T 0817/96 () of 21.2.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T081796.20000221
Datum der Entscheidung: 21 Februar 2000
Aktenzeichen: T 0817/96
Anmeldenummer: 91250273.9
IPC-Klasse: C23G 3/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Beizen von Bändern
Name des Anmelders: MANNESMANN Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: (I) Keramchemie GmbH
(II) ANDRITZ-Patentverwaltungs-Gesellschaft m.b.H.
(III) SMS Schloemann-Siemag AG
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Inventive step (no)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende I Keramchemie, und Einsprechende II (ANDRITZ-Patentverwaltungs-Gesellschaft m.b.H) haben gegen die am 16. Juli 1996 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des Patents Nr. 0 482 725 in geänderter Form die beiden am 7. September 1996 eingegangenen Beschwerden eingelegt und die Beschwerdegebühr am gleichen Tag entrichtet. Die Beschwerdebegründungen sind am 14. November 1996 bzw. am 13. November 1996 eingegangen. Die Einsprechende III (SMS Schloemann-Siemag AG) hat mit Schreiben, eingegangen am 9. März 1999, ihre am 11. September 1996 eingelegte Beschwerde zurückgenommen.

II. Das gesamte Patent war im Einspruchsverfahren im Hinblick auf Artikel 100 a) wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit sowie aufgrund von Artikel 100 b) EPÜ wegen unvollständiger Offenbarung angegriffen worden. Die Einspruchsabteilung war zu der Auffassung gekommen, daß die vorgebrachten Gründe der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form nicht entgegenstünden.

III. Folgende Druckschriften wurden unter anderem in den Entscheidungsgründen berücksichtigt:

D3: L. A. Schwetschenko und W. W. Selinskaja: "Oberflächenreinigung bei warmgewalzten Flachstählen im Säurestrom", 1981, (deutsche Übersetzung)

D4: DE-A-3 629 894

D10: Metals Handbook, Band 5, ASM 1982, Seiten 68 bis 82.

In den Beschwerdebegründungen wurde von den Beschwerdeführerinnen geltend gemacht, daß die geänderte Anspruchsfassung die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ verletze und der Anspruchsgegenstand den Erfordernissen der Artikel 54, 56 und 83 EPÜ nicht genüge.

IV. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 1999 teilte die Kammer den Parteien als eine vorläufige Bewertung der Sachlage mit, daß der Anspruchsgegenstand als im Bereich fachmännischen Handelns liegend angesehen werden könne und ihm somit möglicherweise die erfinderische Tätigkeit fehle.

V. Am 21. Februar 2000 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang mit dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten einzigen Patentanspruch aufrechtzuerhalten.

Der einzige Anspruch in dieser Fassung lautet:

"1. Verfahren zum Beizen von kontinuierlich, einen horizontalen Beizbehälter durchlaufenden Bändern, in den das Beizmedium zur Bildung einer turbulenten Strömung eingedüst wird, wobei die Turbulenz der Strömung im Beizmedium in Abhängigkeit von der Durchlaufgeschwindigkeit des zu beizenden Bandes geregelt wird und bei wechselseitiger Abhängigkeit der Turbulenz der Strömung im Beizmedium, der Temperatur des Beizmediums und der Durchlaufgeschwindigkeit des Bandes voneinander, bei Veränderung der Durchlaufgeschwindigkeit des Bandes zur optimalen Anpassung der Beizwirkung der längere Zeitraum eines Temperaturwechsels des Beizmediums durch Veränderung der Turbulenz im Beizmedium kompensiert wird."

