T 0556/97 () of 29.8.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T055697.20000829
Datum der Entscheidung: 29 August 2000
Aktenzeichen: T 0556/97
Anmeldenummer: 90101788.9
IPC-Klasse: C08G 18/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Herstellung von emulgatorfreien, wässrigen Polyurethandispersionen
Name des Anmelders: BASF Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Degussa-Hüls Aktiengesellschaft Patente und Marken
Standort Marl
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - nach Änderung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 382 052 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 90 101 788.9, die am 30. Januar 1990 eingereicht worden war und die Priorität einer früheren Patentanmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Februar 1989 (3903538) beanspruchte, erfolgte am 5. Januar 1994 (Patentblatt 94/01). Das Patent enthielt 3. Ansprüche folgenden Wortlauts:

"1. Verfahren zur Herstellung von emulgatorfreien, wäßrigen Polyurethandispersionen durch Umsetzung von (a) Dihydroxylverbindungen mit einem Molekulargewicht von 500 bis 5000, (b) Diisocyanaten und (c) Kettenverlängerungsmitteln mit mindestens 2 gegenüber Isocyanatgruppen reaktionsfähigen Wasserstoffatomen und einem Molekulargewicht unter 300 in der Schmelze oder in Gegenwart eines unter 100°C siedenden, mit Wasser mischbaren, inerten organischen Lösungsmittels (L) zu einem Prepolymeren mit endständigen Isocyanatgruppen, anschließende Umsetzung des - gegebenenfalls in einem organischen Lösungsmittel (L) gelösten - Prepolymeren mit (d) - gegebenenfalls in Wasser gelösten - Salzen von aliphatischen Aminocarbonsäuren oder Aminosulfonsäuren bzw. Amino- oder Hydroxylgruppen enthaltenden tertiären Ammoniumsalzen, Dispergieren des erhaltenen Polyurethans in Wasser und - gegebenenfalls - destillative Entfernung des organischen Lösungsmittels, dadurch gekennzeichnet, daß man vor dem Dispergieren des erhaltenen Polyurethans in Wasser 5 bis 60 Gewichtsteile, bezogen auf 100 Gewichtsteile des Polyurethans, eines organischen Kondensations-Harzes, das in einem unter 100°C siedenden Lösungsmittel gelöst ist, zumischt.

2. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man als organisches Kondensations-Harz Phenol-Formaldehyd-Kondensate einsetzt.

3. Verwendung der gemäß den Patentansprüchen 1 und 2 erhaltenen Verfahrensprodukte als Klebstoffe."

II. Gegen dieses Patent wurde am 29. September 1994 von der Firma Hüls Aktiengesellschaft Einspruch eingelegt. Er stützte sich auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und verwies dazu unter anderem auf die folgenden von der Einspruchsabteilung als entscheidungserheblich angesehenen Druckschriften:

D1: DE-A-2 930 410,

D11: DE-C-1 770 068,

D12: Angewandte Chemie, 82, Seiten 53 - 63 (1970) und

D13: Kunststoffe, 31, Seiten 345 - 346 (1941),

von denen die drei Letztgenannten erst nach Ablauf der Einspruchsfrist zitiert wurden. Die Einspruchsabteilung führte zusätzlich die folgende Druckschrift in das Verfahren ein:

D14: Kunststoff-Handbuch, Band 7, Juli 1983, Seiten 591 und 592.

III. Das Patent wurde mit einer am 14. Januar 1997 mündlich verkündeten Entscheidung, deren schriftliche Begründung am 14. März 1997 zur Post gegeben wurde, mangels erfinderischer Tätigkeit widerrufen.

i) Grundlage des Widerrufs bildeten der erteilte sowie ein hinsichtlich der Auswahl des Kondensations-Harzes eingeschränkter Anspruchssatz (Haupt- bzw. Hilfsantrag der Patentinhaberin).

ii) Die Einspruchsabteilung sah den Patentgegenstand sowohl des Haupt- als auch des Hilfsantrags gegenüber der Druckschrift D1, die von ihr und von beiden Parteien als am nächsten kommend beurteilt wurde, als neu an, da das beanspruchte Verfahren sich von D1 durch eine andere Art des Einbringens ionischer Gruppen unterscheide.

iii) Es sei aber bekannt gewesen, daß Polyurethan-Dispersionen der gemäß D1 erhältlichen Art sich speziell auch als Kontaktklebstoffe eigneten und daß spezielle klebtechnische Effekte durch Zusatz von Phenol-Harzdispersionen erzielt werden könnten. Als Beleg für das allgemeine Fachwissen wurde auf D14 verwiesen.

