T 0231/95 () of 4.6.1996

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T023195.19960604
Datum der Entscheidung: 04 Juni 1996
Aktenzeichen: T 0231/95
Anmeldenummer: 87116018.0
IPC-Klasse: B60R 16/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Elektronisches System für Kraftfahrzeuge
Name des Anmelders: Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: I) ADAM OPEL AG
II) Robert Bosch GmbH
III) WABCO GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 111
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Spät eingereichte Ansprüche (nicht berücksichtigt)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0095/83
T 0153/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1153/97
T 0710/99
T 1040/02
T 1194/02
T 0107/05

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 87 116 018.0, die am 31. Oktober 1987 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Anmeldung DE-3 637 261 vom 3. November 1986 angemeldet worden ist, wurde mit Wirkung vom 2. Juni 1993 das europäische Patent Nr. 0 266 704 erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent haben die Beschwerdeführerinnen I bis III (Einsprechenden O1 bis O3) Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit bzw. mangelnder erfinderischer Tätigkeit seines Gegenstandes beantragt.

Zur Stützung ihres Vorbringens haben sie auf folgende Dokumente verwiesen:

D1: DE-A-3 410 082

D2: DE-A-3 018 275

D3: DE-A-2 732 471

D4: VDI-Berichte 612, Oktober 1986, S. 387 - 401

D5: VDI-Berichte 612, Oktober 1986, S. 347 - 351

D6: VDI-Berichte 515, 1984, S. 219 - 225

D7: ISO-Draft International Standard ISO/TC22, 1987, "Road Vehicles-Diagnostic systems-Requirements for interchange of digital information", Seiten 1 bis 12.

III. Mit Entscheidung, verkündet in der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 1995, in schriftlich begründeter Form zur Post gegeben am 13. Februar 1995, hat die Einspruchsabteilung im Hinblick auf Artikel 102 (2) EPÜ festgestellt, daß der Aufrechterhaltung des angefochtenen Patents in der erteilten Fassung die Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ nicht entgegenstünden.

IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen I bis III am 11. April 1995, bzw. 15. April 1995 bzw. 8. März 1995, jeweils unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr, Beschwerde eingelegt.

Die Beschwerdebegründungen wurden am 29. April 1995 bzw. 16. Juni 1995 bzw. 23. Mai 1995 eingereicht.

V. In einer Mitteilung der Kammer vom 9. Januar 1996 zur Vorbereitung einer von beiden Seiten hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung wurde bemerkt, daß ein von der Beschwerdeführerin II in ihrer Beschwerdebegründung erhobener Einwand nach Artikel 100 b) EPÜ einen erstmals im Beschwerdeverfahren genannten weiteren Einspruchsgrund betreffe und gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 10/91 (ABl. EPA 1993, S. 420) nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden könne.

Es wurde ferner darauf hingewiesen, daß der Interpretation der Einspruchsabteilung in bezug auf die Druckschrift D1, wonach es sich bei der Bezeichnung "mehrere Geräte" auf Seite 6, Zeile 7 um über einen seriellen Bus angeschlossene Peripheriegeräte handele, nicht gefolgt werden könne. Obwohl die D1, ebenso wie das Streitpatent im wesentlichen ein einziges Steuergerät für Kraftfahrzeuge beschreibe, das mit einem Mikrocomputer und einem programmierbaren Speicher ausgestattet sei und dessen Speicher über eine serielle Schnittstelle von einem Programmiergerät programmiert werden könne, dürfte die D1 an dieser Stelle auch die Alternative ansprechen, bei der mehrere Steuergeräte an den seriellen Bus angeschlossen seien, wobei die Speicher über den Bus mittels Signale für Geräteadressen mit zu programmierenden Daten beschrieben werden. Ein solches System scheine im wesentlichen dem System nach Anspruch 1 des angefochtenen Patents zu entsprechen.

VI. Es wurde am 4. Juni 1996 in Anwesenheit aller Beteiligten mündlich verhandelt.

Der Vorsitzende wies zu Beginn der Verhandlung darauf hin, daß die Beschwerdegegnerin mit Eingabe vom 18. April 1996 ausdrücklich das Einverständnis zur Prüfung des erstmals im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwands nach Artikel 100 b) EPÜ verweigert hat und daher dieser Einwand im Einklang mit der Entscheidung G 10/91 (supra) im Beschwerdeverfahren nicht mehr diskutierbar sei.

Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen, hilfsweise das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage des mit Schreiben vom 18. April 1996 eingereichten Anspruchs 1 (Hilfsantrag 1) oder auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruchs (Hilfsantrag 2) aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdeführerin I reichte ferner in der mündlichen Verhandlung zwei Hilfsanträge ein, die Rechtsfragen betreffen, welche der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden sollten, falls die Beschwerdekammer nicht im Sinne des Hauptantrags (Widerruf des Patents) entscheiden sollte.

Die Beschwerdeführerin I hat insbesondere die Erklärung der Einspruchsabteilung in ihrer Schlußfolgerung in der angefochtene Entscheidung gerügt, nach der das angegriffene europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genügen, da das erteilte Patent offensichtlich nicht den Erfordernissen des Artikels 84 und der Regeln 27 (1) b) und 29 (1) EPÜ entspreche.

Ferner wurde von der Beschwerdeführerin I hilfsweise beantragt, die Sache zur weiteren Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, falls die Kammer die Hilfsanträge 1 und 2 der Beschwerdegegnerin nicht zurückweisen sollte.

VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag der Beschwerdegegnerin lautet:

"1. Elektronisches System für Kraftfahrzeuge mit mehreren elektronischen Steuergeräten für verschiedene Aggregate, dadurch gekennzeichnet, daß die Steuergeräte (1) miteinander über eine serielle Schnittstelle verbunden sind, daß die Steuergeräte (1) individuelle Speicher (3) für fahrzeugspezifisch-variable Daten (Parameter, Kennlinien, Kennfelder und/oder Programmschritte) zur Sicherstellung der bestimmungsgemäßen Arbeitsweise der Steuergeräte aufweisen und daß die Speicher vor der ersten Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs während eines gemeinsamen Behandlungsvorgangs mit den individuellen fahrzeugspezifischen Daten beschrieben werden."

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautet:

"1. Elektronisches System für Kraftfahrzeuge mit mehreren elektronischen Steuergeräten für verschiedene Aggregate, dadurch gekennzeichnet, daß die einem jeweiligen Aggregat zugefügten Steuergeräte (1) miteinander über eine serielle Schnittstelle verbunden sind, daß die Steuergeräte (1) individuelle Speicher (3) für fahrzeugspezifisch-variable Daten (Parameter, Kennlinien, Kennfelder und/oder Programmschritte) zur Sicherstellung der bestimmungsgemäßen Arbeitsweise der Steuergeräte aufweisen und daß die Speicher vor der ersten Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs während eines gemeinsamen Behandlungsvorgangs mit den individuellen fahrzeugspezifischen Daten beschrieben werden."

Der Anspruch des Hilfsantrags 2 lautet:

"Elektronisches System für Kraftfahrzeuge mit mehreren elektronischen Steuergeräten für verschiedene Aggregate, dadurch gekennzeichnet, daß die Steuergeräte (1) miteinander über eine serielle Schnittstelle verbunden sind, daß die Steuergeräte (1) individuelle Speicher (3) für fahrzeugspezifisch-variable Daten (Parameter, Kennlinien, Kennfelder und/oder Programmschritte) zur Sicherstellung der bestimmungsgemäßen Arbeitsweise der Steuergeräte aufweisen und daß die Speicher vor der ersten Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs während eines gemeinsamen Behandlungsvorgangs mit den individuellen fahrzeugspezifischen Daten beschrieben werden, wobei die Eingabe der Daten über Diagnoseleitungen (6, 7) der Steuergeräte erfolgt."

VIII. Die Ausführungen der Beschwerdeführerinnen zur Stützung ihrer Anträge lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Beschwerdeführerin I:

In der D1 sei ein Steuergerät für Kraftfahrzeuge offenbart, das identisch mit demjenigen im Ausführungsbeispiel des angefochtenen Patents sei. Die D1 enthalte nämlich auch einen Hinweis dahingehend, daß mehrere Geräte an einen seriellen Bus anschließbar seien und dann gemeinsam programmiert werden. Folglich ergebe sich die Möglichkeit des gemeinsamen Beschreibens der Speicher zwangsweise durch die Verbindung der Steuergeräte untereinander.

