T 0027/95 () of 25.6.1996

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T002795.19960625
Datum der Entscheidung: 25 Juni 1996
Aktenzeichen: T 0027/95
Anmeldenummer: 89100917.7
IPC-Klasse: B08B 9/02
F24D 19/00
F16L 55/162
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Reinigung und Beschichtung von zur Wasserführung bestimmten Rohrleitungen
Name des Anmelders: Karl Müller
Name des Einsprechenden: I Werner Näf
II Hans Brochier GmbH & Co.
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (verneint)
Nichtausführbarkeit des Patents (verneint)
Erfinderische Tätigkeit (für Hauptantrag bejaht)
Amendments - broadening of claims (no)
Claims - clarity - broad claims
Inventive step
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
T 0037/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0739/08

Sachverhalt und Anträge

I. In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 1994, die schriftlich begründete Entscheidung erging am 17. November 1994, hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 0 326 867 gemäß Artikel 102 (1) EPÜ im Lichte der Druckschriften des Prüfungsverfahrens

(D1) EP-A-0 244 811 (1987)

(D2) NL-A-7 507 125 (1976)

(D3) DE-A-3 138 229 (1983)

(D3-C2) DE-C2-3 138 299 (1989)

bzw. des Einspruchsverfahrens

(E1) US-A-3 139 704 (1964)

(E2) US-A-3 073 687 (1963)

(E3) GB-A-2 140 337 (1984)

(E4) DIN 1988/01.62

(E5) Datenblatt GENO-Spülkompressor 1988-K, Firma Grünbeck

(E6) JP-A-57 105 270 (Abstract) (1982)

(E7) GB-A-1 236 205 (1971)

(E8) Auszug aus Katalog 1/86 der Fa. Grünbeck

(E9) JP-A-57 105 271 (Abstract) (1982)

(E10) JP-A-6 223 482 (Abstract) (1987)

(E11) US-A-4 327 132 (1982)

(E12) JP-A-6 223 484 (Abstract) (1987)

(E13) EP-A-0 299 134 (1989) [Art. 54 (3) EPÜ; nur Neuheit]

widerrufen.

In einem späteren Verfahrensstadium wurde noch auf die Druckschrift

(E14) US-A-3 003 899 (1961)

verwiesen.

II. Gegen vorgenannten Entscheidung der Einspruchsabteilung hat der Patentinhaber - nachfolgend Beschwerdeführer - am 12. Januar 1995 unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 10. März 1995 begründet.

III. Nach vorbereitendem Bescheid der Kammer vom 7. Dezember 1995, in dem zu der Anspruchsfassung des unabhängigen Verfahrensanspruchs Stellung genommen wurde, hat der Beschwerdeführer seinen ursprünglichen Antrag dahingehend modifiziert, daß das europäische Patent Nr. 0 326 867 unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage des Hauptantrags bzw. Hilfsantrags I bzw. Hilfsantrags II gemäß Eingabe vom 24. Mai 1996 in beschränktem Umfange aufrechterhalten werden solle.

IV. Anspruch 1 gemäß vorstehendem Hauptantrag hat nachfolgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Sanierung von zur Wasserführung bestimmten Rohrleitungen mittels Reinigung und Beschichtung, mit folgenden Schritten:

(a) Entleeren der Rohrleitungen von Wasser;

(b) Demontage von Sanitärarmaturen und Geräten sowie Überbrücken entstehender Öffnungen;

(c) zuerst Grobreinigung der Rohrleitungen mittels Wasser und Preßluft;

(d) anschließend Feinreinigung der Rohrleitungen durch Einfüllen von Säure unter Druck und Wirkenlassen der Säure, sodann Ablassen der Säure;

(e) Trocknen der Rohrleitungen mit Preßluft;

(f) Füllen der Rohrleitungen mit flüssigem, unter Druck stehendem Kunststoff; und

(g) Ablassen überschüssigen Kunststoffs aus den Rohrleitungen."

An diesen Anspruch 1 schließen sich abhängige Ansprüche 2 bis 4 in der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 25. Juni 1996 überreichten Fassung an.

V. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer stellten die Parteien folgende Anträge:

a) Beschwerdeführer:

Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 0 326 867 auf der Basis des in Abschnitt IV zitierten und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zusammen mit den Ansprüchen 2 bis 4 und einer angepaßten Beschreibung gemäß Spalten 1 bis 4 überreichten Anspruchs 1. Hilfsweise sollten die Unterlagen gemäß Hilfsantrag I bzw. II in der Fassung vom 24. Mai 1996 zum Tragen kommen.

b) Einsprechender I bzw. Einsprechende II - nachfolgend Beschwerdegegner I bzw. Beschwerdegegnerin II: Zurückweisung der Beschwerde d. h. Bestätigung des Widerrufs des europäischen Patents Nr. 0 326 867 auch in seinem gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag I bzw. Hilfsantrag II beschränkten Umfange.

VI. Zur Stützung ihrer jeweiligen Anträge haben die Parteien zu den Diskussionspunkten unzulässige Erweiterung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ, Nichtausführbarkeit der Erfindung im Sinne von Artikel 100 b) EPÜ und zur Frage der erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 bzw. 100 a) EPÜ im Hinblick auf den Hauptantrag folgendes vorgetragen:

a) Beschwerdeführer:

- der Anspruch 1 sei - der Anregung der Kammer folgend - in einteiliger Form vorgelegt worden, um die zeitliche Reihenfolge der Verfahrensschritte in eindeutiger Weise zum Ausdruck zu bringen;

- der technische Inhalt sei dabei nicht verändert worden, weil die neue Anspruchsfassung nur das Ergebnis sprachlicher/grammatikalischer Änderungen sei;

- der Einspruchsgrund der Nichtausführbarkeit des Beanspruchten sei verspätet vorgetragen worden, vgl. Entscheidung G 10/91 der Großen Beschwerde- kammer, darüber hinaus aber auch in der Sache selbst nicht berechtigt, da u. a. auch ein Epoxidharz bzw. ein Silikonharz als Beschichtungsmaterial einsetzbar wäre;

- die eingefüllte Säure wäre in der Lage die Rohrwandbeläge so vollständig abzubauen, daß die Voraussetzungen für eine verläßliche Beschichtung der Rohrwand mit Kunststoff gegeben seien; die Säure erfahre im Laufe ihrer Einwirkung eine Verdünnung; eventuelle Säurereste würden überdies mit Preßluft ausgeblasen, so daß letztendlich eine saubere, beschichtbare Rohrwand verbleibe;

- bei diesen Gegebenheiten könne von einer Nichtausführbarkeit der Lehre des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag keine Rede sein;

- mit Blick auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit sei es unbeachtlich, wenn im hier zu berücksichtigenden Stand der Technik Einzelmerkmale des Anspruchs 1 bekannt seien, weil es auf die Gesamtkombination der Merkmale in ihrer dem Anspruch 1 entnehmbaren Reihenfolge ankäme;

- die Abrasivreinigung gemäß Stand der Technik erfasse Toträume kaum und sei bezüglich des Entfernens von Sandresten bzw. bezüglich des apparativen Aufwands in Form von großen Ventilatoren/Gebläsen problematisch;

- auch das aerodynamische Beschichten erfordere selbst bei Anwendung einer pulsierenden Arbeitsweise große Ventilatoren/Gebläse und sei somit nicht dazu angetan, auf das beanspruchte Verfahren hinzulenken;

- (D2) lehre zwar das Entkalken von Leitungen mittels Säure; es fehle aber die Lehre, daß diesem Reinigungsschritt eine Grobreinigung vorauszuschicken sei, nämlich mittels Preßluft und Wasser bzw. daß anschließend die gereinigten Leitungen beschichtet werden müßten, vgl. diesbezüglich auch (D1), die lediglich das Reinigen neuer Leitungen beträfe;

- (E3) sei auf unterirdische Rohre gerichtet; im Gegensatz zum Beanspruchten sei wiederum das Abrasivreinigen angesprochen, welches beim Verfahren gemäß Anspruch 1 ebenso wie eine pulsierende Arbeitsweise nicht Einsatz fände;

- da auch der Beschwerdegegner I bzw. die Beschwerdegegnerin II auf ihr druckschriftliches Vorbringen verwiesen hätten, sei bezüglich der vorstehend nicht detailliert behandelten Druckschriften auf die Eingabe vom 24. Mai 1996 zu verweisen;

