T 0454/93 (Adsorbens/FRESENIUS) of 6.11.1995

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T045493.19951106
Datum der Entscheidung: 06 November 1995
Aktenzeichen: T 0454/93
Anmeldenummer: 90118896.1
IPC-Klasse: B01J 20/32
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Zur Eliminierung von Biomakromolekülen insbesondere LDL und Endotoxinen, aus Vollblut in extrakorporalem Kreislauf geeignetes Adsorbens
Name des Anmelders: Fresenius AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 116(1)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Verfahrensmangel - nein
Änderungen
Procedural violation (no)
Amendments
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0088/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0431/99

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 90 118 896.1 (Veröffentlichungsnummer 0 424 698) wurde von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

II. Grundlage der Entscheidung war ein geänderter Anspruch 1 (Hauptantrag) und die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 3 (Hilfsantrag). Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß Anspruch 1 gemäß Hauptantrag über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Artikel 123 (2) EPÜ) und daß der ursprüngliche Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag unklar sei (Artikel 84 EPÜ).

Der Beschwerdeführer hatte nach zwei Amtsbescheiden, mit dem Schreiben vom 25. September 1992, "um einen Termin für eine mündliche Erörterung bzw. um ein Telefonat mit dem beauftragten Prüfer gebeten". Die angefochtene Entscheidung wurde ohne einen derartigen Termin und ohne mündliche Verhandlung erlassen.

III. Der Beschwerdeführer legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte zusammen mit der Beschwerdebegründung zwei neue Patentansprüche 1A und 1B ein.

In der Beschwerdebegründung wurde ausgeführt, daß das Recht auf rechtliches Gehör nicht gewährt wurde, weil das schriftliche Ersuchen um einen Termin für eine mündliche Erörterung bzw. um ein Telefonat mit dem beauftragten Prüfer unberücksichtigt geblieben war.

Zur Klarheit des Anspruchs 1A wurde ausgeführt, daß das Merkmal, daß das Trägermaterial im wesentlichen eine sphärische Gestalt aufweist, in Hinblick auf Beschreibung und Abbildungen, insbesondere die Abbildungen 4a und 4b, für einen Fachmann klar und eindeutig sei. Auch Anspruch 1B sei klar und das Merkmal, daß das Trägermaterial überwiegend in Form von unaggregierten Einzelteilchen regelmäßiger, sphärischer Gestalt vorliegt, basiert auf Abbildung 4B.

Im späteren Verfahren wurden, zur Verdeutlichung der ursprünglichen Abbildungen 4a und 4b, neue Abbildungen 1 bis 6 zusammen mit neuen Ansprüchen 1A und 1B eingereicht, in denen lediglich drei Schreibfehler korrigiert wurden.

IV. In einem Amtsbescheid wurde die Ausführbarkeit im Sinne von Artikel 83 EPÜ im Frage gestellt, weil die Herstellung des verwendeten Trägermaterials in der Beschreibung nicht detailliert beschrieben war und es fraglich war, ob das in den Beispielen 1 und 2 verwendete Trägermaterial, das durch eine interne Bezeichnung charakterisiert wurde, am Prioritätstag für den Fachmann zugänglich war.

Daraufhin wurden Kopien des Prospektes "Fractogel TSK" der Fa. Merck und eine Erklärung des Erfinders Dr. Veit Otto eingereicht um darzulegen, daß das verwendete Trägermaterial am Prioritätstag für den Fachmann zugänglich war.

V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und 1. Hilfsantrag (Anspruch 1A eingereicht mit Schreiben vom 30. Juni 1993) lautet wie folgt:

"Zur Eliminierung von Biomakromolekülen, insbesondere von LDL und Endotoxinen, aus Vollblut in extrakorporalem Kreislauf geeignetes Adsorbens, umfassend ein poröses Trägermaterial aus einem Homo-, Co- oder Terpolymerisat der Acrylsäure und/oder Methacrylsäure mit einem Teilchengrößenbereich von etwa 50 bis 250 µm und einer Ausschlußgrenze von mindestens 5 x 105 Dalton sowie einen organischen Liganden, der über einen Spacer an das Trägermaterial kovalent gebunden ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Trägermaterial im wesentlichen eine sphärische Gestalt aufweist."

Anspruch 1 gemäß 2. Hilfsantrag (Anspruch 1B eingereicht mit Schreiben vom 30. Juni 1993) unterscheidet sich davon dadurch, daß in der letzten Zeile "im wesentlichen eine sphärische Gestalt aufweist" ersetzt wurde durch "überwiegend in Form von unaggregierten Einzelteilchen regelmäßiger, sphärischer Gestalt vorliegt".

VI. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

- die Anmeldung auf der Grundlage des Patentanspruchs 1A und der ursprünglichen Unteransprüche 2 und 3, unter Rückzahlung der Beschwerdegebühr zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen (Hauptantrag),

- die Patenterteilung auf der Grundlage des Patentanspruchs 1A und der ursprünglichen Unteransprüche 2 und 3 (1. Hilfsantrag),

- die Patenterteilung auf der Grundlage des Patentanspruchs 1B und der ursprünglichen Unteransprüche 2 und 3 (2. Hilfsantrag).

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1. Der Beschwerdeführer bemängelte, daß die Prüfungsabteilung die Entscheidung erlassen hat, ohne ihm die Gelegenheit für eine mündliche Erörterung zu geben. Dies führe zu dem erheblichen Verfahrensmangel der Nichtgewährung des dem Anmelder zustehenden rechtlichen Gehörs.