VI. Die Beschwerdeführerinnen argumentierten wie folgt:

Aufgabe des angefochtenen Patent sei es, ein Verfahren zum Beizen von Bändern bereitzustellen, das bei einer Änderung der Durchlaufgeschwindigkeit des Bandes durch das Beizmedium ein optimales Beizergebnis, (d. h. kein Über- oder Unterbeizen des Bandes) bei minimalem Verbrauch an Beizmedium erreiche. Eine solche Änderung der Bandgeschwindigkeit während des Beizens sei z. B. beim Wechseln auf ein Stahlband einer anderen Stahlqualität erforderlich. Als nächstkommender Stand der Technik werde Druckschrift D3 angesehen, aus der bereits der technologische Zusammenhang zwischen Konzentration, Temperatur und Strömungsgeschwindigkeit des Beizmediums sowie der Banddurchlaufgeschwindigkeit im Hinblick auf die Beizwirkung bekannt sei. Im angefochtenen Patent sei zwar stets von der Turbulenz der Strömung im Beizmedium die Rede, jedoch sei damit im wesentlichen die Strömungsgeschwindigkeit des Beizmediums zu verstehen. Die Auswirkungen der verschiedenen Faktoren auf die Beizdauer (y), die der Durchlaufgeschwindigkeit umgekehrt proportional sei, beschreibe die Gleichung auf Seite 2, Zeile 1, in Druckschrift D3, mit deren Hilfe die erforderliche Beizdauer berechnet werden könne. Auch Druckschrift D4 vermittele dem Fachmann diese technischen Zusammenhänge, denn sie beschreibe die Möglichkeit, die Beizzeit durch den Einsatz einer turbulenten Strömung im Beizmedium zu verkürzen, wobei durch die Vorteile der turbulenten Strömung die Anlage sogar mit einer niedrigeren Temperatur des Beizbades als üblich betreibbar sei. Da auf eine schnelle Veränderung der Bandgeschwindigkeit und damit der Beizdauer, wie sie eine andere Stahlbandqualität erfordere, nicht in gleicher Weise durch eine ebenso schnelle Temperaturerhöhung oder Temperaturerniedrigung des Beizmediums reagiert werden könne, bliebe dem Fachmann - bei unveränderter Konzentration und Länge des Säurebades - nur noch die Möglichkeit, die Stärke der Strömung des Beizmediums, d.h. der Turbulenz zu ändern, um so das Beizergebnis zu optimieren. Dies liege aber im Rahmen fachmännischen Handelns. Das beanspruchte Verfahren sei deshalb bei der Kenntnis der Lehren der Druckschriften D3 und D4 naheliegend.

Die Beschwerdegegnerin trug die folgenden Argumente vor:

Die Auswirkungen des Bandwechsels und die damit verbundenen Probleme seien in keiner der Druckschriften D1 bis D11 angesprochen, und diese könnten somit diesbezüglich auch keine fachmännische Hilfe bieten. Die Umstellung auf eine andere Bandqualität erfordere jedoch ein Hoch- oder Herunterfahren der Temperatur des Beizmediums, um so ein optimales Beizergebnis des neuen Bandes zu erreichen. Da das Anheben oder Absenken der Beizmitteltemperatur viel länger dauere als der Bandwechsel, bestehe der erfindungswesentliche Schritt des beanspruchten Verfahrens darin, die bis zum Erreichen der für die jeweilige Stahlbandqualität optimalen Beizmitteltemperatur zu hohe bzw. zu niedrige Temperatur der Beize während der Phase des Übergangs (dargestellt als Phasen 2 bis 4 in Figur 2) kurzzeitig durch eine veränderte Turbulenz der Strömung im Beizmedium zu kompensieren und somit ein Überbeizen bzw. Unterbeizen zu vermeiden. Eine solche Verfahrensweise sei weder aus dem Stand der Technik bekannt, noch für den Fachmann in naheliegender Weise daraus ableitbar. Es werde nicht bestritten, daß die Einflüsse der einzelnen Parameter wie Konzentration, Temperatur und Strömungsgeschwindigkeit des Beizmediums auf die Beizdauer im einzelnen z. B. aus den Druckschriften D3, D4 oder auch D10 bekannt seien. Druckschrift D4 habe sich jedoch die Verkürzung der Beizzeit zum Ziel gesetzt und sage nichts über einen Bandwechsel und der damit verbundenen Umstellung von Parametern wie der Temperatur der Beize etc. Es sei jedoch keineswegs naheliegend, die Turbulenz des Beizmediums nur zum Ausgleich der Beizwirkung bis zum Erreichen der optimalen Beizmitteltemperatur im Bereich des Übergangs zwischen zwei unterschiedlichen Bandqualitäten einzusetzen, wie dies Figur 2 des Patentes zeige, und dadurch den Einfluß einer zu hohen oder zu niedrigen Temperatur zu kompensieren. Eine andere Bewertung beinhalte eine ex-post facto Betrachtung, die aber nicht zulässig sei. Das beanspruchte Verfahren beruhe deshalb auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Nächstliegender Stand der Technik

