T 0695/97 () of 9.11.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T069597.20001109
Datum der Entscheidung: 09 November 2000
Aktenzeichen: T 0695/97
Anmeldenummer: 94104541.1
IPC-Klasse: B21B 1/36
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Reversierende Kompaktanlage zum Kaltwalzen von bandförmigem Walzgut
Name des Anmelders: SMS Demag AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 91 104 541.1 (EP-A-0 618 018) wurde mit der am 12. Februar 1997 zur Post gegebene Entscheidung zurückgewiesen, in der die Prüfungsabteilung zu dem Ergebnis kommt, daß der Gegenstand des damals geltende Anspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nach der JP-A-3/138004 (D1) nicht neu sei und somit nicht den Anforderungen von Artikel 52 und 54. EPÜ genüge.

II. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen diese Entscheidung am 25. März 1997 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Die Beschwerdebegründung ist am 23. Juni 1997 eingegangen.

III. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 9. November 2000 hat die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche 1 bis 8 mit angepaßter Beschreibung vorgelegt und hat beantragt, das Patent aufgrund der überreichten Unterlagen sowie der ursprünglichen Zeichnungen zu erteilen.

Der Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Anlage zum Kaltwalzen von bandförmigem Walzgut mit zwei zwischen zwei Reversierhaspeln (8, 9) ohne Zwischenschaltung weiterer Einrichtungen einander zugeordneten Reversiergerüsten (2, 3) und einem Haspel (10), von dem das Einsatzband abwickelbar ist, wobei zur Durchführung des Walzvorganges beide Reversiergerüste (2, 3) entsprechend aufeinanderfolgenden Stichen gleichzeitig angestellt sind und wobei die Reversiergerüste (2, 3) mit Arbeitswalzenschnellwechselvorrichtungen (14, 15, 16) ausgestattet sind, über die die mit in Kassettenbauweise aufgebauten Arbeitswalzen-Einbaustücken versehenen Arbeitswalzen im Durchschiebebetrieb gewechselt werden können, und wobei ein Wechsel gegen Arbeitswalzen (4, 4'; 5. 5') unterschiedlichen Durchmessers und/oder unterschiedlicher Oberflächenrauhigkeit möglich ist."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 betreffen Weiterbildungen der Anlage nach dem Anspruch 1.

Der Verfahrensanspruch 8 lautet wie folgt:

"Verfahren zum reversierenden Kaltwalzen von bandförmigem Walzgut in einer Anlage mit zwei zwischen zwei Reversierhaspeln (8, 9) angeordneten Reversiergerüsten (2, 3) und einem Haspel (10), von dem das Einsatzband abwickelbar ist, wobei zur Durchführung des Walzvorganges beide Reversiergerüste (2, 3) entsprechend aufeinanderfolgenden Stichen gleichzeitig angestellt sind und das Einsatzband vom Haspel (10) abgewickelt und in den ohne Zwischenschaltung weiterer Einrichtungen einander zugeordneten Reversiergerüsten (2, 3) in jeweils einem Stich gewalzt wird, wobei zwischen den Reversiergerüsten (2, 3) ein dem Reduzierverhalten einer vier- bis sechsgerüstigen Tandemstraße entsprechendes hohes Bandzugniveau eingestellt ist, und das das Reversiergerüst (3) verlassende Band auf den zugehörigen Reversierhaspel (9) aufgewickelt wird, wobei nach Abwickeln des Einsatzbandes vom Haspel (10) die Reversiergerüste (2, 3) und dieser Reversierhaspel (9) reversiert werden und anschließend das Band von diesen Reversierhaspel (9) abgewickelt, in den Reversiergerüsten (3, 2) gewalzt und auf den anderen Reversierhaspel (8) aufgewickelt wird, wobei zwischen dem Reversiergerüsten (3, 2) das hohe Bandzugniveau eingestellt ist, und wobei nach Abwickeln des Bandes vom ersten Reversierhaspel (9) die Reversiergerüste (3, 2) und die beiden Reversierhaspel (9, 8) reversiert werden."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Zulässigkeit der Änderungen

2.1. Vorrichtungsanspruch 1

Der geltende Anspruch 1 enthält sinngemäß die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1 und 6, wobei gestützt auf die Beschreibung und die Figuren 1 und 3a, b klargestellt wurde, daß die beiden Reversiergerüste "ohne Zwischenschaltung weiterer Einrichtungen" einander zugeordnet sind. Desweiteren wurde die im ursprünglichen Anspruch 1 enthaltene Angabe, daß beide Reversiergerüste "anstellbar" sind, geändert in "angestellt" sind. Hierdurch wird verdeutlicht, daß während des Durchlaufs des Walzmaterials beide Reversiergerüste stets angestellt sind, wie dies ein fachmännischer Leser der ursprünglichen Beschreibung entnimmt.