Aus D1 sei ferner bekannt gewesen, das Harz dem Polyurethan entweder nach dem Acetonverfahren in Lösung oder aber in der Schmelze bereits zuzumischen, bevor dieses in Dispersion überführt werde. Dementsprechend bleibe als unterscheidendes Merkmal nur die Einbringung der ionischen Gruppen.

Geltend gemachte Vorteile einer Verbesserung der Klebstoffeigenschaften der Polyurethandispersion gegenüber dem Stand der Technik durch die unterschiedlichen Verfahrensmerkmale seien jedoch nicht hinreichend belegt worden, so daß als zu lösende technische Aufgabe nur die Herstellung weiterer guter Polyurethandispersionen gesehen werden könne.

iv) Nach Ansicht der Einspruchsabteilung ergaben sich die Unterschiede zum Stand der Technik in naheliegender Weise aus den Entgegenhaltungen.

D1 weise auf die Notwendigkeit einer genügenden Menge an ionischen Gruppen für die Dispergierung in Wasser und auf die aus dem Stand der Technik bekannte Art und Weise ihrer Einbringung in das Polyurethan hin. D11 nenne zahlreiche Kettenverlängerer, mittels derer kationische oder anionische Gruppen in ein Polyurethan eingebaut werden könnten. Sowohl D11 als auch D12 offenbarten zudem die Möglichkeit, kationische Gruppen über Amino- oder Hydroxylgruppen enthaltende Amine bzw. quaternäre Ammoniumsalze einzubauen.

v) Auch in der Auswahl der Phenol-Formaldehyd-Harze im Hilfsantrag sah die Einspruchsabteilung gegenüber D1 keine die erfinderische Tätigkeit stützende Maßnahme.

IV. Am 22. Mai 1997 erhob die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) gegen diese Entscheidung Beschwerde unter Beibehaltung ihres Hauptantrags und Einreichung zweier neuer Hilfsanträge. Sie widersprach in ihrer am 9. Juli 1997 eingegangenen Beschwerdebegründung, mit der diese Anträge nochmals abgeändert und Vergleichsversuche vorgelegt wurden, der angefochtenen Entscheidung bezüglich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit durch die Einspruchsabteilung:

i) Der Patentgegenstand unterscheide sich vom Stand der Technik zum einen durch die spezielle Auswahl der Komponente d), zum anderen dadurch, daß das im wesentlichen ausreagierte Polyurethan vor seiner Dispergierung in Wasser mit einem organischen Kondensations-Harz vermischt werde.

ii) Die zu lösende technische Aufgabe bestehe darin, ein Verfahren zur Herstellung eines Polyurethan-Klebstoffes zur finden, der sich ohne vorherige Wärmeaktivierung verkleben lasse, zu einer besonders hohen Anfangsfestigkeit führe und Verklebungen ergebe, die auch in der Wärme Belastungen ausgesetzt werden könnten (Seite 11, Zeile 27 bis Seite 12, Zeile 25 der ursprünglichen Unterlagen; dem entspricht im Streitpatent: Seite 7, Zeile 43 bis Seite 8, Zeile 26).

iii) Der von der Einspruchsabteilung gezogene Schluß aus D1 und dem unter Hinweis auf D14 zitierten allgemeinen Fachwissen sei auf einer Ex-post-facto-Analyse gegründet. Aus der Kenntnis, daß Mischungen von Dispersionen organischer Kondensations-Harze und Polyurethandispersionen als Klebstoffe eingesetzt werden könnten, habe der Fachmann keineswegs den Schluß gezogen, daß durch Codispergierung mit diesen Harzen hergestellte Dispersionen vergleichbare Eigenschaften als Klebstoffe aufwiesen (Seite 3, vorletzter Absatz).

