European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1994:T003193.19941108 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 08 November 1994 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0031/93 | ||||||||
Anmeldenummer: | 84105232.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60R 16/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Einrichtung zum Abfragen und Steuern von mehreren Komponenten eines Fahrzeugs | ||||||||
Name des Anmelders: | WABCO Vermögensverwaltungs-GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Neuer Einspruchsgrund (im Beschwerdeverfahren) Zustimmung des Patentinhabers zur Prüfung (nein) Änderungen - Streichung eines Merkmals (ja), Erweiterung des Schutzbereichs (nein) Zurückverweisung an die Vorinstanz Admissibility of opposition New ground for opposition introduced at appeal stage - patentee's agreement (no) Conflict between Art. 123(2) and 123(3) EPC Deletion of a statement - infringment of Art. 123(3) EPC (no) Extension of subject-matter beyond the content of the application (no) Remittal to the department of first instance Novelty Inventive step |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 9. Mai 1984 angemeldete und am 10. April 1985 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 84 105 232.7 wurde am 5. September 1990 das europäische Patent Nr. 0 136 398 erteilt.
II. Der von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) am 5. Juni 1991 gegen das Patent eingelegte, auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ (Neuheit) in bezug auf den Stand der Technik nach der Druckschrift "Einführung in die Mikroprozessortechnik", 1977, Freising, Texas Instruments Deutschland GmbH (E1) gestützte Einspruch führte zum Widerruf des im Laufe des Einspruchsverfahrens geänderten Patents aus Gründen von Artikel 123 (3) EPÜ durch die am 13. November 1992 verkündete und am 21. Dezember 1992 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 7. Januar 1993 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Die Beschwerdebegründung ist am 27. März 1993 eingegangen.
IV. In einem Bescheid der Beschwerdekammer gemäß Artikel 11 (2) VOBK vom 24. Februar 1994 ist festgestellt worden, daß die Einspruchsabteilung gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 10/91, ABl. EPA 1993, 420 (Punkt 16) befugt war, das angefochtene Patent unter Zugrundelegen eines neuen Einspruchsgrunds (Art. 100 c) EPÜ) zu prüfen, da der neue Einspruchsgrund offensichtlich relevant war und der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstand.
V. Am 8. November 1994 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des in der mündlichen Verhandlung am 8. November 1994 überreichten Anspruchs 1.
VII. Der in der mündlichen Verhandlung überreichte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Multiplex-System zum Abfragen und Steuern von mehreren Komponenten (18, 19, 20, 21) eines Fahrzeugs mit folgenden Merkmalen:
a) es sind mehrere Unterverteilungs-Einrichtungen (17, 23, 25) vorgesehen, an die jeweils mehrere der Komponenten angeschlossen sind,
b) es ist eine zentrale Sendeeinheit (11) vorgesehen, an die die Unterverteilungs-Einrichtungen (17, 23, 25) über ein Multiplex-Leitungssystem (13) angeschlossen sind,
c) an die zentrale Sendeeinheit (11) ist über einen Bus (9) eine Anzeige- und Bedieneinheit (1) angeschlossen,
gekennzeichnet durch folgende Merkmale:
d) die zentrale Sendeeinheit (11) weist einen zusätzlichen Datenanschluß (10) mit definierter Schnittstelle auf,
e) an den zusätzlichen Datenanschluß (10) sind über ein Bus-System (9) ein oder mehrere übergeordnete Module (2, 3, 4) mit eigener Intelligenz und eigenem Mikrocomputer über Steckvorrichtungen anschließbar, die zur Steuerung oder Regelung von unterschiedlichen Fahrzeugsystemen dienen,
f) die zentrale Sendeeinheit (11) leitet die Befehle der Module (2, 3, 4) an die zugehörigen Komponenten (18, 19, 20, 21) weiter,
g) die zentrale Sendeeinheit (11) fragt die Komponenten (18, 19, 20, 21) nacheinander oder bei Bedarf prioritätsabhängig ab und übermittelt nacheinander oder bei Bedarf die Signale von als Sensoren (21) ausgebildeten Komponenten zu den zugehörigen Modulen."
