T 0658/97 () of 7.6.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T065897.20000607
Datum der Entscheidung: 07 Juni 2000
Aktenzeichen: T 0658/97
Anmeldenummer: 89117163.9
IPC-Klasse: G02B 6/30
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Optisches Wellenleitermodul mit Faserankopplung
Name des Anmelders: Alcatel SEL Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: LITEF GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Stand der Technik - Konferenzbericht - Inhalt durch Vortrag zugänglich (verneint)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0348/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (= Einsprechende) richtet ihre Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents 0 360 176 in geändertem Umfang.

II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) und c) EPÜ mit der Begründung angegriffen worden, daß sein Gegenstand weder neu sei, noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und zudem über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß in Übereinstimmung mit Artikel 102 (3) EPÜ das Streitpatent und die Erfindung, die es zum Gegenstand habe, unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des EPÜ genügten.

Bei ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem folgende Dokumente in Betracht gezogen, die von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren wieder aufgegriffen worden sind (unter Beibehaltung der Numerierung aus dem Einspruchsverfahren):

D1: GB-A-2 184 255

E1: Proceedings SPIE Vol. 993 Integrated Optical Circuit Engineering VI (1988), Boston, Massachusetts, 7. - 9. September 1988, Seiten 264 bis 270

E2: US-A-4 865 413 und

E4: EP-A-0 276 599.

III. In der Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, daß der geänderte Anspruch 1, der der Zwischenentscheidung zugrunde lag, sinnentstellende Unklarheiten aufweise.

Zum entgegengehaltenen Stand der Technik wurde festgestellt, daß das Dokument E2 einen Veröffentlichungstag aufweise, der zwischen dem vom Streitpatent beanspruchten Prioritätstag und dem Anmeldetag der zum Streitpatent gehörigen Patentanmeldung liege. Da das angefochtene Patent die genannte Priorität offenbar zu Recht beanspruche, könne das Dokument E2 nicht als vorveröffentlichter Stand der Technik angesehen werden und müsse im weiteren Verfahren unberücksichtigt bleiben. Die Entgegenhaltung E1 könne dagegen offenbar nur als vorveröffentlichter Stand der Technik angesehen werden, falls ihr Inhalt in Form eines Konferenzvortrages bei "Integrated Optical Circuit Engineering VI, 7. - 9. September 1988, Boston, Massachusetts" der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Das Zutreffen dieser Voraussetzung sei bisher weder nachgewiesen noch bestritten worden.

Unabhängig von der Frage, ob die Entgegenhaltung D1 bereits das Merkmal eines leistenförmigen Trägerkörpers mit jeweils in Längsrichtung des Trägerkörpers eingeschnittenen Nuten zeige (Merkmal (i)), scheine der Gegenstand eines klargestellten Anspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik neu zu sein, da dieser nicht die beanspruchte Materialanpassung zwischen Faserende und Trägerkörper (Merkmal (ii)) offenbare.

Der Gegenstand eines klargestellten Anspruchs 1 unterscheide sich im wesentlichen nur durch das oben genannte Merkmal (ii) von dem aus D1 bekannten Wellenleitermodul, das dem Streitgegenstand am nächsten komme. In der vorgesehenen mündlichen Verhandlung wäre daher in erster Linie und möglichst unter Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Prinzips zu diskutieren, ob eine Ausbildung des aus D1 bekannten Wellenleitermoduls im Hinblick auf das Merkmal (ii) dem Fachmann durch den verbleibenden Stand der Technik nahegelegt werde.

IV. Die Beschwerdeführerin reagierte auf die Mitteilung der Kammer mit der Eingabe vom 20. April 2000, in der sie die Vorveröffentlichung des Dokumentes E1 verteidigte und auf das vorveröffentlichte Familienmitglied von Dokument E2

E2': DE-A-3 605 966

hinwies.

V. Am 7. Juni 2000 wurde gemäß dem entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin mündlich verhandelt. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

VII. Die Beschwerdegegnerin (= Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche:

Anspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung;

Anspruch 2, eingereicht mit Schreiben vom 14. Januar 1997;

Anspruch 3 wie in der Patentschrift;

Beschreibung:

Spalten 1 bis 4 gemäß Beilage zur angefochtenen Entscheidung;

Zeichnungen:

Figuren 1 bis 4 wie in der Patentschrift.

