T 0175/97 (Elektrolytkondensator/SIEMENS) of 14.3.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T017597.20000314
Datum der Entscheidung: 14 März 2000
Aktenzeichen: T 0175/97
Anmeldenummer: 90110482.8
IPC-Klasse: H01G 9/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Elektrolytkondensator
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: Mitsubishi Chemical Corporation
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein): ausgewählte Bereiche durch Ausführungsbeispiel des Standes der Technik im Rahmen der Meßgenauigkeit vorweggenommen
Hilfsantrag - unzulässig: verspätet und nicht eindeutig gewährbar
Orientierungssatz:

Die Neuheit einer in einem zweidimensionalen Parameterraum von Konzentrationswerten ausgewählten Teilfläche einer vorbekannten Fläche ist jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn ein Punkt dieser Teilfläche (hier: der Eckpunkt maximaler Konzentrationen) mit den Konzentrationswerten eines Ausführungsbeispiels des Standes der Technik in der Weise übereinstimmt, daß die rein numerischen Abweichungen der Punktkoordinaten im Rahmen der Meßgenauigkeiten liegen, die der Fachmann unter Zugrundelegung üblicher Auslegungskonventionen bei technischen Zahlenangaben unterstelt.

Angeführte Entscheidungen:
T 0198/84
T 0624/91
T 0653/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1810/13
T 2438/13
T 2203/14
T 2303/14
T 0821/19
T 1172/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (= Patentinhaberin) richtet ihre am 11. Februar 1997 eingelegte Beschwerde gegen die am 18. Dezember 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0 405 181 zu widerrufen.

II. Mit dem Einspruch der Beschwerdegegnerin war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ mit der Begründung angegriffen worden, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs weder neu sei, noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. In der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung folgende Dokumente in Betracht gezogen (die in der Entscheidung verwendete Numerierung wurde beibehalten):

E1: JP-A-64 39710 (in Verbindung mit einer von der Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren eingereichten, beglaubigten Übersetzung)

E2: US-A-4 821 153 und

E3: US-A-4 715 976.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß der geltend gemachte Einspruchsgrund fehlender Neuheit im Hinblick auf die Entgegenhaltung E1 der unveränderten Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe.

IV. Im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 27. Dezember 1999 vertrat die Kammer unter anderem die vorläufige Meinung, daß sich der Gegenstand des einzigen erteilten Anspruchs vom oben genannten Stand der Technik im wesentlichen durch die Auswahl eines engeren Zusammensetzungsbereiches des Betriebselektrolyten aus einem weiteren vorbekannten Bereich unterscheide.

Demnach sei der Gegenstand des Anspruchs 1 offenbar nur dann als neu anzusehen, wenn es sich um eine Auswahlerfindung handele. Zur Überprüfung dieser Frage im Hinblick auf den vorliegenden Stand der Technik halte es die Kammer für geboten, in der mündlichen Verhandlung die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Beurteilung der Neuheit ausgewählter Parameterbereiche anzuziehen, wie dies bereits in der angefochtenen Entscheidung geschehen sei.

In der mündlichen Verhandlung sollten daher insbesondere die streitigen Fragen der bei einem Vergleich mit dem Stand der Technik zu berücksichtigenden Rechen- und Meßgenauigkeiten sowie der konkreten Auslegung der von einer Auswahlerfindung zu erfüllenden Erfordernisse, ggf. unter Vorlage entsprechender Nachweise, für den vorliegenden Fall diskutiert werden. Dabei erscheine das Beispiel 1 der Entgegenhaltung E1 von besonderer Bedeutung. In diesem Zusammenhang werde von der Kammer die vorläufige Auffassung vertreten, daß von einem hinreichenden Abstand der beanspruchten Erfindung vom Stand der Technik jedenfalls dann nicht die Rede sein könne, wenn dieser Abstand im Bereich der vom Stand der Technik, insbesondere der Entgegenhaltung E1, vorgegebenen Meßgenauigkeit liege.