Als "Codispergierung" bezeichnete die Beschwerdeführerin die Vorgehensweise, bei der man zunächst ein Polyurethan mit ionischen Gruppen herstellt und diesem vor seiner Dispergierung in Wasser einen Hilfsstoff zusetzt.

Bei Dispersionsmischungen würde der Fachmann das Vorliegen zweier Teilchensorten vermuten, solche ausschließlich aus Harz und solche lediglich aus Polyurethan. Diese Struktur würde wohl auch bei der Verfilmung erhalten bleiben und eine statistische Verteilung von Mikrophasen, d. h., einen inhomogenen Film, ergeben.

D11 und D12 beschrieben jeweils die Herstellung hydrophiler selbstdispergierbarer Polyurethane durch Einbau einer Vielzahl undifferenziert aufgezählter Monomeren mit ionischen Gruppen. Der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Versuchsbericht zeige aber, daß nur durch die spezielle Komponente d) brauchbare Dispersionen ermöglicht würden.

iv) Die Kombination der genannten Entgegenhaltungen habe nicht nahegelegen, denn es sei eine gezielte Kombination einzelner Merkmale zur Lösung der gestellten Aufgabe notwendig gewesen, eine solche spezielle Kombination sei aber nirgends angeregt worden.

V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hingegen unterstützte in ihrer am 10. November 1997 eingegangenen Beschwerdeerwiderung die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Begründung zur erfinderischen Tätigkeit und widersprach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in allen Punkten.

i) Das Verfahren des Streitpatents beruhe keinesfalls auf erfinderischer Tätigkeit, sondern stelle nur eine Variante gemäß D1 dar, irgendeiner wie auch immer gemäß D1 oder D11 aufgebauten wäßrigen Polyurethandispersion vor dem Dispergieren ein organische Kondensationsharz zuzumischen. Auch sei die Verwendung von Polyurethandispersionen in Kombination mit Hilfs- und Zusatzstoffen als Klebstoff aus D1 bereits bekannt sowie die Wirkung dieser Additive (D1: Seite 14, Zeilen 1 bis 7; Seite 15, Zeilen 1 bis 7). Phenolharze würden als geeignet beschrieben (D1: Seite 11, Zeile 25), diese besäßen bekanntermaßen ein gutes Haftvermögen (D13).

ii) Die Argumentation der Beschwerdeführerin zum Vorhandensein verschiedener Teilchensorten treffe allenfalls für Primär-, nicht aber für Sekundärdispersionen zu. Bei Dispersionen, die aus einer homogenen rein organischen Lösung oder Schmelze mehrere Komponenten gewonnen werden, sei die gleichmäßige Verteilung der Komponenten auch in der Sekundärdispersion gewährleistet.

iii) Zum Versuchsbericht führte die Beschwerdegegnerin aus, es gehöre zum allgemeinen Fachwissen, eine Dispersion zur Koagulation zu bringen, und dies könne vermeintliche Vorteile des beanspruchten Verfahrens nicht belegen. Zu diesem Punkt verwies sie auf eine Reihe von weiteren Druckschriften.

VI. In weiteren Eingaben, die am 22. Januar 1998 und 15. Juni 2000 einlangten, bekräftigte die Beschwerdeführerin ihre Argumentation und legte zusammen mit der letztgenannten Eingabe neue Anspruchsätze vor, mit denen Einwänden zur Klarheit der geänderten Ansprüche in den vormaligen Hilfsanträgen und zu Widersprüchen zwischen ihrer Argumentation und dem Wortlaut des ursprünglichen Hauptantrags begegnet werden sollte. Solche Einwände waren von der Beschwerdegegnerin mit einer am 23. Juni 1998 datierten Eingabe sowie von der Kammer in zwei Bescheiden vom 8. Oktober 1999 und 2. März 2000 erhoben worden.

VII. Am 23. Dezember 1999 ist die Änderung des Firmennamens der Beschwerdegegnerin in Degussa-Hüls Aktiengesellschaft beim EPA eingetragen worden.

