T 0684/95 () of 13.11.1996

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T068495.19961113
Datum der Entscheidung: 13 November 1996
Aktenzeichen: T 0684/95
Anmeldenummer: 86107913.5
IPC-Klasse: B01D 53/34
F23J 15/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Anlage zur weitgehenden Restentfernung von Schadstoffen aus Abgasen von Verbrennungsanlagen
Name des Anmelders: van Beckerath, Kurt, Dr. rer. nat., Dipl.-Chem.
Name des Einsprechenden: Waagner-Biro AG
Lindahl, Erik / Hovensius, Gunnar
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 100
European Patent Convention 1973 Art 102(3)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Ausreichende Offenbarung (bejaht)
Novelty (yes)
Inventive step (yes)
Disclosure - sufficiency (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
T 0023/86
T 0113/86
T 0016/87
T 0301/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0515/04

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 01) legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent EP-B-0 208 156 (Anmeldenummer 86. 107 913.5) in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde ein.

II. Der Einspruch der Beschwerdeführerin stützte sich auf Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und b) EPÜ, nämlich fehlende Neuheit (Artikel 52(1) und 54 EPÜ), fehlende erfinderische Tätigkeit (Artikel 52(1) und 56 EPÜ) und fehlende Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 83 EPÜ).

Der Einspruch der Verfahrensbeteiligten (Einsprechende 02) stützte sich auf einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 a), nämlich fehlende erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

III. Im Beschwerdeverfahren nannte die Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Vorbringens folgende bereits im Einspruchsschriftsatz erwähnten Druckschriften (Numerierung in der Reihenfolge, in der sie in der Beschwerdebegründung aufgeführt sind):

(1) DE-A-3 329 823

(2) US-A-3 315 443

(3) DE-A-3 320 466

(4) DE-C-0 864 862

(5) DE-A-3 303 475

Ferner verwies sie in der Beschwerdebegründung auf zwei weitere, als Kopien eingereichte Dokumente:

(6) einen Prospekt der Firma Ciba-Geigy, der 1982 gedruckt sei

und der Grundlage sei für

(7) ein Gutachten der Beschwerdeführerin, das bei einem Angebot vom 30. Mai 1984 an eine Firma verwendet worden sei.

IV. Dem Beschwerdeverfahren liegen zur Zeit die Unterlagen gemäß der angefochtenen Entscheidung zugrunde.

Die unabhängigen Ansprüche lauten:

"1. Verfahren zur weitgehenden Restentfernung von gasförmigen, aerosolartigen und/oder staubförmigen Schadstoffen aus Abgasen von Müll- und Sondermüllverbrennungsanlagen, wobei das aus der Verbrennungszone der Anlage abströmende und Schadstoffe enthaltende heiße Rauchgas entstaubt und das entstaubte Rauchgas in einer Rauchgasnachbehandlung gemäß dem Naßverfahren, Halbtrockenverfahren oder Trockenverfahren behandelt wird und sich ein Wasserdampf enthaltendes Restwaschgas ergibt, wobei das wasserdampfhaltige Restwaschgas mit einer Temperatur T in einem Kondensationsapparat aus Glas, Graphit, korrosionsbeständigem Metall, Keramik oder Kunststoff durch indirekte Kühlung mittels eines Kühlmediums soweit abgekühlt wird, daß die Temperatur auf einen Wert T-x unter Wahl einer Temperaturdifferenz derart herabgesetzt wird, daß mehr als 50% des im Gas enthaltenden Wasserdampfes im Kondensationsapparat auskondensiert, wobei sich zusammen mit dem kondensierten Wasserdampf Feinstäube und Aerosole, die als Kondensationskeime wirken, abscheiden und Schadgase an der Oberfläche der gebildeten Nebel (Wassertropfen) absorbiert und sonst mit dem Kondensat ausgeschieden werden, und wobei das abgeschiedene Kondensat abgezogen sowie chemisch-physikalisch nachbehandelt wird."

