T 0007/96 () of 28.10.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T000796.19981028
Datum der Entscheidung: 28 October 1998
Aktenzeichen: T 0007/96
Anmeldenummer: 89902645.4
IPC-Klasse: C25D 3/48
C25D 3/62
A61K 6/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verwendung eines Goldbades zur Herstellung von Zahnersatz
Name des Anmelders: Wieland Edelmetalle GmbH & Co.
Name des Einsprechenden: Gramm Technik, Gramm GmbH & Co. KG
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Erfinderische Auswahl - kein Bonuseffekt
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0192/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (= Einsprechende) richtet ihre Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent 0 360 848 (Anmeldenummer 89 902 645.4) zurückzuweisen.

Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ mit der Begründung angegriffen worden, daß sein Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß der geltend gemachte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form nicht entgegenstünde.

Bei ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung folgende Entgegenhaltungen in Betracht gezogen:

D1: DE-C-2 723 910

D2: G.A. Somers et al.: "Clinical Applications of Electroformed Gold Alloys", SUR/FIN '87, International Technical Conference Proceedings, 13. - 16. Juli 1987, Chicago, Illinois, Session A, Seiten 1 - 14

D3: US-A-3 787 463

D4: DE-C-2 829 980 und

D5: J.Setz et al: "Galvano-keramische Kronen, Herstellung und erste Erfahrungen", dental-labor, XXXVI, Heft 1/88, Seiten 71 - 74.

Im Beschwerdeverfahren ist von der Beschwerdeführerin mit der Eingabe vom 28. September 1998 noch auf die weiteren Entgegenhaltungen

D6: DE-A-3 544 429 und

D7: GB-A-2 167 444

hingewiesen worden.

II. Im Bescheid vom 21. Juli 1998 gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern teilte die Kammer den Parteien mit, daß es bei der im Hinblick auf Artikel 56 EPÜ zu entscheidenden Frage in erster Linie darum zu gehen scheine, ob der Fachmann ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik, wie er im Dokument D2 wiedergegeben werde, den Stand der Technik nach Dokument D1 zur Lösung der gegenüber D2 verbleibenden Aufgabenstellung in Betracht gezogen hätte. Falls dies bejaht werden müsse, wäre zu untersuchen, ob der Fachmann mit Hilfe von D1 auf naheliegende Weise zum Streitgegenstand gelangt wäre.

Am 28. Oktober 1998 wurde gemäß den entsprechenden Hilfsanträgen der Parteien mündlich verhandelt.

Da die Kammer die verspätet genannten Dokumente D6 und D7 im Hinblick auf den bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Stand der Technik als nicht relevant ansah, blieben diese in der mündlichen Verhandlung unberücksichtigt.

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

IV. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 bis 13 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten.

V. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgebliche Fassung der unabhängigen Ansprüche 1 und 13 lautet wie folgt:

"1. Verwendung eines wäßrigen Gold- oder Goldlegierungsbads, enthaltend

- Gold in Form eines Goldsulfit-Komplexes,

- ggf. mindestens ein Legierungsmetall,

- mindestens eine lösliche Nitrosäure mit mindestens einer Nitrogruppe, bei der der Säurerest ein Carbonsäurerest und/oder ein Sulfonsäurerest ist, welche in Form der Säure, eines Derivates oder eines Salzes vorliegen, sowie

- sonst übliche Badzusätze,

zur Herstellung von Zahnersatz in Verbindung mit zu brennender Keramik zur Verblendung."

"13. Zahnersatz, erhältlich bei der Verwendung des wäßrigen Gold- oder Goldlegierungsbades nach einem der vorhergehenden Ansprüche."

Die Ansprüche 2 - 12 sind vom Anspruch 1 abhängig.