Wie das angefochtene Patent, so betrifft auch Druckschrift D4 ein Verfahren zum Beizen von kontinuierlich einen horizontalen Beizbehälter durchlaufenden Bändern, wobei gleichzeitig das Beizmedium zur Bildung einer turbulenten Strömung eingedüst wird (vgl. D4, Spalte 1, Zeilen 50 bis 56; Spalte 2, Zeilen 12 bis 26). Aus diesem Grund bildet Druckschrift D4 den nächstkommenden Stand der Technik.

3. Aufgabe und Lösung

Ausgehend von dieser technischen Lehre hat sich das angefochtene Patent die Aufgabe gestellt, bei einer erforderlichen Änderung der Durchlaufgeschwindigkeit des Stahlbandes, die im Regelfall eine Erhöhung oder Erniedrigung der Temperatur des Beizbades erfordert, die Beizwirkung des Bades in optimaler Weise an die jeweilige Stahlbandqualität anzupassen. Dabei soll jedoch ein wesentliches Überbeizen oder Unterbeizen des Bandes vermieden werden, bis die Phase des Übergangs, d. h. des Temperaturwechsels des Beizbades auf die jeweils optimale Behandlungstemperatur, beendet ist.

Die Lösung dieser Aufgabe besteht darin, daß - bei einer Änderung der Durchlaufgeschwindigkeit - die über einen gewissen Zeitraum bestehenden Abweichungen von der optimalen Temperatur des Beizmediums für die jeweilige Stahlbandqualität durch den Einsatz einer veränderten Turbulenz der Strömung im Beizmedium kompensiert werden.

4. Erfinderische Tätigkeit

Es trifft zu, daß sich Druckschrift D4 die Verkürzung der Beizzeit bzw. der Behandlungszeit zum Ziel gesetzt hat und die mit einem Bandwechsel verbundenen Probleme nicht unmittelbar anspricht. Es versteht sich jedoch von selbst, daß beim Beizen jede Bandqualität die Einhaltung materialspezifischer Parameter wie z. B. einer exakten Bandgeschwindigkeit und der sich daraus ergebenden spezifischen Beizbadtemperatur erfordert, um ein optimales Beizergebnis zu garantieren. Dem Fachmann ist deshalb beim Betreiben eines Flachbeizsystems der Wechsel von einer Stahlbandqualität auf eine andere und die damit einhergehende notwendige Anpassung der Verfahrensparameter geläufig. Mithin bedeutet dies für sich betrachtet keine neue Problemstellung, denn eine solche Aufgabe stellt sich von selbst. Diese Bewertung wird auch durch Figur 1 des Streitpatents bestätigt, welche die allgemein üblich Vorgehensweise im Falle eines Bandwechsels gemäß dem Stand der Technik darstellt.