"24. Anlage zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 23, mit hintereinander geschalteter Verbrennungsanlage (1), hintereinander geschalteter Entstaubungseinrichtung (12) und hintereinander geschalteter Naßwäsche (3), gekennzeichnet durch einen Kondensationsapparat (13, 413, 613), der hinter die Naßwäsche (3, 503. 603) geschaltet ist mit einer Einrichtung zur indirekten Kühlung des Restwaschgases. mit einer Einrichtung zur Rückführung des Kondensats in die Naßwäsche und mit einer Einrichtung zur Messung der Konzentration einzelner Schadstoffkomponenten und einer Vorrichtung zum Nachbehandeln des Kondensats mit einer Eindampfanlage, in der neutralisiertes Kondensat eingeengt werden kann und die aus einem korrosionsbeständigen Material wie Kunststoff, Glas, Keramik und/oder Graphit besteht.

25. Anlage zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 19 bis 23, mit hintereinander geschalteter Verbrennungsanlage (1), Entstaubungseinrichtung (12) und hintereinander geschalteter Naßwäsche (3), gekennzeichnet durch einen Kondensationskühler (413), der hinter die Naßwäsche geschaltet ist, mit einer Einrichtung zur indirekten Kühlung des Restwaschgases und ein Elektrofilter (412), zu dem Kondensat gelangt, mit einer Einrichtung zur Rückführung des Kondensats in die Naßwäsche und mit einer Einrichtung zur Messung der Konzentration einzelner Schadstoffkomponenten."

V. Die Beschwerdeführerin beantragte sinngemäß, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen und beantragte ferner hilfsweise, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Die Verfahrensbeteiligten haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

VI. Zusammenfassung der Argumente der Beschwerdeführerin:

1. Die entscheidenden Verfahrensschritte, die nach dem Trockenverfahren ohne Wasserbehandlung und ohne Kühlung ein wasserdampfhaltiges Restwaschgas ergeben, das bei einer geringfügigen Abkühlung bereits 50% des im Gas enhaltenen Wassers als Kondensat abgibt, seien nicht offenbart.

2. Die Bedeutung der Begriffe "Naß-, Halbtrocken- oder Trockenverfahren", "Restwaschgas" im Anspruch 1 und - in den Ansprüchen 24 und 25 - "hintereinander geschaltet" ist unklar. Die genannten Verfahren können nach Meinung der Fachwelt vom Wäscher bis zur indirekten Kühlung alles sein, auch Quencher fallen darunter. Solange nicht auf Alkali bzw. Erdalkali hingewiesen wird, wird der Fachmann darunter einen Naßwäscher, eine Einsprühung oder ggf. einen Elektrofilter verstehen.

Die Beschreibung enthält in sich mehrere Widersprüche.

3. Druckschrift (2) nimmt sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 vorweg. Es mag sein, daß Unterschiede der Anlagen bestehen, aus denen die Abgase stammen, doch gibt es wesentliche Ähnlichkeiten der Rauchgas-Zusammensetzung.

4. Die Technologien in den verschiedenen Anwendungsgebieten der Entstaubungstechniken, z. B. gemäß den Druckschriften (2), (4) oder (5), sind auch auf Müllverbrennungsanlagen übertragbar. Es war üblich, Müllverbrennungsanlagen schon vor dem Prioritätstag des Streitpatents mit ähnlichen Schritten wie beim Steitpatent zu entstauben. Dies ergibt sich aus der Druckschrift (7). Wird die Anlage nach der Druckschrift (7) noch gemäß der Lehre nach der Druckschrift (1) oder (5) verbessert, die Kühlung der Anlage durch indirekte Kühlung zu verstärken, ist dies keine Erfindung.