VI. Die Beschwerdeführerin hat zum Patentgegenstand gemäß dem Anspruch 1 folgendes vorgetragen:

Der für die Entwicklung galvanischer Bäder zuständige Fachmann sei ein Chemiker, da es sich bei den Bädern um Erzeugnisse der Elektrochemie handele, die von auf diesem Gebiet spezialisierten Firmen hergestellt würden. Die Fachleute für Zahnersatz seien dagegen in der Regel Feinwerktechniker, von denen keine chemischen Kenntnisse gefordert würden. Ein zahntechnisches Labor entwickle keine Bäder, sondern wende sie höchstens an. Dies werde durch den nachgewiesenen Stand der Technik belegt. Der einschlägige Fachmann sei deshalb auch im vorliegenden Fall ein Chemiker mit Kenntnissen auf dem Gebiet der Elektrochemie.

So seien die Autoren des Dokuments D2 Mitarbeiter eines Spezialunternehmens für die Herstellung von Galvanikbädern, das selbst nicht auf dem Gebiet der Dentaltechnik tätig sei. Ausgangspunkt für die Überlegungen dieser Autoren auf dem Zahnersatzgebiet, insbesondere hinsichtlich der Erzeugung dicker, spannungsfreier Schichten für Kronen und Brücken, seien einschlägige Erfahrungen des Unternehmens mit Bädern für die Elektrotechnik und die Schmuckindustrie gewesen. Die nach einigen Monaten bei Zahnbrücken beobachteten Festigkeitsprobleme hätten durch eine Vergrößerung der Oberflächenrauhigkeit und die Wahl eines Bades mit einem besonderen Goldkomplex behoben werden können. Auch bei Keramikverblendungen sei der Stand der Technik zumindest teilweise erfolgreich gewesen, es würden lediglich bei thermischen Anlaßbehandlungen immer zu erwartende Gefügeänderungen berichtet. Der spezielle Goldkomplex (s. Dokument D3), der auch beim angegriffenen Patent verwendet werde, sei nicht in einem Dentallabor, sondern im selben Unternehmen für die Elektronik- und Schmuckindustrie entwickelt worden, d. h. auch hier sei bei einem Verbesserungsversuch in der Dentaltechnik auf allgemeine Kenntnisse der Elektrochemie zurückgegriffen worden. Bezeichnenderweise stammten die Entgegenhaltungen D1 bis D4 alle aus derselben Unternehmensgruppe, d. h. repräsentierten Informationen aus einer Hand.

Zwar mache D2 keine direkte Mitteilung über die Verwendung einer Nitrosäure, sondern verweise in diesem Zusammenhang auf Dokument D3, das jedoch im Beispiel 8 den Zusatz von Trinitrophenol offenbare, mit dem sehr harte, glänzende dicke Niederschläge erzielt werden konnten. Daraus ergebe sich für einen auf dem Gebiet der Galvanik tätigen Chemiker, daß der Zusatz von Nitroverbindungen erfolgsversprechend sei. Das Dokument D1 stelle dem Fachmann eine Auswahl geeigneter Badstabilisatoren aus eben dieser Verbindungsgruppe und die damit zu erzielenden Vorteile zur Verfügung. Von diesen Badzusätzen fielen fast zwanzig unter die im Anspruch 1 gegebene Definition. Da die Entwicklungsarbeit ein und desselben Unternehmens zur Erkenntnis der grundsätzlichen Verwendbarkeit eines Goldsulfit-Bades und anschließend in einem ersten Verbesserungsschritt zur Anwendung eines Goldsulfit-Bades mit speziellem Goldkomplex und speziellem Nitro-Stabilisator geführt habe, sei eine Variation der Stabilisatoren im Rahmen der in D1 offenbarten Nitroverbindungen, d. h. unter Benutzung von Informationen aus demselben Hause, zur weiteren Optimierung des Bades für den speziellen Verwendungszweck naheliegend. Dabei kämen durchwegs Ergebnisse aus dem Anwendungsbereich Elektrotechnik/ Schmuckindustrie zum Einsatz, deren regelmäßige Übertragung auf die Dentaltechnik auch durch Dokument D5 bestätigt werde. Schließlich würden derartige aus dem Elektronikbereich bekannte Bäder auch im Streitpatent beansprucht. Dies sei auch schon deshalb naheliegend, da es hinsichtlich der Aspekte Formstabilität und Haftfestigkeit Analogien der Dentaltechnik zu keramischen Leiterplatten gebe.