Mit Schreiben vom 23. Februar 2000 teilte die Beschwerdegegnerin dann mit, sie werde nicht an der von der Kammer anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen, und beantragte Entscheidung nach Lage der Akten.

VIII. Die mündliche Verhandlung wurde am 29. August 2000 in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin durchgeführt.

Im Hinblick auf die erörterten Fragen zur Lösung der technischen Aufgabe im gesamten Bereich der bis dahin vorgelegten Ansprüche und die der Kammer vorliegenden Beweismittel legte die Beschwerdeführerin im Verlauf der mündlichen Verhandlung einen neuen Haupt- sowie drei neue Hilfsanträge vor. Der Anspruchssatz des Hauptantrags ist gegenüber dem Anspruchssatz gemäß erteilter Fassung, wie folgt, geändert worden:

In Anspruch 1 wurde "von emulgatorfreien, wäßrigen Polyurethandispersionen" in Zeilen 1 und 2 ersetzt durch

"einer emulgatorfreien, wäßrigen Polyurethandispersion",

die Definition der Komponente (c) durch

"(c) Kettenverlängerungsmitteln ohne Salzgruppen mit mindestens 2 gegenüber Isocyanatgruppen reaktionsfähigen Wasserstoffatomen und einem Molekulargewicht unter 300 ...",

die der Komponente (d) durch

(d) - gegebenenfalls in Wasser gelösten - Alkalisalzen der Additionsprodukte von Ethylendiamin an ungesättigte Carbonsäuren ....".

Darüber hinaus wurde der Anspruch am Ende ergänzt durch

"und wobei das molare Verhältnis der Komponente (a) zu der Summe der Isocyanate (b) sowie zu der Summe der Kettenverlängerungsmittel (c) und der Komponente (d) im Bereich von a:b:(c+d) = 1:2:1 bis 1:14:13 liegt."

In Anspruch 2 wurde der Begriff "Phenol-Formaldehyd-Kondensate" ersetzt durch

"ein Phenol-Formaldehyd-Kondensations-Harz".

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents aufgrund des Hauptantrags, hilfsweise eines der drei Hilfsanträge, alle eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Wortlaut der Ansprüche

2.1. Abgesehen von der rein redaktionellen Umformulierung in Anspruch 1, in dem die Mehrzahl des Verfahrensproduktes durch die Einzahl und "dadurch gekennzeichnet, daß" durch "wobei" ersetzt wurden, wurden die Ansprüche während dieses Beschwerdeverfahrens auf der Basis bevorzugter Offenbarung weiter präzisiert. Diese Änderungen erweitern den ursprünglich erteilten Schutzumfang nicht und beruhen auf folgenden Stellen der Beschreibung (die Hinweise in Kursivschrift beziehen sich auf die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen):

Komponente (c): Seite 3, Zeile 50; Seite 4, Zeile 35;

Komponente (d): Seite 3, Zeilen 56 bis 58; Seite 5, Zeilen 3 bis 6;

Ergänzung am Ende von Anspruch 1: Seite 4, Zeilen 13 bis 18; Seite 5, Zeilen 26 bis 33.

Anspruch 2, "ein Phenol-Formaldehyd-Kondensations-Harz": Seite 2, Zeilen 54 und 55; Seite 2, Zeilen 35 und 36.

Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ sind somit erfüllt.

2.2. Der vorliegende Wortlaut der Ansprüche erfüllt auch die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ. Zum einen trägt die Charakterisierung der Komponente (d) als spezielles Additionsprodukt von Ethylendiamin an ungesättigte Carbonsäuren dadurch zur Klarheit bei, daß die ursprüngliche verschwommene Definition der "niederen" aliphatischen diprimären Diamine vermieden wird.

Zum anderen entspricht das beanspruchte Verfahren der Definition der Erfindung in der Beschreibung, worin die molaren Verhältnisse zwischen den Komponenten (a) bis (d) als wesentliche Merkmale angegeben sind.

3. Neuheit

Die Neuheit ist in der angefochtenen Entscheidung anerkannt worden. Dies wurde im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdegegnerin nicht in Zweifel gezogen. Die unter Punkt 4 der angefochtenen Entscheidung genannten Gründe gelten nach Überzeugung der Kammer auch für den nun vorliegenden Wortlaut der Ansprüche (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).

