T 0922/92 (Filterpatrone/ALHÄUSER) of 20.12.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T092292.19941220
Datum der Entscheidung: 20 Dezember 1994
Aktenzeichen: T 0922/92
Anmeldenummer: 86108449.9
IPC-Klasse: C02F 1/28
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Filterpatrone zur Verbesserung der Qualität von Trinkwasser
Name des Anmelders: Alhäuser, Erich
Name des Einsprechenden: BRITA Wasser-Filter-Systeme GmbH
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
Schlagwörter: Verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel-Zulassung des Dokuments (bejaht)
Neuheit (bejaht)
Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
Late filed facts and evidence - document admitted
Novelty (yes)
Remittal to opposition division
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0156/84
T 0326/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 86 108 449.9 wurde das europäische Patent Nr.0 206 285 auf der Grundlage von 12. Ansprüchen erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung legte der Beschwerdeführer (Einsprechender) Einspruch ein. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 (a) und (b) angegriffen worden.

III. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch zurückverwiesen und das Patent unverändert aufrechterhalten.

In der Begründung wurden die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:

(3) US-A-2 017 456

(4) EP-A-0 155 645

(6) DE-C-3 248 126

(8) Prospekt Brita-Wasserfilter

IV. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer Beschwerde erhoben.

In der Beschwerdebegründung gab der Beschwerdeführer an, daß die Einspruchsabteilung die Ansprüche zu beschränkt interpretiert habe, und daß bei einer richtigen Interpretation, unter Einbeziehung der Figur 8, Anspruch 1 durch den Gegenstand des Dokuments (4) und des Dokuments (6) und Anspruch 7 durch den Gegenstand des Dokuments (3) neuheitsschädlich getroffen würden.

Zur erfinderischen Tätigkeit wurde ausgeführt, daß der Gegenstand gemäß Anspruch 1 durch die Kombination von (8) entweder mit (3) oder mit (6) nahegelegt würde und daß Anspruch 7 sich bereits aus der Kombination von (8) mit (3) ergäbe, mindestens jedoch durch eine weitere Kombination mit FR-A-2 102 655 (9).

Das Dokument (9) wurde zum ersten Mal in der Beschwerdebegründung genannt.

V. In der Erwiderung hat der Beschwerdegegner die Argumente des Beschwerdeführers bestritten und dabei insbesondere ausgeführt, daß die Figur 8 nicht maßstäblich sei und nicht als Grundlage für die die Erfindung verzerrende Interpretation der Ansprüche, wie vom Beschwerdeführer dargelegt, dienen könne. Die neue Entgegenhaltung (9) wurde als verspätet betrachtet und deswegen nicht eingehend gewürdigt.

VI. In einem Bescheid der Beschwerdekammer wurde angegeben, daß die Figur 8 als eine Darstellung einer Ausführungs- form gemäß Streitpatent zu betrachten ist und daß diese Darstellung die breite Interpretation des Beschwerdeführers zu belegen scheint.

VII. Während der am 20. Dezember 1994 durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden zwei neue Anspruchssätze eingereicht. Im Anspruchssatz gemäß Hauptantrag wurde der erteilte Anspruch 1 durch zusätzliche Merkmale geändert.

Der Wortlaut ist jetzt wie folgt:

"1. Filterpatrone (5) zur Verbesserung der Qualität von Trinkwasser, bestehend aus einem mit Ionenaustauscherharz und/oder Aktivkohle sowie einem bakteriostatisch wirkenden Stoff, insbesondere Silber, in dissoziierbarer Form gefüllten Gefäß mit siebartig abgedeckten Öffnungen für eine hauptsächlich abwärts gerichtete Hindurchleitung des Wassers, dadurch gekennzeichnet, daß das Gefäß (10; 60) einen von dessen Boden (22; 28; 38; 42; 50; 66) ausgehenden Sammelraum (24; 32; 40; 48; 56; 70) für eine begrenzte nur im unteren Bereich der Patrone zurückgehaltene Wassermenge aufweist, wobei der Sammelraum von der Auslaßöffnung (20; 26; 34; 44; 52; 74) getrennt ist."

