T 0474/96 (Esteröle/COGNIS) of 6.6.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T047496.20020606
Datum der Entscheidung: 06 Juni 2002
Aktenzeichen: T 0474/96
Anmeldenummer: 90104027.9
IPC-Klasse: C09K 7/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verwendung ausgewählter Esteröle niederer Carbonsäuren in Bohrspülungen
Name des Anmelders: Cognis Deutschland GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: FINA Research
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Verspätetes Beweismittel (zugelassen) - relevant - unverzügliche Entgegnung auf Vorbringen der gegnerischen Partei
Neue Ansprüche (zugelassen) - überwinden Rüge der gegnerischen Partei
Anspruchsänderungen (zulässig) - offenbarter Teilbereich
Deutlichkeit (ja) - geänderter Zahlenbereich klar
Stand der Technik: öffentlich (ja) - einem Mitglied der Öffentlichkeit zugänglich; ausführbar (ja) - ausführbarer Bereich der technischen Lehre offenbart
Erfinderische Tätigkeit (ja) - erfolgreiche Lösung der Aufgabe - von Erfindung weg weisende Lehre
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0002/81
T 0301/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1465/14

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 23. Mai 1996 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechenden) richtet sich gegen die am 28. März 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 386 638 zurückgewiesen wurde.

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen unzureichender Ausführbarkeit der Erfindung sowie mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden. Zur Stützung des Einspruches wurden unter anderem folgende Druckschriften genannt:

(3) Drilling Fluids Optimization - A Practical Field Approach, J. L. Lummus, 1986, Seiten 201 bis 229,

(9) US-A-4 481 121,

(37) Mineral oil free oil-based drilling fluids - Developments and Outlook, C.-P. Herold et al, Henkel KGaA, o.J.,

(38) Vortrags-Forum "Hole Stability", Aberdeen 15. September 1988, und

(40) Speciality Chemicals in the Oil Industry - General Aspects and some Recent Developments, C.-P. Herold et al, Henkel KGaA, März 1987.

III. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, daß der Gegenstand des Streitpatents ausführbar und neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die Druckschriften (37), deren Vorveröffentlichung der Patentinhaber einräumte, und (40) offenbarten keine erfindungsgemäßen Ester. Der differenziert genannte Caprylester weise 6 Kohlenstoffatome auf, während gemäß Streitpatent die Obergrenze 5 Kohlenstoffatome betrage. Das Vortrags-Forum (38) sei keine öffentliche Veranstaltung gewesen, so daß die dort vorgetragenen Inhalte nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien. Auch umfasse der vorgetragene Inhalt nicht die eindeutige technische Lehre, Ester von C1-5-Monocarbonsäuren in Invert-Bohrspülschlämmen einzusetzen. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei von der Lehre der Druckschriften (37) und (40) als nächstliegendem Stand der Technik auszugehen. Im Hinblick auf die Aufgabe, weitere Öle für Invert-Bohrspülschlämme unter Beibehaltung der Stabilität bereitzustellen, habe es keine Anregung im Stand der Technik gegeben, die anspruchsgemäßen Ester kurzkettiger Carbonsäuren zu verwenden. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung des Zieles, die Stabilität beizubehalten, d. h. Hydrolyseprobleme zu vermeiden. Der beanspruchte Gegenstand sei auch ausführbar, denn die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele enthielten alle für den Fachmann notwendigen Informationen.

IV. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Beschwerdebegründung vom 25. Juli 1996 u.a. eidesstattliche Versicherungen der Herren C. D. Marken ("Annex 2") und T. Sollie ("Annex 3") eingereicht. Dem Annex 3 war als Anlage "TS3" ein Geschäftsbrief der Firma Esso Chemical A/S, unterzeichnet von T. Sollie, an die Firma Anchor Drilling Fluids, zu Händen von D. Ford, mit dem Datum 29. November 1985, beigefügt.

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 4. Januar 2001 hat der Beschwerdeführer unter Heranziehung der oben genannten Beweismittel erstmalig vorgetragen, daß es im Juni 1985 zu einem Gespräch zwischen Herrn Sollie von der Firma Esso Chemical und den Herren Marken und Ford von der Firma Anchor Drilling Fluids gekommen sei, in dessen Nachgang Herr Sollie/Esso Chemical den Brief "TS3" an Herrn Ford/Anchor Drilling Fluids mit weiteren Informationen geschrieben habe. Der Gegenstand dieses Gespräches sowie der Inhalt dieses Briefes seien gemeinsam als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht anzusehen, denn die Gesprächspartner Sollie und Marken hätten in ihren eidesstattlichen Versicherungen übereinstimmend erklärt, daß beide von keiner Vertraulichkeit ausgegangen seien. Der offenbarte Gegenstand, welcher in dieser Entscheidung in der Folge als "Sollie 1985" bezeichnet wird, umfasse die Verwendung von Isodecyl- bzw. Isotridecylacetat als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen zusammen mit den zwangsläufigen Zusatzstoffen Emulgator, Beschwerungsmittel, fluid-loss Additiv und Alkalireserve, insoweit der Schlamm einen pH-Wert von 10 nicht überschreite.

Der Beschwerdegegner hat bestätigt, daß der in diesem Gespräch und Brief angesprochene Gegenstand alle jene Merkmale umfasse, welche der Beschwerdeführer angegeben habe. Jedoch hat er dessen öffentliche Zugänglichkeit bestritten, da von einer Vertraulichkeit des Gespräches und des Briefes auszugehen sei. Folglich gehöre dieser Gegenstand nicht zum Stand der Technik. Im übrigen sei in diesem Gespräch und Brief keine fertige technische Lehre, sondern lediglich eine rein theoretische Anregung vermittelt worden. Ein Bohrspülschlamm mit einem pH-Wert von unter 10, der in dem Brief "TS3" angesprochen werde, habe in der Praxis kaum Bedeutung, auch wenn eine Verwendung derartiger Bohrspülschlämme in bestimmten Fällen nicht ausgeschlossen sei. Des weiteren habe der Gesprächsteilnehmer Marken bei seinem späteren Vortrag in Aberdeen 1988 den Gegenstand "Sollie 1985" augenscheinlich bereits vergessen gehabt, denn ausweislich der Druckschrift (38) habe er darauf nicht hingewiesen.