Demnach erfüllt der Anspruch 1 die Anforderungen gemäß Artikel 123 (2) EPÜ.

2.2. Verfahrensanspruch 8

Das Verfahren nach dem Anspruch 8 ist auf eine Anlage nach dem ursprünglichen Anspruch 1 bezogen.

Die im Anspruch 8 weiter enthaltenen Verfahrensmerkmale offenbaren sich dem fachmännischen Leser aus der ursprünglichen Beschreibung in Verbindung mit den Zeichnungen, wobei die Angabe bezüglich des Bandzugniveaus aus dem ursprünglichen Beschreibungstext Seite 3, erster Absatz entnommen ist.

Somit erfüllt auch der Anspruch 8 die Anforderungen gemäß Artikel 123 (2) EPÜ.

2.3. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 5 sowie 7 und 8.

3. Neuheit

3.1. Im Prüfungsverfahren sind zum Stand der Technik folgende Druckschriften erörtert worden:

D1: JP-A-3/138004

D2: JP-A-56/59507

D3: US-A-1 964 503.

3.2. In einer Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 11. (2) VOBK wurde insbesondere auf die Relevanz der D2 verwiesen.

Die Druckschriften D1 bis D3 offenbaren Anlagen zum Kaltwalzen von bandförmigem Walzgut, bei denen zwischen Reversierhaspeln zwei Reversiergerüste angeordnet sind.

Bei der D1 ist zwischen den beiden Walzgerüsten zusätzlich ein Schlingenbildner angeordnet, der aufgrund eines am Ende des Walzbandes angebrachten Ansatzteiles sowie eines Verbindungsteils nötig ist. Aufgrund des zwischen dem Ansatzteil (7) und dem Walzband (3) vorgesehenen verdickten Verbindungsteils können die beiden Reversiergerüste nicht immer gleichzeitig angestellt sein, wie dies bei der beanspruchten Anlage der Fall ist. Die beiden Reversierhaspeln nach der D1 sind aufgrund des Schlingenbildners auch nicht ohne Zwischenschaltung weiterer Einrichtungen einander zugeordnet, wie dies im Anspruch 1 gefordert wird.

Bei der Reversierwalzanlage nach der D2 werden kornorientierte, elektromagnetische Stahlbleche gewalzt, die nach jedem Walzvorgang zum Zwecke des Alterns angehalten werden müssen. Aus diesem Grund ist zusätzlich zu einem ersten Zughaspelpaar ein zweites Zughaspelpaar vorgesehen, mit dem während des Alterungsstops des dem ersten Zughaspelpaar zugeordneten Coils ein zweites Coil gewalzt wird. Dadurch werden vor einer Reversierumstellung des Doppelgerüstes zwei Coils hintereinander im Quasi-Tandembetrieb gewalzt.

Bei der Walzanlage nach der D3 wird jeweils nur eines der beiden Gerüste in Abhängigkeit von der Durchlaufrichtung des zu walzenden Bandes angestellt. Eine gleichzeitige Anstellung beider Gerüste ist nicht vorgesehen.

Darüber hinaus sind in den bekannten Anlagen gemäß D1 bis D3 keine Arbeitswalzenschnellwechselvorrichtungen vorgesehen, mit denen die Arbeitswalzen im Durchschiebebetrieb gewechselt werden können.

Die Anlage gemäß Anspruch 1 ist somit im Vergleich zu den genannten Druckschriften neu.

3.3. Dies gilt auch für das im Anspruch 8 definierte Verfahren, das im Gegensatz zu den Walzverfahren gemäß D1 und D3 ebenfalls von einer gleichzeitigen Anstellung beider Gerüste während der Stiche ausgeht und bei dem im Gegensatz zum Walzverfahren nach D2 ein Coil im ununterbrochenen Reversierbetrieb fertiggewalzt wird.