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Im vorliegenden Fall stehe das in den ursprünglichen Unterlagen nicht vorhandene Teilmerkmal f) des erteilten Anspruchs 1 "die zentrale Sendeeinheit (11) fragt die Module (2, 3, 4) ... ab" im offensichtlichen Widerspruch zum gesamten Inhalt der ursprünglichen und auch zur Beschreibung der erteilten Unterlagen. Das Wort "abfragen" werde in den ursprünglichen Unterlagen auf der Beschreibungsseite 4, ab Zeile 24 ausschließlich im Zusammenhang damit gebraucht, daß die Sendeeinheit die Komponenten abfragt. Außerdem wäre dieses erkennbar unrichtige Teilmerkmal, d. h. ein Abfragen der Module durch die Sendeeinheit, insbesondere dann, wenn diese zum Regeln des Bremsvorgangs (ABS) dienten, widersinnig. In einem solchen Falle müsse nämlich der Durchgriff der Module auf die Komponenten frei sein, ein Abfragen des ABS-Moduls durch die Sendeeinheit gebe daher keinen Sinn. Diejenigen summarisch formulierten Textstellen in der Beschreibung, die für sich betrachtet die Möglichkeit des Abfragens der Module durch die Sendeeinheit sprachlich miteinschließen, könnten nicht als Offenbarung des unrichtigen Teilmerkmals durch die Beschreibung angesehen werden. Die im geltenden Anspruch 1 (in den Absätzen f und g) vorgenommenen Änderungen zur Berichtigung des genannten Teilmerkmals stünden somit in Einklang mit den Ausführungen in der Beschwerdekammer-Entscheidung T 108/91 (ABl. EPA 94, 228). Die Möglichkeit zur Änderung eines erteilten Anspruchs 1 zwecks Beseitigung einer Unvereinbarkeit mit der Gesamtoffenbarung sei im übrigen auch durch die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/93 nicht ausgeschlossen. Die Berichtigung des im erteilten Anspruch 1 offensichtlich falsch formulierten Merkmals f) widerspreche somit nicht den Anforderungen von Artikel 123 (3) EPÜ.
Die erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer angesprochenen, angeblich ursprünglich nicht offenbarten Textstellen im erteilten und geltenden Anspruch 1, nämlich die Merkmale "Steckvorrichtung", "definierte Schnittstelle", "zusätzlicher Datenanschluß", "Module mit eigener Intelligenz" und "übergeordnete Module" seien sinngemäß den ursprünglichen Unterlagen zu entnehmen, bzw. seien, was das Wort "zusätzlich" betrifft, als überflüssig erkennbar. Im übrigen werde unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 9/91, Punkt 18, der Beschwerdekammer die Zustimmung zur Prüfung dieses neuen Einspruchsgrundes nicht gegeben. Es handle sich nämlich dabei um das erstmalige Vorbringen einer Beanstandung nach Artikel 123 (2) im Zusammenhang mit im Anspruch 1 unverändert aufrechterhaltenen Textstellen, die in keinem Zusammenhang mit den im Einspruchsverfahren erfolgten Änderungen stehen.
IX. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und trug zur Stützung ihres Antrags folgendes vor:
Das strittige, im Absatz f) des erteilten Anspruchs 1 enthaltene Teilmerkmal betreffe einen technischen Beitrag zum Gegenstand des Anspruchs 1 und sei auch technisch sinnvoll, denn in der ursprünglichen Beschreibung, insbesondere Seite 5, 2. Absatz, ab Zeile 15 sei angegeben, daß über den Datenbus Daten ausgetauscht werden. Es könnten demnach entweder die Module die Sendeeinheit abfragen oder die Sendeeinheit die Module. Die zweite Alternative sei in den ursprünglichen Unterlagen zwar nicht ausdrücklich genannt, jedoch sei sie keinesfalls unsinnig. Die Benennung einer der zwei möglichen Alternativen im Teilmerkmal f) des erteilten Anspruchs 1 erzeuge somit keinen Widerspruch zwischen dem erteilten Anspruch 1 und der Beschreibung. Durch die vorgenommene Änderung des Anspruchs 1, nämlich durch das Ersetzen der einen durch die andere Alternative, sei somit keinesfalls eine technisch unrichtige gegen eine technisch richtige Aussage ausgetauscht worden, sondern es seien offenbarte Alternativmöglichkeiten gegeneinander ausgetauscht worden, was einen Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ darstelle. Auch vom Text auf Seite 8, Zeilen 4 bis 6 der ursprünglichen Beschreibung könne abgeleitet werden, daß die Sendeeinheit nicht notwendigerweise zur Abfrage der Komponenten vorgesehen sei, sondern daß auch ein Abfragen der Module ins Auge gefaßt worden sei.
