T 0929/95 () of 28.7.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T092995.20000728
Datum der Entscheidung: 28 Juli 2000
Aktenzeichen: T 0929/95
Anmeldenummer: 88810876.8
IPC-Klasse: H01H 77/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Auslösesystem in einem Installationseinbauschalter
Name des Anmelders: ABB PATENT GmbH
Name des Einsprechenden: Moeller GmbH
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
Schlagwörter: Neuheit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet ihre am 17. November 1995 eingelegte Beschwerde gegen die am 13. September 1995 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0 323 404 zu widerrufen. Die Beschwerdegebühr wurde am 21. November 1995 gezahlt.

Die Beschwerdebegründung wurde am 9. Januar 1996 eingereicht.

II. Mit dem Einspruch der Beschwerdegegnerin war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a), b) und c) angegriffen worden.

III. Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"1. Auslösesystem in einem bei Überstrom abschaltenden Installationseinbauschalter bis 25 A von elektrischen Niederspannungsverteilnetzen, welches System

- einen thermischen Auslöser (16) mit einem Bimetallstreifen,

- einen elektromagnetischen Auslöser (18) mit einem Joch (72), einem Kern (67), einer Spule (60), einem Spulenkörper (64), einem verschiebbaren Anker (62) und einem vom Anker betätigtbaren Schlagstift (66),

- ein in einer Schaltkammer (32) angeordnetes Kontaktsystem mit zwei festen und einem beweglichen Kontaktteil (36,42), mit Kontaktplättchen (40, 44), und

- einen manuell betätigtbaren, über ein Schaltschloß (76) mit dem Kontaktsystem mechanisch in Eingriff stehenden Schalthebel (26) umfaßt,

dadurch gekennzeichnet, dass im in der Schaltkammer (32) angeordneten Kontaktsystem mit Doppelunterbrechung ein oberhalb einer bestimmten Stromstärke vom elektromagnetischen Feld ohne verstärkende Hilfsmittel dynamisch betätigtbarer beweglicher Kontakt eingebaut ist, wobei ein vom Anker (62) betätigter Schlagstift (66) die Rückführung des beweglichen Kontaktteils (42) bis zur Auslösung des Schaltschlosses (76) verhindert, ohne in öffnender Weise auf die Schaltbahn einzuwirken."

IV. In der angefochtenen Entscheidung war die Einspruchsabteilung zu dem Schluß gekommen, daß der geltend gemachte Einspruchsgrund fehlender Neuheit im Hinblick auf folgendes Dokument:

D1: "Schutzschalter", 2. Teil, von 4/71, Firmenschrift der Fa. Klöckner-Moeller Elektrizitäts GmbH, Druckvermerk BUB 16-(4/71)

der Aufrechterhaltung des unveränderten Patentes entgegenstehe.

V. Mit Schreiben vom 6. Mai 1996 wurde von der Beschwerdegegnerin u. a. folgendes Dokument:

D8: "Klöckner-Moeller-Post, Hauszeitschrift der Klöckner-Moeller-Elektrizitäts-GmbH, 1/67, Seiten 1 bis 11.

eingereicht.

VI. Im Anhang zur Ladung zur von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung vertrat die Kammer u. a. die vorläufige Meinung, daß die Dokumente D1 und D8 der Aufrechterhaltung des Patentes wie erteilt entgegenstehen dürften.

VII. Ohne auf die Einwände der Kammer bezüglich der Patentierbarkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 einzugehen, teilte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 24. Juli 2000 der Kammer mit, daß sie an der am 28. Juli 2000 anberaumten Verhandlung nicht teilnehmen werde.

VIII. An der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2000 nahm lediglich die Beschwerdegegnerin teil.

IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sie wie folgt zusammenfassen:

Der aus D1 bekannte Motorschutzschalter umfasse einen thermisch verzögerten Bimetallauslöser und einen magnetischen Überstromschnellauslöser, der beim Überschreiten einer bestimmten Stromstärke mittels eines Schlagstiftes die Schaltbahn öffne. Bei der Beschreibung des Schalters sei nirgendwo angegeben, daß bei noch höheren Strömen elektrodynamische Kräfte an der Öffnung der Kontakte beteiligt seien. Ferner sei schon am offensichtlichen Gewicht der Schaltbrücke mit den beidseitig angeordneten, sehr groß ausgebildeten Kontaktstücken ersichtlich, daß eine elektrodynamische Öffnung der Schaltbahn nicht vorgesehen sei. Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber D1.

Zu D8 nahm die Beschwerdeführerin nicht Stellung.

X. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Es bedürfe nur durchschnittlicher, für den Fachmann selbstverständlicher Überlegungen und Handlungen zur Dimensionierung des Schutzschalters nach D1, damit dieser alle im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 aufgeführten, funktionellen Merkmale zeige. In D1 sei demnach der Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich offenbart.

Dokument D8 betreffe den bereits aus D1 bekannten Schutzschalter PKZM 3 und beschreibe ausdrücklich, daß der bewegliche Kontaktteil sowohl durch die Kräfte des magnetischen Schnellauslösers als auch durch elektrodynamische Öffnungskräfte betätigtbar sei. Es seien die unmittelbar wirkenden elektrodynamischen Kräfte, die die Schaltbahn öffneten, so daß der Schlagstift lediglich die Rückführung des elektrodynamisch abgehobenen Kontaktteils verhindere. Damit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch durch D8 vorweggenommen.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes wie erteilt.