V. Am 14. März 2000 wurde gemäß den entsprechenden Hilfsanträgen der Parteien mündlich verhandelt. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder, hilfsweise, gemäß dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag.

VII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

VIII. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgeblichen Fassungen des jeweiligen Patentanspruchs lauten wie folgt:

Hauptantrag (= erteilte Fassung) "1. Elektrolytkondensator, der aus zumindest zwei miteinander verwickelten Aluminiumfolien besteht, die als Anoden- und Kathodenfolie dienen und von denen die als Anode dienende Folie mit einer als Dielektrikum wirkenden Oxidschicht versehen ist, bei dem zwischen Anoden- und Kathodenfolie Abstandshalter angeordnet sind, die mit einem Betriebselektrolyt getränkt sind, der aus Tetraethylammoniumhydrogenmaleat mit einem Zusatz von Maleinsäure und gamma-Butyrolacton als Lösungsmittel besteht, der einen pH-Wert von 5 bis 7 besitzt und eine Zusammensetzung aus 0,25 bis 0,8 Mol Tetraethylammoniumhydrogenmaleat je kg Elektrolyt, 0,005 bis 0,016 Mol Maleinsäure je kg Elektrolyt und gamma-Butyrolacton besitzt."

Hilfsantrag "1. Elektrolytkondensator, der aus zumindest zwei miteinander verwickelten Aluminiumfolien besteht, die als Anoden- und Kathodenfolie dienen und von denen die als Anode dienende Folie mit einer als Dielektrikum wirkenden Oxidschicht versehen ist, bei dem zwischen Anoden- und Kathodenfolie Abstandshalter angeordnet sind, die mit einem Betriebselektrolyt getränkt sind, der aus Tetraethylammoniumhydrogenmaleat mit einem Zusatz von Maleinsäure und gamma-Butyrolacton als Lösungsmittel besteht, der einen pH-Wert von 5 - 7 besitzt und eine Zusammensetzung aufweist aus 0,25 bis 0,8 Mol Tetraethylammoniumhydrogenmaleat je kg Elektrolyt, nicht mehr als 2 Molprozent - bezogen auf den Anteil an Tetraethylammoniumhydrogenmaleat - Maleinsäure, d. h. 0,005 - 0,016 Mol Maleinsäure je kg Elektrolyt und gamma-Butyrolacton, wobei der Elektrolyt keine weiteren Zusätze und insbesondere kein Wasser enthält."

IX. Die Beschwerdeführerin hat zum Gegenstand des Patentanspruchs gemäß dem Hauptantrag bzw. gemäß dem Hilfsantrag folgendes vorgetragen:

Aus der Entgegenhaltung E1 sei ein Betriebselektrolyt mit einer Vielzahl von Zusammensetzungen und Konzentrationen bekannt, aus denen das Streitpatent lediglich zwei Zusammensetzungen mit Konzentrationen im unteren Grenzbereich von E1 beanspruche. Von den im Stand der Technik beschriebenen Ausführungsbeispielen komme das Beispiel 1 dem Patentgegenstand am nächsten, liege jedoch sowohl hinsichtlich des TEAM (= Tetraethylammoniumhydrogenmaleat)-Wertes als auch hinsichtlich des Säurewertes über dem beanspruchten Bereich.

Aus der Tabelle 1 von E1 ergebe sich der deutliche Hinweis, daß die Stabilität des bekannten Elektrolyten mit wachsendem Säuregehalt zunehme, so daß das im Beispiel 1 gewählte Molverhältnis von 1,02 als allerunterste Grenze für einen stabilen Betriebselektrolyten nach E1 angesehen werden müsse. Bei im Grenzbereich zu Beispiel 1 von E1 nicht überlappenden Konzentrationswerten bewege sich das Streitpatent somit in eine andere Richtung als der Stand der Technik, der eine klare Tendenz zu höheren Säurekonzentrationen erkennen lasse.