Demnach ist auch das Verfahren gemäß Anspruch 8 im Vergleich zum aufgedeckten Stand der Technik neu.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Technischer Hintergrund, Aufgabenstellung

Die in der Walztechnik üblicherweise eingesetzten eingerüstigen Reversierstraßen zum Kaltwalzen von bandförmigem Walzgut haben einen Jahresausstoß von ca. 450 000 Tonnen, während die üblichen, vier- oder fünfgerüstigen Tandemstraßen erst ab einem Jahresausstoß von 1 000 000 Tonnen wirtschaftlich arbeiten. Zwischen den beiden bekannten Walzwerkanlagen bestand eine Lücke für Jahresausstoßmengen von ca. 700 000 Tonnen, wie sie für sogenannte "Mini-Stahlwerke" in Frage kommen.

Von dieser Bedarfssituation ist die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabenstellung abgeleitet, eine Kaltwalzstraße für ein breitgefächertes Sortiment bandförmigen Walzgutes zu schaffen, die eine Jahreskapazität von ca. 700 000 Tonnen kaltgewalzten Bandes aufweist und die sich optimal in die Lücke zwischen dem Produktionsbereich eines Reversiergerüsts und einer mehrgerüstigen Tandemstraße einordnet und somit für "Ministahlwerke" optimal geeignet ist.

Es wäre eine Erhöhung des Jahresausstoßes durch Verwendung einer Anlage mit zwei eingerüstigen Reversierstraßen möglich, die jedoch einen hohen Anlagenaufwand bedeuten würde und bei einem im vorliegenden Falle angestrebten Jahresausstoß nicht voll ausgelastet wäre.

Nach Angabe der Beschwerdeführerin sind auch eingerüstige Reversierstraßen bekannt, bei denen das bandförmige Walzgut bei erhöhten Stichabnahmen in einer verringerten Anzahl von Durchläufen fertig gewalzt wird. Dies erfordert jedoch besonders starke Antriebsmotoren für die Haspeln. In der Walztechnik ist es weiterhin bekannt, daß eine Erhöhung der Stichabnahme durch ein hohes Bandzugniveau erfolgen kann, was bei den mehrgerüstigen Tandemstraßen zwischen den Gerüsten der Fall ist. Ein für eine hohe Stichabnahme notwendiges Bandzugniveau läßt sich allerdings nur dann erreichen, wenn aufeinanderfolgende Walzgerüste während des Walzvorgangs gleichzeitig angestellt sind.

4.2. Bei den bekannten doppelgerüstigen Reversierwalzanlagen nach der D1 und der D3 läßt sich ein hohes Bandzugniveau nicht bei allen Durchläufen verwirklichen, da bei der D1 zumindest in bestimmten Zeitabschnitten (Figur 2 d bis f und Figur 3 a, b) ein Gerüst geöffnet ist bzw. bei der D3 nur eines der beiden Gerüste in der einen Bewegungsrichtung des Walzgutes arbeitet und das zweite Gerüst geöffnet ist, während in der anderen Walzrichtung, bei offenem ersten Gerüst, nur das zweite Gerüst angestellt ist. Weiterhin ist bei der D1 der zwischen den beiden Gerüsten (1, 2) angeordnete Schlingenbildner (6) ebenfalls ein Anzeichen dafür, daß zwischen den Gerüsten kein hohes Bandzugniveau herrscht, wie dies bei gleichzeitig angestellten Gerüsten einer Tandemstraße der Fall ist.

Die zweigerüstigen Reversierwalzanlagen nach den Druckschriften D1 und D3 nutzen daher nicht die Möglichkeit eines hohen Bandzugniveaus und können nicht dem Ziel eines optimalen Ausstoßes dienen. Ihre Anwendung würde somit nicht der in der vorliegenden Anmeldung gesetzten Zielstellung dienen.