- vorstehende Überlegungen zusammenfassend, sei es vom Stand der Technik nicht nahegelegt zum Sanieren von wasserführenden Rohren auf eine zweistufige Reinigung und ein nachfolgendes Beschichten mittels flüssigem Kunststoff zurückzugreifen, so daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, und das Patent in beschränktem Umfange aufrechtzuerhalten sei.

b) Beschwerdegegner I:

- Anspruch 1 bleibe schuldig wie das Wasser/Preßluftgemisch bzw. die Säure bzw. der Beschichtungskunststoff beschaffen seien;

- bei Anwendung eines Epoxidharzes müßte Anspruch 1 vorschreiben, daß dem Säurebehandeln ein Passivierungsschritt folgen müsse;

- da die vorgenannten Aussagen im Anspruch 1 fehlten, sei ein Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ gerechtfertigt;

- zur Frage der unzulässigen Erweiterung bzw. erfinderischen Tätigkeit sei auf die schriftlichen Ausführungen vom 14. Juni 1996 zu verweisen;

- in dieser Eingabe werde ausgeführt, daß das Merkmal c) des Anspruchs 1 aus (D1) und daß das Merkmal d) des Anspruchs 1 aus (D2) bekannt sei;

- (E14), nämlich US-A-3 003 899, lehre bereits das Reinigen mittels Säure, während (D3) bezüglich des Merkmals f) des Anspruchs 1, nämlich Beschichten mit flüssigem Kunststoff, relevant sei;

- die (E3), nämlich GB-A-2 140 337, lehre schließlich die Kombination von Reinigungs- und Beschichtungsschritten zur Innenerneuerung von verlegten Wasserleitungen;

- die Kombination von (D1), (D2) und (D3) ergebe die Lehre des Anspruchs 1 in naheliegender Weise, so daß die Beschwerde insgesamt zurückzuweisen sei;

c) Beschwerdegegnerin II:

- zu Artikel 123 (2) würden keine Ausführungen gemacht, weil dieser Einwand von anderer Seite vorgebracht worden sei;

- das Fehlen des Verfahrensschrittes "Neutralisieren der Säure" könne den Einwand gemäß Artikel 100 b) EPÜ begründen;

- bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit sei zu berücksichtigen, daß die Merkmale a) und b) des Anspruchs 1 trivial seien;

- ansonsten sei auf die überzeugenden Gründe der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung zu verweisen, denen nichts hinzuzufügen sei;

- dort werde ausgeführt, daß (E3) die gattungsbestimmende Druckschrift sei; in (E3) fehle lediglich das Feinreinigen mittels Säure bzw. Teilmerkmale des damaligen Merkmals d), nämlich Füllen des Rohrs mit flüssigem Kunststoff unter einem Druck von 6 atü und Einwirkenlassen während einer Stunde;

- da die Überschußmerkmale aggregativ nebeneinander stünden, seien sie getrennt angreifbar, nämlich unter Einbeziehung von (D2) bezüglich der Säurebehandlung bzw. von (E1) bezüglich der effektiven Innenbeschichtung der Rohrwand;

- im Ergebnis fehle dem Verfahren des Anspruchs 1 eine patentbegründende erfinderische Leistung, so daß die Beschwerde zurückzuweisen sei.

VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer verkündete der Kammervorsitzende die das Verfahren abschließende Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Einwand gemäß Artikel 123 (2) EPÜ

2.1. Auf die Änderung des Anspruchs 1 gemäß Eingabe vom 24. Mai 1996 hin hat der Beschwerdegegner I einen Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ erhoben, weil dieser Anspruch "gegenüber den ursprünglichen Unterlagen zumindest formal erweitert worden (sei)", vgl. Eingabe vom 14. Juni 1996, Seite 1, Abschnitt 2.

2.2. Es trifft zu, daß der geltende Anspruch 1 neu formuliert worden ist, wobei die wesentlichste Änderung die einteilige Anspruchsfassung ist. Diese Fassung war von der Kammer im Vorfeld der mündlichen Verhandlung angeregt worden, weil nur sie die einzelnen Verfahrensschritte in ihrer zeitlichen Reihenfolge wiedergibt. Diese Anspruchsfassung ändert per se nichts an der technischen Aussage des hier zu beurteilenden Anspruchs 1.

