T 1040/02 (Leitsystem/SIEMENS) of 18.1.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T104002.20060118
Datum der Entscheidung: 18 Januar 2006
Aktenzeichen: T 1040/02
Anmeldenummer: 96905686.0
IPC-Klasse: G05B 13/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Leitsystem für eine Anlage der Grundstoff- oder der verarbeitenden Industrie o.ä.
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: ABB Patent GmbH
VOEST-ALPINE Industrieanlagenbau GmbH & Co
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - verneint
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0231/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde wurde eingelegt von der Patentinhaberin mit Schreiben vom 16. September 2002, eingegangen am 19. September 2002, und richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, zur Post gegeben am 14. August 2002, das Europäische Patent 813701 zu widerrufen.

II. In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß einem Hauptantrag nicht neu im Sinne der Artikel 54 (1) und (2) EPÜ ist und der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß einem Hilfsantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung über den Widerruf aufzuheben und das Patent im Umfang des zusammen mit der Beschwerdebegründung vom 11. Dezember 2002 eingereichten Patentanspruchs 1 aufrechtzuerhalten. Weiterhin wurde hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.

III. Die Beschwerdegegnerin 2, Voest-Alpine, beantragte eine Zurückweisung der Beschwerde. Sie begründete ihren Antrag mit der Feststellung, dass der Gegenstand des neu eingereichten Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Art. 123 (2) EPÜ) und auch nicht neu im Sinne von Art. 54 (1) und (2) EPÜ sei.

IV. Die Beschwerdegegnerin 1, ABB Patent GmbH, hatte sich zunächst nicht geäußert.

V. In einer Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung nach Artikel 11 Absatz 1 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern vom 12. Oktober 2005 nahm die Kammer zum Sachverhalt vorläufig Stellung. Sie verwies insbesondere auf folgendes Dokument:

E1: Partner für Walzwerke, ABB Industrietechnik AG, DEIND/D 08 900 14D (ZEW 9408, 155 Wa) (P 1808/94), Seiten 18-20, August 1994

VI. Die Beschwerdegegnerin 1 und die Beschwerdegegnerin 2 haben in Schreiben vom 3. November 2005 bzw. 13. Dezember 2005 mitgeteilt, dass sie nicht an der anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen würden. Die Beschwerdegegnerin 1 beantragte im selben Schreiben, die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 reichte die Beschwerdeführerin neue Ansprüche ein und beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent im Umfang der beigefügten Patentansprüche gemäß Hauptantrag oder hilfsweise im Umfang der beigefügten Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 1 oder hilfsweise im Umfang der beigefügten Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 2 aufrechtzuerhalten.

VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 18. Januar 2006 vor der Kammer in Abwesenheit der beiden Beschwerdegegnerinnen statt. Im Laufe der Verhandlung zog die Beschwerdeführerin ihren bis dahin geltenden Hauptantrag und Hilfsantrag 2 zurück. Der bis dahin geltende Hilfsantrag 1 wurde als Hauptantrag weiterverfolgt, und ein neuer Patentanspruch 1 wurde als Basis für einen neuen Hilfsantrag eingereicht. Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung.

IX. Anspruch 1 laut Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:

"Leitsystem für ein Bandgieß-Walzwerk mit den Bereichen Zulauf, Gießbereich, Austritt und Walzwerk, wobei das Leitsystem durch Rechnertechnik, aufbauend auf eingegebenem Vorwissen, den Zustand der Anlage und Einzelheiten eines in der Anlage ablaufenden Herstellungsprozesses selbsttätig erkennend und zur Erzielung eines sicheren, gegebenenfalls möglichst hohen Produktionserfolges, situationsgerechte Sollwertvorgaben (v) gebend, ausgebildet ist, wobei das Leitsystem den Zustand der Anlage und der einzelnen Anlagenkomponenten zur Optimierung fortlaufend anhand eines Teilmodelle (52, 54, 55, 56) aufweisenden modular aufgebauten Prozessmodells (20, 63) simuliert, welches das Verhalten zwischen den Prozesseingangsgrößen sowie Stellgrößen und den Prozessausgangsgrößen, z.B. Qualitätskennwerten des erzeugten Produktes, beschreibt, wobei das Prozessmodell zumindest folgende Teilmodelle aufweist: Ein Teilmodell für den Zulauf-Status (55), ein Teilmodell für den Gießbereich (56), welches zumindest eine Gießspiegelcharakteristik berücksichtigend ausgebildet ist, ein Teilmodell für die Austrittsqualität (52) und ein oder mehrere Walzwerk-Teilmodelle (54)."