VIII. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgebliche Fassung des Hauptanspruchs lautet wie folgt:

"1. Optisches Wellenleitermodul (1) in IOC-Bauweise mit Faserankopplung (10, 11, 11'), das aus einem Trägersubstrat (2) mit wenigstens einem Lichtwellenleiter (3) besteht, dessen Enden auf zwei Seiten des Trägersubstrates (2) an je eine optische Anschlußleitung (4, 5, 5') gekoppelt sind, wobei die Anschlußleitungen (4, 5, 5') mit vom Primärcoating befreiten Faserenden (15) in je einer Nut (14) einer separaten, bezüglich des Trägersubstrates (2) justierten und daran befestigten, aus je einem leistenförmigen Trägerkörper (12, 13, 13') bestehenden Halterung mit einem Kleber fixiert sind,

dadurch gekennzeichnet, daß die Nuten (14) auf der Oberseite in Richtung der Längsachse der Trägerkörper (12, 13, 13') eingeschnitten sind und daß die Faserenden (15) und die leistenförmigen Trägerkörper (12, 13, 13') aus Quarzglas mit einem einander angepaßten Ausdehnungskoeffizienten bestehen."

Die Ansprüche 2 und 3 sind als abhängige Ansprüche auf Anspruch 1 zurückbezogen.

IX. Die Beschwerdeführerin hat zum Gegenstand des Anspruchs 1 folgendes vorgetragen:

Das Streitpatent gehe in einem wesentlichen Punkt über die ursprüngliche Offenbarung hinaus, da die Bezugnahme auf polarisationserhaltende Quarzglasfasern aus der ursprünglichen Aufgabenstellung gestrichen worden sei (vgl. Spalte 2, Zeilen 2 bis 9 der A-Veröffentlichung mit Spalte 2, Zeilen 1 bis 4 des Streitpatents). Der Vorteil der Erfindung werde jedoch nur bei polarisationserhaltenden Fasern erzielt, die wegen der Polarisationskreuzkopplung extrem empfindlich gegen Druck seien. Das Herausstreichen der oben genannten Passage aus der Beschreibung müsse daher als Verletzung von Artikel 123 (2) EPÜ angesehen werden.

Der Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 sei aus den Dokumenten D1 oder E4 bekannt, wobei das Merkmal (i) in eindeutiger Weise zum Oberbegriff gerechnet werden müsse, wenn man von E4 ausgehe. Damit verbleibe als einziges tragendes Merkmal des Streitgegenstands die Materialanpassung gemäß Merkmal (ii). Da die Faserkerne bei polarisationserhaltenden Fasern zwangsläufig aus Quarzglas bestünden, stelle sich die Frage, ob auch die Ausbildung des Trägerkörpers aus Quarzglas als erfinderisch angesehen werden könne. Falls der Fachmann Polarisationsstörungen feststellen sollte, die in der Regel durch lokale, thermisch bedingte Druckausübung hervorgerufen seien, werde ihm jedoch die in Dokument E1 vorgeschlagene Lösung eines Glasscheibchens als Trägerkörper nahegelegt. Wie E1 zu entnehmen sei, führe diese bekannte Materialkombination bereits zu einer thermisch stabilen Ankopplung von polarisationserhaltenden Fasern.

Obwohl die Beschwerdeführerin keine Kenntnis des genauen druckschriftlichen Veröffentlichungstages der Konferenzberichte habe, müsse das Dokument E1 als aller Wahrscheinlichkeit nach mündlich und schriftlich vorveröffentlichter Stand der Technik angesehen werden, da an der Tatsache eines zumindest die Figuren umfassenden Konferenzvortrages kein vernünftiger Zweifel bestehen könne, und bei dieser Gelegenheit nach allgemeiner Lebenserfahrung auch mit der Verteilung von Kopien des Vortragsmanuskripts ("Pre-Prints") gerechnet werden müsse. Wer bei dieser Sachlage eine Vorveröffentlichung anzweifle, habe den gegenteiligen Beweis anzutreten.

Sollte die Entgegenhaltung E1 wider Erwarten nicht berücksichtigt werden, ergäbe sich eine ähnliche Lehre aus der Entgegenhaltung E2', die eine Anpassung der Temperaturkoeffizienten zwischen Faserführung und Faser bei einer Spleißvorrichtung offenbare.