Auf übereinstimmende Anträge des Beschwerdeführers und des Beschwerdegegners, welcher auf seiten des Beschwerdegegners mit der Überraschung durch diese erstmalige Berufung in der mündlichen Verhandlung auf dieses neue, wenn auch als solches bereits im Verfahren befindliche Beweismittel und das darauf gestützte Vorbringen begründet wurde, ist die Kammer wieder in das schriftliche Verfahren eingetreten.

V. In der erneuten mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 6. Juni 2002 hat der Beschwerdegegner (Patentinhaber) einen geänderten, aus 21 Ansprüchen bestehenden Anspruchssatz vorgelegt und die Aufrechterhaltung des Streitpatents nur noch in diesem Umfange begehrt. Dessen unabhängiger Anspruch 1 lautet:

"1. Verwendung von bei Raumtemperatur fließfähigen und Flammpunkte oberhalb 80° C aufweisenden Estern aus C1-5-Monocarbonsäuren und ein- und/oder mehrfunktionellen Alkoholen als Ölphase oder Bestandteil der Ölphase von Invert-Bohrspülschlämmen, die für eine umweltschonende Erschließung von Erdöl- bzw. Erdgasvorkommen geeignet sind und in einer geschlossenen Ölphase eine disperse wäßrige Phase zusammen mit Emulgatoren, Beschwerungsmitteln, fluid-loss-Additiven, Kalk als Alkalireserve, wobei die einzusetzende Kalkmenge auf 1 bis 2 lb/bbl (Kalk / Bohrspülung) beschränkt ist, und gewünschtenfalls weiteren üblichen Zusatzstoffen enthalten."

VI. Der Beschwerdeführer hat keine Einwände mehr gegen die Neuheit und die Ausführbarkeit der Erfindung erhoben. Jedoch hat er den geltenden Anspruch 1 als undeutlich im Sinne von Artikel 84 EPÜ infolge der neu aufgenommenen zahlenmäßigen Angabe der Kalkmenge gerügt. So sei unklar, ob die erneute Zugabe von Kalk zum Invert-Bohrspülschlamm, wenn der Kalk im praktischen Einsatz des Schlamms als Alkalireserve verbraucht sei, ebenfalls unter den Geltungsbereich des Streitpatents falle.

Der Beschwerdeführer hat die erfinderische Tätigkeit des Streitpatents angegriffen, wobei der oben genannte Gegenstand "Sollie 1985" den nächsten Stand der Technik darstelle. Hiervon ausgehend habe der Einsatz von Kalk als Alkalireserve im Hinblick auf die Druckschriften (3), (9), (37) und (40) nahegelegen. Bei der Verwendung von Kalk als Alkalireserve ergebe sich ein pH-Wert von 8. - 8,5, wie aus seinem Versuchsbericht vom 21. Januar 2002 hervorgehe. Der pH-Wert beim Einsatz von Kalk in den anspruchsgemäßen Mengen liege somit unterhalb der Schwellenwertes von 10, weswegen der Fachmann nicht vom Einsatz von Kalk abgehalten worden sei. Auch der Versuchsbericht des Beschwerdegegners vom 3. Mai 2002 widerspreche dieser Feststellung nicht. Extrapoliere man den dort bei einer Konzentration von 1.5 lb/bbl Kalk gemessenen pH-Wert auf eine Konzentration von 1 lb/bbl Kalk, welche den unteren beanspruchten Grenzwert darstelle, so betrage der pH-Wert lediglich 9,85, d. h. weniger als 10. Des weiteren sei anspruchsgemäß die Zugabe saurer Zusätze nicht ausgeschlossen, welche den pH-Wert unter 10 drücken könnten. Als Beispiel nannte der Beschwerdeführer saure Emulgatoren, wie sie aus dem neu in der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2002 vorgelegten Datenblatt

(AII) D.T.OHC1/0204/45, ohne Jahr

hervorgehe. Folglich umfasse der geltende Anspruch 1 auch Ausführungsformen, die einen pH-Wert des Invert-Bohrspülschlammes von weniger als 10 aufwiesen. Von diesen Ausführungsformen habe auch nicht der nächste Stand der Technik "Sollie 1985" abgeraten, so daß zumindestens aus diesem Grunde der beanspruchte Gegenstand keine erfinderische Qualität besitze.

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer den Versuchsbericht des Beschwerdegegners vom 3. Mai 2002 als verspätet gerügt. Sein später Eingang stelle einen Verfahrensmißbrauch dar, weswegen er im Verfahren nicht zu berücksichtigen sei. Auch der geltende Anspruchssatz sei ebenso verspätet vorgelegt worden und daher nicht in das Verfahren zuzulassen. Der Beschwerdegegner hätte diesen neuen Anspruchssatz bereits früher, nämlich alsbald nach der ersten mündlichen Verhandlung am 4. Januar 2001, vorlegen sollen.

VII. Der Beschwerdegegner hat erwidert, daß der Anspruch 1 auch nach seiner Abänderung dem Erfordernis der Deutlichkeit gemäß Artikel 84 EPÜ genüge. Die einzusetzende Kalkmenge sei klar und eindeutig zahlenmäßig angegeben. Die Rüge des Beschwerdeführers betreffe eher eine hier unerhebliche Frage der Patentverletzung.