Ein unterscheidendes Merkmal zwischen dem Streitpatent und dem Inhalt der D1 solle nach Auffassung der Einspruchsabteilung darin bestehen, daß die Speicher der Steuergeräte nach dem Streitpatent gemeinsam vor der ersten Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs mit Daten beschrieben werden. Dieses Verfahrensmerkmal benenne jedoch ausschließlich die Möglichkeit einer solchen Programmierung und könne kein zusätzliches unterscheidungskräftiges technisches Merkmal darstellen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei demgegenüber nicht mehr neu.

In der D6 werde ein elektronisches System nach dem erteilten Patentanspruch des Streitpatents beschrieben, wobei die Steuergeräte beim Kfz-Hersteller frei programmierbar seien, damit die Typenvielfalt der Steuergeräte verringert werden könne. Da die Steuergeräte des in D6 offenbarten Verbundsystems programmierbar seien, müßten auch Speicher vorhanden sein, in denen die Programme gespeichert werden können. Damit seien alle Voraussetzungen für die beanspruchte Programmierung in einem Behandlungsgang gegeben.

Auch aus der D6 gehe also die Gesamtheit der technischen Merkmale des elektronischen Systems nach dem Streitpatent hervor.

Sollte die Neuheit anerkannt werden, so sei jedenfalls im Hinblick auf die D1 und die D6 keine erfinderische Tätigkeit nötig, um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen.

Dasselbe gelte für den Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag, da dieser Anspruch sich nur durch eine Klarstellung des Gegenstands vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag unterscheide.

Beschwerdeführerin II:

Die Druckschrift D1 zeige eindeutig ein elektronisches Steuergerät für ein Kraftfahrzeug mit einer seriellen Schnittstelle, wobei die Schnittstelle mit einem Programmiergerät verbindbar sei. Vom Programmiergerät ausgehend könnten über die serielle Schnittstelle fahrzeugspezifische Daten in den Speicher des elektronischen Steuergerätes einprogrammiert werden, wobei noch gesagt werde, daß die Programmierung beim Fahrzeughersteller stattfinden könne. Ein Hinweis, daß an den seriellen Bus für die Datenübertragung zur Programmierung der spezifischen Daten auch mehrere Geräte angeschlossen sein können, ergebe sich aus dem Text auf Seite 6, erster Absatz. Da demnach das elektronische System nach der D1 alle technischen Merkmale des erteilten Anspruchs des Streitpatents bzw. Anspruchs 1 nach dem ersten Hilfsantrag aufweise und auch die Möglichkeit der gemeinsamen Programmierung der Steuergeräte gegeben sei, fehle dem beanspruchten Gegenstand die Neuheit.

Sollte die Neuheit dennoch anerkannt werden, sei jedenfalls die erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf die D1 in Verbindung mit der D4, die eine gemeinsame Behandlung von über einen seriellen Bus verbundenen Steuergeräten offenbare, nicht gegeben. Eine solche gemeinsame Behandlung auch bei der Kraftfahrzeugherstellung am Band in bezug auf die Programmierung der einzelnen Steuergeräte vorzunehmen, sei dann als selbstverständlich anzusehen.

Beschwerdeführerin III:

Die D1 zeige alle technischen Merkmale des beanspruchten Systems und enthalte außerdem einen Hinweis auf eine Programmierung beim Fahrzeughersteller. Aus der Druckschrift D5 sei es darüber hinaus bekannt, drei Steuergeräte mit einem Bus zu verbinden, wobei an diesen auch ein Diagnosetester angeschlossen sei. Ein solcher Diagnosetester diene gemäß Seite 352 dieser Druckschrift auch zur Abspeicherung von gerätespezifischen Daten bzw. Betriebsparametern. Die Kombination der Lehren gemäß der D1 und der D5 führe somit direkt zum Patentgegenstand. Hierbei könne nicht gesagt werden, daß Diagnosegeräte etwas grundsätzlich anderes darstellen als Programmiergeräte, denn aus der D5 und auch aus der einzigen Figur des Streitpatents gehe hervor, daß die Aufgaben eines Programmiergerätes und die eines Servicetesters sich im wesentlichen gleichen.

Im übrigen sei noch die in D5 (siehe Seite 355: ISO TC 22 SC 3 WGI) genannte D7 relevant. Die Norm selbst sei zwar nachpubliziert, ihr Inhalt sei den Fachkreisen jedoch schon vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt gewesen. Aus der D7 gehe eindeutig hervor, daß die Diagnose von Bordsystemen bidirektionelle Kommunikation und Datenaustausch beinhalte, so daß ein solches System ohne weiteres für eine gemeinsame Programmierung vor der ersten Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs geeignet sei. Daher enthalte das Streitpatent nichts Erfinderisches.