(Die zusätzlichen Merkmale sind von der Kammer durch Fettdruck hervorgehoben worden).

Der andere erteilte unabhängige Anspruch 7 blieb unverändert.

Sein Wortlaut ist wie folgt:

"7. Filterpatrone zur Verbesserung der Qualität von Trinkwasser, bestehend aus einem mit einem Ionenaustauscherharz und/oder Aktivkohle sowie einem bakteriostatisch wirkenden Stoff, insbesondere Silber, in dissoziierbarer Form gefüllten Gefäß mit siebartig abgedeckten Durchlaßöffnungen für eine hauptsächlich abwärts gerichtete Hindurchleitung des Wassers, dadurch gekennzeichnet, daß das Gefäß einen von seinem Boden ausgehenden Sammelraum zur Rückhaltung einer begrenzten Wassermenge aufweist und daß der Sammelraum innerhalb eines sich gegenüber einem oberen Teil (112) des Gefäßes (110) sprunghaft erweiternden unteren Gefäßteils (114) gebildet ist, der sich im Bereich der Erweiterung nach oben zur Bildung des Auslasses der Patrone öffnet."

Im Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag wurden die Ansprüche 1 und 7 gegenüber den entsprechenden Ansprüchen gemäß Hauptantrag zusätzlich durch die Angabe beschränkt, daß der bakteriostatisch wirkende Stoff in der gesamten Behandlungsmasse enthalten ist, und die Auslaßöffnung im unteren Bereich angeordnet ist.

Die Fassung des Streitpatents wurde weiter geändert, indem Figur 8 und Teile aus der Beschreibung, die sich auf diese Figur beziehen, gestrichen wurden.

Mit Bezug auf das erst mit der Beschwerdebegründung erfolgte Vorbringen des Dokuments (9) erklärte der Beschwerdeführer, daß er im Zusammenhang mit einer anderen Sache, erst nach Ablauf der Einspruchsfrist zufällig auf dieses Dokument gestoßen ist, wobei ihm dann sofort die Relevanz der darin gezeigten Figur 4 für das vorliegende Verfahren bewußt wurde.

Obwohl verspätet vorgebracht, wurde Dokument (9) von der Kammer als derart relevant betrachtet, daß es in das Verfahren zugelassen wurde.

VIII. Der Beschwerdeführer beantragte, den Beschluß der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner beantragte, die Sache an die erste Instanz auf Grundlage der zwei in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruchssätze zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung verspätet vorgebrachter Beweismittel

2.1. Die Frage der Berücksichtigung von Entgegenhaltungen die vom Beschwerdeführer erstmals im Beschwerdeverfahren, also weit nach Abschluß der Einspruchsfrist, eingereicht wurden, hat bereits zu einer ausführlichen Jurisprudenz geführt, vgl. die Sammlung "Case Law of the Boards of Appeal of the European Patent Office 1987 - 1992", herausgegeben vom EPA, Seiten 105 - 107.

Artikel 114 EPÜ gibt der Kammer die Möglichkeit, verspätet vorgebrachte Beweismittel von Amts wegen zu berücksichtigen. In Anschluß an z. B. T 0156/84 (ABl. EPA 1988, 372) und T 0326/87 (ABl. EPA 1992, 522) geht die Kammer bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des verspätet eingereichten Dokuments von dem Grundsatz der Relevanz, d. h. die Beweiskraft des Dokuments gegenüber anderen bereits im Verfahren befindlichen Unterlagen, aus.

Zusätzliche Überlegungen die bei einer Entscheidung über die Einführung von verspätet vorgebrachten Beweismitteln eine Rolle spielen, sind der Ausmaß der Verspätung und die Möglichkeit, daß die Verspätung verfahrenstaktisch bedingt ist.

2.2. Im vorliegenden Fall betrachtet die Kammer das Dokument (9) im Hinblick auf die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als mindestens ebenso relevant wie Dokument (8), das in der Entscheidung der Einspruchsabteilung als nächster Stand der Technik betrachtet wurde. Weil (9) sich auf einen anderen Aspekt der Erfindung bezieht als (8), sollte (9) bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht außer Betracht bleiben.