4. Aufgabe und Lösung

4.1. Gegenstand des Streitpatents ist ein Verfahren zur Herstellung einer emulgatorfreien, wäßrigen Polyurethandispersion und die Verwendung der erhaltenen Verfahrensprodukte als Klebstoff.

4.2. Ein solches Verfahren ist aus D1 (siehe Anspruch 1) bekannt, das ein Verfahren zur Herstellung von lagerstabilen, wäßrigen Dispersionen von Oligo- und Polyurethanen beschreibt, welche eingebaute und die Dispergierbarkeit in Wasser gewährleistende ionische und/oder nicht-ionisch-hydrophile Gruppen und nicht in Wasser dispergierbare oder lösliche Hilfs- und Zusatzmittel enthalten. (Alle Hinweise auf Seiten- und Zeilenzahlen beziehen sich auf die maschinenschriftliche Numerierung in D1.)

4.2.1. Gemäß diesem Verfahren werden Oligourethane (deren Herstellung bereits Stand der Technik war: Seite 5, Zeilen 23 bis 27), die ein unter 20000 liegenden Molekulargewicht und eingebaute "potentielle ionische, ionische oder nicht-ionisch-hydrophile" und gegebenenfalls eine Kettenverlängerungs- bzw. Vernetzungsreaktion ermöglichende Gruppen haben, zunächst in flüssiger Phase oder in geschmolzenem Zustand (Seite 8, Zeilen 16 bis 18) mit Hilfs- und Zusatzmittel innig durchmischt. Alternativ können gegenüber der Isocyanat-Additionsreaktion inerte Hilfs- und Zusatzmittel bereits in eine der bei der Herstellung der Oligourethane verwendeten Ausgangsverbindungen eingearbeitet werden (Seite 9, Zeilen 6 bis 13).

Das so erhaltene Gemisch wird anschließend durch Vermischen mit Wasser in eine wäßrige Dispersion gebracht, wobei potentielle ionische Gruppen zumindest teilweise in ionische überführt werden. Gegebenenfalls wird das Oligourethan gleichzeitig oder anschließend durch Reaktion mit einem vor oder bei der Dispergierung zugesetzten Kettenverlängerungsmittel in ein höhermolekulares Polymer umgesetzt. Als Beispiele für solche Mittel werden Ketimine, Oxazolidine und Azine genannt (Seite 8, Zeile 26 bis Seite 9, Zeile 5).

4.2.2. Gegebenenfalls für die Einarbeitung der Hilfs- und Zusatzmittel mitverwendetes Lösungsmittel wird im allgemeinen noch in einer Schmelzphase oder während bzw. direkt nach dem Dispergiervorgang abdestilliert (Seite 9, Zeilen 22 bis 28).

Als Hilfs- und Zusatzmittel wird eine breite Palette von Verbindungsgruppen aufgezählt, die von Cellulosederivaten über Wachse, Fette, Harze, Öle, Metallseifen, Proteine, Siliciumverbindungen bis zu Hydrophobierungsmitteln reicht (Seite 11, Zeile 3 bis Seite 12, Zeile 20). Unter einer Reihe von Harzen natürlicher oder synthetischer Herkunft werden auch Phenolharze erwähnt (Seite 11, Zeile 25). Die Hilfs- und Zusatzstoffe dienen als Verdickungs-, Verlaufs-, Griff- und Hydrophobierungsmittel, als Füllstoffe, Haftvermittler oder Trennmittel. Darüber hinaus können auch weitere Zusätze für gleiche Zwecke, bzw. Pigmente und Weichmacher eingearbeitet werden (Seite 14, Zeilen 1 bis 16).

Auch die mögliche Abmischung der gemäß dem Verfahren von D1 erhaltenen Dispersionen mit anderen Dispersionen von Polyurethanen, Polyacrylaten, Polybutadien, Polyestern oder verschiedensten (Co-)Polymeren wird erwähnt (Seite 13, letzter Absatz).