IX. Die Beschwerdegegnerin hat dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen widersprochen und dabei im wesentlichen folgendes geltend gemacht:

Die Druckschrift D1 beschreibe durchgehend ausschließlich ein einziges Steuergerät für Kraftfahrzeuge sowie dessen Programmierung. Es sei weder explizit offenbart, daß mehrere Steuergeräte miteinander über eine serielle Schnittstelle verbunden sind, noch daß die Speicher der Steuergeräte vor einer ersten Inbetriebnahme der Kraftfahrzeuge während eines gemeinsamen Behandlungsvorgangs beschrieben werden.

Im System nach der D1 würden die jeweiligen Steuergeräte separat dem Montage-Band zugeführt und in einem eigenständigen Programmierschritt vor dem Einbau in das Fahrzeug programmiert. Erst nach der Programmierung würden sie in das Fahrzeug eingebaut, den entsprechenden Aggregaten zugeordnet und miteinander verbunden.

Bei der vorliegenden Erfindung sei jedoch vorgesehen, die Steuergeräte im eingebauten und miteinander verbundenen Zustand in einem einzigen Behandlungsschritt zu programmieren, zu welcher Vorgehensweise weder der D1 noch den anderen entgegengehaltenen Druckschriften ein Hinweis entnommen werden könne.

Das Dokument D6 beschreibe zwar elektronische Systeme für Kraftfahrzeuge mit mehreren Steuergeräten für verschiedene Aggregate, die über eine serielle Schnittstelle miteinander verbunden sein können, jedoch sei die Anordnung von Speichermöglichkeiten für fahrzeugspezifisch-variable Daten sowie das Beschreiben dieser Speicher an keiner Stelle erwähnt.

Die Druckschriften D4 und D5 beträfen lediglich die Diagnose und die Korrektur eines schon betriebsfertigen Systems. Auch hier werde eine Abspeicherung von fahrzeugspezifisch-variablen Daten zur Sicherstellung der bestimmungsgemäßen Arbeitsweise der Steuergeräte nicht angesprochen.

Die D7 sei nachpubliziert und somit deren Inhalt kein relevanter Stand der Technik. Ob der Inhalt in der publizierten Form vorbekannt war, sei reine Spekulation und daher ungeeignet, die erfinderische Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes in Frage zu stellen.

Der erste Hilfsantrag betreffe eine Klarstellung des erteilten Anspruchs 1 dahingehend, daß jedes der Aggregate ein eigenes Steuergerät hat und die Steuergeräte im eingebauten und über die serielle Schnittstelle miteinander verbundenen Zustand programmiert werden.

Der zweite Hilfsantrag betreffe eine Zusammenfassung der Merkmale der erteilten Ansprüche 1 und 2. Dieser Hilfsantrag sei deshalb erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden, weil vorher kein Grund bestanden habe, den beanspruchten Gegenstand einzuschränken. Erst die Diskussion in der mündlichen Verhandlung habe gezeigt, daß eine weitere Spezifizierung möglicherweise notwendig sein könne, damit das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten werde könne.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Interpretation des beanspruchten Gegenstandes

Im Anspruch 1 ist nicht explizit gesagt, daß die Steuergeräte in im Fahrzeug eingebauten Zustand in dem gemeinsamen Behandlungsvorgang mit den individuellen fahrzeugspezifischen Daten beschrieben werden. Nach Auffassung der Kammer folgt ein solcher Programmiervorgang der Steuergeräte jedoch unmittelbar aus dem Kontext des Anspruchs und auch die Beschreibung läßt zweifelsfrei erkennen, daß die Programmierung der Steuergeräte am Fahrzeug selbst vorgenommen wird (vgl. Spalte 1, Zeilen 56 und 57 sowie Spalte 2, Zeilen 33 bis 37).

3. Neuheit

3.1. Es ist zu bemerken, daß das letzte Merkmal des Anspruchs 1 des Streitpatents, wonach die Speicher vor der ersten Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs während eines gemeinsamen Behandlungsvorgangs mit den individuellen fahrzeugspezifischen Daten beschrieben werden, im wesentlichen einen Verfahrensschritt kennzeichnet. Es kann bei der Interpretation des beanspruchten elektronischen Systems nur dahingehend berücksichtigt werden, daß das beanspruchte System einen gemeinsamen Behandlungsvorgang ermöglichen muß.