Im Unterschied zur Entgegenhaltung E1, die nur die Stabilität eines Betriebselektrolyten betrachte, werde im Streitpatent ein Kondensator mit Elektroden und Dielektrikum beansprucht, der sich bei hohen Temperaturen als überraschend stabil und korrosionsfest erweise. Ebenso sei der beanspruchte pH-Wert von 5 bis 7 nicht in E1 erwähnt. Selbst wenn der Abstand des Streitpatents von den Ausführungsbeispielen des Standes der Technik nur knapp sei, so spielten bei der Kondensatoranwendung zusätzliche Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle: insbesondere müsse hier ein Auskristallisieren der Elektrolytlösung wegen der Kurzschlußgefahr streng vermieden werden. Insofern würden schon kleine Konzentrationsunterschiede entscheidend die Absicherung gegen Salzausfall beeinflussen.

Im übrigen folge aus der Tatsache, daß die untere Grenze des TEAM-Anteils von 0,25 Mol im Streitpatent auf zwei Stellen genau angegeben werde, für den Fachmann ohne weiteres, daß auch die obere Grenze von 0,8 Mol mit derselben Genauigkeit behaftet sei, so daß der beanspruchte TEAM-Bereich nicht durch das konkrete Ausführungsbeispiel 1 von E1 vorweggenommen werde. Auch sei es zur Beurteilung des Vorliegens einer Auswahlerfindung unzulässig, die jeweils ausgewählten Parameterbereiche getrennt mit den entsprechenden Bereichen des Standes der Technik zu vergleichen, vielmehr müsse die beanspruchte Merkmalskombination in Relation zur Gesamtoffenbarung von E1 gesehen werden.

Der hilfsweise überreichte Anspruch 1 mache klar, daß der Maleinsäureüberschuß auf 2 Molprozent des TEAM-Anteils begrenzt sei. Zur Frage der Zulässigkeit dieser Änderung wäre anzumerken, daß eine Obergrenze von 2. Molprozent als zur pH-Korrektur ausreichend den ursprünglichen Unterlagen entnommen werden könne. Durch die damit erfolgende Verknüpfung der beanspruchten TEAM- und Maleinsäurebereiche werde der Anspruchsgegenstand beschränkt, indem sich eine unabhängige Kombination der jeweiligen Bereichsgrenzen verbiete. Außerdem dürfe der Elektrolyt keine weiteren Zusätze enthalten. Nach dem Stand der Technik könnten derartige Zusätze ohne weiteres vorgesehen sein. Dabei müsse man beachten, daß die Stabilität eines Elektrolyten nicht unter Wasserzugabe leide, wohl aber die Stabilität eines Elektrolytkondensators wegen der daraus resultierenden Wasserstoffkorrosion.

X. Die Beschwerdegegnerin stützte ihren Antrag auf folgende Argumente:

Der gemäß dem Hauptantrag beanspruchte Elektrolytkondensator sei in üblicher Weise aufgebaut und im wesentlichen durch seinen Betriebselektrolyten gekennzeichnet. Die Merkmale des Anspruchs 1 würden bereits durch die Entgegenhaltungen E2 und E3 vorweggenommen, als noch relevanter erweise sich jedoch die Entgegenhaltung E1, in der ein Elektrolytkondensator zumindest implizit offenbart sei. Der aus E1 bekannte Elektrolyt besitze eine Zusammensetzung von 1 bis 40 % TEAM und mehr als 0 bis etwa 5,7 % Maleinsäure in gamma-Butyrolacton als Lösungsmittel, wodurch sich der beanspruchte pH-Wert zwangsläufig ergebe. Damit sei die Neuheit des Anspruchsgegenstands primär nicht mehr gegeben.