2.3. Der Einwand des Beschwerdegegners I stützt sich im einzelnen auf die Merkmale d) und f) des Anspruchs 1, die ursprünglich lauteten "... wird unter Druck eine Säure eingefüllt" bzw. "... wird ein flüssiger Kunststoff unter Druck eingefüllt", vgl. ursprünglichen Anspruch 1, Merkmal b) bzw. e). Die Gegenüberstellung dieser Merkmale des ursprünglichen und geltenden Anspruchs 1 zeigt sprachliche Unterschiede, aber keinen technischen Unterschied auf, so daß die Kammer in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Beschwerdeführers keinen Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erkennen kann. Dieses Ergebnis wurde den Parteien nach Beratung der Kammer vorab mitgeteilt.

3. Einwand gemäß Artikel 100 b) EPÜ

3.1. Neben dem Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ hat der Beschwerdegegner I mit Eingabe vom 14. Juni 1996 erstmals den Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ erhoben, vgl. Seite 2, Absatz 1. Dieser Einwand stützt sich darauf, daß die "patentgemäße Lehre dem Fachmann nicht (aufzeige), wie er die Haftung von Epoxidharzen an einer metallischen ... Oberfläche bewerkstelligen soll", weil etwaige Säurereste das Aushärten solcher Harze störten. Im übrigen erfordere ein Epoxidharzbeschichten ein vorheriges Passivieren der säurebehandelten Rohrwandung. Zusätzlich wurde in diesem Zusammenhang bemängelt, daß Anspruch 1 keine Spezifikationen zu den Parametern Wasser/Preßluft bzw. Säure bzw. Kunststoff enthielte.

3.2. Unter Hinweis auf die Entscheidung G 10/91 der Großen Beschwerdekammer vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, daß es genüge die Zustimmung zur Diskussion des neuen Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 b) EPÜ zu verweigern.

Die Kammer konnte sich dieser Auffassung deshalb nicht anschließen, weil der Anspruch 1 im Beschwerdeverfahren eine Änderung erfahren hat und weil die vorstehende Entscheidung im Abschnitt 19 der Gründe der Entscheidung ausdrücklich darauf abhebt, daß die Änderungen vollständig auf die Erfordernisse des EPÜ zu überprüfen sind.

3.3. Der Einwand des Beschwerdegegners I bezüglich der fehlenden Spezifikation von Verfahrensparametern scheint eher in die Kategorie "Breite des Anspruchs" bzw. "Klarheit des Anspruchs" als in die Kategorie "Ausführbarkeit des Beanspruchten" zu gehören.

3.4. Wie in der mündlichen Verhandlung seitens der Kammer verdeutlicht wurde, steht die Breite des Anspruchs 1 ganz im Ermessen des Patentinhabers, da allein dieser die rechtlichen Folgen wie dessen Angreifbarkeit mit Stand der Technik zu tragen hat.

Es ist seitens der Kammer aber zu prüfen, ob der Anspruch 1 im Sinne des Artikels 84 EPÜ klar gefaßt ist. Seitens der Kammer ergeben sich für eine Beanstandung des Anspruchs 1 in dieser Richtung keine Anhaltspunkte, weil es dem Fachmann ein Leichtes ist, durch gezielte Versuche die optimalen Drücke des Gemisches aus Wasser und Preßluft zu ermitteln bzw. eine auf den Einzelfall abgestellte Säure auszuwählen bzw. eine für die gereinigte Rohrwand verläßliche Kunststoffbeschichtung ins Auge zu fassen, vgl. in diesem Zusammenhang (E3), insbesondere Seite 1, Zeilen 106 bis 112, die erhellt, daß auch ein Beschichten mit Epoxidharz möglich ist und zwar im unmittelbaren Anschluß an den Reinigungsvorgang.

3.5. Bei der Diskussion des Artikels 100 b) EPÜ darf auch die Aussage der Spalte 3, Zeilen 41 bis 43 der Streitpatentschrift nicht unberücksichtigt bleiben, denn dort ist der Fachmann ganz eindeutig auf die Notwendigkeit gestoßen, die Reinigung optimal auszuführen, bevor die Beschichtung in Angriff genommen werden kann, zumal Anspruch 1 auch noch vorschreibt, daß nach Ablassen der Säure, ein Trocknen mit Preßluft vorzusehen ist.