3.2. In bezug auf die im Patent angesprochene Problematik bei der Programmierung von Steuergeräten verschiedener Aggregate für Kraftfahrzeuge ist auch nach Auffassung der Kammer der nächstkommende Stand der Technik in der D1 offenbart.

Dieses Dokument offenbart ein elektronisches System für Kraftfahrzeuge mit einem Steuergerät, bei dem die Programmierung des Steuergerätes, d. h. die Programmierung des Speichers des Steuergerätes, mit fahrzeug- oder gerätespezifischen Daten seriell durchgeführt wird (siehe Seite 5, erster Absatz).

Auf Seite 6, Zeilen 1 bis 8, ist weiter offenbart, daß die Übertragung der zu programmierenden Daten bidirektional auf einer Leitung stattfindet, wobei die andere Leitung dazu vorgesehen sein kann, eine Aktiv- oder Passivmeldung der Leitung abzugeben. Hierdurch sei es möglich, mehrere Geräte an einem seriellen Bus anzuschließen.

3.3. Die Kammer kann sich der Auffassung der Einspruchsabteilung und auch der Beschwerdegegnerin, wonach es in diesem Textabschnitt bei der Bezeichnung "mehrere Geräte" nicht eindeutig um mehrere Steuergeräte geht, sondern es sich um über den seriellen Bus angeschlossene Pheripheriegeräte handle, nicht anschließen.

Im ersten Absatz auf Seite 6 der D1 geht es nämlich einleitend um die Programmierung des Steuergerätes (erster Satz auf Seite 6), weshalb der Fachmann logischerweise die im folgenden Satz beschriebene Übertragung der Programmierdaten auf mehrere Geräte so deuten wird, daß damit ebenfalls Steuergeräte gemeint sind.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß im ersten Absatz auf Seite 6 überall dort, wo das Wort "Geräte" ohne den Zusatz "Steuer" benutzt wird ("Geräteadresse" und "Gerätespezifikationen") immer das Steuergerät angesprochen wird.

Obwohl die D1, ebenso wie das Streitpatent, im wesentlichen ein Steuergerät für Kraftfahrzeuge beschreibt, das mit einem Mikrocomputer und einem programmierbaren Speicher ausgestattet ist und bei dem der Speicher über eine serielle Schnittstelle von einem Programmiergerät programmiert werden kann, offenbart es somit auch die Alternative, bei der mehrere Steuergeräte an einem seriellen Bus angeschlossen sind, wobei die Speicher über einen Bus mittels Signale für Geräteadressen mit zu programmierenden Daten beschrieben werden.

3.4. In bezug auf das aus D1 bekannte System hat die Beschwerdegegnerin vorgebracht, daß hierin nicht offenbart sei, daß die Programmierung "am Band" d. h. im eingebauten Zustand des Steuergerätes vorgenommen werde. Vielmehr würden im System nach der D1 die Steuergeräte an einer Programmiertstelle neben dem Fahrzeugmontage-Band programmiert und danach in das Fahrzeug eingebaut und miteinander mit den Aggregaten verbunden.

Hierzu ist zu bemerken, daß in der D1 auf Seite 5 im Absatz 1 ausdrücklich erwähnt ist, daß die Programmierung auch erst beim Kunden bzw. am Band stattfinden kann. Daß mit der Programmierung "am Band" nicht die von der Beschwerdegegnerin angenommene Programmierung im noch nicht eingebauten Zustand gemeint sein kann, folgt daraus, daß im folgenden Satz (Zeilen 10 bis 15) gesagt wird, daß Umstellungen des Gerätetyps sowie Änderungen innerhalb einer Produktionsserie ohne Ausbau des Steuergerätes möglich sind. Die D1 enthält daher den eindeutigen Hinweis, daß die zur Programmierung des Steuergerätes nötige Übertragung von Daten auch im eingebauten Zustand des Steuergerätes vorgenommen werden kann.

3.5. Hieraus kann jedoch noch nicht eindeutig abgeleitet werden, daß bei der auf Seite 6, erster Absatz, angesprochenen Programmierung mehrerer über einen seriellen Bus verbundener Geräte ebenfalls eine Programmierung im eingebauten Zustand aller Steuergeräte stattfindet. Hierzu muß der serielle Bus nämlich auch im Fahrzeug vorhanden sein, was in der D1 nicht gesagt wird.