Es werde auch noch auf die folgenden weiteren, in den ursprünglichen Unterlagen ebenfalls nicht offenbarten Teilmerkmale aus dem erteilten und dem geltenden Anspruch 1 verwiesen: "Steckvorrichtungen", "definierte Schnittstelle", "zusätzlicher Datenanschluß", "eigene Intelligenz" und "übergeordnete Module". Auch für die vorgenannten, nicht offenbarten Begriffe gelte, daß sie einerseits einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ darstellen, andererseits aber im Hinblick auf Artikel 123 (3) nicht gestrichen werden können.
Es bestehe auch ein Zusammenhang zwischen dem von der Einspruchsabteilung vorgebrachten Einwand gemäß Artikel 123 (2) EPÜ und dem erstmals im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwänden gemäß Artikel 123 (2) EPÜ hinsichtlich der mangelnden Offenbarung der genannten Begriffe, zumindest soweit es sich um die Begriffe "definierte Schnittstelle", "eigene Intelligenz" und "übergeordnete Module" handle.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Zulässigkeit des geänderten Anspruchs 1
2.1. Die Merkmalsgruppe f) des erteilten Anspruchs 1 enthält folgende Aussagen:
(f1) "die zentrale Sendeeinheit (11) fragt die Module (2, 3, 4) nacheinander oder bei Bedarf prioritätsabhängig ab"
(f2) "und leitet deren Befehle an die zugehörigen Komponenten (18, 19, 20, 21) weiter".
Im geltenden, geänderten Anspruch 1 ist in der Merkmalsgruppe f) nur noch die Aussage nach (f2) enthalten. Die Aussage nach (f1) ist ersetzt worden durch die Aussage in der Merkmalsgruppe g):
"die zentrale Sendeeinheit (11) fragt die Komponenten (18, 19, 20, 21) nacheinander oder bei Bedarf prioritätsabhängig ab".
Außerdem wurde in die Merkmalsgruppe g) noch zusätzlich die als solche offensichtlich erkennbare Klarstellung
"von als Sensoren (21) ausgebildeten Komponenten"
eingefügt.
2.2. Mittels der unter Punkt 2.1 erläuterten Änderungen des Anspruchs 1 ist somit unbestritten eine eindeutig einschränkende technische Aussage (f1) im erteilten Anspruch 1 durch eine andere eindeutig einschränkende technische Aussage (in der Merkmalsgruppe g) des geltenden Anspruchs 1 enthalten) ersetzt worden.
In der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/93, ABl. EPA 1994, 541 (Punkt 13) ist u. a. festgestellt worden:
"Nur wenn sich das hinzugefügte Merkmal ohne Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ durch ein in der ursprünglichen Anmeldung offenbartes anderes Merkmal ersetzen läßt, kann das Patent (in geändertem Umfang) aufrechterhalten werden. Dies mag in der Praxis selten vorkommen."
Ein solcher Fall ist in der Beschwerdekammerentscheidung T 108/91, (a. a. O.), auf die in der Entscheidung G 1/93 in Punkt 4 unter anderem im Zusammenhang mit einem möglichen Ersatz eines Merkmals hingewiesen wurde, behandelt worden. Unter Punkt 2.3, letzter Absatz dieser Entscheidung wird zur Begründung dafür, daß der Ersatz des ursprünglich nicht offenbarten Merkmals durch das offenbarte Merkmal nicht gegen Artikel 123 (3) verstößt, ausgeführt, daß im dortigen Fall anhand der Beschreibung und der Zeichnungen der Patentschrift sofort deutlich werde, daß der im erteilten Anspruch definierte Sachverhalt nicht das sein konnte, wofür Schutz begehrt wurde, sondern daß vielmehr das beabsichtigt gewesen sein mußte, was diesbezüglich in dem geänderten Anspruch angegeben ist. Dies heiße mit anderen Worten, daß bei fairer Auslegung des Anspruchs vor dem Hintergrund der Gesamtoffenbarung des Patents dessen Schutzbereich tatsächlich nicht erweitert worden ist.
