European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2000:T010196.20000110 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 Januar 2000 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0101/96 | ||||||||
Anmeldenummer: | 90909701.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B22D 41/08 B22D 11/10 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung zum schlackefreien Angießen von Stranggießanlagen | ||||||||
Name des Anmelders: | Metacon AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | DIDIER-WERKE AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Anspruchserweiterung (verneint) - Einspruchsverfahren Neuheit - ältere europäische Anmeldungen Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. In der mündlichen Verhandlung vom 15. November 1995 hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 0 433 419 in geändertem Umfang aufrechterhalten, wobei die schriftlich begründete Entscheidung am 18. Dezember 1995 zugestellt wurde.
II. Anspruch 1 gemäß Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung hat nachfolgenden Wortlaut:
"1. Vorrichtung zum schlackenfreien Angießen von Stranggießanlagen, mit einem Schieberverschluß an der Ausgußöffnung eines Verteilergefäßes und einem beim Auffüllen des Gefäßes mit Metallschmelze den Einlauf der Ausgußöffnung absperrenden Startrohr,
dadurch gekennzeichnet,
daß dem Startrohr (12, 16, 19, 21, 26) ein separater, mit steigendem Schmelzepegel (6a) ab einer Füllstandshöhe (H) zur Freigabe des Schmelzeabflusses aufschwimmender hohlkörperförmiger Startkörper (13, 15, 18, 22, 27) in Verlängerung des Startrohres (12, 16, 19, 21, 26) zugeordnet ist, der auf dem Einlaufende (12a, 16a, 19a,) des Startrohres oder auf radial angeordneten, nahe des Gefäßbodens befindlichen Abflußöffnungen (21b, 26b) lose dichtend aufliegt."
III. Gegen vorgenannte Entscheidung hat die Einsprechende - nachfolgend Beschwerdeführerin - am 20. Januar 1996 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 17. April 1996 dahingehend begründet, daß ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ vorliege, daß das Beanspruchte nicht klar sei, darüber hinaus gegenüber
(E4) EP-A-0 401 988
nicht neu und mit Blick auf
(E3) DE-A-3 701 701
nicht erfinderisch sei.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen.
V. Die Patentinhaberin - nachfolgend Beschwerdegegnerin - beantragte demgegenüber die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Die wesentlichen Argumente der Parteien zur Stützung ihrer vorgenannten Anträge lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Beschwerdeführerin
- die Neufassung des Kennzeichenmerkmals "lose zugeordnet ist" des erteilten Anspruchs 1 in "lose dichtend aufliegt" verstoße gegen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ;
- der geltende Anspruch 1 lasse nicht erkennen, an welchem Bauteil die Abflußöffnungen angeordnet seien und sei somit unklar;
- aus der Merkmalsanalyse gemäß Anlage zur Beschwerdebegründung gehe hervor, daß (E4) ein neuheitsschädlicher Stand der Technik sei, da ihr bereits ein Schutzring entnehmbar sei, der zu gegebener Zeit aufschwimme und sich schließlich vom Startrohr löse; Hintergrund sei auch bei (E4) die Verhinderung unkontrollierten Schlackeaustretens;
- es sei unzutreffend (E4) nicht die Priorität von (E1), nämlich DE-U-8 907 044, zuzuerkennen, weil der Hinweis auf ein kann-Merkmal (vgl. Seite 8, Absatz 2 v. u. der E1) als zweite Alternative zu lesen sei, d. h. den Anschlag wegzulassen;
- (E4) offenbare auch einen "lose" angeordneten Startkörper und einen Spalt zwischen diesem und dem Startrohr;
- für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei (E3) als nächstkommender Stand der Technik unvollständig berücksichtigt worden; (E3) offenbare bereits einen aufschwimmenden Startkörper, der in Verlängerung des Startrohres angeordnet sei und zwar dichtend;
- das einzige Überschlußmerkmal sei somit im "lose"-Aufliegen des Startkörpers zu sehen, was eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen könne.