Es handelt sich nämlich bei der auf Seite 6 angesprochenen Alternative und bei dem im ersten Absatz auf Seite 5 angesprochenen Beispiel nicht zwingend um ein und dieselbe Ausführungsform, so daß nicht klar ist, ob sich der Bus im Fahrzeug oder anderswo befindet. Hierbei ist zu beachten, daß Kombinationen mehrerer möglicher Ausführungsformen einer Entgegenhaltung nicht zum Offenbarungsgehalt einer solchen Entgegenhaltung gehören und daher bei der Prüfung auf Neuheit außer Betracht zu lassen sind.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher gegenüber dem aus D1 bekannten System als neu zu betrachten.

3.6. Auch die D4, die D5 oder die D6 können die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes nach dem Hauptantrag nicht in Frage stellen. Diese Druckschriften betreffen Elektronik- Verbundsysteme, wie Diagnose Systeme, bei denen Steuergeräte über eine serielle Schnittstelle miteinander verbunden sein können (D4: Bild 5, D5: Bild 7, D6: Seite 224, rechte Spalte und Bild 7).

Obwohl erwähnt wird, daß die Speicherdaten über einen durch einen seriellen Bus verbundenen Diagnosetester verändert werden können, ist nicht eindeutig entnehmbar, daß diese bekannten Systeme für einen gemeinsamen Programmiervorgang der in den Steuergeräten vorhandenen Speicher geeignet sind.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. In der D1 wird ebenso wie im Streitpatent darauf hingewiesen (Seite 6, zweiter Absatz), daß die Funktion elektronischer Steuergeräte mit Mikrocomputern in zunehmendem Maße durch die Software bestimmt wird. Mit fortschreitender Komplexität und Leistungsfähigkeit der Mikrocomputer werde eine Standardisierung der Hardware möglich, so daß sich elektronische Steuergeräte nur noch durch die Software unterscheiden. Durch die in der D1 vorgeschlagene Programmierung von im wesentlichen hardwaremäßig gleich aufgebauten Steuergeräten mit den relevanten fahrzeugtypischen Daten werden die Nachteile einer getrennten Fertigung, Prüfung und Lagerhaltung vieler unterschiedlicher Steuergeräte vermieden, was auch im angefochtenen Patent angestrebt (Spalte 1, Zeile 34 bis Spalte 2, Zeile 1) und im wesentlichen mit den gleichen Mitteln wie in D1 verwirklicht wird.

4.2. Das System nach Anspruch 1 des Streitpatent unterscheidet sich vom dem aus der D1 bekannten System noch dadurch, daß die an den seriellen Bus angeschlossenen Steuergeräte im in das Fahrzeug eingebauten Zustand gemeinsam mit den individuellen fahrzeugspezifischen Daten beschreibbar sind (siehe auch obenstehenden Punkte 3.1 und 3.5).

4.3. Im Hinblick darauf, daß die D1 einerseits einen Hinweis enthält, mehrere an einem seriellen Bus angeschlossene Steuergeräte über diesen Bus zu programmieren, und andererseits in dieser Entgegenhaltung die Programmierung am Band, d. h. im eingebauten Zustand der Steuergeräte offenbart ist, ist es nach Auffassung der Kammer für den Fachmann naheliegend, in Kenntnis des aus z. B. der D5 bekannten, in einem Kraftfahrzeug eingebauten elektronischen Systems mit mehreren Steuergeräten für verschiedene Aggregate, die über einen seriellen Bus miteinander verbunden sind und die Möglichkeit bieten, über den Bus die Speicherdaten der Steuergeräte zu korrigieren (System nach Bild 7 mit seriellem Diagnosebus), einen derartigen in das Fahrzeug eingebauten seriellen Bus für die Programmierung der Speicher der Steuergeräte mit den fahrzeugspezifisch- variable Daten zu verwenden.