Der Beschwerdegegner hat zur erfinderischen Tätigkeit vorgetragen, daß zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von dem oben genannten Gegenstand " Sollie 1985" als dem nächsten Stand der Technik auszugehen sei. Bei der Verwendung von Kalk als Alkalireserve in den anspruchsgemäßen Mengen ergebe sich automatisch ein pH-Wert von über 10. Zum Beweis sei seinem Schriftsatz vom 3. Mai 2002 ein Versuchsbericht beigefügt, aus dem dieser Automatismus eines pH-Wertes von über 10 beim Einsatz der anspruchsgemäßen Kalkmenge hervorgehe. Der entsprechende Versuchsbericht des Beschwerdeführers vom 21. Januar 2002 sei mangelhaft, da dort einerseits ein Rübölester vermessen werde, der wegen seiner langen Ketten der Säurekomponente nicht unter den Anspruch des Streitpatents falle, und andererseits der pH-Wert ungenau mit einem nicht identifizierten Indikatorpapier gemessen werde, während er, der Beschwerdegegner, mit einer Elektrode genau gemessen habe. Die rechnerische Extrapolation des pH-Wertes auf die anspruchsgemäße Grenzkonzentration von 1 lb/bbl Kalk ausgehend von den Meßangaben im Versuchsbericht vom 3. Mai 2002 des Beschwerdeführers, wie sie der Beschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung vorgenommen habe, sei fehlerhaft, da sie unberücksichtigt lasse, daß die Konzentration sich zwar linear, der pH-Wert jedoch logarithmisch verändere. Der vom Beschwerdegegner behauptete mögliche Zusatz saurer Emulgatoren komme für den Fachmann patentgemäß kaum in Betracht, da die Korrosionsvermeidung, welche von sauren Komponenten herrühre, Bestandteil der patentgemäßen Aufgabe sei.

Dieser sich automatisch beim Einsatz von Kalk in den anspruchsgemäßen Mengen einstellende pH-Wert von über 10 überschreite indessen den Wert, den der nächste Stand der Technik "Sollie 1985" wegen der Gefahr der Hydrolyse als Obergrenze für die patentgemäß verwendeten Ester zulasse. Die patentgemäß verwendeten Ester zeigten jedoch eine unerwartet hohe Stabilität gegen Hydrolyse beim Einsatz von Kalk, wie aus dem Versuchsbericht B2 vom 3. Dezember 2000 hervorgehe. Folglich sei der Einsatz von Kalk als Alkalireserve im vorliegenden Fall nicht naheliegend.

Zum Einwand der Verspätung hat der Beschwerdegegner erklärt, daß sein Versuchsbericht vom 3. Mai 2002 eine Entgegnung auf den erst am 21. Januar 2002 eingereichten Versuchsbericht des Beschwerdeführers darstelle. Daher sei sein Versuchsbericht kein Verfahrensmißbrauch und im Verfahren zuzulassen. Die Einschränkung des Anspruchssatz, wie er sie in seinem Schriftsatz vom 3. Mai 2002 und in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2002 vorgenommen habe, sei eine direkte Antwort auf den frischen Einwand des Beschwerdeführers in dessen Schriftsatz vom 21. Januar 2002, daß der unabhängige Anspruch des Streitpatents nicht den pH-Wert des Invert-Bohrspülschlamms angebe. Der rechtliche Rahmen des Verfahrens werde durch den geänderten Anspruchssatz nicht verändert, da die Argumentationsschiene zur erfinderischen Tätigkeit sich dadurch nicht verschiebe.

VIII. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner hat als einzigen Antrag beantragt, das Patent in geändertem Umfang mit den in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2002 eingereichten Patentansprüchen des "Hilfsantrages 1" aufrechtzuerhalten.

IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2002 wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verspätet eingereichte Beweismittel (Artikel 114 EPÜ)

Der Versuchsbericht des Beschwerdegegners, der vom Beschwerdeführer als verspätet und verfahrensmißbräuchlich eingereicht gerügt wurde, ist am 7. Mai 2002 eingereicht worden und stellt somit ein verspätet vorgebrachtes Beweismittel im Sinne von Artikel 114 (2) EPÜ dar. Er dient dazu, das zwangsläufige Überschreiten des pH-Schwellenwertes von 10. beim Einsatz der anspruchsgemäßen Kalkmenge zu untermauern, worauf der Beschwerdegegner hauptsächlich die erfinderische Tätigkeit des Streitpatents stützt. Dieses Beweismittel ist folglich prima facie relevant für die zu treffende Entscheidung (siehe auch Punkt 9 unten) und, unbeachtlich der verspäteten Einreichung, im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

Das verspätete Einreichen des Versuchsberichtes durch den Beschwerdegegner ist auch nicht verfahrensmißbräuchlich, denn der Beschwerdegegner hat diesen Versuchsbericht unverzüglich als Entgegnung auf den kurz zuvor, nämlich am 21. Januar 2002, eingegangenen Versuchsbericht des Beschwerdeführers eingereicht. Dies hat der Beschwerdeführer selbst in seinem Schriftsatz vom 4. Juni 2002, Punkt 2, Absatz 1 eingeräumt.

3. Zulässigkeit des Antrags

Der Beschwerdegegner hat in der mündlichen Verhandlung einen abgeänderten Anspruchssatz eingereicht, in dem die einzusetzende Kalkmenge auf 1 bis 2 lb/bbl (Kalk/Bohrspülung) eingeschränkt ist. Diese Einschränkung zielt auf den pH-Wert des Bohrschlammes. In seinem Schriftsatz vom 21. Januar 2002 auf Seite 1, Absatz 3 hat der Beschwerdeführer ausdrücklich gerügt, daß die damals geltenden Ansprüche keine Beschränkung hinsichtlich des pH-Wertes des Bohrschlammes enthielten. Die vom Beschwerdegegner nunmehr vorgenommene Einschränkung der Ansprüche dient erkennbar dazu, genau diesem Einwand des Beschwerdeführers zu begegnen. Mit dieser Änderung des geltenden Anspruchs 1 ist für den Beschwerdeführer auch keine unangemessene Überraschung oder ein wesentlich neuer Sachverhalt verbunden, denn es ist nicht ungewöhnlich, daß ein pH-Wert durch die Mengenangabe der den pH-Wert bestimmenden Komponente, hier der Kalkmenge, mittelbar definiert wird.