In diesem Zusammenhang ist es aus der Druckschrift D4 bekannt, daß die Beizwirkung sowohl durch eine erhöhte Beizbadtemperatur als auch durch ein turbulentes Verhalten des Beizmediums gesteigert wird und somit die durch Absenken der Temperatur eines Beizbades verminderte Beizwirkung durch das Erzeugen einer erhöhten Turbulenz kompensiert werden kann, so daß die Anlage insgesamt kostengünstiger und umweltfreundlicher betrieben werden kann (vgl. D4, Spalte 2, Zeilen 12 bis 50). Weiterhin ist es unmittelbar einsichtig, daß sich die Beizdauer umgekehrt proportional zur Bandgeschwindigkeit verhält. Somit waren dem Fachmann die zur Steuerung des Verfahrens zur Verfügung stehenden Parameter wie die Bandgeschwindigkeit (und die damit verbundenen Beizdauer), die Beizbadtemperatur und die Turbulenz der Strömung im Beizbad als auch ihre Beziehungen untereinander bekannt, sodaß er sie, wie Druckschrift D4 beweist, auch gezielt einsetzen konnte. Eine weitere Zusammenfassung dieser technischen Zusammenhänge findet sich in dem Abschnitt "Effects of Process Variables on Scale Removal in Sulfuric Acid" in D10, Seite 73 und den dazugehörenden Figuren 3, 4 und 8 bis 11 oder auch in Druckschrift D3, Übersetzung in Deutsch.

Dieser Stand des fachmännischen Wissens ist von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten worden. Sie sieht trotzdem eine erfinderische Leistung darin, bei einer durch Änderung der Bandgeschwindigkeit bedingten Neueinstellung der Badtemperatur die sich durch die Trägheit der Temperaturänderung ergebenden negativen Einflüsse auf die Beizwirkung während dieser Übergangsphase durch die Regelung der Intensität der Turbulenz zu kompensieren.

Dieser Auffassung stehen jedoch die folgenden Gründe entgegen: Erfordert z.B. ein Bandwechsel, der in einem relativ kurzen Zeitraum vorgenommen wird, die Umschaltung von einer Bandgeschwindigkeit V1 auf eine höhere (bzw. niedrigere) Bandgeschwindigkeit V2, so ist, wenn die gleiche Beizwirkung erreicht werden soll, auch eine höhere (bzw. niedrigere) Beizmitteltemperatur notwendig, denn die Länge des Beizbehälters und die Konzentration der Säure bleiben unverändert. Da es sich jedoch bei dem Beizmedium um eine relative große Flüssigkeitsmenge handelt, welche sich nicht in einer vergleichbar kurzen Zeit aufheizen (bzw. kühlen) läßt, bedarf es einer gegenüber der Umschaltzeit von V1 auf V2 längeren Zeitspanne zum Anheben bzw. Absenken der Temperatur des Beizmediums auf den optimalen Wert. Dieser Zeitraum des "Übergangs" bis zum Erreichen der (neuen) optimalen Beizmitteltemperatur hat jedoch eine Qualitätseinbuße entweder durch ein Überbeizen oder durch ein Unterbeizen des Bandes zur Folge. Die Kenntnis dieser Sachverhalte wird von der fachkundigen Beschwerdeführerin in Figur 1 selbst als Stand der Technik dargestellt.

Es ist jedoch bereits in Druckschrift D4 beschrieben, daß die gegenüber dem Optimum zu schwache Beizwirkung einer (zu) niedrigen Beizbadtemperatur durch eine erhöhte Turbulenz im Beizmedium kompensiert werden kann. Im Unkehrschluß ergibt sich daraus zwangsläufig, daß sich die (zu) starke Beizwirkung eines Beizmediums mit (zu) hoher Temperatur durch die Verringerung der Turbulenz der Strömung im Beizmedium absenken läßt. Da jedoch bei einem Bandwechsel die Turbulenz der Strömung im Beizmedium der einzige, noch frei regelbare und trägheitsarm einstellbare Verfahrensparameter ist, verbleibt die im Patentanspruch beschriebene Maßnahme, nämlich die vom Optimum abweichende Beizwirkung eines Beizmediums mit zu niedriger bzw. zu hoher Temperatur durch die Regelung des über Pumpen und Düsen sehr schnell einstellbaren Parameters der Turbulenz der Strömung im Beizmedium zu kompensieren, als einzige und durch die Druckschrift D4 nahegelegte Einflußmöglichkeit.

Der Gegenstand des einzigen Patentanspruchs beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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