2.3. Es ist somit im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die vorstehend unter 2.1 erläuterte Änderung des Anspruchs 1 einen Ausnahmefall der vorgenannten Art betrifft und ob durch die Änderung des erteilten Anspruchs eine unrichtige technische Aussage, die mit der Gesamtoffenbarung des Patents offensichtlich unvereinbar ist, durch die richtige Angabe der betreffenden technischen Merkmale ersetzt wurde.
2.4. Die Beschwerdeführerin vertritt in diesem Zusammenhang den Standpunkt, daß die Aussage im erteilten Anspruch 1 in der Merkmalsgruppe f) "die zentrale Sendeeinheit (11) fragt die Module ... ab" mit dem weiteren Inhalt des Patents (Beschreibung) und den ursprünglichen Unterlagen unvereinbar sei, wonach die zentrale Sendeeinheit die Komponenten abfrage. Das Abfragen der Module sei an keiner Stelle der ursprünglichen Unterlagen und der erteilten Beschreibung erwähnt und widerspreche auch der Zielrichtung des Streitpatents. Zumindest im Falle eines auf ein ABS-System abgestellten Moduls sei ein Abfragen des Moduls durch die Sendeeinheit sinnlos und funktionswidrig.
2.5. Zur Darstellung der Tragweite der im Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen wird zunächst auf die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabenstellung und deren Lösung eingegangen.
Das Streitpatent geht nach der Beschreibungseinleitung und dem Oberbegriff des Anspruchs 1 von einem Multiplex- System zum Abfragen und Steuern von mehreren Komponenten eines Fahrzeuges aus, bei dem eine zentrale Sendeeinheit über ein Multiplex-Leitungssystem über mehrere Unterverteilungs-Einrichtungen an Sensor-Komponenten und Betätigungs-Komponenten (z. B. Lüftermotoren) angeschlossen ist. Nach der Beschreibungseinleitung (Sp. 1, Z. 41 ff) des Streitpatents gibt es eine Reihe von Funktionen, die in zunehmendem Maße über ein Multiplex-System ausgeführt werden können. Es könne z. B. daran gedacht werden, die zentrale Sendeeinheit so auszubilden, daß diese die für die Funktion "Antiblockiersystem" erforderlichen Abfragen, Auswertungen und Verknüpfungen unter Verwendung von bereits für den Betrieb des Multiplex-Leitungssystems vorhandenen Schaltkreisen mitübernimmt. Insbesondere in dem Fall, daß man noch weitere spezielle Funktionen (wie z. B. Klimasteuerung, Türsteuerungen usw.) realisieren wolle, würde dann die zentrale Sendeeinheit sehr aufwendig und damit störanfällig. Ein Ausfall würde die Arbeitsweise aller weiteren Funktionen gefährden und im Falle eines Defektes müßte die ganze Sendeeinheit ausgewechselt werden. Von diesen Überlegungen wurde die im Streitpatent in Spalte 1, Zeilen 59 bis 62 genannte Aufgabe abgeleitet, eine Einrichtung der genannten Art zu schaffen, die mit geringem Aufwand einen weitgehend sicheren Betrieb ermöglicht. Durch die im Anspruch 1 definierte Verwendung von Modulen, die zur Steuerung oder Regelung von unterschiedlichen Fahrzeugsystemen dienen, wird mit geringem Aufwand eine Erweiterung oder Reduzierung der Einrichtung durch einfaches Hinzufügen oder Abtrennen von Modulen verschiedener Funktion möglich (vgl. Sp. 2, Z. 3 - 26 des Streitpatents). An dieser Stelle wird auch darauf hingewiesen, daß beim Gegenstand des Streitpatents die zentrale Sendeeinheit unabhängig von dem speziellen Aufbau der anschließbaren Module standardisiert ausgeführt werden könne und bei einer Störung in einer der Baugruppen lediglich das betreffende Modul oder die vergleichsweise einfach aufgebaute zentrale Sendeeinheit auszuwechseln seien.