Die vorgenommene Anspruchsänderung ist daher notwendig und angemessen, so daß die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt hat, den geltenden Anspruchssatz in das Verfahren zuzulassen.

4. Änderungen (Artikel 123 EPÜ)

Der anspruchsgemäße Einsatz von Kalk als Alkalireserve findet seine Stütze im ursprünglichen Anspruch 14. Der geltende Anspruch 1 legt zusätzlich die einzusetzende Kalkmenge mit 1 bis 2 lb/bbl (Kalk/Bohrspülung) fest. Auf Seite 13, Absatz 3 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen wird eine Obergrenze von 2 lb/bbl und ein Vorzugsbereich von 1 bis 1,8 lb/bbl (Kalk/Bohrspülung) genannt. Nachdem die beiden Endpunkte des beanspruchten Bereiches von 1 und 2 lb/bbl ursprünglich spezifisch genannt sind, führt diese Abänderung des Anspruchs nicht zu einem Gegenstand, der über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht, wodurch sie im Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ steht (siehe Entscheidung T 2/81, ABl. EPA 1982, 394, Punkt 3 der Entscheidungsgründe).

Diese Abänderungen der erteilten Ansprüche beschränken den beanspruchten Gegenstand, wodurch der Schutzbereich des Streitpatents im Vergleich zur erteilten Fassung nicht erweitert wird.

Der geltende Anspruchssatz erfüllt demzufolge alle Voraussetzungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

5. Deutlichkeit der Ansprüche (Artikel 84 EPÜ)

Wenn auch Artikel 84 EPÜ nicht als Einspruchsgrund im Sinne von Artikel 100 EPÜ geltend gemacht werden kann, so verlangt Artikel 102 (3) EPÜ im Falle von Änderungen des Patents im Einspruchsverfahren gleichwohl, daß das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen dieses Übereinkommens genügen. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist daher zu überprüfen, ob es durch die Änderungen zu einem Verstoß gegen irgendein Erfordernis des EPÜ, also auch des Artikels 84 EPÜ kommt (siehe Entscheidung T 301/87, ABl. EPA 1990, 335, Punkt 3 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall ist der Anspruch 1 des Streitpatents im Verlaufe des Einspruchs-Beschwerdeverfahrens dergestalt abgeändert worden, daß Kalk als Alkalireserve und in einer Menge von 1 bis 2 lb/bbl (Kalk/Bohrspülung) eingesetzt wird. Der Beschwerdeführer hat die Deutlichkeit des Anspruchs 1 im Hinblick auf diese Abänderung gerügt, da unklar sei, ob die erneute Zugabe von Kalk zu einem Invert-Bohrspülschlamm, wenn der Kalk im praktischen Einsatz des Schlamms als Alkalireserve verbraucht sei, ebenfalls unter den Geltungsbereich des Streitpatents falle.

Der geltende Anspruch 1 quantifiziert die Kalkmenge durch Angabe eines Zahlenbereiches und qualifiziert diese als "einzusetzende" Menge. Die gerügte Mengenangabe läßt dem verständigen Fachmann somit keinen Spielraum für Interpretationen oder Deutungen, weswegen der Anspruch 1 zur Überzeugung der Kammer eindeutig und damit deutlich im Sinne des Artikels 84 EPÜ ist. Die Rüge des Beschwerdeführers betrifft indessen nicht die Deutlichkeit des Anspruchsgegenstandes, sondern eher die spekulative Frage, ob eine hypothetische Verfahrensmaßnahme zu einer Verletzung des Schutzbereiches des Streitpatent führen könnte. Eine derartige Frage ist jedoch im vorliegenden Einspruchs-Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen.

6. Ausführbarkeit (Artikel 100 (b) EPÜ)

Der Beschwerdeführer hat den Einwand der mangelnden Ausführbarkeit wegen unzureichender Offenbarung der Erfindung im Beschwerdeverfahren nicht aufgegriffen und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich fallengelassen. Nachdem die Kammer überdies keine Veranlassung sieht, von sich aus die Ausführbarkeit in Zweifel zu ziehen, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

7. Stand der Technik

Den Stand der Technik bildet alles, was vor dem Anmeldetag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Das Zugänglichmachen kann unter anderem durch schriftliche oder mündliche Beschreibung erfolgen (Artikel 54 (2) EPÜ). Der Beschwerdeführer und der Beschwerdegegner haben divergierende Auffassungen zu der Frage vertreten, ob der Gegenstand "Sollie 1985" tatsächlich der Öffentlichkeit offenbart und hierbei eine ausführbare technische Lehre zugänglich gemacht worden ist.

7.1. Öffentlichkeit

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist eine Information der Öffentlichkeit bereits dann zugänglich, wenn auch nur ein einziges Mitglied der Öffentlichkeit die Möglichkeit hatte, die Information zu erlangen und zu verstehen, und diese Person keiner Geheimhaltungsverpflichtung unterlag (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 4. Auflage 2001, Punkte I.C.1.6.6 und I.C.1.6.7). Zwischen den Parteien ist nun streitig, ob das Gespräch im Juni 1985 zwischen Herrn Sollie von der Firma Esso Chemical und den Herren Marken und Ford von der Firma Anchor Drilling Fluids unter einem Vertraulichkeitsvorbehalt stand und ob die weiteren Informationen im Brief "TS3" vom November 1985, der im Nachgang zu diesem Gespräch von Herrn Sollie/Esso Chemical an Herrn Ford/Anchor Drilling Fluids geschrieben wurde, als öffentlich zugänglich gemacht anzusehen sind.