4.2.3. D1 betrifft darüber hinaus die Verwendung der so erhaltenen Dispersionen als Beschichtungsmittel für flexible oder nicht-flexible Substrate (Anspruch 4), wobei sie die Funktion eines Finish, Lacks oder Klebstoffs erfüllen können (Seite 15, Zeilen 1 bis 7).

4.2.4. In sämtlichen Beispielen wird das Addukt von Natriumhydrogensulfit an propoxyliertes Butendiol, in Beispiel 3 noch zusätzlich Dimethylolpropionsäure zur Herstellung des Polyurethans eingesetzt. Als Zusatzmittel sind Carnauba-Wachs, das Bisamid aus Stearinsäure und Ethylendiamin, Nitrocellulose, Ölsäureamid, Celluloseacetobutyrat, Polyether-Polysiloxan und Cellulosepropionat genannt.

Die erhaltenen Produkte werden als Lederappreturen, bzw. als eine Komponente solcher Lederappreturen bezeichnet.

4.2.5. Die Druckschrift liefert keinerlei Anhaltspunkte, welche Kombinationen von Komponenten aus der breiten Palette aufgezählter Ausgangsmaterialien zu Klebstoffen führen könnten. Irgendwelche Eigenschaften von Klebstoffen sind überhaupt nicht in Betracht gezogen worden.

4.2.6. Ziel des beschriebenen Verfahrens ist vielmehr die zusätzliche, aber dennoch mögliche (Seite 14, Zeilen 17 bis 24) Mitverwendung von Emulgatoren und von leicht entflammbaren Lösungsmitteln bei der Einarbeitung von insbesondere der Lederzubereitung dienenden Hilfsmitteln unnötig zu machen (Seite 4, Zeilen 6 bis 11).

4.3. Gemäß der Einleitung der europäischen Patentschrift kann daher die dem Streitpatent zugrundeliegende technische Aufgabe darin gesehen werden, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, mit dem eine wäßrige Klebstoffdispersion für Kontaktverklebungen hergestellt werden kann, die ohne vorherige thermische Aktivierung zu hohen Anfangshaftfestigkeiten bei Verklebung mit zudem guter Wärmestandfestigkeit führen (Seite 2, Zeilen 26. bis 31 und Seite 7, Zeilen 43 bis 51).

4.4. Gemäß Beispiel 6, welches auch in den gegenüber der erteilten Fassung eingeschränkten Bereich des Anspruchs 1 fällt, wird die Aufgabe glaubhaft gelöst (siehe Seite 8, Zeile 11, Tabelle). Diese Ergebnisse sind von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten worden.

5. Naheliegen der Erfindung

Es ist zu entscheiden, ob sich die gefundene Lösung aus dem von der Beschwerdegegnerin herangezogenen Stand der Technik für den Fachmann in naheliegender Weise ergibt.

5.1. Aus den vorstehenden Ausführungen zu D1 wird deutlich, daß dieses Dokument, für sich genommen, schon auf Grund seiner andersartigen technischen Aufgabe (siehe Punkt 4.2.6) nicht zu einer Lösung des hier zugrundeliegenden Problems führen kann, die der speziellen Kombination von Merkmalen gemäß Anspruch 1 entspricht.

5.2. Gleiches gilt für D11, das sich mit der Herstellung von Polyurethanen durch Wärmebehandlung aus wäßrigen Dispersionen bestimmter Methylolgruppen aufweisender fester oder flüssiger Polyurethan-Polyelektrolyte befaßt.

5.2.1. Die Polyurethan-Polyelektrolyte werden durch Umsetzung von entweder a) Isocyanatgruppen enthaltenden Prepolymeren mit Methylolverbindungen oder b) Prepolymeren, die gewisse gegenüber Formaldehyd reaktive Gruppe enthalten, aber frei von Isocyanatgruppen sind, mit Formaldehyd in Gegenwart von Wasser erhalten. Die Wärmebehandlung erfolgt vor und/oder während und/oder nach der Entfernung des Wassers (Anspruch 1).

