T 0558/95 () of 10.2.1997

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1997:T055895.19970210
Datum der Entscheidung: 10 Februar 1997
Aktenzeichen: T 0558/95
Anmeldenummer: 87109215.1
IPC-Klasse: B60N 2/28
B60R 22/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Sicherheits-Kindersitz
Name des Anmelders: Jacobi, Torsten
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 113
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 Art 117(1)
European Patent Convention 1973 R 60(2)
European Patent Convention 1973 R 68(2)
Schlagwörter: Neuheit, Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Offenkundige Vorbenutzung - unzureichende Beweisführung
Rechtliches Gehör (bejaht)
Fortsetzung des Verfahrens nach Zurücknahme des Einspruchs
Begründung der Entscheidung
Ermittlung von Amts wegen - Offenkundige Vorbenutzung
Orientierungssatz:

Eine eidesstattliche Erklärung ist ein Beweismittel im Sinne von Artikel 117 (1) EPÜ und unterliegt als solches der freien Beweiswürdigung (vgl. Punkt 2.3).

Angeführte Entscheidungen:
T 0129/88
T 0197/88
T 0482/89
T 0674/91
T 0575/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0002/21
T 0043/00
T 0481/00
T 0326/01
T 0493/06
T 2006/08
T 0966/17

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 26. Juni 1987 mit den Prioritäten vom 27. Juni 1986 und 22. November 1986 (DE 86 17129 U und DE 86 31340 U) angemeldete europäische Patentanmeldung Nr. 87 109 215.1 wurde das europäische Patent Nr. 0 251 242 erteilt, dessen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:

"Sicherheits-Kindersitz zur Aufstellung auf einem Fahrzeugsitz (Rückbank 2) mit integrierter Halterung des Kindersitzes (1) und des darin beförderten Kindes durch einen Dreipunkt-Automatik-Gurt (3) des Fahrzeuges mit - einer vorzugsweise aus einem formstabilen Kunststoffvollmaterial gefertigten Sitzschale (4), deren Rückenlehne (6) an beiden Seiten (8') mit in Vertikalrichtung verlaufenden, nach vorne abstehenden Seitenwänden (11, 11') versehen ist und - einer mit einer der beiden Seitenwände (11, 11') der Sitzschale (4) lösbar verbundenen Führungsvorrichtung (15) zur der Körpergröße des jeweils beförderten Kindes anpaßbaren Höhenfixierung des Schulterschräggurtes (14) des Dreipunkt-Automatik-Gurtes (3),

gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

Die Führungsvorrichtung (15) besteht aus einem den Schulterschräggurt (14) durch zug- und reibungsbedingten Haftschluß zusätzlich in Gurtlängsrichtung lösbar fixierenden Arretierblock (16), der einen oder mehrere Umlenkstege (17, 18) für den Gurt (14) aufweist."

II. Der von der Einsprechenden am 27. Mai 1991 eingelegte, auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ (Neuheit, erfinderische Tätigkeit) gestützte Einspruch, dessen Begründung sich unter anderem auf die Druckschriften

(D1) DE-A-2 923 125

(D2) AU-A-14430/76

und eine angebliche

(01) offenkundige Vorbenutzung des beanspruchten Gegenstandes auf der Messe "Automechanika" im September 1986 in Frankfurt/Main stützte, führte nach der Zurückweisung des Hauptantrages in der mündlichen Verhandlung vom 29. September 1993 zu der am 28. April 1995 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent mit geänderten Unterlagen (Hilfsantrag) aufrechterhalten wurde.

Die Einsprechende hat mit Schreiben vom 14. April 1994 den Einspruch gegen das Streitpatent zurückgenommen.

III. Gegen die Zwischenentscheidung hat der Beschwerdeführer (Patentinhaber) am 31. Mai 1995 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Die Beschwerdebegründung ist am 22. August 1995 eingegangen.

Der Beschwerdeführer beantragt die Aufrechterhaltung des Streitpatents mit den erteilten Unterlagen.