Anspruch 1 laut Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:

"Leitsystem für ein Bandgieß-Walzwerk mit den Bereichen Zulauf, Gießbereich, Austritt und Walzwerk, wobei das Leitsystem durch Rechnertechnik, aufbauend auf eingegebenem Vorwissen, den Zustand der Anlage und Einzelheiten eines in der Anlage ablaufenden Herstellungsprozesses selbsttätig erkennend und zur Erzielung eines sicheren, gegebenenfalls möglichst hohen Produktionserfolges, situationsgerechte Sollwertvorgaben (v) gebend, ausgebildet ist, wobei das Leitsystem ein Prozessmodell, eine Modelladaptation und einen Prozessoptimierer aufweist, wobei das Leitsystem den Zustand der Anlage und der einzelnen Anlagenkomponenten zur Optimierung fortlaufend anhand des Teilmodelle (52, 54, 55, 56) aufweisenden modular aufgebauten Prozessmodells (20, 63) simuliert, welches das Verhalten zwischen den Prozesseingangsgrößen sowie Stellgrößen und den Prozessausgangsgrößen, z.B. Qualitätskennwerten des erzeugten Produktes, beschreibt, wobei das Prozessmodell zumindest folgende Teilmodelle aufweist: Ein Teilmodell für den Zulauf-Status (55), ein Teilmodell für den Gießbereich (56), welches zumindest eine Gießspiegelcharakteristik berücksichtigend ausgebildet ist, ein Teilmodell für die Austrittsqualität (52) und ein oder mehrere Walzwerk-Teilmodelle (54), wobei das Prozessmodell bei bekannten physikalischen Zusammenhängen physikalisch-mathematische Modelle aufweist und für die Anlagenkomponenten, für die Prozesswissen vorliegt, das nur linguistisch ausgedrückt werden kann, Fuzzy-Systeme oder Neuro-Fuzzy-Systeme aufweist."

Die Änderungen im Vergleich zu Anspruch 1 laut Hauptantrag sind durch die Kammer hervorgehoben.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag: Änderungen (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ)

1.1 Anspruch 1 laut Hauptantrag unterscheidet sich von dem Anspruch 1 des Hauptantrags, der der Einspruchabteilung in ihrer Widerrufsentscheidung vorlag, im wesentlichen durch das neu aufgenommene Merkmal "wobei das Prozessmodell zumindest folgende Teilmodelle aufweist: Ein Teilmodell für den Zulauf-Status (55), ein Teilmodell für den Gießbereich (56), welches zumindest eine Gießspiegelcharakteristik berücksichtigend ausgebildet ist, ein Teilmodell für die Austrittsqualität (52) und ein oder mehrere Walzwerk-Teilmodelle (54)".

Die ursprüngliche Offenbarung für dieses Merkmal in Figur 5 in Verbindung mit Seite 6, Zeilen 49 bis 52, Seite 6, Zeile 56 bis Seite 7, Zeile 1 und Seite 7, Zeilen 8 bis 14 der Patentschrift, die insofern mit den ursprünglich eingereichten Unterlagen übereinstimmt, sieht die Kammer als gegeben an. Dieses Merkmal stellt auch offensichtlich eine Einschränkung gegenüber der von der Einspruchsabteilung geprüften Version dar.

Der damals der Einspruchsabteilung vorliegende Anspruch wurde weder von den Einsprechenden noch von der Einspruchsabteilung in Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ beanstandet. Die Kammer sieht keine Veranlassung, von dieser Einschätzung abzuweichen.

Somit erfüllt Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

2. Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

2.1 Die Entgegenhaltung E1 wurde von den beteiligten Parteien und auch von der Einspruchsabteilung hinsichtlich des damals vorliegenden Hauptantrags als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Die Kammer sieht keine Veranlassung von dieser Einschätzung auch für den jetzt vorliegenden Antrag abzuweichen.