Bei Anwendung der Kriterien für eine Auswahlerfindung nach der Entscheidung T 198/84 könnten die im Streitpatent ausgewählten Konzentrationsbereiche von ca. 35 % (im Falle von TEAM) bzw. ca. 2,3 % (im Falle von Maleinsäure) des jeweils aus E1 vorbekannten Bereichs nicht als eng angesehen werden. Außerdem werde bei einer Angabe von 0,8 Mol TEAM, wie sie im Anspruch 1 enthalten sei, vom Fachmann grundsätzlich die letzte Stelle als exakt interpretiert, d. h. die beanspruchte TEAM-Konzentration bewege sich zwischen 0,75 bis 0,84 Mol, was etwa 18,4 bis 20,6 Gew.-% entspreche. Da sich der exakte TEAM-Wert von 0,80 Mol bzw. 19,6 Gew.-% nur um etwa 1 % vom TEAM-Wert des Beispiels 1 von E1 (19,8 Gew.-%) unterscheide, der Maleinsäure-Wert hingegen nur um 0,5 %, liege Beispiel 1 von E1 voll im Bereich der Rundungsgenauigkeit des Streitpatents, wobei Meßfehler noch gar nicht berücksichtigt worden seien. Somit weise der Anspruchsgegenstand auch nicht den gemäß T 198/84 zu fordernden Abstand von den Ausführungsbeispielen des Standes der Technik auf. Schließlich werde mit dem Streitpatent keine besondere Wirkung gegenüber E1 erzielt. Eine Auswahlerfindung liege demnach nicht vor, vielmehr ergebe sich ein Neuheitsmangel bei Berücksichtigung der Gesamtoffenbarung von E1.

Da das Beispiel 1 von E1 auf der Obergrenze des Streitpatents liege, müßten auch dieselben technischen Effekte erzielt werden, insbesondere was den pH-Wert oder die Gasentwicklung betreffe. Im übrigen werde der gesamte Konzentrationsbereich von E1 dort als nützlich beschrieben, d. h. auch kleinere Säureüberschüsse wirkten sich bereits positiv aus. Da Beispiel 1 von E1 neuheitsschädlich sei, müsse zudem die Frage, ob ein Fachmann auch Molverhältnisse unter 1,02 in Erwägung ziehen würde, als irrelevant angesehen werden.

Schließlich sei auch kein Ausfall von TEAM in kristalliner Form bei kleinen Konzentrationsänderungen zu befürchten, da die Sättigungsgrenze gemäß Entgegenhaltung E2 bei über 40 Gew.-% liege.

Der Hilfsantrag sollte als unzulässig zurückgewiesen werden, da er erst in der mündlichen Verhandlung gestellt worden sei und nur überflüssige Änderungen aufweise, die weder zum besseren Verständnis des Anspruchsgegenstands beitragen, noch diesen einschränken würden. Im übrigen sei auch in E1 der Säureüberschuß prozentual auf die TEAM-Konzentration bezogen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde entspricht den Bestimmungen von Regel 65 EPÜ und ist daher zulässig.

2. Hauptantrag: Neuheit

2.1. Aus der Entgegenhaltung E1, die dem Anspruchsgegenstand am nächsten kommt, ist ein Betriebselektrolyt für einen Elektrolytkondensator bekannt, der ein quaternäres Ammoniumsalz der Maleinsäure mit einem Säure/Base-Molverhältnis von größer 1,0 bis einschließlich 1,3 enthalten kann (siehe den Patentanspruch der englischen Übersetzung von E1). Bei dem quaternären Ammoniumsalz kann es sich - unter Berücksichtigung des Säureüberschusses - um Tetraethylammoniumhydrogenmaleat (TEAM) handeln (siehe E1, Seite 3, letzter Absatz der englischen Übersetzung). Die Konzentration des Ammoniumsalzes kann 1 bis 40. Gew.-% betragen (siehe E1, Seite 4, vorletzter Absatz der englischen Übersetzung), und als Lösungsmittel ist gamma-Butyrolacton bevorzugt (siehe E1, Seite 4, dritter Absatz der englischen Übersetzung).