7.1.1. Hinsichtlich des Gespräches vom Juni 1985 haben Herr Sollie und Herr Marken in ihren eidesstattlichen Versicherungen, d. h. Herr Sollie in Annex 3, Nr. 5 und Herr Marken in Annex 2, Nr. 8, übereinstimmend erklärt, daß die Gesprächspartner weder eine Vertraulichkeit vereinbart hatten noch stillschweigend von einer solchen ausgegangen sind. Auch der Brief "TS3" vom November 1985 von Esso Chemical/Sollie an Anchor Drilling Fluids/Ford, der ein normaler Geschäftsbrief ist, ist ohne Vertraulichkeitsvorbehalt ergangen.

7.1.2. Die gegenteilige Auffassung des Beschwerdegegners ist rein spekulativ. Es sind vom Beschwerdegegner weder Umstände vorgetragen worden, noch sind solche der Kammer von sich aus ersichtlich, die eine Vertraulichkeit des Gespräches oder des Inhalts des Briefes als vereinbart - auch stillschweigend - erscheinen lassen. Bei dem Gespräch im Juni 1985 handelt es sich um ein normales Verkaufsgespräch, bei dem der Verkäufer, d. h. Esso Chemical/Sollie, Interesse an dem Verkauf seines Produktes hatte und ihm damit gerade nicht an einer Vertraulichkeit gelegen war. Dies hat Herr Sollie in seiner eidesstattlichen Versicherung Annex 3, Nr. 5, letzter Satz, auch ausdrücklich erklärt. Auch für den Kunden, Anchor Drilling Fluids/Ford, Marken, ist weder ein Interesse an einer Geheimhaltung dargetan noch ist ein solches ersichtlich. Dieses Gespräch diente erkennbar auch nicht der Verabredung einer technischen Entwicklungszusammenarbeit. Längere Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Firmen, die möglicherweise ein besonderes Treueverhältnis zwischen beiden begründen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

7.1.3. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, daß für den Gegenstand "Sollie 1985", d. h. für den Inhalt des Gespräches im Juni 1985 zwischen Herrn Sollie einerseits und den Herren Ford und Marken andererseits, sowie den Brief "TS3" vom November 1985, keine Vertraulichkeit gegeben war. Indem zwei Mitglieder der Öffentlichkeit, nämlich die Herren Marken und Ford der Firma Anchor Drilling Fluids, über diesen Gegenstand informiert wurden, ist seine Ausgestaltung der Öffentlichkeit offenbart worden, wodurch dieser Gegenstand "Sollie 1985" Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ gegenüber dem Streitpatent darstellt.

7.2. Gegenstand "Sollie 1985"

Bei dem Gespräch im Juni 1985 wurden die Handelsprodukte Exxate 1000 und 1300 angesprochen, die dabei als Isodecyl- bzw. Isotridecylacetat identifiziert wurden (siehe Annex 3, Nr. 5, Seite 4, Zeile 1). Acetate sind Ester einer C2-Carbonsäure und erfüllen damit die strukturelle Voraussetzung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents. Sie erfüllen auch die weitere Anforderung der Fließfähigkeit bei Raumtemperatur und eines Flammpunkts von über 80° C gemäß Anspruch 1 des Streitpatents, nachdem Isotridecylacetat in den erfindungsgemäßen Beispielen des Streitpatents eingesetzt wird (siehe Streitpatentschrift Seite 7, Zeile 39, Seite 8, Zeile 39, Seite 10, Zeile 2, Seite 11, Zeile 19). Die Verwendung dieser beiden Acetate in Invert-Bohrspülschlämmen als Ölphase wurde in dem Gespräch im Juni 1985 ebenfalls offenbart, wie die Teilnehmer Marken von Anchor Drilling Fluids (Annex 2, Nr. 8, Zeile 4) und Sollie von Esso Chemical (Annex 3, Nr. 5, Zeile 3) übereinstimmend in ihren jeweiligen eidesstattlichen Versicherungen ausgesagt haben. Damit ist auch der Verwendungszweck dieser Acetate, nämlich als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen, der Öffentlichkeit offenbar geworden. Der Beschwerdeführer und der Beschwerdegegner haben in der mündlichen Verhandlung vom 4. Januar 2001 übereinstimmend vorgetragen, daß die in diesem Gespräch besprochenen Invert-Bohrspülschlämme für den Fachmann zwingend die in Anspruch 1 des Streitpatents angeführten Zusatzstoffe, nämlich Emulgatoren, Beschwerungsmittel, fluid-loss Additive und Alkalireserve, enthalten haben, denn diese sind in Invert-Bohrspülschlämmen selbstverständlich und notwendig. Nachdem Beschwerdeführer und Beschwerdegegner hierüber einig sind, besteht für die Kammer kein Anlaß, von diesem gleichlautenden Sachvortrag beider Parteien abzuweichen, so daß diese Zusatzstoffe implizit ebenfalls offenbar wurden, auch wenn sie nicht explizit angesprochen worden sind.

Damit sind alle technischen Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents mit Ausnahme der Angabe von Kalk als Alkalireserve und der einzusetzenden Kalkmenge von 1 bis 2. lb/bbl (Kalk/Bohrspülung) durch den Gegenstand "Sollie 1985" der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

7.3. Ausführbarkeit des Gegenstandes "Sollie 1985"

Der Beschwerdegegner hat eingewandt, daß der Gegenstand "Sollie 1985" lediglich eine theoretische Anregung enthielt, jedoch noch keine fertige, ausführbare technische Lehre darstellte, Iso(tri)decylacetat als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen zu verwenden. Insbesondere seien die Kunden Marken und Ford von Anchor Drilling Fluids durch ihre Befürchtung von einer Hydrolyse dieser Acetate davon abgehalten worden, deren Einsatz in Invert-Bohrspülschlämmen, wie im Gespräch vom Juni 1985 angeregt, tatsächlich auszuführen. Folglich sei diese Lehre dem Fachmann nicht zugänglich gewesen.