IV. In einem Bescheid der Beschwerdekammer vom 16. Dezember 1996 wurde mitgeteilt, daß der druckschriftliche Stand der Technik den Gegenstand des Streitpatents nicht nahezulegen vermöge und daß bei der Beweisführung zum Nachweis der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung (01) noch Lücken vorhanden seien, die ohne Mitwirkung der Einsprechenden nicht geschlossen werden könnten.

V. Der Beschwerdeführer führte in der Beschwerdebegründung u. a. folgendes aus:

Es habe nach der Zurückziehung des Einspruchs für die Einspruchsabteilung keine Veranlassung mehr bestanden, das Verfahren fortzusetzen, es sei denn, die vorliegenden Beweismittel hätten auch ohne zusätzliche Hilfe der Einsprechenden und ohne aufwendige weitere Ermittlungen eine Einschränkung oder einen Widerruf des Streitpatents gerechtfertigt. Solche Voraussetzungen hätten jedoch nicht vorgelegen.

Die Zurückweisung des im wesentlichen auf die erteilte Fassung des Streitpatents abgestellten Hauptantrags unter anderem aus Gründen von Artikel 84 EPÜ beruhe außerdem auf einem Verfahrensfehler, denn mangelnde Klarheit im Sinne von Artikel 84 EPÜ sei kein Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 EPÜ.

Hinsichtlich der zum Beweis der offenkundigen Vorbenutzung vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen sei zu bemerken, daß zwischen diesen und den ihnen beigefügten Fotografien kein Zusammenhang erkennbar sei. Insbesondere sei die Funktion des angeblich vorbenutzten Klettbandteils mit der S-Platte im Sinne der Wirkung des Streitpatents nicht nachgewiesen. Die Vorbenutzungshandlung sei somit zumindest im behaupteten Umfang für einen Dritten nicht erkennbar gewesen. Die Beweisführung der Einsprechenden zur angeblichen offenkundigen Vorbenutzung sei nicht schlüssig, was auch aus der (in der Beschwerdebegründung vorgenommenen) Gegenüberstellung der Entwicklungen beim Erfinder und der Einsprechenden sowie deren geschäftlichen Verflechtungen abzuleiten sei. In diesem Zusammenhang werde u. a. auch noch auf die von der Einsprechenden stammende DE-U-8 629 405 hingewiesen, die einen vergeblichen Versuch der Einsprechenden in Richtung einer Problemlösung darstelle. Im übrigen werde in Zusammenhang mit der Beweiserhebung die Vernehmung mehrerer namentlich genannter Zeugen beantragt. Die Relevanz der offenkundigen Vorbenutzung sei im übrigen, für den Beschwerdeführer überraschend, erstmals in der mündlichen Verhandlung von der Einspruchsabteilung festgestellt worden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Prozessuale Fragen

2.1. Fortsetzung des Verfahrens von Amts wegen (Regel 60 (2) EPÜ) nach der Zurücknahme des Einspruchs

In der mündlichen Verhandlung vom 29. September 1993 (siehe Punkt 11 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) wurde den Verfahrensbeteiligten nach der Beratung der Einspruchsabteilung vom Vorsitzenden mitgeteilt, daß der Hauptantrag des Patentinhabers zurückgewiesen werde. Am 16. April 1994 hat die Einsprechende dann den Einspruch zurückgezogen. Die Einspruchsabteilung hat hierauf die angefochtene Zwischenentscheidung erlassen, in der die Begründung für die Zurückweisung des Hauptantrags aufgrund der aus Sicht der Einspruchsabteilung vorhandenen Relevanz der offenkundigen Vorbenutzung erfolgte und dem Hilfsantrag stattgegeben wurde.

Die Zurückweisung des Hauptantrags erfolgte also schon in der mündlichen Verhandlung und somit vor der Zurücknahme des Einspruchs. Sie ist eine hinsichtlich dieses Antrags abschließende Entscheidung, die von der ersten Instanz, auch nach Zurücknahme des Einspruchs, nicht mehr überprüft werden konnte. Die Fortsetzung des Verfahrens von Amts wegen gemäß Regel 60 (2) Satz 2 EPÜ betraf somit nur noch den in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend beschiedenen Hilfsantrag.