2.2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung unterscheidet sich somit von dem aus E1 bekannten Stand der Technik durch

i) die explizite Angabe der Kondensatorbestandteile (zumindest zwei miteinander verwickelte, als Anode und Kathode dienende Aluminiumfolien, dielektrische Oxidschicht auf der Anodenfolie sowie Abstandshalter zwischen den Folien, der mit dem Betriebselektrolyt getränkt ist);

ii) die Auswahl einer Zusammensetzung für den Betriebselektrolyt (jeweils pro kg Elektrolyt und gamma-Butyrolacton) mit

- einem TEAM-Anteil von 0,25 bis 0,8 Mol, rechnerisch entsprechend 6,13 bis 19,63 Gew.-%,

- einem Maleinsäurezusatz von 0,005 bis 0,016 Mol, rechnerisch entsprechend 0,058 bis 0,186 Gew.-% und

- einem pH-Wert von 5 bis 7.

2.3. Die Tatsache, daß der Aufbau des beanspruchten Elektrolytkondensators und dessen Bestandteile dem Standarttyp eines Aluminium-Elektrolytkondensators entspricht, war zwischen den Parteien nicht streitig.

Die Kammer geht mit der angefochtenen Entscheidung darin einig, daß sich dieser Aufbau für den Fachmann anhand der Offenbarung "Elektrolyt für einen Elektrolytkondensator" (siehe E1, insbesondere Seite 1 der englischen Übersetzung) und der Anwendung dieses Elektrolyten in einem "Aluminium-Elektrolytkondensator" (siehe E1, Beispiel 6 der englischen Übersetzung) in impliziter Weise aus dem Stand der Technik ergibt, so daß die Merkmalskombination i) auch bereits durch die Entgegenhaltung E1 vorweggenommen ist.

Da sich der pH-Wert offensichtlich als automatische Konsequenz des Säurezusatzes einstellen muß, reduziert sich die Neuheitsfrage auf den Aspekt der Auswahl der beanspruchten engeren TEAM- und Maleinsäurekonzentrationen aus den in E1 vorbeschriebenen weiteren Konzentrationsbereichen.

2.4. In diesem Zusammenhang ist nach Auffassung der Kammer zu beachten, daß es beim Streitpatent um die Auswahl von zwei Teilbereichen geht, deren Werte - zumindest nach dem Anspruchswortlaut - voneinander unabhängig kombiniert werden können. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von der Ausgangssituation in der Entscheidung T 198/84 (siehe ABl. EPA 1985, 209), die von der Beschwerdegegnerin angezogen worden ist und die Auswahl eines einzigen Teilbereiches betrifft. Bei einer Mehrfachauswahl ist es zur Prüfung der Neuheit normalerweise nicht zulässig, die einzelnen Teilbereiche jeweils getrennt mit den entsprechenden größeren Bereichen des Standes der Technik zu vergleichen, vielmehr ist die Neuheit der aus der Mehrfachauswahl resultierende Kombination von Teilbereichen im Hinblick auf die Gesamtoffenbarung des Standes der Technik zu beurteilen (siehe z. B. T 653/93, nicht in ABl. EPA veröffentlicht; Punkt 3 der Entscheidungsgründe).

Bei einer derartigen Betrachtungsweise wird vom Streitpatent im vorliegenden, zweidimensionalen Parameterraum eine relativ schmale Teilfläche der aus E1 vorbekannten Fläche beansprucht, und zwar in derem Grenzbereich niedriger Säureüberschüsse, wobei die beanspruchte Fläche sich noch weiter verkleinert, wenn die Maleinsäurekonzentration im Lichte der Beschreibung des Streitpatents (siehe Spalte 2, Zeile 54 bis Spalte 3, Zeile 3) als prozentual auf den TEAM-Anteil bezogen interpretiert wird.