Diese Ausführungen in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents, die im wesentlichen denjenigen der ursprünglichen Beschreibungseinleitung entsprechen, zeigen, daß beim Streitpatent die Regel- und Steuerfunktionen in den Rechen- und Programmsystemen nicht in der zentralen Sendeeinheit zusammengefaßt, sondern möglichst auf die Module verteilt werden sollen. Die von den ursprünglichen Unterlagen unverändert in die Patentschrift übernommene Beschreibung des Ausführungsbeispiels befaßt sich ab Seite 4, 3. Absatz mit dem Signalaustausch zwischen den Einheiten des Multiplex-Systems (Sendeeinheit 11, Unterverteilungs- Einrichtungen 17, 23, 25, Komponenten 18 bis 24 und Modulen 1 bis 4).
Im folgenden werden diejenigen Textstellen der ursprünglichen Beispielsbeschreibung betrachtet, die die Signalübertragung zwischen der zentralen Sendeeinheit und den Komponenten einerseits und der zentralen Sendeeinheit und den Modulen andererseits betreffen. Der Beschreibungstext Seite 4, Zeile 16 bis Seite 5, Zeile 9 befaßt sich zunächst mit dem Signalaustausch (über die Unterverteilungs-Einrichtungen) zwischen der Sendeeinheit 11 und den angeschlossenen Komponenten. In diesem Zusammenhang wird dort folgendes ausgeführt:
"Es ist z. B. möglich, daß die Komponenten 18, 19, 20, 21, 22 und 24 ständig von der Sendeeinheit 11 abgefragt werden ... Dabei ist noch die Verwendung einer Prioritäts-Schaltungseinrichtung möglich, um bestimmte Komponenten ... abfragen bzw. ansteuern zu können. Die von der Sendeeinheit 11 abgefragten Komponenten- Ausgangssignale ... sind an ... der Sendeeinheit 11 abgreifbar. Über diese Dateneingänge und -ausgänge 10 erhält die Sendeeinheit 11 ... Signale zugeführt, die zum Steuern bzw. Abfragen der Komponenten ... dienen.
Zum Auswerten der von der Sendeeinheit 11 ... abrufbaren ... Signale ist eine Reihe von ... Modulen vorgesehen, ... ist ein Datenbussystem 9 angeordnet, das ... Signale zwischen den Modulen 1, 2, 3 und 4 ... und der Sendeeinheit 11 ... auszutauschen erlaubt."
Aus den zitierten Textstellen ist ersichtlich, daß ausschließlich die Komponenten abgefragt werden, wobei die Abfrage durch die Sendeeinheit 11 erfolgt. Bei Betrachtung des Hinweises auf einen Signalaustausch zwischen der Sendeeinheit 11 und den Modulen ist an keiner Stelle der Beschreibung eine Andeutung dahingehend gemacht, daß die zentrale Sendeeinheit die Module abfragt. Aus dem Gesamtzusammenhang kann der Fachmann diesen Signalaustausch somit nicht in dem Sinne verstehen, daß die Sendeeinheit nicht nur die Komponenten, sondern auch die Module abfragt.
Die Funktionsweise der Module wird in der ursprünglichen Beschreibung ab Seite 6, Zeile 31 näher erläutert. Dort wird darauf hingewiesen, daß das Modul 3 adressierte Abfrage-Datenwörter erzeugt, die über das Datenbussystem 9 der Sendeeinheit 11 zugeführt werden, wobei die Sendeeinheit diesen Abfrage-Datenwörtern des Moduls die betreffenden Komponenten zuordnet (S. 7, Z. 1 - 8). Auf Seite 7, Zeilen 20 bis 24 wird der Fall erläutert, daß die Sendeeinheit und die Unterverteilungseinheiten ständig Daten und Signale austauschen, und zwar unabhängig davon, ob eine Anfrage seitens eines Moduls vorliegt oder nicht. In Zusammenhang mit einem Signalaustausch zwischen Sendeeinheit und Modul ist in der Beschreibung somit allein ein Abfragen von seiten des Moduls offenbart. Es ist an keiner Stelle erwähnt oder angedeutet, daß die Sendeeinheit die Module abfragt. Auch die von der Beschwerdegegnerin angezogene Textstelle auf Seite 8 der ursprünglichen Beschreibung, Zeilen 4 bis 6, bezieht sich auf die bloße Weiterleitung und Übertragung der erwähnten (von den Modulen erzeugten) Abfrage-Datenwörter.