2.2. Zulässigkeit der Zurückweisungsgründe für den Hauptantrag

Die in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegte, geänderte Fassung des Anspruchs 1, die dem damaligen Hauptantrag zugrundelag, weicht im Wortlaut deutlich von der des erteilten Anspruchs 1 ab, obwohl sie sich nach Auffassung der Beschwerdekammer hinsichtlich ihres technischen Inhalts nicht vom erteilten Anspruch 1 unterscheidet, so daß im Hinblick auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 EPÜ an sich kein Anlaß zu einer derartigen Änderung des erteilten Anspruchs 1 bestanden hat.

Da der Anspruch 1 nach dem damaligen Hauptantrag jedoch aufgrund seines vom erteilten Anspruch abweichenden Wortlauts in einer "geänderten Fassung" vorlag, war er auch im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ zu überprüfen (Artikel 102 (3) EPÜ). Die zum Hauptantrag in der angefochtenen Entscheidung vorgetragene Beanstandung gemäß Artikel 84 EPÜ war somit in diesem Sinne nicht verfahrensfehlerhaft. Die Zurückweisung stützte sich im übrigen in erster Linie auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ (erfinderische Tätigkeit), was schon für sich allein als Begründung für die Zurückweisung des Hauptantrags ausgereicht hätte.

Die angefochtene Entscheidung ist somit entgegen der Meinung des Beschwerdeführers diesbezüglich nicht mit einem Verfahrensfehler behaftet.

2.3. Begründung der angefochtenen Entscheidung (Regel 68 (2) EPÜ)

In der angefochtenen Entscheidung ist die Einspruchsabteilung zur Auffassung gelangt, daß die offenkundige Vorbenutzung in dem von der Einsprechenden behaupteten Umfang nachgewiesen sei und es keines erfinderischen Zutuns bedurft hätte, um davon ausgehend zur Lehre nach dem Anspruch 1 (Hauptantrag) zu gelangen. Diese im wesentlichen auf die eidesstattlichen Erklärungen gestützte Begründung für die Anerkennung der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung und die sich daraus ergebende Zurückweisung des Hauptantrags sind formal nicht zu beanstanden, denn eidesstattliche Erklärungen werden in allen Instanzen des Europäischen Patentamts als Beweismittel anerkannt und unterliegen als solche dem Prinzip der freien Beweiswürdigung (vgl. T 482/89, ABl. EPA 1992, 646, Pkt. 2.1; T 575/94 vom 11. Juli 1996, Pkt. 3.7, nicht veröffentlicht). Sie treten an die Stelle des in Artikel 117 EPÜ genannten, im deutschen Rechtssystem nicht existenten Beweismittels, "Abgabe einer schriftlichen Erklärung unter Eid" (sworn statements in writing), vgl. auch "Singer: The European Patent Convention", Revised English (1995) Edition by R. Lunzer, London 1995, S. 477, Fußnote 2 und Seiten 633, 634, Ziffern 117.11 und 117.12.

Die Tatsache, daß die von der Einsprechenden vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen mit teilweise übereinstimmendem Wortlaut abgefaßt und ihre Verfasser Angestellte bei der Einsprechenden waren, schließt sie als zulässiges Beweismittel nicht notwendig aus (vgl. T 674/91 vom 30. November 1994, Punkt 3.1, nicht veröffentlicht und T 482/89 supra, Punkt 2.2), und es lag im Ermessen der Einspruchsabteilung zu beurteilen, ob die vorliegenden Beweismittel ausreichend sind oder ob weitere Beweise einzuholen sind und ggf. eine Zeugenvernehmung vorzunehmen ist.

2.4. Beachtung des rechtlichen Gehörs (Artikel 113 EPÜ)

2.4.1. Nach Ansicht des Beschwerdeführers habe auch die Einspruchsabteilung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung nicht als relevant betrachtet. Die ausführliche Behandlung der offenkundigen Vorbenutzung in der mündlichen Verhandlung sei folglich für den Patentinhaber "überraschend" gewesen. Außerdem sei es nicht nachvollziehbar, wieso der von ihm angebotene Zeugen- beweis von der Einspruchsabteilung nicht beachtet worden sei.