Die Lehre nach der Druckschrift (1) unterscheidet sich vom Streitpatent nur in der Abkühlung und damit bewirkter Entfernung der gasförmigen Schadstoffe in mehreren Schritten. Die Zugabe von Wasser und/oder Luft vor der Kühlung ist als Naß- und/oder Trockenverfahren anzusehen.

Sowohl aus Druckschrift (1) als auch aus Druckschrift (4) ist die Auskondensation der Abgase durch indirekte Kondensation bekannt.

Druckschrift (3) offenbart ein Verfahren, bei dem die Abgase enstaubt, durch ein Naßverfahren gereinigt, und in einer Kondensationsanlage Wasser, HCl und/oder Schwermetalle in Dampfform abgeschieden werden.

Auch beim Verfahren nach der Druckschrift (5) wird das Rauchgas durch indirekte Kühlung des gesättigten Rauchgases betrieben, und es wird das Rauchgas vorher - durch die fallenden Kondensattropfen - einem Naßverfahren unterworfen.

VII. Zusammenfassung der Argumente des Beschwerdegegners:

1. Müllverbrennungsabgase haben in der Regel nicht unerhebliche Wasseranteile. Beim Trockenverfahren wird der Fachmann eine Rauchgasquenchung zur Abkühlung vorsehen.

Die Lehre des Streitpatents ist für den Fachmann realisierbar, da alle wesentlichen Merkmale ausreichend offenbart sind.

2. Hinter den Öfen von Müll- und Sondermüllverbrennungsanlagen dienen sowohl das Naß-, Halbtrocken- als auch das Trockenverfahren zur Entfernung der sauren Gaskomponenten durch Chemisorption an alkalische Substanzen.

Beim Quenchen wird die Gastemperatur durch Einspritzkühlung rasch herabgesetzt; Quenchen ist keine alkalische Behandlung zur Entfernung saurer Schadgase, da der pH-Wert des eingespritzten Wassers keine Rolle spielt. Dies ergibt sich auch aus gutachtlich genannten Literaturstellen.

Unter Restentfernung versteht man beim Streitpatent die weitestgehende Befreiung der nach der alkalischen Wäsche behandelten Gase von den restlichen Schadstoffen.

3. Die Dokumente (6) und (7) sind keine vorveröffentlichten Druckschriften.

Der übrige Stand der Technik offenbart nicht die erfindungsgemäße Kombination von alkalischer Wäsche und Kondensation.

4. Er legt sie auch nicht nahe, wenn man die technischen Begriffe entsprechend dem fachmännischen Wissen korrekt definiert, insbesondere die Begriffe Naß-, Halbtrocken- und Trockenverfahren.

Die Druckschrift (1) beschreibt die weitgehend restlose fraktionierte Entfernung der sauren Bestandteile, so daß eine Vorschaltung einer alkalischen Wäsche nicht naheliegend ist.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Umfang der Prüfung in diesem Beschwerdeverfahren

2.1. Das Einspruchsbeschwerdeverfahren ist keine Fortsetzung des Prüfungsverfahrens unter Beteiligung Dritter (vgl. die Entscheidung T 0023/86, ABl. 1987 ab S. 316), sondern es dient der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung im Rahmen der substantiiert vorgebrachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ (Artikel 52 bis 57, 83 und 123(2); vgl. auch die Entscheidung G 0010/91 ABl. 1993 ab S. 420).

Hierzu gehört z. B. nicht die Überprüfung und Beseitigung von Unklarheiten der Ansprüche und Beschreibung, die zur Entkräftung der o. g. Einspruchsgründe nicht erforderlich sind (vgl. die unveröffentlichte Entscheidung T 0113/86). Ist ein Anspruch unklar - und steht diese Unklarheit nicht im Zusammenhang mit Änderungen des erteilten Anspruchs, die dann durch geeignete Korrektur beseitigt werden müßte -, gilt die Bestimmung in Artikel 69(1) EPÜ, wonach die Beschreibung und ggf. die Zeichnungen zur Auslegung des Anspruchs herangezogen werden müssen, wenn es darum geht, den Sinngehalt eines Anspruchs objektiv festzustellen, um die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit seines Gegenstandes beurteilen zu können (vgl. die Entscheidung T 0016/87, ABl. 1992 ab S. 212).