Der von der Beschwerdegegnerin angeführte Nichtabbau der Pikrinsäure in bekannten Goldsulfit-Bädern (D3, D4) sei für den Fachmann zwangsläufig feststellbar, was ihn zur Suche nach Alternativen veranlassen müsse. Aus dem Dokument D4 ergäben sich bereits Hinweise auf andere Verbindungen mit einem den Nitrophenolen ähnlichen Oxidations-Reduktions-Potential. Da in D1 auch Trinitrophenol als Stabilisator aufgeführt sei, müsse man davon ausgehen, daß die übrigen dort genannten Verbindungen ebenfalls die hinsichtlich des Redox-Potentials bestehenden Anforderungen erfüllten. Zwar sei es richtig, daß D1 eine große Menge von Verbindungen offenbare, der Gegenstand des Streitpatents sei aber kaum weniger allgemein.

Schließlich spiele der spezielle Aspekt der Brennstabilität für die Frage des Naheliegens dann keine Rolle, wenn sich eine Anregung zur versuchsweisen Anwendung der aus D1 bekannten Stabilisatoren schon aus deren übrigen positiven Eigenschaften ergäbe, da der Fachmann nicht alle Vorteile einer Maßnahme für deren Naheliegen erkennen müsse. Die Beschwerdegegnerin habe im wesentlichen zwei Vorteile geltend gemacht: vereinfachte Badführung und erhöhte Brennstabilität. Ein etwaiger überraschender Effekt hinsichtlich der Brennstabilität sei irrelevant, da der Patentgegenstand schon aus anderem Grund, nämlich der in D1 mehrfach erwähnten vereinfachten Badführung, nahegelegt sei. Schließlich weise der schon in D1 beobachtete bessere Zusammenhalt der Körner des Kristallgitters auch in Richtung einer höheren Brennstabilität.

VII. Die Beschwerdegegnerin stützte ihre Anträge auf folgende Argumente:

Wenn man Dokument D2 als nächstliegenden Stand der Technik ansehe, ergebe sich folgender Offenbarungsgehalt: D2 gehe von einem Elektronik/Schmuck-Bad aus, dessen Zusammensetzung im einzelnen nicht mitgeteilt werde und das sich bereits bei nicht aufgebrannten Kunststoffverblendungen als wenig erfolgreich erwiesen habe. Deshalb werde in D2 auf die Entwicklung eines völlig neuen Bades basierend auf dem speziellen Goldkomplex gemäß Dokument D3 Bezug genommen. Die weitere Zusammensetzung dieses "neuen" Bades werde in D2 ebenfalls nicht offenbart. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf Beispiel 8 von Dokument D3 erscheine daher unlogisch, da es sich hier nicht um ein "neues" Bad handeln könne. Die Beschwerdegegnerin bestreite, daß Pikrinsäure als Bestandteil dieses in D2 erwähnten "neuen" Bades nachgewiesen worden sei.

Mit dem "neuen" Bad sei in D2 eine Kunststoffverblendung zufriedenstellend verlaufen, jedoch habe sich die Keramikverblendung als problematisch erwiesen, da sich die erzeugten Goldabscheidungen beim Brennen veränderten.

Aus alledem könne der Fachmann nur das Fazit ziehen, daß normale Elektronikbäder auf dem Dentalgebiet nicht geeignet seien und daß selbst das "neue" Bad, dessen weitere Zusammensetzung nicht mitgeteilt werde, noch nicht optimale Ergebnisse zeitigte. Offensichtlich gebe es große Unterschiede zwischen den Bädern, die für die jeweilige Verwendung speziell angepaßt werden müßten.