Zwar gilt nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern der offenbarte Inhalt des Standes der Technik nur dann als zugänglich gemacht, wenn die Information so vollständig ist, daß der Fachmann die technische Lehre, die Gegenstand der Offenbarung ist, unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens ausführen kann. Im vorliegenden Fall hatte indessen Herr Sollie bereits im Gespräch im Juni 1985 zugesagt, die pH-Grenze für die Hydrolyse der genannten Acetate im Labor zu überprüfen, um derartige Befürchtungen der Herren Ford und Marken zu zerstreuen (Annex 3, Nr. 5, Seite 4, Zeilen 2 bis 4). In dem anschließenden Brief "TS3" vom 29. November 1985 an Herrn Ford/Anchor Drilling Fluids hat Herr Sollie/Esso Chemical im Hinblick auf die befürchtete Hydrolyse unter Hinweis auf Labormessungen mitgeteilt, daß bei einem pH-Wert von 10 oder weniger mit relativer Sicherheit keine Hydrolyse im Bohrschlamm stattfindet. Folglich hat zumindestens insoweit eine fertige und ausführbare technische Lehre vorgelegen, als die genannten Acetate in Invert-Bohrspülschlämmen bei einem pH-Wert von 10 oder weniger verwendet werden. Damit ist in diesem Umfang der Gegenstand "Sollie 1985" dem Fachmann zugänglich gewesen.

Der Beschwerdegegner hat dem entgegnet, daß in der Praxis ein Bohrspülschlamm mit einem pH-Wert von 10 oder weniger kaum relevant sei. Indessen hat er auf Nachfrage eingeräumt, daß in bestimmten Fällen, z. B. bei Vorbohrungen, bevor man an die Gas- oder Ölblase stößt, Invert-Bohrspülschlämme mit einem pH-Wert von 10 oder weniger Verwendung finden können. Er hat ausdrücklich anerkannt, daß eine Verwendbarkeit von solchen schwach basischen Bohrspülschlämmen nicht ausgeschlossen ist. Folglich hat der Beschwerdegegner im Ergebnis nicht mehr der obigen Feststellung widersprochen, daß eine fertige und ausführbare technische Lehre vorliegt, soweit der Invert-Bohrspülschlamm einen pH-Wert von 10 oder weniger aufweist.

7.4. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß der Gegenstand "Sollie 1985" alle Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents mit Ausnahme des Merkmals, Kalk als Alkalireserve und in einer Menge von 1 bis 2 lb/bbl (Kalk/Bohrspülung) einzusetzen, offenbart, daß dieser Gegenstand der Öffentlichkeit ohne Vertraulichkeitsvorbehalt offenbart worden ist und daß der offenbarte Gegenstand insoweit ausführbar und damit zugänglich war, als ein pH-Wert von 10 nicht überschritten wird.

8. Neuheit

Der oben angegebene Stand der Technik "Sollie 1985" (Punkt 7.2) offenbart weder den Einsatz von Kalk als Alkalireserve, noch die anspruchsgemäß einzusetzende Kalkmenge. Diese Feststellung ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß der beanspruchte Gegenstand auch in den entgegengehaltenen Druckschriften nicht beschrieben und somit neu ist. Da dessen Neuheit in der angefochtenen Entscheidung festgestellt und vom Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren anerkannt wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

9. Erfinderische Tätigkeit

Es verbleibt daher zu prüfen, ob der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

9.1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung von Estern von C1-5-Monocarbonsären als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen. Der Gegenstand "Sollie 1985" offenbart ebenfalls, derartige Ester als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen zu verwenden, soweit ein pH-Wert von 10 nicht überschritten wird (siehe Punkt 7.2 supra). Die Kammer betrachtet daher, im Einklang mit den Parteien, diesen Gegenstand als nächstliegenden Stand der Technik.

9.2. Gegenüber diesem nächstliegenden Gegenstand liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine weitere Verwendung von Carbonsäureestern als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen jedoch bei einem pH-Wert von über 10 unter Beibehaltung guter Hydrolysestabilität zur Vermeidung von Korrosion bereitzustellen.

9.3. Zur Lösung der oben genannten Aufgabe schlägt das Streitpatent die Verwendung von kurzkettigen Carbonsäureestern zusammen mit Kalk als Alkalireserve vor, wobei die einzusetzende Kalkmenge auf 1 bis 2. lb/bbl (Kalk / Bohrspülung) beschränkt ist.

9.4. Zwischen den Parteien ist nun streitig, ob die Aufgabe gemäß Punkt 9.2 supra durch die vorgeschlagene anspruchsgemäße Lösung erfolgreich gelöst wird. Hierzu hat der Beschwerdegegner vorgetragen, daß sich durch die Festlegung der patentgemäß einzusetzenden Kalkmenge automatisch ein pH-Wert des Bohrschlammes von über 10 ergebe. Diesen Automatismus hat der Beschwerdeführer bestritten.

9.4.1. Der Beschwerdegegner hat zur Glaubhaftmachung des pH-Wertes der Bohrschlämme von über 10 bei Einsatz der anspruchsgemäßen Kalkmenge den Versuchsbericht vom 3. Mai 2002 vorgelegt. In diesem Versuchsbericht werden Invert-Bohrspülschlämme untersucht, in denen als Ölphase die erfindungsgemäßen Carbonsäureester Isotridecylacetat oder 2-Ethylhexylacetat zusammen mit einer eingesetzten Kalkmenge von 1,5 , 1,8 und 2 lb/bbl (Kalk/Bohrspülung) verwendet wurden. Der pH-Wert der Bohrschlämme wird mit drei spezifizierten Indikatorpapieren und einer pH-Elektrode gemessen.