Werden jedoch solche Änderungen - z. B. eine Einschränkung des Anspruchs 1, um dem Einwand fehlender Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit zu begegnen - vorgenommen, muß nach Artikel 102(3) EPÜ geprüft werden, ob es dadurch zu einem Verstoß gegen ein Erfordernis des EPÜ - einschließlich Artikel 84 - kommt. Artikel 102(3) läßt keine neuen Einwände zu, die nicht auf diese Änderungen zurückgehen (vgl. die Entscheidung T 0301/87, ABl. 1990 ab S. 335).

2.2. Im vorliegenden Fall ist demgemäß nur zu überprüfen, ob das Streitpatent neu und erfinderisch ist und die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt sind und ob durch die vorgenommenen Änderungen ein Verstoß gegen ein Erfordernis des EPÜ - einschließlich des Artikels 84 - vorliegt. Bei Unklarheiten in Ansprüchen, die nicht in Zusammenhang mit Änderungen der erteilten Unterlagen stehen, sind die übrigen Unterlagen zur Auslegung heranzuziehen.

3. Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)

Der Einwand der Beschwerdeführerin, daß die Erfindung in der Patentschrift nicht so deutlich offenbart sei, daß ein Fachmann sie ausführen könne, wird damit begründet, daß die entscheidenden Verfahrensschritte, die nach dem Trockenverfahren ohne Wasserbehandlung und ohne Kühlung ein wasserdampfhaltiges Restwaschgas ergeben, das bei einer geringfügigen Abkühlung bereits 50% des im Gas enthaltenen Wassers als Kondensat abgibt, nicht offenbart seien (vgl. VI.1.).

Müllverbrennungsabgase enthalten in der Regel bedeutende Wasseranteile. Sollten diese Abgase aber dennoch relativ wenig gasförmiges Wasser enthalten, ist bei der Variante mit dem Trockenverfahren der Wassergehalt durch Zuführen von gasförmigem Wasser zu erhöhen (vgl. den Anspruch 7, S. 6 vorletzter Abs. und S. 7 Abs. 6 und die entsprechenden Stellen in den ursprünglichen Unterlagen), wobei auch die Abgastemperatur abgesenkt wird, und/oder die Temperatur ist in der Kondensationsstufe stärker abzusenken; es ist nämlich für den Fachmann klar, daß er die Temperaturabsenkung aus dem angegebenen Bereich (z. B. im Anspruch 8: " ... mindestens 15% ... ") der Forderung des Ansspruch 1, mindestens 50% des gasförmigen Wassers auszukondensieren, anpassen muß. Unüberwindliche Schwierigkeiten, um das Verfahren gemäß der Variante mit dem Trockenverfahren des Anspruchs 1 zu verwirklichen, gibt es also für den Durchschnittsfachmann nicht.

Das Streitpatent genügt daher den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ.

4. Zulässigkeit der Änderungen

Die Kammer sieht keinen Anlaß, an der Beurteilung der Einspruchsabteilung zu zweifeln, daß durch die Änderungen der Ansprüche (Aufnahme von Merkmalen des erteilten Anspruchs 2 in den Anspruch 1 und Abfassen des Anspruchs 1 als einteiligen Anspruch; Streichung der sich auf die indirekte Kühlung beziehenden Variante im Anspruchssatz) und der Beschreibung (Anpassung an das geänderte Patentbegehren und Beseitigung von offensichtlichen Fehlern) die Artikel 123(2) und (3) EPÜ nicht verletzt werden. Da ein diesbezüglicher Einwand von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht erhoben wurde, werden die Gründe für diese Beurteilung der Kammer nicht im einzelnen angegeben.

