T 0744/94 (Weinherstellungsverfahren / PETERSHANS) of 18.6.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T074494.19980618
Datum der Entscheidung: 18 Juni 1998
Aktenzeichen: T 0744/94
Anmeldenummer: 88110079.6
IPC-Klasse: C12G 3/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Weinherstellungsverfahren
Name des Anmelders: Petershans, Horst
Name des Einsprechenden: Carl Jung GmbH & Co. KG
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Erweiterung des Schutzumfangs nach Erteilung - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0004/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0056/99

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 298 317 mit der Bezeichnung "Weinherstellungsverfahren" wurde auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung Nr. 88 110 079.6 mit 19. Patentansprüchen erteilt.

Der erteilte Anspruch 1 lautete wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Weines mit einem Alkoholgehalt von 2 bis 5 Volumenprozent, dadurch gekennzeichnet, daß er aus einer Mischung aus entalkoholisiertem Wein und 10 bis 70 Volumenprozenten alkoholmäßig belassenem Originalwein besteht, daß der Originalwein überwiegend mindestens ein Qualitätswein ist, daß der entalkoholisierte Wein aus Wein nach einem Verfahren hergestellt wird, das in einer geschlossenen Anlage abläuft und im wesentlichen sämtliche Bestandteile des Weines zusammenführt, ausgenommen des abzuführenden Alkoholgehalts."

Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 19 beziehen sich auf weitere Ausführungsarten des Verfahrens nach Anspruch 1.

II. Es wurde ein Einspruch eingelegt, mit dem der Widerruf des Patents unter Berufung auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ (unzureichende Offenbarung) beantragt wurde.

III. Mit ihrer Entscheidung, die am 5. Juli 1994 zur Post gegeben wurde, hielt die Einspruchsabteilung das Patent auf der Basis eines in der mündlichen Verhandlung neuvorgelegten Antrags aufrecht.

Der neuvorgelegte Anspruch 1 lautete wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Weines mit einem Alkoholgehalt von 2 bis 5 Volumenprozent, dadurch gekennzeichnet, daß er aus einer Mischung aus entalkoholisiertem Wein und 10 bis 40 Volumenprozenten alkoholmäßig belassenem Originalwein besteht, daß der Originalwein überwiegend mindestens ein Qualitätswein ist und daß der entalkoholisierte Wein ganz oder überwiegend mit einer Vorrichtung nach der deutschen Patentanmeldung P 3 617 654.0 (DE-A-3 617 654) oder einer hierzu äquivalenten Vorrichtung hergestellt ist."

Die Einspruchsabteilung war der Meinung, daß der neue Hauptanspruch auf spezifische Ausführungsformen der im erteilten Anspruch 1 beschriebenen Anlagen zur Produktion von alkoholreduzierten Wein gerichtet sei. Somit sei der neue Anspruch nach Artikel 123 (3) EPÜ gewährbar.

IV. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein und reichte eine Beschwerdebegründung ein.

V. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) reichte eine Erwiderung auf die Beschwerdebegründung ein.

VI. Die Kammer teilte in einer Mitteilung nach Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern den Parteien die zu diskutierenden Fragen mit, und wies u. a. auf Artikel 123 (3) EPÜ hin.

VII. Am 18 Juni 1998 fand eine mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdegegner nicht erschien, ohne dies vorher der Kammer mitgeteilt zu haben.

VIII. Der Beschwerdeführer trug schriftlich und während der mündlichen Verhandlung vor, daß das Patent den Formalerfordernissen des EPÜ nicht genüge. Insbesondere betonte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, daß der von der Einspruchsabteilung akzeptierte Patentanspruch 1 einen breiteren Schutzumfang aufweise als der erteilte Patentanspruch 1 und somit Artikel 123 (3) EPÜ verletze. Der erteilte Anspruch weise das Merkmal auf, daß der Wein in einer geschlossenen Anlage entalkoholisiert werden solle. Dieses Merkmal sei kennzeichnend für die Vorrichtung, die in der Druckschrift DE-A 3 617 654 beschrieben ist (siehe Patentbeschreibung, Seite 2, Spalte 2, Zeilen 37 bis 40).

Der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachtete, neu vorgelegte, Patentanspruch 1 enthalte nun das Merkmal, den Wein in einer Vorrichtung zu entalkoholisieren, die zwar die Merkmale der in der DE-A 3. 617 654 haben könnte, aber nicht notwendigerweise haben müsse, da der entalkoholisierte Wein ganz oder überwiegend mit einer Vorrichtung nach der deutschen Patentanmeldung P 3 617 654.0 hergestellt ist. Anspruch 1 sei somit nach Artikel 123 (3) EPÜ nicht zulässig.

