T 0016/89 () of 24.1.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T001689.19900124
Datum der Entscheidung: 24 Januar 1990
Aktenzeichen: T 0016/89
Anmeldenummer: 82810091.7
IPC-Klasse: C14C 3/22
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Nachgerben von Leder mit Oligomeren auf Acrylbasis
Name des Anmelders: Ciba-Geigy
Name des Einsprechenden: Henkel KG
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 89
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: state of the art - priority
national application published within priority interv.
Article 89 EPC - failure to comply
substantial procedural violation
Stand der Technik - nat.Patentanm.veröff. im
Prioritätsinvervall - ungeklärte Prioritätsfrage
Nichtbeachtung von Art. 89 EPÜ - wesentlicher
Verfahrensmangel - Zurückverweisung an die Erstinst.
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0737/95
T 2170/08

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 82 810 091.7, die am 1. März 1982 eingereicht worden war, wurde am 30. Oktober 1985 das europäische Patent 0 061 420 auf der Grundlage von insgesamt acht Verfahrensansprüchen erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) Einspruch ein. Zur Begründung des Einspruchs wurden mehrere Dokumente genannt, insbesondere DE-A-3 005 699 (1).

III. Mit Entscheidung vom 21. November 1988 widerrief die Einspruchsabteilung das Patent auf der Grundlage der damals geltenden Anspruchsfassung, d. h. der am 28. Januar 1988 eingereichten Ansprüche 1 und 2 und der am 11. September 1987 eingereichten Ansprüche 3 bis 5.

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen diese Entscheidung unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr fristgerecht Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde innerhalb der vorgeschriebenen Frist nachgereicht und enthielt u. a. folgende Ausführungen:

Dokument (1), welches zum Widerruf des vorliegenden Patents geführt habe, sei erst am 20. August 1981 offengelegt worden und somit erst nach der ersten Priorität des europäischen Patents veröffentlicht worden, da dieses zwei (schweizerische) Prioritäten beanspruche, nämlich:

(a) No. 1528/81 vom 6. März 1981 und (b) No. 8201/81 vom 22. Dezember 1981.

Da demnach der Gegenstand des Streitpatents durch die Priorität vom 6. März 1981 gedeckt sei, gelte diese Entgegenhaltung (1) nicht als Stand der Technik. Bezüglich des Erfindungsgegenstandes müsse dieses Dokument daher außer Betracht bleiben.

Das erfindungswesentliche Merkmal, nach dem "das Oligomer unter Einsatz von Sulfiten oder Hydrogensulfiten hergestellt worden ist", sei schon in dem Prioritätsbeleg (a) vom 6. März 1981 angegeben worden, und zwar in dem die Seiten 5 und 6 verbindenden Absatz, wobei außerdem sämtliche Beispiele dieses Prioritätsdokuments die Verwendung von Natriumhydrogensulfit verdeutlichten. Dadurch bildeten sich aber zwangsläufig Oligomere mit niedrigem durchschnittlichem Molekulargewicht. Aus den dort gemachten Angaben sei übrigens erkennbar, daß die Molekulargewichte der erhaltenen Oligomere deutlich unter 14000 liegen. Außerdem habe auch die Einspruchsabteilung in ihrem Zwischenbescheid vom 16. Juli 1987 die Auffassung vertreten, "daß das Merkmal unter Einsatz von Sulfiten oder Hydrogensulfiten" für die Beurteilung der Ansprüche unerheblich sei, da dieses Merkmal nur die Erzielung des bereits im Anspruch 1 erwähnten niedrigen Molekulargewichts bewirkt (vgl. dazu Seite 2, Zeile 57 bis Seite 3, Zeile 14 des Patents)."

Durch die zweite Priorität vom 22. Dezember 1981 sei somit lediglich als formal abgrenzendes Merkmal eine Obergrenze des durchschnittlichen Molekulargewichts von 14000 eingefügt worden, was aber nichts daran ändere, daß bereits die in dem ersten Prioritätsbeleg offenbarte Erfindung den Einsatz dieser Oligomeren eindeutig offenbare.

V. Die Beschwerdegegnerin antwortete darauf, daß sie nicht beabsichtige, eine Stellungnahme zur Beschwerdebegründung der Patentinhaberin einzureichen.

VI. Die Beschwerdeführerin hat insgesamt sechs Anträge gestellt, wobei im ersten Antrag (Hauptantrag) beantragt wird, die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 21. November 1988 aufzuheben.

Seitens der Beschwerdegegnerin liegen keine Anträge vor (siehe Punkt V oben).

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Weder in der angefochtenen Entscheidung noch in dem von der Beschwerdeführerin erwähnten Zwischenbescheid ist die Einspruchsabteilung auf das Datum der Offenlegung der Entgegenhaltung (1) eingegangen, so daß erstinstanzlich ungeklärt geblieben ist, warum im vorliegenden Fall diese eindeutig nach dem ersten Prioritätsdatum veröffentlichte nationale Patentanmeldung entgegen den Bestimmungen von Art. 54 (2) bzw. (3) als Stand der Technik berücksichtigt wurde. Der Umstand, daß, wie die Kammer festgestellt hat, die Parteien im Einspruchsverfahren nicht erwähnt haben bzw. nicht darauf hingewiesen haben, daß Dokument (1) im Prioritätsintervall offengelegt wurde, kann die Einspruchsabteilung aufgrund der Wirkung des Prioritätsrechts nach Art. 89 EPÜ nicht von ihrer Pflicht entbinden, von Amts wegen zu prüfen, ob eine solche Entgegenhaltung überhaupt zum Stande der Technik gehört, weil es sich hierbei um eine Grundvoraussetzung, handelt, ob eine solche Offenbarung unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Neuheit bzw. der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen das Streitpatent geltend gemacht werden kann. Im vorliegenden Fall ist dieses Versäumnis der Einspruchsabteilung um so gravierender als der Widerruf des Patents einzig und allein auf mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber Dokument (1) basiert.

Da der Einsatz von Sulfiten bzw. Hydrogensulfiten bei der Oligomerherstellung sowohl in dem Prioritätsbeleg A (siehe Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, erster Absatz und Beispiele) als auch in dem Prioritätsbeleg B (siehe Seite 3, erster Absatz und Beispiele) erwähnt wird und eben dieser Zusatz als wesentliches Merkmal des Patentbegehrens erscheint (siehe Punkt IV oben, insbesondere vorletzter Absatz), kann ohne Klärung der Frage, ob dieses Merkmal prioritätsbegründend wirkt oder nicht, nicht einfach davon ausgegangen werden, Dokument (1) sei Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ. Solange nicht nachgewiesen ist, daß die Beschwerdeführerin und Patentinhaberin sich für den Gegenstand ihres Patents nicht auf die erste Priorität vom 06.03.1981 berufen kann, solange gelten nach Artikel 89 in Verbindung mit Artikel 54 (2) und (3) EPÜ Entgegenhaltungen, die erst nach diesem Tage der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, nicht als Stand der Technik. Die bisher nicht durchgeführte Prüfung, ob die Patentinhaberin berechtigt ist, die Priorität vom 06.03.1981 in Anspruch zu nehmen, wir die Einspruchsabteilung nachzuholen haben. Zu diesem Zwecke verweist die Kammer das Verfahren an die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 111 (1) EPÜ zurück.

Die Nichtbeachtung von Artikel 89 EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 (2) und (3) EPÜ, stellt nach Auffassung der Kammer einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der es nach Regel 67 EPÜ billig erscheinen läßt, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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