5. Analyse von Anspruchsmerkmalen

Im bisherigen Einspruchs- und Beschwerdeverfahren spielt die Auslegung bzw. Klarheit der unabhängigen Ansprüche eine wichtige Rolle. Es soll daher vorab eine Analyse von wichtigen Merkmalen dieser Ansprüche erfolgen.

Durch die Wahl des bestimmten Artikels bei den Begriffen "Naßverfahren, Halbtrockenverfahren oder Trockenverfahren" im Anspruch 1 entsteht der Eindruck, daß es sich um ganz bestimmte Verfahren handelt, ohne daß jedoch im Anspruch näher definiert wird, was darunter genau zu verstehen sein soll. Außerdem ist zumindest der Begriff "Halbtrockenverfahren" an sich unklar. Die Meinung des Beschwerdegegners, daß der Fachmann unter diesen Begriffen speziell Verfahren zur Entfernung der sauren Gaskomponenten durch Chemisorption an alkalische Substanzen versteht, wird von der Kammer nicht geteilt. Die von ihm hierzu zitierten Literaturstellen ("Lit.1" und "Lit.2") sind nachveröffentlicht und können somit zur Beurteilung des fachmännischen Wissens am Prioritätstag nicht herangezogen werden. Zur Auslegung sind daher die übrigen Unterlagen heranzuziehen.

Aus S. 5 Z. 25 bis 22 und 46 und S. 13 Z. 13 bis 20 ergibt sich, daß unter "dem Naßverfahren" eine Wäsche mit alkalischer Lösung, unter "dem Halbtrockenverfahren" die Behandlung mit alkalischen Lösungen oder alkalischen Suspensionen in Sprühtrocknern und unter "dem Trockenverfahren" die Behandlung durch innigen Kontakt mit feinverteilten alkalischen Feststoffen zu verstehen ist. Hierbei sind alkalische Substanzen solche Substanzen, die in wäßriger Lösung einen pH-Wert größer als 7 aufweisen.

Allen drei Verfahrensalternativen des Anspruchs 1 gemeinsam ist somit eine Waschstufe, bei der saure Rauchgaskomponenten durch innigen Kontakt mit einer feinverteilten alkalischen Substanz abgeschieden werden; nachfolgend wird dieser Verfahrensschritt kurz "alkalische Wäsche" genannt.

Da die Ansprüche 24 und 25 auf den Anspruch 1 rückbezogen sind und der Begriff "Naßwäsche" offensichtlich dem Begriff "Naßverfahren" im Anspruch 1 entspricht, ist unter dem Ausdruck "Naßwäsche" eine für die Durchführung des oben definierten Naßverfahrens geeignete Einrichtung zu verstehen.

Der Ausdruck "Restwaschgas" ist dagegen nicht unklar. Aus dem Anspruch 1 ergibt sich, daß darunter das Rauchgas nach der alkalischen Wäsche zu verstehen ist, das teilweise gereinigt ist und noch Reste an Schadstoffen enthält.

Beim Ausdruck "hintereinander geschaltet" der Ansprüche 24 und 25 ergibt sich aus der Passage "Kondensationsapparat ... , der hinter die Naßwäsche ... geschaltet ist" in beiden Ansprüchen 24 und 25 und den den Bezugszeichen dieser Ansprüche entsprechenden Ausführungsbeispielen, daß darunter die - in Strömungsrichtung des zu behandelnden Gases gesehen - serielle Anordnung der vier Einrichtungen Verbrennungsanlage, Entstaubungseinrichtung, Naßwäsche und Kondensationsapparat bzw. Kondenstionskühler zu verstehen ist.