Insgesamt sei die Zahl der möglichen Materialanpassungen gering, da nur die drei Komponenten Faser, Trägerkörper und IOC-Substrat betroffen seien, von denen Faser und Substrat unterschiedliche Materialien aufwiesen. Bisher habe man den Trägerkörper an das Substrat angepaßt, da eine Anpassung der Glasfaser bei Single mode-Fasern nicht erforderlich sei. Ein Problem trete erst bei polarisationserhaltenden Fasern wegen der bereits eingangs erwähnten Kreuzkopplung auf. Die Lösung dieses Problems, das in Dokument E2' direkt angesprochen werde, falle in den Bereich handwerklichen Könnens, zumal da Dokument E1 im Prinzip die gleiche Lösung vorgeschlage.

X. Die Beschwerdegegnerin stützte ihren Antrag auf folgende Argumente:

Der Einwand auf der Grundlage von Artikel 100 c) EPÜ müsse als überraschend angesehen werden, da bisher im Beschwerdeverfahren davon keine Rede gewesen sei. Wie unzweifelhaft in der Patentschrift festgestellt werde, sei die beanspruchte Lösung auch bei anderen optischen Fasern vorteilhaft, insbesondere schon aus fertigungstechnischen Gründen. Da sich die Aufgabe objektiv gegenüber dem Stand der Technik ermittle und der Offenbarungsgehalt alle Fasertypen umfasse, sei auch die Anpassung der Aufgabenformulierung nicht unter Artikel 123 (2) EPÜ zu beanstanden.

Zum Nachweis der Vorveröffentlichung von Dokument E1 seien Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen nicht ausreichend. Welcher Inhalt tatsächlich im begrenzten Zeitrahmen eines Vortrags mitgeteilt wurde, sei nicht bewiesen worden. Ebenso könne eine Vorabverteilung des Vortragstextes nicht als gesichert angesehen werden.

Der nächstliegende Stand der Technik, Dokument D1, sehe eine explizite Anpassung zwischen Trägerkörper und Modul vor, wobei sogar die Kristallachsen ausgerichtet würden. Da für den Fachmann kein Hinweis aus D1 zu entnehmen sei, daß sich die bekannte Anpassungslösung nicht für polarisationserhaltende Fasern eigne, müsse dieser zunächst die Hürde der Problemerkenntnis überwinden. Sollte ihm dies gelingen, würde er durch die Entgegenhaltung E2' mit der Verbindung zweier ähnlicher Glasfasergruppen konfrontiert, während beim Streitpatent mit Faser und Modulsubstrat zwei völlig unterschiedliche Elemente verbunden werden müßten, die sich beim besten Willen nicht aus demselben Material herstellen ließen. Das Anpassungsproblem reduziere sich daher in E2' auf die beiden Elemente Faser und Trägerkörper, während im Streitpatent ein weiteres unangepaßtes Element hinzu komme. Die Dokumente D1 und E2' seien daher völlig inkompatibel und würden vom Fachmann für eine Kombination nicht in Betracht gezogen.

Sollte der Fachmann dennoch den Stand der Technik nach E2' berücksichtigen, wäre die Verwendung von Quarzglas für den Trägerkörper nicht naheliegend, da E2' ein anderes Material für den Trägerkörper vorschlage ("glasartiger Kohlenstoff"), Quarzglas in diesem Zusammenhang nicht erwähne und von Glas abrate. Außerdem sehe E2' zwei schließende Teile für den Trägerkörper vor, während dieser beim Streitpatent einteilig ausgeführt sei und eine Kleberfixierung der Faser erfolge.

Schließlich seien auch andere Minimierungen der Übertragung von thermisch bedingten Druckschwankungen auf polarisationserhaltende Fasern denkbar, beispielsweise durch die Ausbildung möglichst kurzer Kontaktflächen zwischen Faser und Trägerkörper.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde entspricht den in Regel 65 EPÜ aufgeführten Vorschriften und ist daher zulässig.

2. Zulässigkeit der Änderungen und Klarheit der geltenden Anspruchsfassung

2.1. Die Beschwerdeführerin hat die im Streitpatent (siehe Spalte 2, Zeilen 1 bis 4) gegenüber den ursprünglichen Unterlagen (siehe Spalte 2, Zeilen 2 bis 9) vorgenommene Anpassung der Aufgabenstellung durch Streichung des Bezugs auf polarisationserhaltende Quarzglasfasern als unzulässig beanstandet.