Die mit der Elektrode gemessenen pH-Werte betragen 10,35 bis 10,8 und liegen damit stets über dem Schwellenwert von 10.

Mit den Indikatorpapieren werden pH-Werte von 6 bis 7 gemessenen, die jedoch chemisch unsinnig sind, da sie einen leicht sauren pH-Wert vorspiegeln, obwohl mit Kalk doch eine basische Verbindung zugegeben wurde. Diese pH-Werte sind daher außer Betracht zu lassen. Auch der Beschwerdegegner selbst hat die mit Indikatorpapier gemessenen pH-Werte verworfen und diese nur in seinen Versuchsbericht aufgenommen, um die Fehlerhaftigkeit gerade dieser pH-Meßmethode bei Bohrschlamm zu belegen, welche der Beschwerdeführer in seinem eigenen Versuchsbericht vom 21. Januar 2002 angewandt hat.

Folglich sind nur die mit einer pH-Elektrode gemessenen pH-Werte der Bohrschlämme von 10,35 bis 10,8 akkurat und als der Wirklichkeit entsprechend in Betracht zuziehen. Zwar wird in dem Versuchsbericht des Beschwerdegegners eine Kalkmenge von 1,5 lb/bbl nicht unterschritten und der pH-Wert eines Bohrschlammes bei Einsatz einer Kalkmenge an der anspruchsgemäßen Bereichsgrenze von 1. lb/bbl nicht gemessen. Indessen erscheint es der Kammer glaubhaft, daß auch bei dieser geringeren Kalkmenge ein pH-Wert im Bohrschlamm von 10 automatisch überschritten wird, denn der Beschwerdegegner hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 6. Juni 2002 überzeugend und inhaltlich unwidersprochen erläutert, daß eine Änderung der Kalkmenge im Invert-Bohrspülschlamm wegen des Gleichgewichts der Verteilung des Kalks zwischen der Öl- und der Wasserphase nicht proportional den pH-Wert des Bohrschlammes, der im wesentlichen durch die Wasserphase bestimmt wird, beeinflußt. Damit werde, so der Beschwerdegegner, bei einer Reduzierung der eingesetzten Kalkmenge von 1,5 auf 1 lb/bbl der pH-Wert des Bohrschlammes von 10,35 nur unwesentlich verringert, so daß er in jedem Fall über dem Schwellenwert von 10 verharre.

9.4.2. Der Beschwerdeführer hat demgegenüber in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingewandt, die rechnerische Extrapolation des pH-Wertes des Bohrschlammes bei einer Kalkmenge von 1 lb/bbl ausgehend von dem im Versuchsbericht des Beschwerdegegners bei einer Kalkmenge von 1.5 lb/bbl gemessenen pH-Wert von 10,35 ergebe einen pH-Wert von lediglich 9,85, d. h. unterhalb des Schwellenwertes von 10.

Die rechnerische Extrapolation des pH-Wertes durch den Beschwerdeführer bei der anspruchsgemäßen Kalkmenge von 1. lb/bbl ausgehend von den Meßangaben im Versuchsbericht vom 3. Mai 2002 des Beschwerdeführers ist jedoch unzutreffend, läßt sie doch unberücksichtigt, daß der pH-Wert eine logarithmische und keine lineare Maßeinheit ist, so daß sich im Gegensatz zur Berechnung des Beschwerdeführers der pH-Wert nach (linearer) Variation der Kalkkonzentration lediglich auf einer logarithmischen Skala verändert.

9.4.3. Des weiteren hat der Beschwerdeführer am 21. Januar 2002 einen Versuchsbericht eingereicht, um zu belegen, daß sich bei der Verwendung der anspruchsgemäßen kurzkettigen Carbonsäureester zusammen mit der erfindungsgemäß eingesetzten Kalkmenge von 1 bis 2. lb/bbl ein pH-Wert von unter 10 im Bohrschlamm einstellt.

Dieser Versuchsbericht hat indessen unberücksichtigt zu bleiben, denn er verwendet im gemessenen Bohrschlamm keinen anspruchsgemäßen kurzkettigen Carbonsäureester, sondern einen langkettigen Rübölester. Außerdem ist der Versuchsbericht auch deshalb außer Betracht zu lassen, weil die pH-Messung unzulänglich ist, denn sie wird mit einem - noch dazu undefinierten - Indikatorpapier vorgenommen, obwohl diese Meßmethode im Bohrschlamm nicht akkurat funktioniert (siehe Punkt 9.4.1 supra).

9.4.4. Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus vorgetragen, daß anspruchsgemäß die Zugabe saurer Emulgatoren nicht ausgeschlossen sei, welche den pH-Wert des Invert-Bohrspülschlammes unter 10 verringerten. Folglich umfasse der geltende Anspruch 1 auch Ausführungsformen, bei denen der Bohrschlamm einen pH-Wert unterhalb dieses Schwellenwertes aufweise.

Auch wenn der geltende Anspruch den möglichen Einsatz eines sauren Emulgators im Invert-Bohrspülschlamm umfassen mag, ein Emulgator wird regelmäßig nur in überaus geringen Mengen zugesetzt. So wird ein Emulgator auch im Falle des Streitpatents in den Beispielen lediglich in geringfügigen Mengen von ca. 1 bzw. 1,3 Gew.-% bezogen auf den Invert-Bohrspülschlamm, entsprechend höchstens 5 Gew.-% bezogen auf die Ölphase, zugefügt (Streitpatentschrift Beispiel 1, Seite 7, Zeile 27; Beispiel 2, Seite 8, Zeile 45; Seite 6, Zeilen 45. bis 47). Für den verständigen Fachmann, an den sich der geltende Anspruch des Streitpatents richtet, kommt der Einsatz eines sauren Emulgators in größeren Mengen ohnehin nicht in Betracht, da die Vermeidung von Korrosion, welche nach übereinstimmendem Vortrag beider Parteien gerade von sauren Komponenten herrührt, Bestandteil der patentgemäßen Aufgabe ist.