2.4.2. Es erhebt sich somit in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Artikel 113 (1) EPÜ) gegenüber dem Beschwerdeführer verletzt wurde.

Die Einspruchsabteilung hat zwar in ihren beiden schriftlichen Äußerungen vor der mündlichen Verhandlung (Bescheid vom 8. Dezember 1992 und Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung) den in der offenkundigen Vorbenutzung beschriebenen Gegenstand "nach vorläufiger Ansicht der Einspruchsabteilung" im Sinne von Artikel 100 a) EPÜ nicht als dem Streitpatent entgegenstehend angesehen. Solche vorläufigen Ausführungen sind jedoch nicht für das weitere Verfahren verbindlich. Insbesondere im Hinblick darauf, daß die Einsprechende ihre Argumentation gegen diese Ausführungen der Einspruchsabteilung weiterhin vertiefte (vgl. die Eingabe der Einsprechenden vom 6. April 1993) durfte eine andere Beurteilung durch die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Der Beschwerdeführer war unter diesen Umständen nicht daran gehindert, seine weiteren Beweismittel und insbesondere sein Zeugenangebot so rechtzeitig vorzulegen, daß deren Berücksichtigung in der mündlichen Verhandlung und vor der Entscheidung zum Hauptantrag noch möglich gewesen wäre. Ein Antrag auf Zeugenvernehmung lag jedoch von seiten des Beschwerdeführers selbst zu diesem Zeitpunkt, nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls zu schließen, noch nicht vor.

Die Handlungsweise der Einspruchsabteilung beruht somit nicht auf einer Verletzung von Artikel 113 (1) EPÜ.

3. Stand der Technik

3.1. Kriterien der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung

3.1.1. Zeitpunkt bzw. Zeitraum

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents wird, wie in der angefochtenen Entscheidung schon festgestellt wurde, im wesentlichen nur durch die zweite Priorität vom 22. November 1986 (DE 86 31340 U) gestützt, so daß der Zeitraum für die Vorbenutzung, nämlich im September 1986 auf der Ausstellung "Automechanika" in Frankfurt, eindeutig vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents liegt.

3.1.2. Feststellung des Gegenstands der Vorbenutzung (im Vergleich mit dem des Streitpatents)

Aufgrund der Ausführungen in der Beschwerdebegründung (insbesondere unter dem Abschnitt "Die Entwicklung beim Erfinder und der Einsprechenden") in Verbindung mit der Einspruchserwiderung vom 14. August 1992 (Seite 3, 3. bis 5. Absatz) sind der Beweiswürdigung im Hinblick auf die "Eidesstattlichen Erklärungen" die folgenden neuen Gesichtspunkte zugrunde zu legen.

In allen eidesstattlichen Erklärungen beschränken sich die Ausführungen hinsichtlich der Funktion der S-förmigen Platte darauf,

daß diese Platte bei Dreipunktsicherheitsgurten mit Aufrollautomatik "zur Anwendung kommen" sollte, "wenn Kinder der Altersgruppe I in den Sitz aufgenommen sind, um den Sicherheitsgurt des Kraftfahrzeugs von einem Automatikgurt in einen Statikgurt umzuwandeln".

Aufgrund der weiteren Angabe in allen eidesstattlichen Erklärungen,

"daß an der Vorderseite der Sitzlehne (des Kindersitzes) ... mittels eines weiteren Klettbandteiles eine S-förmige Platte gehaltert war"

konnte zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen werden, daß eine Längsfixierung des Schulterschräggurtes nur durch Einfädeln dieses Gurtteiles in die an der Kindersitz-Seitenwand durch Klettbandhalterung befestigte S-förmige Platte möglich sei.

Die vom Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung erstmals genannte DE-U-8 629 405, die am 4. November 1996, also ca. eineinhalb Monate nach der Messe "Automechanika" von der Einsprechenden angemeldet wurde, offenbart jedoch eine von der Lehre des Streitpatents verschiedene Anwendung der S-förmigen Platte, nämlich deren Verwendung als ein auf einen Automatikgurt im Bereich eines Umlenkbeschlages (für den Gurt) aufsteckbares Element zur Längsfixierung des Gurtes, um diesen von einem Automatikgurt in einen Statikgurt umzuwandeln.