Nach Auffassung der Kammer verstößt diese Änderung jedoch nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ, da die ursprüngliche Offenbarung nicht auf polarisationserhaltende Quarzglasfasern beschränkt ist, sondern ausdrücklich andere optische Fasern einschließt (siehe insbesondere den ursprünglichen Anspruch 1 als auch Spalte 4, Zeilen 9 bis 13 der A-Veröffentlichung). Auch wenn die wesentliche Wirkung des beanspruchten Wellenleitermoduls bei polarisationserhaltenden Fasern erzielt werden sollte, wie die Beschwerdeführerin behauptet, wurde dessen allgemeine Verwendbarkeit nicht bestritten und erscheint schon als solche vorteilhaft. Demnach ist die ursprüngliche Aufgabenstellung offensichtlich zu eingeschränkt formuliert und ihre Korrektur im Rahmen des Offenbarungsumfangs zulässig.

2.2. Mit den in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Klarstellungen ist die Kammer überzeugt, daß der geltende Anspruch 1 auch den Erfordernissen von Artikel 84 EPÜ entspricht.

3. Patentfähigkeit

3.1. Nachgewiesener Stand der Technik

3.1.1. Das Dokument E2, eine amerikanische Patentschrift, ist zwischen Prioritätstag und Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht und daher nur Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ, wenn die Priorität nicht rechtmäßig beansprucht wird. Da die ursprünglichen Unterlagen des angefochtenen Patents offensichtlich mit der Voranmeldung inhaltsgleich sind, ist gemäß Artikel 87 EPÜ die genannte Priorität zu Recht beansprucht und der Prioritätstag gilt gemäß Artikel 89 EPÜ als Anmeldetag. Diese Tatsache ist im vorliegenden Verfahren nicht bestritten worden. Somit kann das Dokument E2 gemäß Artikel 54 (2) und 89 EPÜ nicht als vorveröffentlichter Stand der Technik angesehen werden und muß im weiteren Verfahren unberücksichtigt bleiben.

3.1.2. Das Dokument E1 ist ein Artikel, der in den Proceedings der Konferenz "Integrated Optical Circuit Engineering VI" erschienen ist, die vom 7. bis 9. September 1988 in Boston, Massachusetts (US) stattfand. Der Veröffentlichungstag der Proceedings ist unbekannt, der Fußnotenhinweis des Artikels ("SPIE Vol. 993 Integrated Optical Circuit Engineering VI (1988)") mehrdeutig, da er sich sowohl auf das Veröffentlichungs- als auch auf das Konferenzjahr beziehen kann. Es muß allerdings als praktisch ausgeschlossen erscheinen, daß die Proceedings dieser Konferenz vor dem Prioritätstag des Streitpatents (= 20. September 1988) in gedruckter Form der Öffentlichkeit zur Verfügung standen. Dies ist von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet worden.

Wie den Beteiligten von der Kammer bereits im Ladungsbescheid mitgeteilt wurde, kann die Entgegenhaltung E1 somit nur als vorveröffentlichter Stand der Technik angesehen werden, wenn ihr Inhalt mündlich oder schriftlich anläßlich der genannten Konferenz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

Das Zutreffen dieser Voraussetzung ist von der Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen worden. Zwar hat die Beschwerdeführerin eine mündliche und schriftliche Vorveröffentlichung bei der Konferenz geltend gemacht und sich dabei auf die allgemeine Lebenserfahrung berufen, nach der Konferenzvorträge im wesentlichen inhaltsgleich mit den entsprechenden Beiträgen in den nachveröffentlichten Proceedings seien und zumindest die Figuren umfaßten. Zudem sei im allgemeinen mit der Verteilung von Textkopien auf Anfrage von Interessenten während der Konferenz zu rechnen.