Die Schlußfolgerung des Beschwerdeführers, daß der Schwellenwert für den Invert-Bohrspülschlamm von pH 10 durch die Zugabe einer derart geringen Menge an saurem Emulgator tatsächlich unterschritten wird, ist daher lediglich als spekulative Behauptung zu betrachten, für die der beschwerdeführende Einsprechende beweispflichtig ist. Nachdem er jedoch keine überzeugenden Beweismittel beigebracht hat, muß seine Behauptung als unbewiesene Vermutung unberücksichtigt bleiben.

9.4.5. Der Beschwerdegegner hat mit seinem Versuchsbericht B2 vom 3. Dezember 2000 aufgezeigt, daß die kurzkettigen Carbonsäureester bei ihrer anspruchsgemäßen Verwendung als Ölphase in Invert-Bohrspülungen bei einer eingesetzten Kalkmenge von 2 lb/bbl eine gute Hydrolysestabilität aufweisen. Der Beschwerdeführer hat dieses Ergebnis im Beschwerdeverfahren auch nicht bestritten und die Kammer hat keinen Anhaltspunkt, dies von sich aus in Zweifel zu ziehen.

9.4.6. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß der pH-Wert des Invert-Bohrspülschlammes wegen der anspruchsgemäßen Angabe der einzusetzenden Kalkmenge von 1 bis 2 lb/bbl glaubhaft automatisch mehr als 10 beträgt, wobei die Hydrolysestabilität der Carbonsäureester sich nicht verschlechtert. Somit wird die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe (Punkt 9.2 supra) durch die vorgeschlagene anspruchsgemäße Lösung erfolgreich gelöst.

9.5. Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die genannte Aufgabe durch die Bereitstellung der anspruchsgemäßen Verwendung zu lösen.

9.5.1. Der Gegenstand "Sollie 1985" lehrt die Verwendung von Estern von C1-5-Monocarbonsären als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen (Punkt 7.2 supra), jedoch ausdrücklich nur dann, wenn bei dieser Verwendung die Schwelle eines pH-Wertes von 10 nicht überschritten wird, anderenfalls mit einer schädlichen Hydrolyse der Ester zu rechnen ist. So hat Herr Sollie/Esso Chemical In dem Brief "TS3" vom 29. November 1985 an Herrn Ford/Anchor Drilling Fluids im Hinblick auf die befürchtete Hydrolyse unter Hinweis auf Labormessungen explizit darauf hingewiesen, daß erst bei einem pH-Wert von 10 oder weniger mit relativer Sicherheit keine Hydrolyse der Ester im Bohrschlamm stattfindet.

Nun vor die patentgemäße Aufgabe gestellt, eine weitere Verwendung von Carbonsäureestern als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen bei einem pH-Wert von über 10 unter Beibehaltung guter Hydrolysestabilität zur Vermeidung von Korrosion bereitzustellen (siehe Punkt 9.2 supra), weist die Lehre des Gegenstandes "Sollie 1985", daß bei der Verwendung eines kurzkettigen Carbonsäureesters unter diesen Bedingungen Hydrolyse eintritt, den Fachmann von der Erfindung weg. Diese Lehre bringt ihn davon ab, die Verwendung eines kurzkettigen Carbonsäureesters als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen bei einem pH-Wert von über 10 in Betracht zu ziehen. Der Fachmann wird umso mehr durch seine von beiden Parteien vorgetragene Kenntnis, daß die Hydrolyse der Carbonsäureester wegen der Bildung von korrosiv wirkenden Säuren zu vermeiden ist, davon abgehalten, den erfindungsgemäßen Weg bei seinem Streben nach einer Lösung der patentgemäßen Aufgabe zu beschreiten. Die Lehre der Offenbarung "Sollie 1985" hat somit zur Folge, daß von ihr ausgehend die Verwendung eines kurzkettigen Carbonsäureesters als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen bei Einsatz einer Kalkmenge von 1. bis 2 lb/bbl, welche die patentgemäß vorgeschlagenen Lösung darstellt, wobei sich ein pH-Wert von über 10 einstellt, nicht als für den Fachmann naheliegend angesehen werden kann.

9.5.2. Der Beschwerdeführer hat eingewandt, daß im Hinblick auf die Druckschriften (3), (9), (37) und (40) der Einsatz von Kalk als Alkalireserve in Invert-Bohrspülschlämmen nahegelegen habe.

Die angezogenen Druckschriften lehren lediglich allgemein die Verwendung von Kalk als Alkalireserve in Invert-Bohrspülschlämmen. Daß dies bekannt war, ist auch zwischen dem Beschwerdeführer und dem Beschwerdegegner unstreitig. Jedoch sprechen diese Druckschriften die patentgemäße Aufgabe, Carbonsäureester ohne deren Hydrolyse als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen bei einem pH-Wert von über 10 zu verwenden, nicht an. Damit können sie auch keine Anregung geben, wie die von der Erfindung weg weisende Lehre des nächstliegenden Gegenstandes "Sollie 1985", nicht über pH 10 zu arbeiten, zu überwinden ist.

9.6. Die Kammer kommt daher zu dem Schluß, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents dem Fachmann durch keine dieser Druckschriften, weder einzeln noch in Kombination, nahegelegt wird. Er beruht damit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 52 (1) und 56. EPÜ.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 15 betreffen weitere Ausgestaltungen der Verwendung der Ester als Ölphase in Invert-Bohrspülschlämmen gemäß Anspruch 1. Sie werden daher ebenso von deren Patentfähigkeit getragen wie die Ansprüche 16 bis 21, welche die Invert-Bohrspülungen als solche betreffen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Verfahren wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent mit den Patentansprüchen des in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2002 eingereichten "Hilfsantrages 1" und einer daran anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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