b) Beschwerdegegnerin
- das Merkmal "lose dichtend" des geltenden Anspruchs 1 sei an mehreren Stellen der ursprünglichen Unterlagen und der Streitpatentschrift angesprochen und dem Fachmann impliziert, da ohne dieses Merkmal ein sanftes Aufschwimmen des Startkörpers und ein sanftes Öffnen der Abflußöffnungen, wie es z. B. in der Streitpatentschrift mehrfach erwähnt ist, nicht möglich wäre;
- mit Blick auf die erteilten Figuren 4/5 sei auch der Klarheitseinwand nicht berechtigt;
- (E4) sei kein neuheitsschädlicher Stand der Technik, da deren Startkörper nicht auf dem Einlaufende des Startrohrs aufliege, kein Dichtsitz zum Startrohr hin und keine Abflußöffnungen im Startrohr vorlägen; vielmehr käme bei (E4) der Schutzring zwar sofort ins Schwimmen, aber der Metallabfluß trete durch die spezielle Anordnung der Abflußöffnungen verzögert ein, so daß zusammenfassend (E4) kein neuheitsschädlicher Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (3) EPÜ sei;
- (E3) könne den Gegenstand von Anspruch 1 nicht patenthindernd naheliegen, weil sie auf das Brechen einer Sollbruchstelle abgestellt sei, was im Gegensatz zur beanspruchten losen Zuordnung stehe;
- durch die Sollbruchstelle erfolge eine schlagartige Freigabe der Schmelze; damit gehe ein turbulenter Abfluß einher, der dem Stranggießprozeß abträglich sei;
- die Merkmalsanalyse der Beschwerdeführerin verwische vorhandene Unterschiede, ohne aber den Rechtsbestand des Anspruchs 1 infrage stellen zu können.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
2.1. Zum Klarheitseinwand der Beschwerdeführerin ist festzuhalten, daß sich aus dem Merkmal, wonach der Startkörper auf einem anderen Teil (Startrohr) aufliegt, ergibt, daß die Abflußöffnungen an eben diesem Teil vorgesehen sein müssen, da ansonsten beim Aufschwimmen des Startkörpers keine einen Abfluß ermöglichenden Öffnungen gegeben wären. Dieser Einwand vermag mithin nicht durchzugreifen.
2.2. Die Beschwerdeführerin sieht im Merkmal "dichtend" des geltenden Anspruchs 1 einen Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
Im Anspruch 1 ist ausgesagt, daß der Startkörper "lose dichtend aufliegt" und zwar
a) auf dem Einlaufende (12a, 16a, 19a) bzw.
b) auf radial angeordneten, nahe des Gefäßbodens befindlichen Abflußöffnungen (21b, 26b).
Unter Hinweis auf die ursprünglichen Figuren 1 bis 3 bzw. Figuren 4/5, vgl. WO-A-91/00788 und deren Beschreibungsteil gemäß Seite 5, Zeilen 3 bis 6 bzw. Seite 6, Absätze 2 und 3 bzw. Seite 7, Absatz 2, ist der obige Einwand nicht haltbar, da daraus das Merkmal "lose dichtend aufliegt" sowohl für obige bauliche Alternative a) als auch für b) in eindeutiger Weise ursprungsoffenbart ist, Artikel 123 (2) EPÜ.
Damit fehlt auch die Basis für einen Konflikt zwischen den Erfordernissen des Artikels 123, Absatz 2 bzw. 3 EPÜ, vgl. Beschwerdebegründung Seite 2, Absatz 3.
2.3. Der erteilte Anspruch 1 enthält in seinem Kennzeichenteil die Information, daß dem Startrohr ein aufschwimmender Startkörper "lose zugeordnet ist".
Diese Information ist im Gegensatz zum Vorbringen der Beschwerdeführerin im geltenden Anspruch 1 nicht verlorengegangen, weil dort ausgesagt ist, daß der Startkörper am Startrohr "lose... aufliegt". Das "Aufliegen" kann als engere technische Anweisung gelten als das bloße "Zuordnen"; erkennbar ist in beiden Fällen das "lose" erhalten geblieben. Die Kammer vermag deshalb keine Schutzbereichserweiterung im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ zu erkennen, zunächst weil alle Informationen des erteilten Anspruchs 1 im geltenden Anspruch 1, wenn auch in abweichender sprachlicher Verpackung, enthalten sind und darüber hinaus die Aufnahme weiterer Merkmale einschränkend auf den Schutzbereich wirkt, vgl. "hohlkörperförmig" und "in Verlängerung des Startrohrs... auf dem Einlaufende... lose... aufliegt" mit Blick auf den erteilten Anspruch 2 und vgl. "auf radial angeordneten Abflußöffnungen" mit Blick auf den erteilten Anspruch 7 bzw. "dichtend" mit Blick auf den Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1 - wo ausgeführt ist, daß das Startrohr den Einlauf beim Angießen absperrt (was nur möglich ist, wenn ein Abdichten zwischen Startrohr und Startkörper vorliegt) - bzw. auf den erteilten Anspruch 9, der eine Dichtung im Bereich der Abflußöffnungen vorschreibt.