Die Kammer möchte zwar diese Möglichkeiten nicht ausschließen, vertritt jedoch die Auffassung, daß die allgemeine Lebenserfahrung zeigt, daß bei der Nachveröffentlichung nicht selten Änderungen oder Ergänzungen am vorgetragenen Text vorgenommen werden, die sich gerade aus der öffentlichen Präsentation und Fachdiskussion ergeben können. Zudem hängt der inhaltliche Umfang eines Vortrags häufig von Entscheidungen des Vortragenden oder Konferenzleiters ab, die während des Vortrags ad hoc, beispielsweise im Hinblick auf die zur Verfügung stehende restliche Vortragszeit, getroffen werden müssen. Von einem Mindestinhalt des Vortrags, der beispielsweise alle oder gewisse Figuren umfassen müßte, kann daher nur auf einer spekulativen Basis ausgegangen werden. Ebenso ist es keineswegs sicher, daß Kopien des Vortragsmanuskriptes bereit gehalten und auf Anfrage während der Konferenz verteilt werden. Üblich ist vielmehr auch eine Abwicklung solcher Anfragen durch Zusendung des Manuskripts nach Rückkehr von der Konferenz. Im übrigen ist selbst bei erfolgter Verteilung eine vollständige Übereinstimmung zwischen dem Vortragsmanuskript und dessen in den Konferenzberichten veröffentlichter Version keineswegs sicher, wie bereits oben ausgeführt wurde.

Nach Auffassung der Kammer bestehen daher nicht von der Hand zu weisende Zweifel, ob der Inhalt des nachveröffentlichten Artikels in allen Einzelheiten, sei es durch mündlichen Vortrag oder durch Verteilung anläßlich der genannten Konferenz, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Diese Zweifel sind durch die Argumente der Beschwerdeführerin nicht ausgeräumt worden. Dazu hätte es weiterer Beweise über den Inhalt des Vortrags bedurft, beispielsweise durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen. Da die Beweislast für den Umfang der behaupteten mündlichen oder schriftlichen Offenbarung nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z.B. die Entscheidung T 348/94, nicht in ABl. EPA veröffentlicht) der Beschwerdeführerin zufällt und dabei ein strenger Maßstab anzulegen ist, kann das Dokument E1 nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ gerechnet werden und muß daher ebenfalls unberücksichtigt bleiben.

3.2. Neuheit

Die Kammer ist überzeugt, daß die Merkmale des Streitgegenstands von keiner der verbleibenden Entgegenhaltungen vorweggenommen werden. Ein Neuheitseinwand wurde im Beschwerdeverfahren auch nicht erhoben.

3.3. Erfinderische Tätigkeit

3.3.1. Nach Auffassung der Kammer kommt das Dokument D1 dem Streitgegenstand am nächsten. Aus dieser Entgegenhaltung (siehe die Figuren 1 bis 3 in Verbindung mit dem zugehörigen Text) ergibt sich bereits ein optisches Wellenleitermodul 4, 21, das aus einem Trägersubstrat mit wenigstens einem Lichtwellenleiter 8, 24 besteht. Die Enden der Lichtwellenleiter sind auf zwei Seiten des Trägersubstrats an je eine optische Anschlußleitung 1, 20. gekoppelt, wobei die Anschlußleitungen mit vom Primärcoating 5 befreiten Faserenden in je einer Nut 2 einer separaten, bezüglich des Trägersubstrates justierten und daran befestigten, aus je einem leistenförmigen Trägerkörper 3 bestehenden Halterung mit einem Kleber fixiert sind.

Demnach unterscheidet sich der Gegenstand des Streitpatents vom nächstliegenden Stand der Technik durch die Merkmale des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1, d. h. dadurch, daß

(i) die Nuten auf der Oberseite in Richtung der Längsachse der Trägerkörper eingeschnitten sind, während sich die Nuten in D1 (siehe die oben genannten Figuren) senkrecht zur Längsachse der Trägerkörper erstrecken; und

(ii) die Faserenden und die leistenförmigen Trägerkörper aus Quarzglas mit einem einander angepaßten Ausdehnungskoeffizienten bestehen, während nach D1 eine Anpassung zwischen Trägerkörper und Modulsubstrat vorgesehen ist, die zu diesem Zweck dasselbe monokristalline Material aufweisen (siehe D1, Seite 1, Zeilen 57 bis 61 und 100 bis 115).