Somit hätte der Fachmann auf der Suche nach "neuen" Lösungen keinen Grund gehabt, den bereits den Autoren von D2 wohlbekannten Stand der Technik nach D1 zu konsultieren.

Aber selbst, wenn er dies trotzdem getan hätte, wäre er nicht auf naheliegende Weise zum Patentgegenstand gelangt: das Dokument D1 offenbare die Verwendung eines Zusatzgemisches, unter dessen allgemeine Formel Hunderttausende von Verbindungen fielen. Selbst von den spezielleren Beispielen, die in D1 angeführt seien, fielen nur ca. ein Viertel unter den Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 und im Zusammenhang mit Sulfit-Bädern werde in D1 überhaupt keine Nitroverbindung speziell offenbart, die unter den Anspruch 1 falle. Darüber hinaus seien die in D1 angegebenen Mischungen für Goldcyanidbäder zur Herstellung dünner Beschichtungen in der Elektronikindustrie bevorzugt. Allein die Auswahl spezieller Verbindungen mit überraschenden Wirkungen, insbesondere der Brennstabilität, beruhe schon auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Gehe man andererseits von einem Pikrinsäurebad aus, wie es in D4 im Zusammenhang mit galvanischer Abscheidung von Gold beschrieben sei, so werde der Fachmann zwar in der Lage sein, den Nichtabbau der Pikrinsäure festzustellen und zu beherrschen, die dazu erforderliche, aufwendige Badanalytik sei aber einem Zahntechniker nicht zuzumuten. In D1 seien die Vorteile der patentgemäßen Verwendung hinsichtlich Badführung und Brennstabilität bei Vermeidung von Pikrinsäure nicht angesprochen, insbesondere werde das Problem des Stabilisatorabbaus überhaupt nicht erwähnt, sondern lediglich ganz allgemein ein leichterer und einfacherer Betrieb geltend gemacht. Auch könne aus dem berichteten besseren Zusammenhalt der Körner des Kristallgitters nicht auf eine erhöhte Brennstabilität geschlossen werden.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde ist zulässig.

Der einzige geltend gemachte Einspruchsgrund betrifft die mangelnde erfinderische Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ.

2. Zulässigkeit der Änderungen

Die in der mündlichen Verhandlung überreichte Anspruchsfassung unterscheidet sich von der erteilten Fassung durch die Aufnahme des erteilten Anspruchs 13 in den erteilten Anspruch 1, die Streichung des erteilten Anspruchs 14 sowie die Umnumerierung des erteilten Anspruchs 15.

Gegen diese Änderungen hat die Beschwerdeführerin keine Einwände erhoben, noch bestehen seitens der Kammer irgendwelche Bedenken. Die Änderungen sind daher als zulässig anzusehen.

3. Nächstliegender Stand der Technik

Nach Auffassung der Kammer, der die Parteien nicht widersprochen haben, kommt die Entgegenhaltung D2 dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 am nächsten, da sie sich bereits auf die Verwendung eines wäßrigen Gold- oder Goldlegierungsbades zur Herstellung von Zahnersatz in Verbindung mit zu brennender Keramik zur Verblendung bezieht (siehe D2, Seite 1, 1. bis 4. Absatz und Seite 5, 2. Absatz).

Die aus diesem Dokument bekannten Bäder enthalten Gold in Form eines Goldsulfit-Komplexes und ggf. mindestens ein Legierungsmetall (siehe D2, Seite 3, 4. Absatz; Seite 4, 4. Absatz, der hinsichtlich des Goldkomplexes auf den Gold-Amin-Komplex des Dokuments D3 verweist; sowie Seite 1, 3. Absatz).