2.5. Allerdings kommt es im vorliegenden Fall auf die relative Größe der ausgewählten Teilfläche nicht an, da sie nämlich an ihrem durch maximale Säure- und TEAM-Werte definierten Eckpunkt im Rahmen der zu unterstellenden Rundungs- und Meßgenauigkeit durch das Ausführungsbeispiel 1 von E1 vorweggenommen wird.

Gemäß diesem Ausführungsbeispiel werden 20 Gew.-% TEAM mit einem Säure/Base-Molverhältnis von 1,02 in gamma-Butyrolacton gelöst. Daraus ergibt sich rechnerisch ein TEAM-Anteil von 19,81 Gew.-% und ein Maleinsäureanteil von 0,187 Gew.-%, was von den Parteien nicht bestritten wurde.

Für den genannten Eckpunkt des Streitpatents ergibt sich - ebenfalls unstreitig - durch Umrechnung das Wertepaar TEAM-Anteil 19,63 Gew.-%/Säureanteil 0,186 Gew.-%.

Wie man sofort erkennt, hängen eventuell existierende Unterschiede zwischen dem Anspruchsgegenstand und dem Beispiel 1 von E1 von der Rechengenauigkeit ab.

2.6. In diesem Zusammenhang muß jedoch angenommen werden, daß der Fachmann bei der Interpretation und Umrechnung von Zahlenangaben, die sich auf Meßgrößen beziehen, nicht eine beliebige oder willkürliche Genauigkeit zugrundelegen würde, sondern sich vielmehr der Tatsache bewußt ist, daß technische Zahlenangaben mit einem Meßfehler behaftet sind, der letztlich die sinnvolle Rechengenauigkeit begrenzt.

In der naturwissenschaftlich-technischen Literatur gilt daher die Konvention, daß die letzte angegebene Stelle von Zahlenwerten der Meßgenauigkeit entspricht. Dabei ist in Ermangelung genauer Fehlergrenzen der Maximalfehler aus der Rundungskonvention für die letzte angegebene Stelle abzuschätzen. Solange es sich nicht um offensichtlich unsinnige Genauigkeitsangaben handelt, wird der Fachmann bei der Interpretation von Wertebereichen in Patentschriften von denselben Annahmen ausgehen, da auch diese technische Sachverhalte zum Inhalt haben und nur so eine technisch sinnvolle Auslegung des Schutzbereiches möglich ist.

2.7. Im vorliegenden Fall ist der TEAM-Anteil in Beispiel 1 von E1 auf 1 Gew.-% genau angegeben und das Säure/Base-Molverhältnis mit einer Genauigkeit von zwei Stellen hinter dem Komma. Weitere Angaben zu den Fehlergrenzen sind weder vorhanden, noch ist eine typische Größenordnung derartiger Fehlergrenzen für den Fachmann ohne weiteres erkennbar. Da die offenbarten Genauigkeiten nicht von vornherein als unrealistisch angesehen werden können, wird der Fachmann unter Anwendung der Rundungskonvention beim Stand der Technik einen TEAM-Anteil von mindestens 19,5 bis höchstens 20,4 Gew.-% unterstellen sowie ein Molverhältnis von mindestens 1,015 bis höchstens 1,024, woraus sich ein Maleinsäureanteil zwischen 0,14 und 0,23 Gew.-% ergibt.

In ähnlicher Weise wird der Fachmann die Angabe 0,8 Mol TEAM im Streitpatent als auf 100 mMol genau interpretieren, d. h. einen maximalen Fehlerbereich von 0,75 bis 0,84 Mol TEAM, das sind 18,4 bis 20,6 Gew.-%, annehmen. Den beanspruchten Maleinsäureüberschuß erhält man hingegen offenbar rein rechnerisch aus einem Prozentsatz von 2 % des TEAM-Anteils (siehe Spalte 2, Zeile 57 bis Spalte 3, Zeile 3 des Streitpatents), d. h. die Schwankungsbreite an der oberen Grenze des beanspruchten TEAM-Wertebereichs beträgt rechnerisch 0,015 bis 0,0168 Mol, entsprechend 0,17 bis 0,19 Gew.-%.

