T 0737/95 () of 21.11.1997

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1997:T073795.19971121
Datum der Entscheidung: 21 November 1997
Aktenzeichen: T 0737/95
Anmeldenummer: 90117517.4
IPC-Klasse: E06B 9/15
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Rolladenpanzer für Kastenmöbel
Name des Anmelders: REHAU AG + CO
Name des Einsprechenden: PLASTIL
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(3)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 111(2)
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Neuheit - ältere europäische Anmeldung
Entscheidung über die Beschwerde-Zurückverweisung (bejaht)
Rechtliches Gehör - Gelegenheit zur Stellungnahme (bejaht)
Fehlende Prüfung Veröffentlichungsdatum einer Entgegenhaltung Nichtbeachtung von Artikel 89 EPÜ - wesentlicher Verfahrensmangel - Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0016/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2170/08

Sachverhalt und Anträge

I. Mit Entscheidung vom 10. August 1995 hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 0 428 844 gemäß Artikel 102 (1) EPÜ widerrufen und zwar im Lichte der Druckschriften

(D2) EP-A-0 368 695

(D3) DE-U-8 706 209 und

(D4) US-A-2 690 216,

weil der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 diesen gegenüber nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruhe.

II. Gegen vorgenannte Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Patentinhaberin - nachfolgend Beschwerdeführerin - am 2. September 1995 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese begründet.

III. Mit vorbereitendem Bescheid gemäß Artikel 110 (2) EPÜ wies die Kammer die Verfahrensbeteiligten darauf hin, daß (D2) eine Druckschrift im Sinne von Artikel 54 (3) EPÜ sei und demzufolge für alle benannten Vertragsstaaten außer Dänemark bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56, Satz 2 EPÜ nicht in Betracht gezogen werden dürfe. Bei dieser Sachlage beabsichtige die Kammer, die Angelegenheit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an die Einspruchsabteilung zur ordnungsgemäßen Durchführung des Einspruchsverfahrens zurückzuverweisen.

IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer stellten die Parteien folgende Anträge:

a) Beschwerdeführerin:

1) Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Verhandlung auf der Grundlage der erteilten Unterlagen, hilfsweise auf der Grundlage der mit der Beschwerde am 2. September 1995 eingegangenen Unterlagen;

2) Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

b) Beschwerdegegnerin:

Zurückweisung der Beschwerde.

V. Die wesentlichen Argumente der Parteien zur Stützung ihrer vorgenannten Anträge können wie folgt zusammengefaßt werden:

a) Beschwerdeführerin:

- die im Bescheid der Kammer dargelegte Auffassung zur Einstufung der (D2) werde geteilt, so daß die Neuheit des Gegenstandes gemäß erteiltem Anspruch 1 außer Zweifel stehe;

- das rechtliche Gehör sei vor der Einspruchsabteilung verletzt worden, diese habe keinen Zwischenbescheid erlassen und somit der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit zur Stellung weiterer Hilfsanträge eingeräumt. Vielmehr sei das Streitpatent widerrufen worden, nachdem die Parteien jeweils gerade einen Schriftsatz eingereicht hätten;

- dieser Verfahrensmangel sei ursächlich für die Notwendigkeit gewesen, eine Beschwerde einzulegen;

- bei dieser Sachlage rechtfertige sich der Antrag, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

b) Beschwerdegegnerin:

- es sei anzuerkennen, daß (D2) keine neuheitsschädliche Druckschrift sei;

- eine mündliche Verhandlung vor der Kammer sei notwendig gewesen, weil im Begehren der Beschwerdeführerin, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen und der erfolgten Behandlung in der ersten Instanz ein Widerspruch gesehen werde;

- sollte die Kammer beabsichtigen, in die sachliche Debatte einzutreten, werde hierzu das Einverständnis erklärt, wobei dies auch für eine Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz gelte;

- zum Antrag, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten, sei festzustellen, daß die Einspruchsabteilung die Tragweite der (D2) nicht erkannt habe, obwohl diese Druckschrift als Zwischenliteratur im Recherchenbericht ausgewiesen sei;

- das rechtliche Gehör für die Beschwerdeführerin sei gegeben gewesen, es sei nur nicht wahrgenommen worden;

- allein deshalb hätte ein Beschwerdeverfahren vermieden werden können.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zurückverweisung an die erste Instanz

2.1. Wie bereits im Bescheid der Kammer gemäß Artikel 110 (2) EPÜ ausgeführt, stellt die Entgegenhaltung (D2), die von der Einspruchsabteilung als nächstliegender Stand der Technik bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angesehen wurde, tatsächlich Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ dar, wenn die Priorität des Streitpatents zu Recht in Anspruch genommen worden ist. Damit ist der angefochtenen Entscheidung die Beurteilungsgrundlage entzogen, und das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit ist gegebenenfalls neu zu prüfen.