Weitere Bestandteile der Bäder sind dem Dokument D2 nicht direkt zu entnehmen. Zwar wird der Markenname des sogenannten "neuen" Bades in D2 erwähnt ("SEL-REX ULTRACLAD Y 840"; siehe Seite 7, "Table 2"), es ist aber streitig zwischen den Parteien, ob dieses Bad bereits einen Zusatz in Form einer Nitroverbindung, nämlich Pikrinsäure (Trinitrophenol), enthalten hat. Nach Auffassung der Kammer kann diese Frage dahingestellt bleiben, da einerseits Goldsulfit-Bäder mit Pikrinsäurezusatz im Stand der Technik wohl bekannt sind (siehe die Entgegenhaltungen D3 und D4) und andererseits zwischen den Parteien Einvernehmen bestand, daß jedenfalls der Zusatz einer Nitrosäure, wie sie im Anspruch 1 definiert ist, dem Dokument D2 nicht entnommen werden kann. Darüber hinaus könnte, wie weiter unten ausgeführt wird (siehe die Punkte 4. und 5.), selbst die Annahme des von der Beschwerdeführerin behaupteten Pikrinsäurezusatzes in dem "neuen" Bad gemäß D2 die erfinderische Tätigkeit nicht in Frage stellen.

Somit unterscheidet sich die beanspruchte Verwendung vom nächstliegenden Stand der Technik unstreitig durch den Zusatz der genannten Nitrosäure als Stabilisator zum Gold- oder Goldlegierungsbad, sowie durch die "sonst üblichen Badzusätze", die in D2 nicht explizit erwähnt sind. Wie es schon in der gewählten Formulierung dieses Merkmals zum Ausdruck kommt, müssen letztere aber auch als in D2 vorhanden angenommen werden und können jedenfalls keinen Beitrag zur Lösung der technischen Aufgabe liefern.

4. Aufgabe und Lösung

Die Beschwerdegegnerin hat insbesondere zwei technische Wirkungen der beanspruchten Nitroverbindungen als Badzusätze geltend gemacht:

(i) eine Vereinfachung der Badführung durch den proportionalen Abbau der Nitrosäure mit der abgeschiedenen Goldmenge und

(ii) eine Erhöhung der Brennstabilität der mit diesen Badzusätzen abgeschiedenen Gold- oder Goldlegierungsschichten (siehe das Streitpatent, Spalte 1, Zeile 54 bis Spalte 2, Zeile 21; Spalte 2, Zeile 38 bis Zeile 56; Spalte 3, Zeilen 20 bis 56; und Spalte 6, Zeilen 1 bis 20).

Beide Wirkungen erweisen sich als vorteilhaft für die beanspruchte Verwendung, da durch die vereinfachte Badführung ein Betreiben der Bäder durch Nichtchemiker im Dentallabor möglich wird, und die erhöhte Brennstabilität das Aufbringen von Verblendungsschichten aus Keramikmaterial erlaubt, das im Zahnersatzbereich dominiert.

Folglich kann ausgehend von D2 die technische Aufgabe darin gesehen werden, dem Zahntechniker ein einfach zu handhabendes Bad für die galvanoplastische Herstellung von mit Keramik verblendetem Zahnersatz an die Hand zu geben. Offenbar besteht die Teilaufgabe der vereinfachten Badführung gegenüber D2 insbesondere dann, wenn man von der Behauptung der Beschwerdeführerin ausgeht, und den Zusatz von Pikrinsäure im nächstkommenden Stand der Technik als gegeben ansieht.

Zwischen den Parteien bestand Einvernehmen, daß die Formulierung dieser technischen Aufgabe keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit liefern kann, da sich der Nichtabbau der Pikrinsäure für den Fachmann zwangsläufig beim Betreiben des Bades herausstellt und auf das Brennstablitätsproblem bereits in D2 hingewiesen wird (siehe Seite 5, 2. Absatz).