3.3.2. Hinsichtlich des Merkmals (i) hat die Beschwerdeführerin eingewendet, daß es ebenfalls bereits durch das Dokument D1 vorweggenommen werde, da für den Fachmann die "Richtung der Längsachse der Trägerkörper" nicht durch die Richtung der größten Erstreckung des Trägerkörpers, sondern durch die Richtung des Faserverlaufs definiert sei. Sie hat in diesem Zusammenhang auch auf die Entgegenhaltung E4 hingewiesen, die einen zu D1 ähnlichen Stand der Technik zeige, bei dem aber die Nuten ohne jeden Zweifel in Richtung der Längsachse der Trägerkörper 2, 2' eingeschnitten seien (siehe E4, Figur 7).

Die Kammer hält diesen Einwand für wenig stichhaltig, da nach üblichem Verständnis die Länge eines quaderförmigen Körpers dessen größte Abmessung bezeichnet und somit der Verlauf der Längsachse in dieser Richtung festlegt ist. Der Einwand kann allerdings insofern dahingestellt bleiben, als dem Merkmal (i) keine erfinderische Bedeutung zukommt. Einerseits scheint die Dimensionierung der leistenförmigen Trägerkörper in den Rahmen üblichen fachmännischen Handelns zu fallen, wie schon aus der Entgegenhaltung D1 erkennbar ist, wo offensichtlich die Erstreckung der Trägerkörper quer zur Faserrichtung von der Zahl der Wellenleiter und der anzuschließenden Fasern sowie deren Gesamtdurchmesser abhängt. Zum anderen wird ein Verlauf der Nuten in Richtung der größten Dimension der Trägerkörper durch das Dokument E4 als einfache Design-Alternative zur Verfügung gestellt, worauf die Beschwerdeführerin zu Recht hinweist. Schließlich läßt dieses Merkmal weder einen Synergieeffekt mit dem verbleibenden Merkmal (ii) erkennen, noch ist ein solcher Effekt von der Beschwerdegegnerin behauptet worden.

3.3.3. Somit ergibt sich als wesentlicher Unterschied zu den aus D1 oder E4 bekannten Wellenleitermoduln die Materialanpassung gemäß Merkmal (ii), wobei in E4 analog zu D1 und im Unterschied zum Streitpatent auch eine Anpassung zwischen Trägerkörper und Modulsubstrat vorgenommen wird (siehe E4, Spalte 3, Zeilen 9 bis 13).

Offenbar bewirkt die Ausbildung von Faserenden und Trägerkörpern aus Quarzglas mit einem einander angepaßten Ausdehnungskoeffizienten eine Verbesserung der optischen Übertragungseigenschaften der Faserankopplung dadurch, daß bei Temperaturänderung keine Spannungen in der Glasfaser erzeugt werden, was insbesondere bei polarisationserhaltenden Fasern von Bedeutung ist (siehe das Streitpatent, Spalte 2, Zeilen 1 bis 4 und Spalte 3, Zeilen 48 bis 54). Eine derartige Wirkung der beanspruchten Maßnahme ist von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden.

Die gegenüber D1 bestehende Aufgabe kann daher darin gesehen werden, die genannte Wirkung bei dem aus D1 bekannten Wellenleitermodul zu erzielen.

3.3.4. Dem vorveröffentlichten Stand der Technik ist eine Anregung zur Lösung dieser Aufgabe auch dann nicht entnehmbar, wenn man unterstellt, daß sich die Aufgabe ohne erfinderisches Zutun aus dem bestimmungsgemäßen Gebrauch des bekannten Wellenleitermoduls ergibt.

Das verbleibende Dokument E2' (siehe den Anspruch 1) beschreibt eine Vorrichtung zum Verbinden einer ersten Gruppe von Glasfasern mit einer zweiten ähnlichen Gruppe, wobei die Vorrichtung einen aus glasartigem Kohlenstoff bestehenden Träger mit Faserführungsrillen aufweist.

Zunächst ist festzustellen, daß es sich bei der aus E2' bekannten Vorrichtung um eine Spleißvorrichtung handelt, bei der zwei gleichartige Komponenten, nämlich Faserenden, die in der Regel aus demselben Quarzglas bestehen (siehe E2', Spalte 1, Zeilen 52 bis 56), miteinander verbunden werden, während sich das Streitpatent auf die Ankopplung eines Faserendes aus Quarzglas an das in aller Regel aus unterschiedlichem, monokristallinem Material bestehende IOC-Substrat bezieht. Wegen dieser grundsätzlich verschiedenen Ausgangssituationen erscheint es der Kammer fraglich, ob sich der Fachmann zur Lösung eines die Ankopplung optischer Wellenleitermodule betreffenden Problems dem Studium von Spleißvorrichtungen zuwenden würde. Der Fachmann wird vielmehr von vornherein keine Anregung zur Lösung des vorliegenden Anpassungsproblems aus E2' erwarten, weil dort keine Alternativen für die Anpassung des Trägermaterials gegeben sind, sondern es zur Vermeidung thermisch bedingter Spannungen nur um die Anpassung der Ausdehnungskoeffizienten zwischen Trägermaterial und Fasermaterial gehen kann.