2.2. Dieser Beurteilung stimmten beide Parteien zu und erkannten ausdrücklich an, daß (D2) kein neuheitsschädlicher Stand der Technik für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei. Anerkannt wurde auch, daß (D2) (und (D14), eine nachveröffentlichte Druckschrift) bei der Beurteilung der Frage der erfinderischen Tätigkeit keine Rolle spielen.

2.3. Beide Parteien waren ferner damit einverstanden, die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen, damit dort eine ordnungsgemäße, die Verfahrensvorschriften berücksichtigende Prüfung des Einspruches vorgenommen werden könne. Es bestand somit keine Veranlassung, vor der Kammer in die sachliche Diskussion des weiteren Standes der Technik einzutreten.

3. Verfahrensmangel

3.1. Wie bereits im Bescheid gemäß Artikel 110 (2) EPÜ seitens der Kammer angesprochen wurde, besteht kein Rechtsanspruch auf einen Zwischenbescheid der Einspruchsabteilung vor Erlaß der abschließenden Entscheidung, und es ist Sache der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin für eine klare Antragslage zu sorgen.

3.1.2. Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgetragen, daß sie die Argumente der Beschwerdegegnerin/Einsprechenden nicht gekannt hätte und daß die Einspruchsabteilung ihr nicht bekannte Argumente in ihrer abschließenden Entscheidung verwendet hätte.

3.1.3. Bei diesen Gegebenheiten kann die Kammer keinen Verstoß gegen das Prinzip des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ feststellen.

3.1.4. Im Unterlassen eines Zwischenbescheides kann somit hier kein wesentlicher Verfahrensmangel erblickt werden.

3.2. Allerdings ist in anderer Hinsicht ein wesentlicher Verfahrensmangel zu rügen.

Die Einspruchsabteilung ist in ihrer angegriffenen Entscheidung nicht auf das Anmelde- und Offenlegungsdatum der (D2) - (und von (D14)) - eingegangen, so daß ungeklärt geblieben ist, warum im vorliegenden Fall die eindeutig nach dem Prioritätstag des Streitpatents, aber vor dessen Anmeldetag veröffentlichte europäische Patentanmeldung entgegen den Bestimmungen von Artikel 54 (2) und (3) EPÜ als Stand der Technik bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Kombination mit anderem Stand der Technik betrachtet worden ist. Dies ist durch die Bestimmung des Artikels 56 Satz 2 EPÜ ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Heranziehung von (D2) zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit hätte nur erfolgen können, wenn zuvor festgestellt worden wäre, daß dem Streitpatent die in Anspruch genommene Priorität nicht zustehe. Die Frage des Prioritätsrechts gemäß Artikel 89 EPÜ wird jedoch in der Entscheidung ebenfalls nicht behandelt.

Unabhängig von eventuellen Hinweisen der Parteien gehört es zu den Pflichten der Einspruchsabteilung, jede gegen das Streitpatent vorgebrachte Entgegenhaltung dahin zu überprüfen, ob und ggf. wie sie im Hinblick auf das Streitpatent zum Stand der Technik gehört, ob also eine Entgegenhaltung unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Neuheit oder der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen das Streitpatent geltend gemacht werden kann oder ob sie überhaupt nicht zum Stand der Technik gehört, weil sie, wie im Fall von (D14), nachveröffentlicht ist.

In diesem Fall ist das Versäumnis der Prüfung insofern schwerwiegend, als dadurch der Entscheidung die Entgegenhaltung (D2) als nächster Stand der Technik zugrunde gelegt wurde.

Die Einspruchsabteilung wird also zunächst zu prüfen haben, ob die Patentinhaberin zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt ist, um dann (D2) entsprechend zu würdigen (vgl. T 16/89, unveröffentlicht). Die Patentinhaberin wird dann zu entscheiden haben, ob sie das Patent in der erteilten oder einer geänderten Fassung verteidigen will. Der Umstand, daß sie mit der Beschwerdebegründung eine geänderte Fassung des Patents vorgelegt hat, hindert sie nicht daran, auf die erteilte Fassung zurückzugreifen.

4. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Gemäß Regel 67 Satz 1 EPÜ wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet, wenn ihr durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

Im vorliegenden Fall sind alle drei Voraussetzungen - Stattgabe der Beschwerde, die hier entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin in der Zurückverweisung besteht, wesentlicher Verfahrensmangel, wie oben ausgeführt, und Billigkeitsgründe - gegeben. Die Billigkeitsgründe bestehen darin, daß die mangelnde Prüfung zu der fehlerhaften Entscheidung führte, die ursächlich für die Beschwerde war.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.

3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.

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