2.4. Aus vorstehenden Ausführungen folgt, daß Anspruch 1 auch aus der Sicht des Artikels 123 (3) EPÜ nicht zu beanstanden ist.
3. Neuheit
3.1. (E4) nimmt die Priorität von (E1) in Anspruch. In (E4) sind ebenfalls alle im Streitpatent benannten Vertragsstaaten benannt, so daß die Voraussetzungen der Artikel 54 (3) und (4) EPÜ insoweit erfüllt sind.
3.2. (E1) offenbart drei Varianten von Gießgefäßen:
a) mit Schiebeverschluß (wie im Streitpatent)
b) mit Stopfenverschluß (ungleich Streitpatent)
c) als sogenannter Freiläufer, d. h. ohne Verschluß (ebenfalls ungleich Streitpatent).
3.3. Für obengenannte Variante a) offenbart (E1) ein Startrohr bzw. einen Innenkörper "1" mit Deckel "23" und Anschlag "21", wobei das Startrohr bzw. der Innenkörper von einem aufschwimmenden Schutzring / Auftriebskörper "2" umgeben und von letzterem gleichzeitig geführt ist.
Nicht realisiert in (E1) sind somit die Merkmale "in Verlängerung des Startrohres zugeordnet" und "auf dem Einlaufende des Startrohres lose dichtend aufliegt" bzw. "auf radial angeordneten Abflußöffnungen lose dichtend aufliegt" (Fettdruck zur Hervorhebung hinzugefügt), weil die unteren Abflußöffnungen "22" in Figur 1 von (E1) durch schmelzbare Blechteile verschlossen sind, die unter der Einwirkung der Temperatur der Schmelze wegschmelzen und den Stahl dann durch sie hindurch abfließen lassen, vgl. Seite 11, Absatz 2 und Figur 1 der (E1). Die besagten unteren Abflußöffnungen bei (E1) stehen also in keiner direkten Wechselwirkung mit dem Schutzring / Auftriebskörper "2" dergestalt, daß diese die Abflußöffnungen im Bodenbereich freigeben würden.
(E1) ist somit mit Blick auf den geltenden Anspruch 1 irrelevant, auch wenn Seite 10, letzter Absatz der (E1) so gelesen würde, daß der Deckelbereich "23" entfallen kann, d. h. daß keine Abdeckung vorläge, da dies allenfalls etwas mit der Hubhöhe von "2" zu tun hätte, nicht hingegen mit der Anordnung in Verlängerung des Startrohres und dem Merkmal "lose dichtend aufliegt" und zwar am Einlaufende des Startrohres.
3.4. (E4) geht über (E1) insofern hinaus, als in ihrer Figur 1 ein Startrohr ohne Deckel "23" gemäß Figur 1 von (E1) dargestellt ist, so daß nicht erst ein Umkehrschluß ("kann" in Zeile 8 von unten der Seite 10 der(E1)) auf ein offenes Startrohr führt. In (E4) und ihrer Figur 1 fehlen aber Abflußöffnungen nahe des Gefäßbodens, so daß auch insoweit ein Neuheitsüberschuß des geltenden Anspruchs 1 vorliegt. Nicht realisiert sind in (E4) die Merkmale "in Verlängerung des Startrohres", "auf dem Einlaufende des Startrohres" und "lose dichtend aufliegt" (zum Abdichten und bedarfsweise Freigeben von Abflußöffnungen im Gefäßbodenbereich). Den Ausführungen der Beschwerdegegnerin gemäß Eingabe vom 20. August 1996 im Abschnitt 2.2, ist zuzustimmen. Mit Blick auf (E4) ist die Neuheit des Gegenstandes gemäß Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (3) EPÜ nicht in Frage gestellt.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hat (E4) gemäß Artikel 56, Satz 2 EPÜ unberücksichtigt zu bleiben.