5.2.2. Bis dahin konnten Polyurethan-Dispersionen mit guten technischen Eigenschaften praktisch nur unter Mitverwendung organischer Lösungsmittel hergestellt werden. Die Aufgabe bestand nun darin, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, in dem auf diese Lösungsmittel verzichtet werden kann (Spalte 3, Zeilen 30 bis 50).

5.2.3. Die Aufgabe wird durch das Dispergieren der verhältnismäßig niedermolekularen Polyurethan-Polyelektrolyte in Wasser ohne Anwendung von Emulgatoren, Dispergiervorrichtungen oder Lösungsmitteln und durch deren Kettenverlängerung über Methylenbrücken mittels Wärmebehandlung gelöst (Spalte 3, Zeilen 51 bis 59; Spalte 4, Zeilen 10 bis 20). Bereits aus diesen Tatsachen wird klar, daß sich sowohl die zu lösende Aufgabe wie auch das Verfahren von D11 deutlich von dem beanspruchten Verfahren des Streitpatents unterscheiden.

Die Prepolymeren enthalten bestimmte Mengen von Salzgruppen oder zur Salzbildung befähigter Gruppen, die bei der Herstellung der Prepolymeren durch den Einbau von Kettenverlängerungsmitteln eingeführt (Spalte 9, Zeile 40 bis Spalte 17, Zeile 27) oder durch polymeranaloge Modifizierung erzeugt werden (Spalte 17, Zeile 28 bis Spalte 18, Zeile 27).

5.2.4. Die resultierenden Polyurethane können für die verschiedenartigsten Verwendungen (Spalte 35, Zeilen 35 bis 56; Spalte 36, Zeilen 8 bis 17) mit verschiedenen Additiven abgemischt oder als Feststoff oder Schmelze in andere Polymerisat-Dispersionen oder -Suspensionen eingemischt werden (Spalte 35, Zeilen 57 bis 66; Spalte 36, Zeile 56 bis Spalte 37, Zeile 13).

Zwar wird unter vielem anderem unspezifisch auf den Einsatz als Klebstoff bzw. Kleber hingewiesen, jedoch sind dieser Druckschrift weder irgendwelche Anhaltspunkte, welche Kombinationen aus der Vielzahl von möglichen Komponenten des Polyurethans für eine spezielle Verwendung mit ihrem besonderen Anforderungsprofil ausgewählt werden sollen, noch die Phenol-Kondensations-Harz-Komponente, geschweige denn eine besondere Mischmethode zu entnehmen.

5.3. D12 beschreibt Polyurethan-Ionomere, die sowohl in organischen Lösungsmitteln als auch in wäßriger Lösung stark assoziiert vorliegen (Seite 53, Zusammenfassung). Darüber hinaus bilden sie spontan stabile wäßrige Dispersionen, wenn ihren Lösungen in polaren organischen Lösungsmittel Wasser zugesetzt wird. Sie werden hergestellt durch Kettenverlängerung von Prepolymeren mit NCO-Endgruppen mittels verschiedener hydroxyl- oder amin-funktioneller Verbindungen, die ionische Strukturen enthalten oder bilden, z. B. N-(2-Aminoethyl)-3-amino-propansulfonat, N-(2-Aminoethyl)- -aminopropionat oder Lysin (Seite 56, rechte Spalte, Absatz vor Tabelle 4).

Als Anwendungsgebiet werden die gezielte Veränderung der Eigenschaften von Photogelatine im Hinblick auf Flexibilität, Dimensionsstabilität und Quellbarkeit durch die Polyurethan-Ionomeren, Lackierungen, Beschichtungen und Imprägnierungen von Textilien, Glasbeschichtungen und Syntheseleder genannt (Seite 62/63, Punkt 5). Keinerlei Information über Abmischungen mit anderen Polymeren oder die Verwendung als (Kontakt-)Klebstoff kann der Druckschrift entnommen werden.