3.6. Vorstehende Ausführungen verdeutlichen, daß dem Zusammenhang von effektiver Reinigung der Rohrwände und der nachfolgenden Beschichtung besondere Bedeutung beigemessen wurde. Diese Informationen des Streitpatents sind somit als klare technische Anweisung an den Fachmann zu werten, so daß insgesamt der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit des Beanspruchten nicht durchgreifen konnte.

4. Neuheit

Die Frage der Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 war zwischen den Parteien und auch nach Ansicht der Kammer nicht strittig, so daß sich ins Detail gehende Erörterungen dieses Sachverhalts erübrigen.

5. Erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 bzw. 100 a) EPÜ

5.1. Von den Druckschriften (D1) bis (D3) und (E1) bis (E14) haben in der angefochtenen Entscheidung und im Beschwerdeverfahren lediglich (E1) bis (E3) sowie (D1) bis (D3) eine Rolle gespielt, so daß es in Übereinstimmung mit den Parteienvorbringen genügt, zu untersuchen, ob Anspruch 1 demgegenüber auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 bzw. 100 a) EPÜ beruht.

5.2. Gattungsnächster Stand der Technik ist (E3), die ein Verfahren zum Sanieren von Rohrleitungen zum Inhalt hat. Wie auch in (E1) und (E2) offenbart, erfolgt das Reinigen durch Abrasivteilchen. Diese Technik, die auch pulsierend ausgeführt werden kann, ist bei Vorhandensein von Toträumen in den Rohrleitungen problematisch, weil diese vom Reinigungsstrom nicht oder nur schwer erreichbar sind. Es kommt hinzu, daß vor dem Beschichten die Abrasivteilchen (Sande) vollständig aus den Rohrleitungen und wiederum aus deren Toträumen sicher entfernt werden müssen. Obwohl gemäß (E3) dem Reinigen ein Kunststoffbeschichten nachgeschaltet ist, ist dieser Verfahrensschritt deshalb problematisch, weil das Beschichtungsmittel "H" mit einem Luftstrom "G" vermischt wird und demzufolge ein Beschichten aus der Gasphase bzw. aus einem Nebel heraus erfolgt. Auch beim Beschichten ist ein pulsierendes Arbeiten vorgesehen. Trotz eines hohen apparativen Aufwands für Ventilatoren/Gebläse bzw. Pulsatoren ist nicht sichergestellt, daß Toträume und schwierige Raumkonstellationen verläßlich beschichtet werden.

5.3. Von diesen Gegebenheiten ausgehend liegt der vorliegenden Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Sanierung von wasserführenden Leitungen anzugeben, insbesondere für Leitungen kleinerer Dimensionen, so daß diese Rohrleitungen anschließend weiterhin verwendet werden können, vgl. EP-B1-0 326 867, Spalte 1, Zeile 53 bis Spalte 2, Zeile 2.

5.4. Diese Aufgabe ist mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst und zwar durch eine zweistufige Reinigung, nämlich Grobreinigung mittels Wasser und Preßluft und anschließende Feinreinigung mittels Säure unter Druck, ein anschließendes Trocknen der Rohrleitungen und einem Beschichten derselben mit flüssigem, unter Druck stehenden Kunststoff.

5.5. Damit wird einerseits eine auch Toträume der Rohrleitungen erfassende Reinigung und Beschichtung erreicht, so daß anschließend poren- und rißfreie Rohrwandungen vorliegen, die den Anforderungen z. B. der Trinkwasserbestimmungen genügen. Der apparative Aufwand gegenüber dem Bekannten ist dabei wesentlich herabgesetzt, da Pulsatoren völlig fehlen und da Hochdruckpumpen für flüssige Medien billiger sind und kleiner bauen als Ventilatoren/Gebläse aus dem Stand der Technik.