XII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2.1. D1 zeigt u. a. einen Motorschutz-Leistungsschalter mit der Bezeichnung PKZM 3 (Seite 56, Bild 2.4.1.2.1). Es ist unstrittig, daß ein solcher Schalter alle im Oberbegriff des Anspruchs 1 aufgeführten Merkmale aufweist.

2.2. Die durch zwei feste Kontaktteile und den beweglichen Kontaktteil gebildete Stromschleife soll gemäß D8 dazu dienen, den bei der Öffnung der Kontakte erzeugten Lichtbogen zu beeinflussen. Obwohl die durch die Stromschleife erzeugten elektrodynamischen Kräfte eine abstoßende Wirkung auf die Kontakte haben müssen, wird in diesem Dokument nicht explizit auf die Möglichkeit hingewiesen, elektrodynamische Kräfte auch zur schnellen Öffnung der Kontakte auszunutzen. Ferner geht aus D1 nicht eindeutig hervor, ob die im Schutzschalter PKZM 3 vorhandenen elektrodynamischen Kräfte zur Öffnung der Kontakte überhaupt ausreichen würden, bevor der bei einem Überstrom durch den Spulenanker betätigte Schlagstift auf den beweglichen Kontaktteil schlägt. Daher wird der Gegenstand des Anspruchs 1 vom aus D1 bekannten Schutzschalter nicht eindeutig vorweggenomen.

3.1. Ausgehend von der Beschreibung des in D1 dargestellten Motorschutz-Leistungsschalters PKZM 3 behandelt D8 (siehe Figur 7) die grundsätzlichen Probleme der Strombegrenzung durch Niederspannungs-Wechselstrom-Schalter.

3.2. Gemäß D8 setzt eine wirksame Strombegrenzung einen Öffnungsverzug kleiner als 1 ms voraus. Ein solcher Wert ist jedoch nur durch den Einsatz von stromabhängigen Kräften möglich, die unter Umgehung des Schaltschlosses unmittelbar zur Kontaktöffnung führen können. Folgende stromabhängige Kräfte stehen zur Verfügung (D8, Seiten 7 und 8: "Kontaktöffnungskräfte"):

- elektrodynamische Kräfte, hervorgerufen durch die Stromschleife und die Stromverengung an der Kontaktstelle;

- magnetische Kräfte, entnommen dem Magnetauslöser oder aber - je nach Konstruktion - einem besonderen Abhebemagneten.

3.3. Während die elektrodynamischen Kräfte den Vorteil haben, unmittelbar am beweglichen Kontaktstück anzugreifen, nimmt ihre Wirkung mit der Öffnung der Schaltbahn ab. Ferner können solche Kräfte bei kleinen, nur wenig über die Kontaktabhebegrenze liegenden Strömen keine genügend große und genügend lange Kontaktöffnung schlagartig herbeiführen. Eine kurzzeitige und kleine Kontaktabhebung ist jedoch für die Strombegrenzung vollkommen unwirksam, da sie die Gefahr einer Kontaktverschweißung in sich birgt. Daher wird bei Beschränkung auf elektrodynamische Kräfte zur Öffnung der Schaltbahn ein Kontaktunsicherheitsgebiet hervorgerufen, in dem es lediglich zu kurzfristigen, für den Schalter schädlichen Kontaktabhebungen kommt.

3.4. Um eine unmittelbare und schnelle Kontakttrennung herbeizuführen, wird in D8 empfohlen, zusätzlich magnetische Kräfte auszunutzen. In der Tat ist ein Öffnungsverzug von weniger als 2 ms lediglich durch die Ausnutzung der elektrodynamischen und der magnetischen Kräfte zu erreichen, weil die Magnetkraft bei höheren Strömen infolge von Sättigung nur noch gering ansteigt und ein magnetisch betätigtes Auslösesystem erst einen bestimmten, mit Zeitverlust verbundenen Leerweg durchlaufen muß, bevor es zu einer Kontaktöffnung kommt (siehe D8, Figur 6).

3.5. Bezüglich der Funktionsweise des Schutzschalters PKZM 3 wird in D8 darauf hingewiesen, daß der Anker des magnetischen Schnellauslösers nach der Entklinkung des Schaltschlosses auf das bewegliche Schaltstück schlägt und dieses öffnet (siehe Seite 8, linke Spalte, Zeilen 29. bis 33).

Nach Meinung der Kammer impliziert der Begriff "öffnet" im Kontext der in D8 offenbarten Lehre, daß die Kontakte nach der ersten Abhebung durch die elektrodynamischen Kräfte vom magnetisch betätigten Schlagstift auseinander geführt werden, bevor sie nach dem Entklinken des Schaltschlosses endgültig getrennt werden. Außerdem geht aus D8 eindeutig hervor, daß ein Motorschutz-Leistungsschalter wie der PKZM 3 so auszulegen ist, daß auch im Falle einer ersten, durch die elektrodynamischen Kräfte herbeigeführten Öffnung der Schaltbahn keine Kontaktunsicherheiten auftreten, bevor die Kontakte endgültig getrennt werden. Daher kommt dem vom Anker magnetisch betätigten Schlagstift u. a. die Funktion zu, eine Rückführung des elektrodynamisch abgehobenen Kontaktteils nach der Abnahme der elektrodynamischen Kräfte und bis zur Auslösung des Schaltschlosses zu verhindern.

4. Aus den o. g. Gründen steht D8 der Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 entgegen. Dem Antrag der Beschwerdeführerin kann somit nicht stattgegeben werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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