5.4. D13 befaßt sich mit reaktiven Phenolharzen und Phenolharzabwandlungen, um sie lacktechnischen Zwecken dienstbar zu machen (Zusammenfassung). Es wird zugleich auf eine Reihe empfindlicher Verwendungsnachteile von Phenolharzen hingewiesen, wie schlechte Haftung von aus daraus hergestellten Filmen auf Unterlagen und hohe Sprödigkeit der Filme selbst (Seite 345, linke Spalte, Absatz 1). Als Lösung dieser Probleme werden (Seite 345, rechte Spalte und Seite 346, linke Spalte, Absatz "Plastifizierte Phenolharze") plastifizierte Phenolharze genannt. Dazu sind Weichmacher erforderlich, die nicht nur mit dem Resol, sondern auch mit dem ausgehärteten Harz verträglich sind, insbesondere werden in die Harz-Substanz eingebaute Weichmacher angesprochen. Im weiteren wird auf einen Reaktionsmechanismus zwischen Phenolalkoholen und ungesättigten Verbindungen (Seite 346, linke Spalte, Absatz "Die Chromanringbildung zwischen Phenolresolen und ungesättigten Verbindungen") eingegangen, sowie auf modifizierte Harze auf Basis von Phenolresolen und Naturharzsäuren (Seite 346, rechte Spalte, Absatz "Modifizierte Phenolharze und Albertolsäuren").

Es gibt jedoch keinerlei Hinweise auf die Herstellung wäßriger emulgatorfreier Dispersionen von Polyurethanen, deren Verwendung als Klebstoffe und die Lösung damit verbundener Probleme.

5.5. D14 schließlich bezeichnet Polyurethan-Dispersionen als ausgezeichnete Klebstoffe und erwähnt deren Verträglichkeit mit anderen Polymer- und Harz-Dispersionen. Als Beispiele sind solche von Vinylacetat- und Acrylsäureester-Homo- und Mischpolymerisaten sowie Terpen-, Phenol-, Kohlenwasserstoff- und Kolophoniumester-Harze genannt. Durch die Kombination mit solchen Polymeren können spezielle klebtechnische Effekte erzielt werden (Punkt 11.6.2). Außerdem wird auf gute Adhäsions- und Kohäsionseigenschaften der Polyurethan-Dispersions-Klebstoffe aufgrund ihrer Kristallinität bzw. bei geeignetem Aufbau durch den Ionomercharakter hingewiesen (Punkt 11.6.4).

Es wird aber auch dargelegt, daß Polyurethan-Dispersions-Klebstoffe in der Regel eine stärkere Aktivierung als Polyurethan-Lösungsmittel-Klebstoffe erfordern (Punkt 11.6.3). Dies wird im Kapitel 11.7.1, Absatz 2 mit dem Hinweis auf Blitz- und Schock-Aktivierung bestätigt.

Die Entgegenhaltung gibt weder Einzelheiten zur Auswahl und Zusammensetzung bestimmter Komponenten an, noch lehrt sie die Komponenten zunächst homogen zu mischen und anschließend in wäßrige Dispersion (Codispergierung) zu überführen.

5.6. Diese Bemerkungen zu den einzelnen Dokumenten zeigen, daß keine der Druckschriften D11 bis D14, für sich genommen, einen Bezug zur durch das Streitpatent zu lösenden technischen Aufgabe hat oder irgendwelche Hinweise auf die spezielle Auswahl hinsichtlich der Zusammensetzung der Komponenten gibt. Entsprechende Auswahlen können nur bei Kenntnis des Streitpatents in der Rückschau getroffen werden. Auch zur Codispergierung gibt es keinerlei Anregungen.

5.7. Folglich können die Kombination von D1 mit einer oder mehreren der anderen genannten Entgegenhaltungen schon wegen der unterschiedlichen technischen Aufgaben, aber auch wegen teils zueinander im Widerspruch stehenden Lehren nicht in Betracht kommen.

5.8. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluß, daß der Gegenstand von Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).

5.9. Gleiches gilt für die Ansprüche 2 bis 5, die alle Merkmale und Einschränkungen von Anspruch 1 enthalten.

Hilfsanträge

6. Da dem Antrag auf Aufrechterhaltung des Streitpatents im Rahmen des Hauptantrags stattgegeben wird, brauchen die Hilfsanträge nicht weiter in Betracht gezogen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf der Basis des während der mündlichen Verhandlung als Hauptantrag eingereichten Anspruchssatzes und einer noch daran anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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