E1 zeigt ein Leitsystem für Kaltwalzwerke mit verschiedenen Bereichen (siehe die untere Figur auf Seite 18; die einzelnen Bereiche entsprechen den Kästen, die vom MasterBus 300 angesteuert werden). Weiterhin ist das Leitsystem nach E1 durch Rechnertechnik (siehe Seite 20, linke Spalte, zweiter Absatz), aufbauend auf eingegebenem Vorwissen (ibidem), den Zustand der Anlage und Einzelheiten eines in der Anlage ablaufenden Herstellungsprozesses selbsttätig erkennend und zur Erzielung eines sicheren Produktionserfolges, situationsgerechte Sollwertvorgaben gebend, ausgebildet (siehe die Figuren auf Seiten 18 und 19). Ferner simuliert das in E1 gezeigte Leitsystem anhand eines Teilmodelle aufweisenden, modular aufgebauten Prozessmodells den Zustand der Anlage und der einzelnen Anlagenkomponenten (siehe die Figur auf Seite 19, insbesondere den Kasten "Modellierung, Einzelmodelle -> Gesamtmodell", und Seite 19, linke Spalte, die letzten 7 Zeilen und rechte Spalte, die ersten 3 Zeilen nach "Dynamische Simulation des Walzprozesses"). Eine fortlaufende Simulation und eine Optimierung ergeben sich zum Beispiel aus der Figur auf Seite 19. Schließlich beschreibt das Prozessmodell das Verhalten zwischen den Prozesseingangsgrößen sowie Stellgrößen und den Prozessausgangsgrößen (siehe die Figur auf Seite 19), wobei die Optimierung am Prozessmodell und an den Teilmodellen der Bereiche erfolgt (siehe ebenfalls die Figur auf Seite 19, insbesondere den Kasten "Modellierung, Einzelmodelle -> Gesamtmodell" in Verbindung mit dem Kasten "Optimierung Prozessmodell"). Für den letzteren Punkt geht die Kammer davon aus, dass das Prozessmodell entsprechend dem Kasten "Modellierung, Einzelmodelle -> Gesamtmodell" nach E1 Einzelmodelle und Gesamtmodell umfasst und eine Optimierung von Einzelmodellen sowie eine Optimierung des Gesamtmodells und umgekehrt beinhaltet.

Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der aus E1 bekannten Lehre dadurch, dass das Leitsystem "für ein Bandgieß-Walzwerk mit den Bereichen Zulauf, Gießbereich, Austritt und Walzwerk" ist und dass "das Prozessmodell zumindest folgende Teilmodelle aufweist: Ein Teilmodell für den Zulauf-Status, ein Teilmodell für den Gießbereich, welches zumindest eine Gießspiegelcharakteristik berücksichtigend ausgebildet ist, ein Teilmodell für die Austrittsqualität und ein oder mehrere Walzwerk-Teilmodelle."

2.2 Die durch diesen Unterschied zu lösende Aufgabe kann in der Bereitstellung eines Leitsystems für den gesamten Herstellungsprozess von Bandstahl gesehen werden, wobei das Prozessmodell aus verschiedenen unabhängigen und anpassbaren Teilmodellen besteht.

Der erste Aspekt dieser Aufgabe, die Bereitstellung eines Leitsystems für den gesamten Herstellungsprozess, fasst lediglich den allgemeinen Wunsch der Industrie zusammen, Prozesse weitest möglich zu automatisieren, und liefert keinen erfinderischen Beitrag. Gleichfalls ist der zweite Aspekt dieser Aufgabe, der Wunsch nach einem modularen Aufbau unter Verwendung unabhängiger, anpassbarer Teilmodelle, in der Technik üblich und an sich für Walzwerke aus E1 bekannt.