Die geltend gemachten technischen Wirkungen sind von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden, und auch die Kammer hat keinen Grund daran zu zweifeln, daß die vorstehende Aufgabe durch den Anspruchsgegenstand gelöst wird.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Der Fachmann, bei dem es sich nach Überzeugung der Kammer um einen Galvanik-Spezialisten für die bekannten Galvanik-Anwendungen handeln dürfte kann im verfügbaren übrigen Stand der Technik keinen direkten Hinweis zur Lösung der oben genannten Aufgabe finden. Zwar befaßt sich die Entgegenhaltung D5 mit der Herstellung galvano-keramischer Kronen, gibt jedoch keinen Aufschluß über die dabei verwendeten Badzusammensetzungen. Die Dokumente D1, D3 und D4 beziehen sich in erster Linie auf Anwendungen in der Elektronikindustrie (siehe D1, Spalte 2, Zeilen 49 bis 61; D3, Spalte 1, Zeilen 64 bis 68) und liefern keinerlei Hinweise auf Badhandhabungsprobleme durch Nichtabbau von Pikrinsäure, geschweige denn auf die Lösung derartiger Probleme oder die Brennstabilität der galvanisch erzeugten Schichten.

Obwohl mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen ist, daß in den Dokumenten D1 und D4 allgemeine Vorteile hinsichtlich des Badbetriebs geltend gemacht werden (siehe D1, Spalte 15, Zeilen 47 bis 55 und Spalte 18, Zeilen 32 bis 38 sowie Zeilen 47 bis 50; D4, Spalte 4, Zeilen 50 bis 57), wird der Fachmann nicht unterstellen, daß sich diese Vorteile auf den speziellen Aspekt des Nichtabbaus von Pikrinsäure beziehen können, da beiden Dokumenten die Verwendungsoption von Nitrophenolen als Zusatz zu Goldsulfit-Bädern gemeinsam ist (siehe D1, Spalten 13 und 14, 1. und 2. Verbindung sowie Spalte 17, Beispiel 4; D4, Anspruch 4).

Insofern erscheint es fraglich, ob der Fachmann diesen Stand der Technik als erfolgversprechenden Ansatzpunkt für die Lösung der vorliegenden Aufgabe konsultiert hätte.

Aber selbst wenn man der Beschwerdeführerin darin folgt, daß der Galvanikfachmann, dem chemische Kenntnisse auf diesem Gebiet zu unterstellen sind, diese eher undifferenzierten Hinweise beachten und - unter Kenntnis des speziellen Pikrinsäureproblems aufgrund eigener praktischer Erfahrung - zumindest versuchsweise alternative Badzusätze aus dem allgemeinen Stand der Technik auf dem Elektronikgebiet in Betracht ziehen würde, kann die Kammer keinen naheliegenden Weg zum Anspruchsgegenstand erkennen.

In diesem Fall erhält der Fachmann nämlich aus Dokument D4 nur den vagen Hinweis, daß andere Verbindungen, deren Oxidations-Reduktions-Potential in der gleichen Größenordnung liegt wie das der Nitrophenole, ebenfalls verwendet werden können.

Derartige Verbindungen sind offenbar im Dokument D1 als ausgedehnte Verbindungsgruppe beansprucht (siehe den dortigen Anspruch 1) und anhand von etwa sechzig Beispielen, darunter Pikrinsäure, verdeutlicht (siehe Spalten 3/4 bis Spalten 13/14). Die im Streitpatent beanspruchten Nitrosäuren stellen eine Auswahl aus den in D1 vorgeschlagenen Verbindungen dar. Wie bereits erwähnt, gibt das Dokument D1 dabei keinen Hinweis auf geeignete Verbindungen, die als Badzusatz zu Goldsulfit-Bädern proportional mit der abgeschiedenen Goldmenge abgebaut werden und dadurch eine einfache Verwendung durch Nichtchemiker zulassen. Der Fachmann müßte daher diese Auswahl gezielt im Hinblick auf das spezielle technische Problem der vereinfachten Badführung unter erheblichem experimentellem Aufwand und mit unsicherer Erfolgserwartung selbst versuchen. Auch dieser Sachverhalt spricht nach Auffassung der Kammer für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit.