4.4. Zu dem Einwand der Beschwerdegegnerin, daß die D5 eine völlig andere Gattung betreffe, da es dort um Diagnosegeräte gehe, die normalerweise nicht für die Programmierung der Steuergeräte herangezogen werden, und daher eine Kombination der Lehren der D1 und D5 nicht in Frage komme, ist zu bemerken, daß eine derartige funktionelle Trennung zwischen Diagnosegeräten und Programmiergeräten durch den vorliegenden Stand nicht belegbar ist. Sowohl die D5 als auch die sich ebenfalls mit Diagnosesystemen befassende D4 offenbaren zumindest eine teilweise Programmierung der Steuergeräte, wobei in der D4 auch die Programmierung von Kennlinien (vgl. Anspruch 1, Zeile 5 des angefochtenen Patents) angesprochen wird (Seite 396, letzter Zeile).

Darüber hinaus geht es im vorliegenden Fall vorrangig um die Frage, ob der Fachmann erkennen konnte, daß ein schon im Kraftfahrzeug vorhandener, mehrere Steuergeräte verbindender serieller Bus als Datenübertragungsmittel für die aus der D1 bekannte Programmierung der Steuergeräte eingesetzt werden kann. Hierbei spielen hauptsächlich die Eigenschaften des seriellen Busses als Datenübertragungsmittel eine Rolle. Da die Verwendung eines seriellen Busses bei der Programmierung von Steuergeräten schon aus der D1 bekannt ist und in der D5 ein im Fahrzeug vorhandener serieller Bus zur gemeinsamen Datenübertragung empfohlen wird, liegt eine Verwendung eines solchen seriellen Busses zur Programmierung der Speicher der Steuergeräte beim System nach der D1 auf der Hand.

4.5. Eine solche für den Fachmann naheliegende Kombination der Lehren der D1 und D5 führt direkt zum System nach Anspruch 1 des angefochtenen Patents, weshalb dieser Anspruch mangels erfinderischer Tätigkeit seines Gegenstandes nicht gewährbar ist.

Hilfsantrag 1

5. Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich durch die Aufnahme einer sich auf den Satz in Spalte 1, Zeilen 56 und 57 der Beschreibung gestützten Klarstellung hinsichtlich der Zuordnung der Steuergeräte zum jeweiligen Aggregat und der Programmierbarkeit im eingebauten Zustand.

Dadurch ergibt sich jedoch bezüglich der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes dieses Anspruchs kein struktureller oder funktioneller Unterschied zum erteilten Anspruch 1. Daher ist aus den zum Anspruch 1 des Hauptantrags vorgebrachten Gründen auch Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht gewährbar.

Hilfsantrag 2

6. Hilfsantrag 2 wurde erst am Ende der mündlichen Verhandlung eingereicht, mit der Begründung, daß sich die Notwendigkeit einer weiteren Einschränkung des beanspruchten Gegenstandes erst während der mündlichen Verhandlung gezeigt habe.

6.1. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. T 95/83, ABl. EPA 1985, 75 und T 153/85, ABl. EPA 1988, 1) kann es die Beschwerdekammer ablehnen, Änderungen von Ansprüchen oder neue Ansprüche zu berücksichtigen, wenn sie ohne triftigen Grund in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium - wie im vorliegenden Fall am Ende der mündlichen Verhandlung - eingereicht werden und nicht eindeutig zu einem gewährbaren Patentbegehren führen.

6.2. Die Diskussionen in der mündlichen Verhandlung haben sich im wesentlichen auf die schon vorher im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Einwände beschränkt, ohne daß irgendwelche überraschenden neuen Aspekte aufgeworfen wurden, die eine für die Beschwerdegegnerin neue Sachlage hätten begründen können. Für die verspätete Einreichung dieses Hilfsantrags liegt daher kein triftiger Grund vor.

6.3. Der Anspruch des Hilfsantrags 2 betrifft eine Kombination der Merkmale der erteilten Ansprüche 1 und 2, wobei der Anspruch 2 dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 lediglich hinzufügt, daß die Eingabe der Daten über Diagnoseleitungen der Steuergeräte erfolgt.

Dieses Merkmal kann jedoch nicht als erfinderisch angesehen werden, da auch der serielle Bus der D5 als Diagnosebus ausgeführt ist und bei der in bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags angesprochenen naheliegenden Kombination der Lehren der D1 und D5 kein Grund besteht, den Bus anders als in D5 offenbart auszuführen.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 läßt somit nach Auffassung der Kammer zumindest nichts eindeutig Erfinderisches erkennen, weshalb Hilfsantrag 2 im Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern unberücksichtigt bleiben muß.

7. Da dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin I entsprochen wurde, erübrigt es sich, auf die von ihr gestellten Hilfsanträge einzugehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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