2.3 In der Druckschrift E1 wird zur Steuerung eines Walzwerks vorgeschlagen, dieses "je nach geplanter und vorhandener Struktur modular bis zum kompletten Walzwerk" zu kombinieren und zu parametrisieren (siehe S. 19, Abschnitt "Dynamische Simulation des Walzprozesses"). Die Kammer sieht keine erfinderische Leistung darin, diese Lehre für einen modularen Aufbau einer Steuerung auf ein komplettes Werk zur Herstellung von Bandstahl anzuwenden. Da die beanspruchten Bereiche Zulauf, Gießbereich, Austritt und Walzwerk den üblichen, in einem Werk zur Herstellung von Bandstahl vorhandenen Strukturen entsprechen, ergibt es sich auf natürliche und nahe liegende Weise, Teilmodelle für eben diese Bereiche vorzusehen. Ein modularer Aufbau, wie er in E1 für Unterbereiche eines Walzwerks vorgesehen ist, ist für die einzelnen Bereiche eines gesamten Werks zur Herstellung von Bandstahl umso naheliegender, als diese Bereiche sehr unterschiedlich aufgebaut sind und folglich auch sehr unterschiedlich gesteuert werden. Aufgrund der Unterschiede hinsichtlich der messbaren und zu steuernden Parameter zum Beispiel zwischen dem Gießbereich und dem Walzwerk erscheint eine integrierte Gesamtsteuerung auf der Basis eines umfassenden, nicht-modularen Modells unmöglich. Folglich ist, aufbauend auf der Lehre von E1, der modulare Aufbau einer Steuerung, der entsprechend den vorhandenen Strukturen aufgebaut ist, die für den Fachmann nächstliegende Option.

Die Gießspiegelhöhe ist bekanntermaßen eine bedeutende und einstellbare Prozessgröße bei der Herstellung von Bandstahl (siehe Seite 7, Zeilen 53-57 der Patentschrift). Somit war es auch naheliegend, das Teilmodell für den Gießbereich unter Berücksichtigung der Gießspiegelcharakteristik auszubilden.

Da alle Merkmale des Anspruchs 1 entweder aus E1 bekannt sind oder sich für den Fachmann auf naheliegende Weise aus E1 ergeben, erfüllt der Hauptantrag nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

2.4 Die von der Beschwerdeführerin im Laufe der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Die Modellierung einzelner Bereiche eines Werks zur Herstellung von Bandstahl sei nicht so gut möglich wie von Teilbereichen eines Walzwerks, wie es in E1 beschrieben ist. Dieses Problem wird durch eine modulare Lösung mit der Möglichkeit unterschiedlicher, einschließlich linguistisch formulierter Modellansätze gelöst, während E1 nur mathematisch formulierte Modellansätze zeige und daher eine mögliche Verbindung beider Arten von Modellansätzen für ein Gesamtwerk zur Herstellung von Bandstahl nicht naheliegend mache. Insbesondere für den Gießbereich, für den bislang keine befriedigende Modellierung vorliege, erlaube der modulare Ansatz mit der Möglichkeit der Verwendung von linguistischen Beschreibungen für den Gießbereich erstmalig eine Modellierung der Gesamtanlage einschließlich des Gießbereichs.

Ferner erlaube der modulare Ansatz eine Kopplung der Modelle für die einzelnen Teilbereiche.

Schließlich wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass der in E1 beschriebene Optimierungsprozess unter Verwendung eines modular aufgebauten Walzwerkmodells (Seite 19, Abschnitt "Dynamische Simulation des Walzprozesses") vor Installation der Anlage in der Angebotsphase oder im Zusammenhang mit einer Verbesserung, also einem Umbau der Anlage, vorgesehen sei, und somit während des Anlaufs der Anlage durchgeführt würde, während das beanspruchte Leitsystem eine fortlaufende Simulation zur Optimierung der Anlage im laufenden Betrieb ermögliche.

Dazu stellt die Kammer fest, dass das beanspruchte Leitsystem keine Lösung für die spezifische Problematik der Einbindung schwer zu modellierender Teilbereiche eines Werks zur Herstellung von Bandstahl, wie zum Beispiel des Gießbereichs, bietet, sondern lediglich ganz allgemein die aus E1 bekannte modulare Beschreibung für ein Walzwerk auf weitere Komponenten eines Werks zur Herstellung von Bandstahl erweitert. Wie schon oben unter 2.3 festgestellt wurde, ist eine modulare Beschreibung unterschiedlicher und schwer zu vereinbarender Teilmodelle eines Gesamtprozesses die nächstliegende Lösung.

Im Hinblick auf eine mögliche Kopplung von Modellen verschiedener Bereiche stellt die Kammer fest, dass eine solche Kopplung weder beansprucht noch beschrieben ist.

