den ordnungsgemäßen Empfang des ersten Datentelegramms zu bestätigen. Falls wenigstens eine der Unterstationen keine Bestätigung des Empfangs des ersten Datentelegramms meldet, sendet die Rundsteuerzentrale noch vor Ablauf der Verzögerungsdauer ein Widerruftelegramm, woraufhin in denjenigen Unterstationen, in denen die Verzögerungsdauer läuft, der Lauf der Verzögerungsdauer gelöscht wird.

4.3.2. Dann wird gemäß Anspruch 1 ein zweiter Versuch mit den gleichen Schritten mit einem zweiten Datentelegramm durchgeführt. Gemäß Anspruch 2 wird u. a. ein Schritt dazwischen geschoben, wonach im Falle einer Nichtbestätigung des Widerruftelegramms das Widerruftelegramm nochmals gesendet wird.

4.4. Offensichtlichkeit der Lösung

4.4.1. Nach Beurteilung der Kammer stellt die beanspruchte Lösung eine erhebliche Änderung des Steuerungskonzepts des nächstliegenden Standes der Technik D6 dar. Obwohl die Rückmeldung (Quittierung) mit eventueller Wiederholung an sich bekannt ist aus der Punkt-zu-Punkt-Datenkommunikations-technik (vgl. D4 und D5) und aus der Fernwirktechnik (vgl. D8), war sie in der Rundsteuertechnik unüblich (vgl. D2, Punkt 8.1, Absatz 3: "Die Rundsteuertechnik ist eine nur in Steuerrichtung betriebene Fernwirktechnik ..... bei der aufgrund der Vielzahl der Empfangsstellen auf die Rückmeldung verzichtet wird.").

4.4.2. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Lösung erschöpft sich aber nicht in einer Übertragung der Maßnahme der Quittierung von der Punkt-zu-Punkt-Datenkommunikationstechnik auf die Rundsteuertechnik, sondern sieht außerdem eine Abwandlung dieser an sich bekannten Maßnahme vor, die für die Lösung der einschlägigen die Rundsteuertechnik betreffenden Aufgabe besonders vorteilhaft ist. Statt, wie in den genannten Punkt-zu-Punkt-Kommunikationstechniken üblich, das nicht empfangene Datentelegramm zu wiederholen (vgl. D4, D5 und D8), wird ein Widerruftelegramm gesendet, das den Sendeauftrag an die anderen Rundsteuersender annulliert.

4.4.3. Die Frage, ob die Übertragung der Quittierungsmaßnahmen auf die Rundsteuertechnik schon an sich für den Fachmann naheliegend sei oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall überzeugt das Argument des Beschwerdeführers, daß der Unterschied zwischen Widerruftelegramm und Wiederholtelegramm bei dieser Übertragung ohne Belang sei, die Kammer nicht. Die Kammer stellt fest, daß unbestritten in keinem der vom Beschwerdeführer zitierten, die Punkt-zu-Punkt-Datenkommunikationstechnik betreffenden Dokumente, auch nicht in dem erst mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokument D8, von Widerruf die Rede ist. Gemäß dem in D7 offenbarten Steuerverfahren der Rundsteuertechnik wird zwar bei festgestelltem Ablauffehler der Sendeauftrag annulliert, aber diese Fehlerfestellung und die darauffolgende Annullierung finden im Doppelrechnerbetrieb innerhalb der Rundsteuerzentrale statt. Eine solche Maßnahme ist aber ein integraler Bestandteil des Doppelrechnerbetriebs und würde dem Fachmann keinen Hinweis geben auf einen Widerruf eines schon an die Unterstationen übertragenen Sendeauftrags aufgrund einer fehlenden Empfangsbestätigung und bei einfachem Rechnerbetrieb.

4.4.4. Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, daß die Dokumente D1, D2 und D3 nur den technologischen Hintergrund zu der Rundsteuertechnik belegen und keinen Hinweis auf eine Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe enthalten.

4.4.5. Die weitere Argumentation des Beschwerdeführers, wonach die beanspruchte Lösung nichts anderes darstelle, als die notorische Lösung einer organisatorischen Koordinationsaufgabe, wie sie in verschiedenen Lebensbereichen immer wieder vorkomme - Spielanfang eines Orchesters oder Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beim EPA usw. - vermag die Kammer auch nicht zu überzeugen. Nach der Beurteilung der Kammer fußt diese Argumentation auf einer ex post facto Teilanalogie aus einer abstrakten anthropomorphen Perspektive, die den eigentlichen technischen Rahmenbedingungen der einschlägigen Aufgabe nicht gerecht wird. Diese Aufgabe hat mit dem Einhalten von zeitlichen Parametern - Phasenüberlagerung von Netzstromsignalen aus unterschiedlichen weit voneinander entfernten Quellen - beim Zusammenwirken unintelligenter Maschinen, nicht beim Zusammenwirken intelligenter Menschen zu tun. Insbesondere die Behauptung des Beschwerdeführers, daß die beanspruchte Lösung sich dem Fachmann fast aufdränge als eine Handlung des gesunden Menschenverstandes, wird dadurch widerlegt, daß ein Verfahren der Rundsteuertechnik, das von der Möglichkeit des Widerrufs des dezentralisierten Sendeauftrags Gebrauch macht, weder aus dem nächstliegenden Stand der Technik D6, noch aus irgendeinem anderen Dokument bekannt ist.

4.4.6. Die obige Argumentation gilt gleichermaßen für die beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 2.

5. Unter Berücksichtigung des Standes der Technik beruhen daher die Gegenstände der vorliegenden unabhängigen Ansprüche nach Beurteilung der Kammer auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Das Patent hat mithin in der erteilten Fassung Bestand.

6. Hilfsantrag auf Zurückverweisung

Die Kammer teilt die Ansicht des Beschwerdeführers nicht, wonach das Einspruchsverfahren nicht sachgerecht abgeschlossen worden sei, und sieht deshalb keinen Grund, eine Zurückverweisung an die erste Instanz anzuordnen. Insbesondere ist keine Verletzung einer Verfahrensvorschrift ersichtlich. Bei der gegebenen Sach- und Verfahrenslage lag es im Ermessen der Einspruchsabteilung, die Sache ohne weiteren Zwischenbescheid zu entscheiden. Des weiteren wurde im Beschwerdeverfahren dem Beschwerdeführer die Gelegenheit gegeben, Argumente, die sich auf das erst mit der Beschwerdebegründung eingereichte Dokument D8 stützen, vorzutragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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