IX. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 298 317.

X. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte die Beschwerde in vollem Umfang zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Anspruch 1 des hier zu beurteilenden Antrags war in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegt worden. Er unterscheidet sich vom erteilten Anspruch auf die oben in den Absätzen I und II dargelegte Weise. Die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ sind daher zu prüfen.

2. Die Einspruchsabteilung hatte diese Erfordernisse als erfüllt angesehen. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hatte der Beschwerdeführer neuerdings vorgetragen, daß der Schutzumfang des fraglichen Anspruchs unzulässig erweitert sei (Artikel 123 (3) EPÜ).

3. In der Entscheidung G 4/92 (ABl. EPA 1994, 149) hat sich die Große Beschwerdekammer mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine abschließende Entscheidung zu Ungunsten einer Partei auf der Basis neuer Tatsachen, Beweismittel und/oder Argumente getroffen werden darf, wenn diese Partei der Verhandlung fernbleibt ("Darf bei freiwilligem Fernbleiben einer Partei von der mündlichen Verhandlung die verkündete Entscheidung zu deren Ungunsten auf in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte neue Tatsachen, Beweismittel und/oder Argumente gestützt werden?"). Unter Punkt 10 der Entscheidung wird insbesondere ausgeführt: "Bezüglich der neuen Argumente sind, sofern sie an den Gründen, auf die die Entscheidung gestützt ist, nichts ändern, die Erfordernisse des Artikels 113 (1) EPÜ auch dann erfüllt, wenn die Beteiligten auf Grund ihres freiwilligen Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit hatten, sich dazu zu äußern...".

4. Die Kammer ist der Auffassung, daß diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist, da es sich bei dem zu prüfenden Sachverhalt um denselben handelt, wie er der Einspruchsabteilung vorlag. Das vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgetragene Argument, der geändert aufrechterhaltene Anspruch 1 verstoße gegen Artikel 123 (3) EPÜ, wird somit von der Kammer trotz des Fernbleibens des Beschwerdegegners berücksichtigt.

5. Eines der Merkmale des erteilten Anspruchs 1 ist, daß der entalkoholisierte Wein in einer geschlossenen Anlage hergestellt wird. In der Beschreibung wird als ein Beispiel einer solchen Anlage die in der Patentanmeldung DE-A-3 617 654 beschriebene Anlage genannt.

6. Der zu prüfende Anspruch 1 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch die Änderung " ... daß der entalkoholisierte Wein ganz oder überwiegend mit einer Vorrichtung nach der deutschen Patentanmeldung P 3 617 654.0 (DE-A 3 617 654) oder einer hierzu äquivalenten Vorrichtung hergestellt ist."

7. Zu der in der Patentanmeldung DE-A-3 617 654 beschriebenen Anlage äquivalente Anlagen waren vom erteilten Patentanspruch nicht mitumfaßt. "Äquivalent" heißt nicht "gleich" und ist somit etwas anderes, sodaß dem erteilten Anspruch ein "aliud" hinzugefügt wurde. Dies ist eine unzulässige Änderung des erteilten Anspruchs 1. Weiterhin hat das Merkmal, daß das Verfahren "ganz oder überwiegend" in der genannten Anlage durchzuführen sei, eine andere technische Bedeutung als das im erteilten Anspruch genannte Merkmal, " ... daß der entalkoholisierte Wein aus Wein nach einem Verfahren hergestellt wird, das in einer geschlossenen Anlage abläuft ...". Nach dem geänderten Wortlaut des Patentanspruchs 1 kann somit der Entalkoholisierungsvorgang auch nur zum Teil in einer geschlossenen Anlage durchgeführt werden. Auch diese Änderung stellt eine unzulässige Erweiterung des Schutzumfangs des erteilten Anspruchs 1 dar, da sich theoretisch nunmehr ein Dritter, der sich am erteilten Patentanspruch orientiert, und sein Verfahren so angelegt hätte, daß es gerade nicht vollständig in einer geschlossenen Anlage durchgeführt wird, um den erteilten Anspruch 1 nicht zu verletzten, nun mit einem Patentanspruch konfrontiert sähe, den er verletzen würde. Daß eine solche Situation nicht eintritt, ist Sinn und Zweck des Artikels 123 (3) EPÜ. Der von der Einspruchsabteilung in geänderter Form aufrechterhaltene Anspruch 1 verletzt somit die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ und ist daher nicht gewährbar.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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