2.2. Bevor die Entscheidung erlassen wurde, hatte die Prüfungsabteilung zwei Bescheide mit den relevanten Gründen abgeschickt, so daß der Beschwerdeführer die Gelegenheit hatte sich mit den entscheidenden Argumenten der Prüfungsabteilung auseinanderzusetzen. Die Bedingungen des Artikels 113 (1) EPÜ sind also erfüllt.

Auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten muß jedoch eine mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung durchgeführt werden (Artikel 116 (1) EPÜ). Es ist also zu prüfen, ob ein Antrag auf eine mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ vorlag.

2.3. Wie unter Punkt II ausgeführt, hatte der Beschwerdeführer mit dem Schreiben vom 25. September 1992 "um einen Termin für eine mündliche Erörterung bzw. um ein Telefonat mit dem beauftragten Prüfer gebeten". Der Beschwerdeführer hatte weder den allgemein geläufigen Ausdruck "mündliche Verhandlung" noch einen Verweis auf Artikel 116 (1) EPÜ in seinem Ersuchen nach einer mündlichen Erörterung mit dem beauftragten Prüfer verwendet.

Ein solcher Antrag wurde als ein Antrag für ein informelles Interview mit dem beauftragten Prüfer verstanden. Solche Interviews sind im EPÜ nicht geregelt, jedoch im Prüfungsverfahren allgemein üblich und für unbürokratische Problemlösungen empfehlenswert. Ein Anrecht auf ein derartiges Interview besteht jedoch nicht, so daß der beauftragte Prüfer das Ersuchen, wenn er dies nicht für sachdienlich hält, ohne Angabe von Gründen ablehnen kann. Bei dieser Sachlage braucht die Prüfungsabteilung nicht zu begründen, weshalb keine mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung im Sinne von Artikel 116 (1) EPÜ durchgeführt wurde.

Wenn eine mündliche Verhandlung im Sinne von Artikel 116 (1) EPÜ beabsichtigt war, ist es kein Verfahrensmangel, wenn ein diesbezüglicher Antrag durch eine nicht passende Formulierung der Antragsteller nicht als solcher verstanden wurde.

Die Kammer sieht deswegen keinen Anlaß, die Anmeldung laut Hauptantrag zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

Weil dem Hauptantrag nicht stattgegeben wird, kann auch dem damit verknüpften Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ nicht stattgegeben werden; vgl. T 88/87 vom 18. April 1989, Absatz 9, nicht veröffentlicht im ABl. EPA.

3. 1. Hilfsantrag

Anspruch 1A unterscheidet sich vom ursprünglichen Anspruch 1 durch den Ausdruck "im wesentlichen" vor einer "sphärische Gestalt". Der Ausdruck "im wesentlichen" kommt in der ursprünglichen Beschreibung nicht vor. Die Bedeutung dieses Ausdrucks ist auch nicht eindeutig. Es könnte bedeuten, daß alle Trägerteilchen eine nahezu sphärische Gestalt aufweisen oder, wie in der Mitteilung der Kammer schon erwähnt, daß fast alle Teilchen eine sphärische Gestalt aufweisen. Keiner dieser Bedeutungen wird jedoch von der ursprünglichen Beschreibung und den Figuren getragen.

Die erfindungsgemäße Abbildung 4b zeigt eindeutig auch Teilchen die keine sphärische Gestalt aufweisen. Der Feststellung in der Beschwerdebegründung, daß in der Abbildung 4b mindestens etwa 75 % der Teilchen aus nicht- aggregierten Einzelteilchen bestehen, kann zugestimmt werden. Es bedeutet jedoch gleichzeitig, daß ein nicht unerheblicher Teil der Teilchen, etwa 25%, keine sphärische Gestalt aufweist und das Trägermaterial also nicht im wesentlichen eine sphärische Gestalt aufweist. Die Änderung in Anspruch 1A geht daher über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, so daß Anspruch 1A nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht gewährbar ist.

4. 2. Hilfsantrag

Anspruch 1B unterscheidet sich vom ursprünglichen Anspruch 1 durch die Angabe, daß das Trägermaterial überwiegend in Form von unaggregierten Einzelteilchen regelmäßiger, sphärischer Gestalt vorliegt. Dieser Wortlaut kommt in der ursprünglichen Anmeldung auch nicht vor, aber entspricht ziemlich genau dem was in der ursprünglichen Fig. 4b gezeigt, und durch die nachgereichten Abbildungen kontrastreicherer Aufnahmen bestätigt wurde. In diesem Zusammenhang wird der Ausdruck "überwiegend" als "in der Mehrzahl" verstanden.

Anspruch 1B ist also klar und von der Beschreibung (inklusive Abbildungen) gestützt und geht nicht über die ursprüngliche Offenbarung hinaus. Die Bedingungen der Artikel 84 und 123 (2)EPÜ sind für diesen Anspruch erfüllt.

5. Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)

Der Beschwerdeführer hat durch Einreichung des Prospekts "Fractogel TSK" und einer eidesstattliche Erklärung der Erfinder glaubhaft dargelegt, daß die erfindungsgemäß einzusetzenden Trägermaterialien vor dem Prioritätstag im Handel erhältlich waren. Die Kammer sieht daher keinen Grund, den Einwand der mangelnden Offenbarung weiter zu verfolgen.

6. Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit der Anmeldung wurden in der Entscheidung der Prüfungsabteilung nicht erörtert.

Die Kammer hält es daher nicht für angezeigt, die Neuheit und erfinderische Tätigkeit ohne Stellungnahme der Vorinstanz zu untersuchen und macht von ihrer Befugnis nach Artikel 111(1) EPÜ Gebrauch, die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Hauptantrag und 1. Hilfsantrag werden zurückgewiesen.

3. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung, auf der Grundlage des Anspruchs 1B, gemäß 2. Hilfsantrag, zurückverwiesen.

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