6. Stand der Technik und Neuheit

6.1. Beim Dokument (1) wird der Feuchtigkeitsgehalt der Rauchgase, die aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe stammen, auf einen festen Wert eingestellt, und zwar ohne Rauchgaswäsche. Durch kontrollierte fraktionierte Kondensation durch indirekte Kühlung auf bestimmte Temperaturen unter den Taupunkt der jeweiligen Substanzen werden Säuren und Schwermetalle getrennt abgeschieden. Evtl. ist am Ende eine zusätzliche "herkömmliche" SO2-Wäsche vorzunehmen, also offenbar eine alkalische Wäsche.

6.2. Druckschrift (2) beschreibt ein Verfahren zur Behandlung von Abgas aus einem Stahlofen. Die Abgase werden mit Wasser gequencht und gewaschen, wobei die Abgase stark abgekühlt werden. Danach gelangen sie in einen Venturiwäscher zur Abtrennung der leichteren Teilchen. Schließlich werden die Abgase im Kühlturm mittels Wassersprühdüsen gekühlt, um den Wasserdampfgehalt des gereinigten Gases zu reduzieren. Weder ist eine alkalische Wäsche vorgesehen noch eine indirekte Kühlung mittels Kühlmedium.

6.3. Das Verfahren nach Druckschrift (3) dient zur Reinigung von Müll-Rauchgas. Nach einer Abkühlung in einem Wärmetauscher (4) und der Entstaubung (5) - beides ohne Kondensation von Rauchgaskomponenten - folgt ein Kondensations/Waschprozeß (6), durch den Wasser bei gleichzeitiger Entfernung von HCl und Schwermetallen - insbesondere Hg - abgeschieden werden und der ansonsten nicht näher spezifiziert ist. Das Kondensat wird abgezogen und physikalisch-chemisch nachbehandelt (10 bis 20), und das vom Kondensat befreite Restwaschgas wird zur Entfernung von SO2 und NOx einer alkalischen Wäsche (7) unterzogen.

Der Inhalt der in der Beschreibungseinleitung zitierten Druckschrift FR-A-2 547 210 geht im Hinblick auf den Gegenstand des Streitpatents nicht über die Druckschrift (3) hinaus; beide gehen auf dieselbe Anmeldung zurück.

6.4. Das Verfahren nach Druckschrift (4) betrifft ein Verfahren zum Entfernen von Feinstaub aus Gas durch Sättigung mittels versprühtem Wasser. Mittels Entspannung in einem Venturirohr und Einsprühen von kaltem Wasser erfolgt die Abkühlung des Gases und eine Kondensation des Wassers mit den Staubpartikeln als Kondensationskeimen. Durch nachfolgendes Besprühen mit Wasser werden die auskondensierten Wassertröpfchen vergrößert und dann im Tröpfchenabscheider aus dem Gasstrom entfernt. Eine alkalische Wäsche und eine indirekte Kühlung in einem Kondensationsapparat mittels eines Kühlmediums sind nicht vorgesehen.

6.5. Das Dokument (5) bezieht sich auf ein Verfahren zur Rauchgasreinigung einer Verbrennungsanlage, insbesondere einer Heizungsanlage in einem Wohnhaus. Das Abgas wird zuerst mit Wasser gesättigt und dann mindestens einer Kondensationseinrichtung mit indirekter Kühlung (Kühlrohrsystem 15, 16) zugeführt, in der gleichzeitig alle Schadstoffe zusammen mit dem gebildeten Kondensat entfernt werden. Das mit Wasserdampf gesättigte Rauchgas wird entgegen der Richtung der fallenden Kondensattropfen geführt. Eine alkalische Wäsche des Rauchgases ist nicht erwähnt.

6.6. Der Prospekt (6) ist laut Aufdruck auf dem Deckblatt an den Lizenznehmer gerichtet. Solche Mitteilungen sind in aller Regel nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Gleiches gilt für das Gutachten (7), das für ein Angebot an eine Firma verwendet wurde. Es wurde im übrigen von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet, daß diese Druckschriften als der Öffentlichkeit zugängliche Druckschriften anzusehen sind. Die genannten Druckschriften sind daher kein Stand der Technik im Sinne des Artikel 52(1) EPÜ und somit auch nicht für die Beurteilung des Könnens des Durchschnittsfachmannes am Prioritätstag heranzuziehen.