In jedem Fall muß jedoch die erhöhte Brennstabilität der mit den ausgewählten Nitrosäuren abgeschiedenen Schichten als überraschend angesehen werden: nach Ansicht der Kammer war es für den Fachmann in keiner Weise aus dem Stand der Technik vorhersehbar, daß die spezielle Wahl der Badstabilisatoren nach dem Kriterium der vereinfachten Badführung eine Verwendung von Bädern auf Goldsulfitbasis zur Herstellung von galvano-keramischem Zahnersatz ermöglichen würde.

Diese Tatsache ist als solche von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden. Sie war allerdings der Meinung, daß bei einer naheliegenden Auswahl von Nitroverbindungen aus der in D1 beschriebenen Verbindungsgruppe, die die der Pikrinsäure eigene Abbauproblematik lösen, die erhöhte Brennstabilität quasi als "Bonus-Effekt" miterhalten würde und somit das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen könne.

Dieses Argument ist nach Auffassung der Kammer im Hinblick auf den Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 insofern nicht stichhaltig, als bei der nunmehr beanspruchten Verwendung für die Herstellung von galvano-keramischem Zahnersatz die Aufgabe der erhöhten Brennstabilität zwingend mitgelöst werden muß und eine Suche nach Nitroverbindungen in der aus D1 bekannten Verbindungsgruppe mit gegenüber Pikrinsäure vereinfachter Badführung somit nicht ausreichen kann. Eine für das Vorliegen eines "Bonus-Effekts" normalerweise vorauszusetzende "Einbahnstraßen"-Situation (siehe die Entscheidung T 192/82, ABl. EPA 1984, 415) ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Lösung der einen Teilaufgabe nicht notwendigerweise die Lösung der anderen Teilaufgabe mit sich bringt, d. h. die beiden "Lösungsmengen" nicht zwangsläufig identisch sind.

Schließlich kann die Kammer auch in der in D1 gemachten Feststellung eines "besseren Zusammenhalts der Körner des Kristallgitters des Niederschlages" (siehe Spalte 18, Zeilen 21 bis 24) keinen Hinweis auf ein verbessertes Brennverhalten erkennen, zumal da diese Feststellung sich auf die gesamte in D1 beanspruchte Verbindungsgruppe bezieht, die die nach Behauptung der Beschwerdeführerin auch in D2 enthaltene Pikrinsäure mit umfaßt.

Somit wird der Gegenstand des Anspruchs 1 durch den nachgewiesenen Stand der Technik nicht nahegelegt, und der Anspruch 1 ist aus diesem Grunde gewährbar (Artikel 56 EPÜ).

5.2. Ebenso sind die abhängigen Ansprüche 2 bis 12 gewährbar, die den erteilten Ansprüchen 2 bis 12 entsprechen und vorteilhafte Ausführungsformen der Verwendung nach Anspruch 1 zum Inhalt haben.

Der geltende Anspruch 13 entspricht dem erteilten Anspruch 15 und betrifft das Produkt einer neuen und erfinderischen Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche. Dieser Anspruch, der im Beschwerdeverfahren nicht explizit angegriffen worden ist, kann ebenfalls als gewährbar angesehen werden.

6. Beschreibung

Die Beschreibung entspricht noch nicht den Erfordernissen der Regel 27 EPÜ. Insbesondere sollte der im Einspruchsverfahren zusätzlich genannte relevante Stand der Technik, d. i. Dokument D2, in der Beschreibung angegeben und die Beschreibung an die im Anspruch 1 vorgenommene Beschränkung auf die Herstellung galvano-keramischen Zahnersatzes angepaßt werden. In diesem Zusammenhang macht die Kammer von ihrem Ermessen nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Angelegenheit zur Durchführung der notwendigen Beschreibungsänderungen an die erste Instanz zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten mit den Ansprüchen 1 bis 13, überreicht in der mündlichen Verhandlung, und daran anzupassender Beschreibung.

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