Aus der Beschreibung ist somit eindeutig zu entnehmen, daß die Sendeeinheit entweder von sich aus selbsttätig oder aufgrund der von den Modulen eingehenden Abfrage- Datenwörtern die Sensor- bzw. Stellglied-Komponenten abfragt.
2.6. Die Kammer zieht aus den genannten Hinweisen in den ursprünglichen Unterlagen sowie der erteilten Beschreibung den Schluß, daß das im erteilten Anspruch 1 in der Merkmalsgruppe f) aufgeführte Teilmerkmal f1 (vgl. Punkt 2.1) unvereinbar mit der Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Unterlagen ist. Anhand der Beschreibung der Patentschrift bzw. der ursprünglichen Unterlagen erkennt der fachmännische Leser sogleich, daß das im Anspruch 1 (in der Merkmalsgruppe f) definierte Teilmerkmal nicht das sein konnte, wofür Schutz begehrt wurde, sondern daß vielmehr das beabsichtigt gewesen sein mußte, was diesbezüglich im geänderten Anspruch (Teilmerkmal g) angegeben ist. In diesem Zusammenhang ist die von der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin widersprüchlich beantwortete Frage, ob ein Abfragen der Module durch die Sendeeinheit grundsätzlich möglich bzw. sinnvoll ist, nur von untergeordneter Bedeutung. Selbst dann, wenn in speziellen Anwendungsfällen ein solcher Vorgang möglich oder vielleicht sogar sinnvoll sein sollte, vermag dies nichts an den eindeutigen Ausführungen der gemäß Artikel 69 EPÜ und zugehörigem Protokoll zur Bestimmung des Schutzbereichs des Patents heranzuziehenden Beschreibung zu ändern, in der eine solche Möglichkeit nicht offenbart und aufgrund der Aufgabenstellung (möglichst einfache Sendeeinheit) offensichtlich auch als unerwünscht angesehen wurde.
Die Kammer kommt somit zu dem Ergebnis, daß die Änderungen in den Merkmalsgruppen f und g des geltenden Anspruchs 1 nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoßen.
Die Merkmalsgruppen f und g des geänderten Anspruchs 1 sind auch im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden, da die darin aufgeführten Merkmale, wie oben im einzelnen dargelegt, aus der ursprünglichen Offenbarung unmittelbar abgeleitet werden können.
2.7. Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erstmals die ursprüngliche Offenbarung der folgenden, im Kennzeichen des erteilten und geänderten Anspruchs 1 aufgeführten Merkmale in Frage gestellt:
A) "zusätzlichen Datenanschluß",
B) "mit definierter Schnittstelle",
C) "übergeordnete Module",
D) "mit eigener Intelligenz" und
E) "Steckvorrichtungen".
Diese Merkmale bzw. Begriffe sind in den vom erteilten Anspruch 1 unverändert in den geltenden Anspruch 1 übernommenen Merkmalsgruppen d und e enthalten.
Die auf Artikel 123 (2) EPÜ (ursprüngliche Offenbarung) abgestellten Beanstandungen der Beschwerdegegnerin hinsichtlich der Begriffe A bis E stehen erkennbar in keinem Zusammenhang mit den im Anspruch 1 in den Merkmalsgruppen f und g vorgenommenen Änderungen und hätten somit ohne weiteres schon in der Einspruchsbegründung vorgebracht werden können. Sie haben insbesondere nichts zu tun mit der in den vorstehenden Punkten untersuchten Frage, ob in den erteilten Unterlagen sich eine Stütze dafür findet, daß die Sendeeinheit die Module abfragt. Dies gilt entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin auch für die Begriffe "definierte Schnittstelle", "eigene Intelligenz" und "übergeordnete Module", deren Einführung in den Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 offensichtlich in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Merkmal "die Sendeeinheit fragt die Module ab" stand. Diese drei Begriffe könnten bei rein technischer Betrachtung ebenso bestehen bleiben, wenn davon auszugehen wäre, daß "die zentrale Sendeeinheit die Komponenten abfragt". Insofern stellen die Beanstandungen zu den Begriffen A bis E einen neuen Einspruchsgrund (gem. Art. 100 c) EPÜ) dar.
Nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 9/91, ABl. EPA 1993, 408 (vgl. Punkt 18) dürfen neue Einspruchsgründe in der Beschwerdephase grundsätzlich nicht mehr ins Verfahren eingeführt werden, es sei denn der Patentinhaber erklärt sich ausdrücklich mit der Prüfung eines neuen Einspruchsgrundes einverstanden.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin die Abgabe einer solchen Zustimmung ausdrücklich abgelehnt. Demnach ist der Beschwerdekammer ein Eingehen auf dieses neue Einspruchsvorbringen verwehrt.
3. Neuheit
Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes nicht mehr in Frage gestellt.
Die Kammer ist der Auffassung, daß der beanspruchte Gegenstand im Vergleich zum insgesamt aufgedeckten Stand der Technik schon deshalb neu ist, weil keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen (vgl. die Auflistung der Entgegenhaltungen E1 bis E9 auf den S. 4 und 5 der angefochtenen Entscheidung) ein dezentrales Mikroprozessor-System offenbart, bei dem Module über Steckverbindungen an eine zentrale Sendeeinheit anschließbar sind. Es besteht somit für die Kammer kein Anlaß, im einzelnen auf diese Frage einzugehen.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1. In der angefochtenen Entscheidung ist das Patent aus Gründen von Artikel 123 (3) EPÜ widerrufen worden. Es bestand somit für die Einspruchsabteilung kein Anlaß, in der angefochtenen Entscheidung auf die Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit einzugehen.
Nachdem die Beschwerdekammer festgestellt hat, daß der geänderte, geltende Anspruch 1 nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstößt und die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes offensichtlich gegeben ist, steht nun die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an.
4.2. Im Einspruchsverfahren hat die Beschwerdegegnerin aufgrund der innerhalb der Einspruchsfrist genannten Druckschrift E1 zunächst die Neuheit des Gegenstandes nach dem Anspruch 1 in Frage gestellt. In einem Bescheid der Einspruchsabteilung vom 20. Dezember 1991 wurde festgestellt, daß neben der Druckschrift E1 auch die weiteren im Prüfungsverfahren behandelten Druckschriften E2 bis E8 zu berücksichtigen seien. Im übrigen wurde die erfinderische Tätigkeit lediglich pauschal als gegeben bezeichnet, ohne hierzu eine nähere Begründung zu geben. In einer dem Bescheid folgenden Eingabe der Beschwerdegegnerin hat diese zur Frage der erfinderischen Tätigkeit die im Einspruchsschriftsatz genannte Druckschrift E1 und die weiteren im Bescheid genannten Druckschriften E3 (EP-A-0 051 849) und E4 (EP- A-0 082 300) aufgegriffen. Gemäß der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. November 1992 hat die Einspruchsabteilung amtsseitig noch die Druckschrift E9 ("Einführung in die Informatik", Karl-Hanser-Verlag, München/Wien 1980, Teil 2, Seiten 296 bis 311) als relevanten Stand der Technik bezeichnet, "der die wesentlichen Merkmale der Anmeldung zeigt". Es ist somit aus dem Inhalt der Einspruchsakte erkennbar, daß die Einspruchsabteilung die erfinderische Tätigkeit noch nicht unter Berücksichtigung der Argumente der Beschwerdegegnerin und des insgesamt angezogenen Standes der Technik abschließend geprüft hat.
4.3. Eine solche abschließende Prüfung auf erfinderische Tätigkeit unmittelbar durch die Kammer hätte für die Verfahrensbeteiligten einen Instanzenverlust zur Folge und wäre nicht im Einklang mit der für derartige Fälle von den Kammern entwickelten Rechtsprechung.
In Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 111 (1) EPÜ verweist die Kammer die Sache deshalb zur weiteren Prüfung und Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.