6.7. Da keines der Dokumente (1) bis (5) ein Verfahren mit den Schritten: Entstaubung, alkalische Wäsche des entstaubten Gases und Kondensation des gewaschenen Gases mittels indirekter Kühlung durch ein Kühlmedium offenbart, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

7. Erfinderische Tätigkeit

7.1. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten kommende Stand der Technik in der Druckschrift (3) beschrieben ist. Dieser Druckschrift ist nämlich ein Verfahren mit allen wesentlichen Merkmalen des Anspruchs 1 zu entnehmen, jedoch mit den wesentlichen Unterschieden,

(a) daß nicht angegeben ist, die Kondensation durch indirekte Kühlung mittels eines Kühlmediums

(a1) in einem Kondensationsapparat aus korrosionsbeständigen Material durchzuführen

(a2) unter Kondensation von mindestens der Hälfte des Wasserdampfes, und

(b) daß die alkalische Wäsche (vgl. hierzu Punkt 4.1 Abs. 4) nach dem Kondensationsschritt durchgeführt wird.

Insbesondere die Merkmale (a2) und (b) bewirken, daß bei Rauchgasen aus Müll- und Sondermüllverbrennungsanlagen offenbar eine verbesserte Entfernung von Schwermetallen und organischen Schadstoffen erreichbar ist.

7.2. Dem Gegenstand des Anspruchs 1 liegt daher die Aufgabe zugrunde, das Verfahren gemäß der Druckschrift (3) so zu gestalten, daß bei Rauchgasen aus Müll- und Sondermüllverbrennungsanlagen die Gehalte an Schwermetallen und anderen Schadstoffen, insbesondere organischen Verbindungen, noch weitgehender eliminiert werden können.

7.3. In der Druckschrift (3) selbst findet sich keine Anregung für eine derart durchgreifende Änderung des Verfahrens, wie es die Vertauschung der Reihenfolge der Schritte Schadstoffentfernung durch Kondensation und alkalische Wäsche darstellt. Auch die Verfahren nach den übrigen vorveröffentlichten Druckschriften können hierfür keine Anregung geben, da sie entweder keine alkalische Wäsche vorsehen (Druckschriften (2), (4) und (5)) oder diese nach der Kondensationsstufe (Druckschrift (1)) erfolgt. Außerdem unterscheiden sich die zu reinigenden Abgase bei den Verfahren nach den Druckschriften (2) und (4) erheblich von denen nach der Druckschrift (3), sodaß der Fachmann sie nicht zur Lösung der Aufgabe heranziehen würde.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit auch das Ergebnis erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

8. Da die unabhängigen Vorrichtungsansprüche 24 und 25 die den wesentlichen Verfahrensschritten des Anspruchs 1 (Verbrennung, Entstaubung, alkalische (Naß-)Wäsche und Kondensation mittels indirekter Kühlung) entsprechenden Merkmale aufweisen, sind auch diese neu im Sinne des Artikels 54 und das Ergebnis erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 23 sind aufgrund ihrer Rückbeziehung auf den Anspruch 1 ebenfalls neu und erfinderisch.

9. Nach Ansicht der Kammer ist es durch die nach der Erteilung vorgenommenen Änderungen zu keinem Verstoß gegen die übrigen Erfordernisse des EPÜ, z. B. nach Artikel 84 oder Regel 29(1), gekommen. Insbesondere ist die einteilige Fassung des Anspruchs 1 nicht zu beanstanden (Erfordernis der Regel 29(1) EPÜ), da eine Abgrenzung des geänderten Anspruchs gegenüber dem nächsten Stand der Technik zu einem unübersichtlichen Anspruch führte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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