4.3. Der Reversierwalzanlage nach der D2 liegt der Gedanke zugrunde, bei silizierten Stählen, wie sie zum Herstellen kornorientierter elektromagnetischer Stahlbleche verwendet werden, die nach jedem Stich des Walzgutes einzuhaltende Haltezeit (um ein Altern des gewalzten Bleches zu ermöglichen) für den Stich eines zweiten Coils auszunutzen, ohne die Gerüste zu reversieren. Hierdurch werden unproduktive Stillstandszeiten des Walzgerüstes vermieden. Bei dem bekannten Walzverfahren werden also somit ohne neues Anstellen der Arbeitswalzen (Reversieren) zwei Coils hintereinander nach Art eines Tandembetriebes gewalzt. Der Reversiervorgang erfolgt erst nach dem Durchlauf der beiden Coils. Die in der D2 vorgeschlagene Arbeitsweise, nämlich das aufeinanderfolgende Walzen zweier Coils im Quasi-Tandembetrieb zum Überbrücken von bei Sonderstählen notwendigen Haltezeiten, dient primär auch zur Erhöhung des Ausstoßes von Reversierwalzanlagen. Allerdings führt sie den Fachmann in eine von der beanspruchten Lösung abweichende Richtung.

Bei der im Anspruch 1 definierten Walzanlage dienen zudem die an sich bei Tandemwalzgerüsten bekannten Arbeitswalzenschnellwechselvorrichtungen dazu, die hierbei nicht mit Antriebsmotoren versehenen Arbeitswalzen im Durchschiebebetrieb zu wechseln. Bei dem zweigerüstigem Reversierwalzwerk nach dem Anspruch 1 entsteht dadurch der weitere Vorteil, daß in einem der beiden Gerüste schon ein Walzenwechsel eingeleitet werden kann, während das Band im anderen Gerüst noch gewalzt wird. Dies trägt zu einer weiteren Optimierung des maximalen Ausstoßes bei.

Die beanspruchte Schnellwechselvorrichtung in Verbindung mit einem Durchschiebebetrieb führt somit zu einer Ergänzung der doppelgerüstigen Reversieranlage im Sinne einer Ausstoßmaximierung, sodaß eine funktionelle Wechselwirkung zwischen den an sich bekannten Teilmerkmalen des Anspruchs 1 vorhanden ist. Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Lehre des Anspruchs 1 durch den Stand der Technik nicht nahegelegt ist.

4.4. Der Verfahrensanspruch 8 betrifft ein Verfahren zum Kaltwalzen von bandförmigem Walzgut, wobei ein einziges Coil in unmittelbar aufeinanderfolgenden Reversierstichen zwischen zwei Haspeln fertiggewalzt wird. Dabei wird ein hohes Bandzugniveau, das zu einem Reduzierverhalten wie bei einer vier- bis sechsgerüstigen Tandemstraße führt, zur Erzielung eines hohen Produktionsausstoßes ausgenutzt. Bei der D2 steht nicht die Anwendung eines hohen Bandzugniveaus im Vordergrund der zweigerüstigen Reversieranlage, sondern die durch die Verwendung von zwei hintereinander zu walzenden Coils verfügbare Haltepause zum Altern des jeweils gewalzten Coils. Die D2 führt daher, wie unter Punkt 4.3 erörtert, in eine vom Verfahren nach Anspruch 8 wegweisende Richtung. Bei der D2 kann aufgrund der Verwendung zweier Haspelpaare während des Durchlaufs des einen Coils das schon fertig gewalzte Coil gegen ein neues Coil ausgetauscht werden. Somit vermag die D2 auch keinen Hinweis zu geben, eine zusätzliche Abzugshaspel vorzusehen, die zum Abhaspeln des Bandes aus einer davorliegenden Bearbeitungslinie dient.

Die D2 vermag demnach auch das Verfahren gemäß Anspruch 8 nicht nahezulegen.

4.5. Die Kammer kommt somit zu dem Ergebnis, daß der Stand der Technik den Gegenständen der Ansprüche 1 und 8 in Hinblick auf das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nicht patenthindernd entgegensteht, weshalb diese Gegenstände patentfähig sind.

Die geltenden unabhängigen Ansprüche 1 und 8 können deshalb zusammen mit den abhängigen Ansprüchen 2 bis 7 sowie den weiteren Unterlagen als Grundlage für die Patenterteilung dienen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Ansprüche 1 bis 8 und Beschreibung, jeweils vorgelegt in der mündlichen Verhandlung,

Zeichnungen, wie ursprünglich eingereicht.

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