Schließlich interpretiert die Kammer das in der Figur auf Seite 19 von E1 gezeigte Prozessmodell dahingehend, dass auch hier wegen der Rückkopplung der optimalen Wahlprozessgestaltung auf das Walzwerk einschließlich der Messwerterfassung und Messwertanalyse der Zustand der Anlage und der einzelnen Anlagenkomponenten zur Optimierung fortlaufend simuliert wird und nicht auf die Angebotsphase oder eine Umbauphase der Anlage beschränkt ist. Im übrigen schließt der Anspruch nicht aus, dass die im Rahmen des beanspruchten Leitsystems durchgeführte Simulation auch außerhalb des Regelbetriebs stattfindet. Diese Vorgehensweise ist sogar bevorzugt (Seite 3, Zeilen 52-56 der Patentschrift).

3. Hilfsantrag: Zulässigkeit

3.1 Der Anspruch 1 des Hilfsantrags wurde während der mündlichen Verhandlung überreicht.

Die Einreichung des vorliegenden Hilfsantrags in einem solch späten Verfahrensstadium steht in Widerspruch zum Prinzip der Verfahrensökonomie. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass der entsprechende Artikel 11 (3) VerfOBK in der Fassung vom 10. Dezember 1982 vorsieht, dass die Beschwerdekammer, wenn eine mündliche Verhandlung stattfindet, sich darum bemüht, dass "die Sache am Ende der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif ist, sofern nicht besondere Umstände vorliegen". Im vorliegenden Fall hatte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, weitere Anträge nach der Mitteilung der Kammer vom 12. Oktober 2005 einzureichen, um dieser zu ermöglichen, in der Verhandlung zu einer Entscheidung zu gelangen.

Die Kammer stellt fest, dass während der mündlichen Verhandlung keine neuen Sachverhalte und Argumente im Hinblick auf eine mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruch 1 des Hauptantrags von Seite der Kammer eingeführt wurden, die über die im Ladungsbescheid vom 12. Oktober 2005 hinausgingen und einen weiteren Antrag gerechtfertigt hätten.

3.2 Ferner war es im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht eindeutig festzustellen, dass der Hilfsantrag die bislang erhobenen Einwände hinsichtlich der Patentfähigkeit ausräumt.

Auch aus diesen Gründen ist der Antrag nicht zulässig (T 231/95, nicht im ABl. veröffentlicht, Punkt 6.1).

Im Detail umfasst Anspruch 1 des Hilfsantrags neben einer rein semantischen Unterteilung des Leitsystems in ein Prozessmodell, eine Modelladaptation und einen Prozessoptimierer, die für den Schutzumfang prima facie ohne Konsequenzen ist, über den Anspruch 1 des Hauptantrags hinausgehend das Merkmal, dass "das Prozessmodell bei bekannten physikalischen Zusammenhängen physikalisch-mathematische Modelle aufweist und für die Anlagenkomponenten, für die Prozesswissen vorliegt, das nur linguistisch ausgedrückt werden kann, Fuzzy-Systeme oder Neuro-Fuzzy-Systeme aufweist."

Die Kammer betrachtet es als eine für den Fachmann naheliegende Selbstverständlichkeit, Modelle für Steuerungssysteme, sofern möglich, physikalisch-mathematisch zu formulieren, und sonst eben linguistisch auf der Basis von Fuzzy-Systemen oder Neuro-Fuzzy-Systemen zu formulieren. Da die Gesamtsteuerung modular aufgebaut ist, wird keine erfinderische Leistung darin gesehen, physikalisch-mathematisch und linguistisch formulierte Modelle für einzelne Teilbereiche nebeneinander im gesamten Prozessmodell zu verwenden. Im Anspruch fehlt auch eine klare Anweisung, wann eine physikalisch-mathematische Modellierung und wann eine linguistische Modellierung zu verwenden ist, so dass der Anspruch auch die Möglichkeit umfasst, dass die Modelle für alle beanspruchten Teilbereiche entweder nur physikalisch-mathematisch oder nur linguistisch sind. Somit entfällt das Hauptargument für das Vorhandensein einer erfinderischen Tätigkeit, nämlich das Nebeneinander der beiden Modellkategorien, vollständig.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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