Selbst wenn der Fachmann die aus Dokument E2' resultierende Lehre für den vorliegenden Fall ernsthaft in Betracht zöge, würde ihm dieser Stand der Technik entsprechend den vorstehenden Ausführungen keinen Aufschluß liefern, an welche der beiden Komponenten, Modulsubstrat oder Faserende, das Material des Trägerkörpers angepaßt werden sollte. Demnach ist die Lehre von E2' nicht direkt bei dem aus D1 bekannten Wellenleitermodul anwendbar, da dort in jedem Fall die Fehlanpassung einer der zwei vorhandenen unterschiedlichen Komponenten nicht zu vermeiden ist. Der Fachmann müßte daher hinsichtlich der Wahl des "kleineren Übels" selbst weitere Überlegungen anstellen, zu denen ihm weder die Entgegenhaltung D1 noch die Entgegenhaltung E2' Anlaß geben.

Hinzu kommt, daß das Dokument E2' zwar die Notwendigkeit einer Anpassung der thermischen Ausdehnungskoeffizienten zwischen Trägerkörper und Fasermaterial offenbart (siehe E2', Spalte 1, Zeilen 62 bis 68; Spalte 2, Zeilen 11 bis 16; Spalte 3, Zeilen 25 bis 28), Quarzglas als Trägermaterial jedoch nicht in Erwägung zieht und die Verwendung von Glas für diesen Zweck ausdrücklich verwirft (siehe E2', Spalte 2, Zeilen 3 bis 5). Stattdessen wird ein glasartiger Kohlenstoff als Material für den Trägerkörper vorgeschlagen (siehe E2', Anspruch 1). Daher würde der Fachmann aus E2' selbst bei der Verbindung zweier identischer aus Quarzglas bestehender Komponenten keinen Hinweis auf die beanspruchte Ausbildung des Trägerkörpers aus demselben Material erhalten.

Die Kammer gelangt somit zu dem Ergebnis, daß der Verzicht auf die aus D1 oder E4 bei Wellenleitermoduln bekannte Materialanpassung hinsichtlich der Ausdehnungskoeffizienten von Trägerkörper und Modulsubstrat zugunsten einer derartigen Materialanpassung zwischen Trägerkörper und Faserende nicht durch den bei Spleißverbindungen bestehenden Stand der Technik, wie er sich aus der Entgegenhaltung E2' ergibt, nahegelegt werden kann.

Auch zu einer von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Permutation der drei Anpassungsmöglichkeiten hatte der Fachmann keinen Anlaß, da sich für ihn eine solche Vorgehensweise keineswegs aus dem Stand der Technik als erfolgversprechend anbot. In diesem Zusammenhang kommt es bekanntlich nicht darauf an, was der Fachmann in rückschauender Betrachtungsweise hätte tun können, sondern was er ausgehend vom Stand der Technik im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe tatsächlich getan hätte.

3.3.5. Die Kammer ist daher der Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, wie sie nach Artikel 56 EPÜ gefordert ist. Dieser Anspruch ist somit gewährbar.

3.3.6. Ebenso gewährbar sind die abhängigen Ansprüche 2 und 3, die vorteilhafte Ausführungsformen der Erfindung betreffen. Die angepaßte Beschreibung trägt den Anspruchsänderungen Rechnung und genügt den an sie gemäß Regel 27 EPÜ zu stellenden Anforderungen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche:

Anspruch 1, überreicht in der mündlichen Verh

andlung; Anspruch 2, eingereicht mit Schreiben vom

14. Januar 1997; Anspruch 3 wie in der Patentschrift;

Beschreibung: Spalten 1 bis 4 gemäß Beilage zur angefochtenen Entscheidung;

Zeichnungen: Figuren 1 bis 4 wie in der Patentschrift.

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