Der Inhalt der eidesstattlichen Erklärungen deckt diese in der DE-U-8 629 405 beschriebene Anwendungsmöglichkeit der Platte völlig ab, wenn diese bei der Halterung eines Kindersitzes im Sinne des Standes der Technik (z. B. nach der DE-A-2 923 125 = D1) eingesetzt wird.

Bei einer solchen Anwendung wird nämlich das Abziehen des Automatikgurts aus der Abzugsrolle verhindert und der Automatikgurt in einen Statikgurt umgewandelt, wie dies die eidesstattlichen Erklärungen angeben. Beim Streitpatent findet dagegen nur eine Längsfixierung des Gurtes an der Kindersitzseitenwand, also lediglich im Bereich des Kindersitzes statt, während sich der Gurt zwischen dem Kindersitz und der Gurtrolle weiterhin ausziehen läßt und insoweit als Automatikgurt weiterwirkt.

Die eidesstattlichen Erklärungen sind folglich insoweit unvollständig, als sie nichts über die Art und Weise der Anwendung der S-förmigen Platte aussagen, abgesehen von dem Hinweis auf die Umwandlung eines Automatikgurts in einen Statikgurt, was aber genau genommen im Widerspruch zu der Funktion gemäß Streitpatent steht. Im übrigen stellt sich für die Kammer die Frage, ob die in den eidesstattlichen Erklärungen übereinstimmend erwähnte "Halterung" der S-förmigen Platte an der Sitzlehne mittels eines weiteren Klettbandteils nicht auch aufgrund technischer bzw. funktioneller Überlegungen dem Gedanken einer dauerhaften Befestigung an dieser Stelle widerspricht, da eine solche Halterung mittels Klettband auch von einem Kind jederzeit lösbar erscheint.

Diese maßgeblichen offenen Fragen in der Beweisführung könnten nur unter Mitwirkung der Einsprechenden geklärt werden. Die Verpflichtung des Europäischen Patentamts, den Sachverhalt von Amts wegen gemäß Artikel 114 (1) EPÜ zu ermitteln, erstreckt sich jedoch nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T 129/88, ABl. 1993, 598 und T 197/88, ABl. 1989, 412) nicht auf weitere Beweiserhebungen zur Prüfung einer behaupteten offenkundigen Vorbenutzung, wenn die Partei, die diese Behauptung aufgestellt hat, aus dem Verfahren ausgeschieden ist und die maßgeblichen Tatsachen ohne ihre Mitwirkung schwer zu ermitteln sind.

In diesem Sinne vermögen die sich im Verfahren befindlichen Beweismittel der Einsprechenden die Beschwerdekammer nicht mit hinreichender Sicherheit davon zu überzeugen, daß der angeblich vorbenutzte Gegenstand einen Sicherheits-Kindersitz der beanspruchten Art darstellte.

3.1.3. Da der Gegenstand der behaupteten Vorbenutzung bei der derzeitigen Beweislage nicht eindeutig zu definieren ist, kann er die Neuheit bzw. die erfinderische Tätigkeit der Lehre nach dem Anspruch 1 nicht in Frage stellen, so daß es sich erübrigt, die Frage der Zugänglichkeit der Vorbenutzung für die Öffentlichkeit (Offenkundigkeit) zu prüfen.