Somit ergibt sich nach Ansicht der Kammer unzweifelhaft, daß der obere Eckpunkt maximaler TEAM- und Maleinsäurekonzentrationen nach dem Streitpatent (TEAM: 18,4 bis 20,6 Gew.-%; Maleinsäure: 0,17 bis 0,19 Gew.-%) mit dem Beispiel 1 von E1 (TEAM: 19,5 bis 20,4 Gew.-%; Maleinsäure: 0,14 bis 0,23 Gew.-%) im Rahmen der diesen beiden Druckschriften entnehmbaren Meßgenauigkeiten zusammenfällt (siehe hierzu auch die Entscheidung T 624/91, nicht in ABl. EPA veröffentlicht, die bei Legierungszusammensetzungen zu einem ähnlichen Ergebnis kommt). Damit ist die Frage eines hinreichenden Abstandes des im Streitpatent ausgewählten Flächenbereiches von den Ausführungsbeispielen im vorliegenden Fall schon deshalb zu verneinen, da bei fachmännischer Auslegung der Zahlenangaben das Beispiel 1 von E1 auf den Rand der ausgewählten Teilfläche fällt, d. h. von dieser umfaßt wird.

2.8. Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, daß die beanspruchte maximale TEAM-Konzentration in Analogie zur Genauigkeitsangabe der beanspruchten unteren Grenze von 0,25 Mol als 0,80 Mol, d. h. auf 10 mMol genau, gelesen werden müßte. Die Kammer vermag diesem Argument nicht zu folgen, da es der oben dargelegten Fehlerkonvention widerspricht und einer willkürlichen Festlegung der Meßgenauigkeit durch Anhängen weiterer Nullstellen Tür und Tor öffnen würde. Unabhängig davon läge auch bei einer derartigen Auslegung der Zahlenangabe "0,8 Mol" die beanspruchte maximale TEAM-Konzentration im Genauigkeitsbereich des Beispiels 1 von E1, wie oben ausgeführt wurde.

2.9. Demnach mangelt es dem Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag schon aus diesem Grund an der gemäß Artikel 52 und 54 EPÜ erforderlichen Neuheit, und weitere Überlegungen hinsichtlich eventuell unterschiedlicher Wirkungen im Auswahlbereich oder ernsthafter Erwägungen des Fachmanns, in diesem Bereich zu arbeiten, sind nicht entscheidungserheblich. Im übrigen könnte die Kammer auch weder derartige Wirkungen des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik nach E1 noch ernstliche Hinderungsgründe für den Fachmann erkennen.

Der Anspruch 1 nach dem Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.

3. Hilfsantrag: Zulässigkeit

Im Ladungsbescheid zur mündlichen Verhandlung waren die Parteien aufgefordert worden, eventuelle Stellungnahmen oder Anträge mindestens einen Monat vor dem festgesetzten Verhandlungsdatum vorzulegen. Der Hilfsantrag wurde von der Beschwerdeführerin erst zu Beginn der mündlichen Verhandlung und somit verspätet überreicht. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe die in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 3. Auflage 1998, Europäisches Patentamt 1999, VII-D, 14. zitierten Beispiele) steht es im Ermessen der Kammer, verspätet eingereichte Anträge zu berücksichtigen. Da im vorliegenden Fall der Anspruch 1 des Hilfsantrags weder im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ (es erscheint zumindest zweifelhaft, ob aus der Offenbarung in Spalte 2, Zeile 57 bis Spalte 3, Zeile 3 des Streitpatents lediglich eine Obergrenze für den prozentualen Maleinsäureüberschuß abgeleitet werden kann), noch im Hinblick auf Artikel 54 EPÜ (bei analoger Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zum Hauptantrag) als eindeutig gewährbar angesehen werden kann, folgt die Kammer dem Antrag der Beschwerdegegnerin auf Nichtzulassung des Hilfsantrags.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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