5.6. Es ist unmittelbar ersichtlich, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 eine Abkehr vom vorgezeichneten Weg gemäß (E1) bis (E3), aber auch gemäß (D1) bis (D3) darstellt und zwar aus nachfolgenden Gründen:

- in Abkehr von (E1), (E2) und (E3) wird ohne Abrasivteilchen gereinigt; weiter in Abkehr davon erfolgt gemäß Anspruch 1 ein zweistufiges Reinigen, erst mechanisch und dann chemisch bzw. erfolgt ein Beschichtungsauftrag aus der flüssigen Phase heraus; dabei muß in Abkehr von (E1) und (E2) kein Molch ("pig") durch die Rohrleitung getrieben werden - was bei scharfen Knicken bzw. Durchmesserverengungen ohnehin unmöglich ist - bzw. kein Rohrstrang aufgetrennt werden, vgl. (E3), Seite 2, Zeilen 87 bis 94.

5.7. (D1), (D2) und (D3) des Prüfungsverfahrens zeigen Einzelmerkmale des Anspruchs 1, nämlich das Säurereinigen von Rohrleitungen gemäß (D2), das Reinigen von neuen Leitungen mittels Wasser und Preßluft gemäß (D1) und das Beschichten von Rohrleitungen mittels flüssiger Dichtungsmittel gemäß Seite 3, Absatz 3 der (D3).

5.8. Gemäß Entscheidung T 37/85, veröffentlicht im ABl. EPA 1988, 86 (nur Leitsatz) läßt das Bekanntsein einzelner oder mehrerer Merkmale keinen zuverlässigen Schluß auf das Naheliegen der beanspruchten Kombination zu.

5.9. Nach Auffassung der Kammer liegt in vorliegendem Falle ganz eindeutig eine Kombination von Merkmalen vor, dergestalt, daß das Reinigungsergebnis ausstrahlt auf das nachfolgende Beschichten, vgl. Streitpatentschrift Spalte 3, Zeilen 41 bis 43, so daß die Behandlung des Beanspruchten als Aggregation, vgl. angefochtene Entscheidung Seite 7, letzter Absatz bis Seite 10, Absatz 3, seitens der Kammer nicht nachvollziehbar ist.

5.10. Zum Einwand der Beschwerdegegnerin II wonach die Merkmale a) und b) des Anspruchs 1 trivial seien, ist festzuhalten, daß die Merkmale einer Kombinationserfindung nicht für sich auf erfinderischer Tätigkeit beruhen müssen. Die zu beantwortende Frage ist, ob der hier zu betrachtende Stand der Technik die beanspruchte Kombination von Merkmalen nahelegt oder nicht.

5.11. Wie die Ausführungen in vorstehendem Abschnitt 5.6 erhellen, basiert das Verfahren von Anspruch 1 vor allem auf einer Abkehr von vorbekannten Schritten zur Reinigung bzw. Beschichtung, was für sich bereits ein eindeutiges Indiz ist, daß das Beanspruchte vom Stand der Technik nicht vorgezeichnet ist.

5.12. Der Beschwerdegegner I hat in seiner Eingabe vom 14. Juni 1996 auch noch auf (D bzw. E14) verwiesen; danach ist die Säureanwendung bekannt. Es verbleibt aber darauf zu verweisen, daß dort ein Beschichten der Dampf-Rohrleitungen nich t ins Auge zu fassen ist, allein wegen der hohen Betriebstemperaturen. Im übrigen baut (D bzw. E14) nicht auf ein vollständiges Entleeren der verbrauchten Säure, sondern auf deren Zersetzung im Betrieb, was in direktem Widerspruch zum Beanspruchten steht, vgl. Spalte 6, Zeilen 6 bis 9 der (D bzw. E14).

5.13. Vorstehende Überlegungen zusammenfassend ergibt sich, daß sich das Verfahren des Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, so daß Anspruch 1 auch die Erfordernisse der Artikel 56 bzw. 100 a) EPÜ erfüllt und dieser Anspruch den Rechtsbestand des Streitpatents in seiner gemäß Hauptantrag vorliegenden Fassung sicherstellen kann.

5.14. Die geltenden abhängigen Ansprüche 2 bis 4 sind ebenfalls rechtsbeständig und können in Verbindung mit den Spalten 1 bis 4 gemäß mündlicher Verhandlung die Basis für die Aufrechterhaltung des Streitpatents in seiner eingeschränkten Fassung bilden.

Hilfsanträge I und II

6. Bei gewährbarem Hauptantrag erübrigt sich ein Eingehen auf die Hilfsanträge I und II.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent gemäß dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Hauptantrag und geänderter Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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