3.2. Druckschriftlicher Stand der Technik, Neuheit, erfinderische Tätigkeit

Der Anspruch 1 des Streitpatents geht im Oberbegriff von dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents gewürdigten Stand der Technik nach der Druckschrift D1 aus. Bei dem hieraus bekannten Kindersitz ist an der einen Seitenwand des Sitzes eine Führungsvorrichtung (20, 52) für den Schräggurt vorgesehen, mit der sich eine unterschiedliche Höhenfixierung des Gurtes bewerkstelligen läßt. Die Führungsvorrichtung besteht dabei aus einem auf dem Stirnrand der einen Seitenwand befestigten Streifen, der in gleichen Abständen Druckknöpfe trägt, auf die ein kurzes Streifenteil (24) (Fig. 4, 7) aufgeknipst werden kann. Somit entstehen zwischen jeweils zwei Druckknöpfen, dem auf der Stirnwand befestigten Unterstreifen (20, 52) und dem aufgeknüpften Streifenteil (24) Ösen, durch welche der Schulterschräggurt hindurchgeführt und in seiner Höhe festgelegt wird. Bei Verwendung von Automatikgurten für die Halterung des Kindersitzes vermag das Kind den nur in bezug auf seine Höhenlage am Kindersitz fixierten Gurt in Längsrichtung zu verschieben, so daß im Hinblick auf den gewünschten Unfallschutz nicht die nötige Sicherheit besteht.

In der Druckschrift D2 ist ein Dreipunkt-Statikgurt dargestellt und beschrieben, bei dem neben der üblichen Längeneinstellung (Einsteller 9) zur Fixierung der Länge des Beckengurtteiles und des Schultergurtteiles noch Arretierungsblöcke (3) bzw. (21) vorgesehen sind, die sowohl zur Höhenfixierung als auch zur Längsfixierung des Gurtes dienen. Durch die Arretierungsblöcke (3) ist es möglich, den Verlauf des Schräggurtteiles auch auf die Größenverhältnisse von Kindern einzustellen. Ein Hinweis zur Verwendung des Gurtes zur Befestigung von Kindersicherheitssitzen ist nicht vorhanden.

Im Gegensatz zum Streitpatent, bei dem der an der Seitenwand des Kindersitzes befestigte Arretierblock (16) den Gurt in Höhenrichtung und Längsrichtung arretiert, ist bei der D2 der Arretierungsblock (3) an dem flexiblen Gurt selbst angebracht. Für den Fall, daß der aus der D2 bekannte Gurt zur Halterung eines Kindersitzes benutzt werden sollte, vermittelt die D2 keinen Hinweis, die Arretierblöcke nicht wie gezeigt am flexiblen Gurt, sondern an der Seitenwand des Kindersitzes zu befestigen.

Die im Einspruchsverfahren geäußerte Auffassung, es sei naheliegend, die veränderliche Höhenführung (Höhenfixierung) des Gurtes an der Seitenwand des Kindersitzes dahingehend abzuwandeln, daß der am Gurt befestigte Arretierungsblock (3) nunmehr an der Kindersitz-Seitenwand (höhenveränderlich) befestigt ist, um dort die Längssperre für den Gurt zu verwirklichen, beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise in Kenntnis der im Streitpatent beanspruchten Lösung. Auch die vom Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung erstmals genannte DE-U-86 29 405 zeigt, daß die in Rede stehenden Arretierungsblöcke selbst im Anmeldungszeitraum des Streitpatents in einer Art und Weise zur Längsfixierung von Automatikgurten vorgeschlagen wurden, wie dies schon vorher bei der D2 prinzipiell der Fall war. Bei der DE-U-86 29 405 ist nämlich der S-förmige Arretierungsblock (1, 2) (Fig. 1 und 2) mittels einer Klettbandlasche am flexiblen Gurt und nicht an einem Teil der Karrosserie bzw. eines Kindersitzes befestigt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit diesem Stand der Technik gegenüber neu und wird durch ihn nicht nahegelegt.

3.3. Der weitere im Einspruchsverfahren genannte druckschriftliche Stand der Technik geht zumindest nicht über die vorstehend erörterten Entgegenhaltungen hinaus.

4. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß sich die Vorrichtung nach dem Anspruch 1 des Streitpatents nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, so daß sie als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen ist (Artikel 56 EPÜ).

Das Patent hat somit auf der Basis des erteilten Anspruchs 1 und der erteilten abhängigen Ansprüche 2 bis 24, die vorteilhafte Weiterbildungen des Gegenstands des Anspruchs 1 beinhalten, Bestand.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in der erteilten Fassung aufrechterhalten.

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