4.2. Von (E3) ausgehend, die ein Startrohr mit einer ringförmigen bzw. eine durch Klebung erzielte Sollbruchstelle offenbart, liegt der Erfindung die Seite 2, Zeilen 25 bis 27 der EP-B1-0 433 419 entnehmbare Aufgabe zugrunde, Startvorrichtungen der besagten Art zu verbessern und vor allem automatisch eine zeitgerechte Freigabe von schlackenfreier Schmelze am Startrohr zu ermöglichen.
4.3. Diese Aufgabe ist mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst. Diese Lösung basiert nicht mehr auf einer Sollbruchstelle im Startrohr wie bei (E3), sondern auf dem Auftriebsprinzip eines hohlkörperförmigen, in Verlängerung des Startrohrs vorgesehenen Startkörpers, der lose dichtend auf dem Einlaufende des Startrohrs aufliegt, wobei alternativ radial angeordnete Abflußöffnungen nahe des Gefäßbodens angebracht sein können.
4.4. Diese Vorrichtung ergibt ein sanftes Öffnen der Verschlußvorrichtung und zwar ab einer bestimmten Füllstandshöhe der Schmelze im Verteilergefäß. Das sanfte Öffnungsverhalten der beanspruchten Vorrichtung zum Angießen vermeidet schädliche Turbulenzen im nachfolgenden Stranggießablauf und eröffnet die Möglichkeit, den Metallabfluß aus dem Verteilergefäß tatsächlich "schlackenfrei" zu bewerkstelligen.
4.5. Allein die Tatsache, daß (E3) gerade nicht auf ein "sanftes Öffnen" abgestellt ist, ist Beleg dafür, daß sie für die Schaffung des Gegenstandes nach Anspruch 1 keinen Vorbildcharakter entfalten kann und daß die gegenteiligen Überlegungen der Beschwerdeführerin das Ergebnis einer ex post-Analyse sind, wie nachfolgend noch weiter verdeutlicht wird.
4.6. Dem Beanspruchten noch am nächsten kommt die Ausgestaltung gemäß Figur 4 der (E3), weil auch hier die Schließstellung grundsätzlich durch zwei sich berührende Bauteile sichergestellt wird, vgl. Rohrteile "6',6''" der Entgegenhaltung. Es kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß diese Bauteile im Gegensatz zum Beanspruchten verklebt sind und eben nicht nur durch das Eigengewicht des oberen Bauteils lose aneinanderliegen. Mit Blick auf die Abdichtwirkung liegt mithin ebenfalls eine Unterschiedlichkeit vor, beim Bekannten durch eine Klebeverbindung und beim Beanspruchten durch Schwerkraftausnutzung. Dieser Feststellung steht auch die Alternative nach Figur 5 der EP-B1-0 433 419 nicht entgegen, weil auch dort die Schwerkraft ausgenützt wird.
4.7. Unabhängig von der einteiligen bzw. aus zwei Teilen zusammengesetzten Ausbildung gemäß Figuren 3 und 4 der (E3) stimmen beide vorbekannten Ausführungen insoweit überein, als sie an ihrer jeweils vorgesehenen Sollbruchstelle (Bezugszeichen "7") brechen sollen. Das steht aber im direkten Widerspruch zur Lehre des Anspruchs 1, vgl. dessen Kennzeichenmerkmal "lose dichtend aufliegt" (Hervorhebung hinzugefügt). Das bekannte und das beanspruchte Startrohr haben somit unterschiedliche Zielsetzungen und Lösungswege, was deutlichstes Beweisanzeichen dafür ist, daß (E3) keinen Vorbildcharakter für die Schaffung des Gegenstandes nach Anspruch 1 entfalten kann.
4.8. Bei diesen Gegebenheiten beruht die beanspruchte Vorrichtung zum schlackenfreien Angießen von Stranggießanlagen gemäß Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit, so daß dieser Anspruch und die von ihm abhängigen Ansprüche 2 bis 9 Rechtsbestand haben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.