2.3. Weil die neue Entgegenhaltung bereits in der Beschwerdebegründung genannt wurde und die Parteien ausreichend Zeit hatten sich damit zu befassen, wird die Verspätung nicht als so gravierend betrachtet, daß man sich damit wegen zu weit fortgeschrittenem Verfahrensablauf zweckmäßigerweise nicht mehr auseinandersetzen sollte.

Für eine schuldhafte Verspätung gibt es keine Indizien. Die Entgegenhaltung (9) wird daher von Amts wegen in das Verfahren eingeführt.

3. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ)

3.1. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag

Der vorliegende Anspruch 1 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch die Angabe, daß die begrenzte Wassermenge nur im unteren Bereich der Patrone zurückgehalten wird. Diese Änderung beruht auf der Angabe in der ursprünglichen Beschreibung, daß es in der Praxis ausreicht, wenn im unteren Bereich eine begrenzte Wassermenge zurückgehalten wird, in Verbindung mit den ursprünglichen Figuren (Seite 2, 3. Absatz und Figuren 1 bis 7 und 9).

3.2. Ansprüche 1 und 7 gemäß Hilfsantrag

Die Ansprüche 1 und 7 gemäß Hilfsantrag unterscheiden sich gegenüber den erteilten Ansprüchen 1 und 7 weiterhin durch die zusätzlichen Angaben, daß der bakteriostatisch wirkende Stoff in der gesamten Behandlungsmasse enthalten und die Auslaßöffnung im unteren Bereich angeordnet ist. Diese weiteren Beschränkungen stützen sich auf die ursprüngliche Beschreibung (Seite 3, dritter Absatz und Seite 5, erster Absatz).

3.3. Alle Änderungen stellen eindeutig eine Beschränkung dar; der Schutzbereich ist dadurch nicht erweitert.

Die Änderungen verstoßen also nicht gegen die Bestimmungen des Artikels 123 EPÜ. Die Änderungen wurden auch nicht beanstandet.

4. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

Durch die Zufügungen wird die Klarheit des geänderten Anspruchs 1 nicht beeinträchtigt. Mit der Streichung der Figur 8 und der übereinstimmenden Teile der Beschreibung, fallen, nach Meinung der Kammer, alle möglichen, verzerrenden, Interpretationen isolierter Begriffe des Anspruchs, die bisher einen Vergleich mit dem Stand der Technik erschwert haben.

Die Ansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag genügen den Bedingungen des Artikels 84 EPÜ.

5. Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)

Der im Einspruchsverfahren vorgebrachte Einwand mangelnder Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) wurde im Beschwerdeverfahren nicht weiterverfolgt. Die Kammer hat keinen Grund diesen Einwand von Amts wegen weiterzuverfolgen und betrachtet die Bedingung des Artikels 83 EPÜ als erfüllt.

6. Neuheit

6.1. Keines der ursprünglich gegen die Neuheit angeführten Dokumente (3), (4) und (6) weist das Merkmal auf, daß eine begrenzte Wassermenge nur im unteren Bereich der Patrone zurückgehalten wird. Die neu in das Verfahren eingeführte Entgegenhaltung (9) erwähnt nicht das Merkmal, daß die Filterpatrone einen bakteriostatisch wirkenden Stoff enthält. Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag wird also durch die Entgegenhaltungen nicht neuheitsschädlich getroffen.

6.2. Das gegen die Neuheit des erteilten unabhängigen Anspruchs 7 angeführte Dokument (3) offenbart eine tragbare Wasseraufbereitungsvorrichtung, wobei der Filterträger (20) an den Wasserbehälter gelötet ist (Seite 2, linke Spalte, Zeilen 3 - 11). Die festen Reinigungsmittel werden als Körner in diesem Filterträger (20) eingebracht. Dokument (3) offenbart also keine Filterpatrone im Sinne des Streitpatents, so daß Anspruch 7, gemäß Haupt- und Hilfsantrag, durch (3) nicht neuheitsschädlich getroffen wird.

6.3. Die Neuheit im Sinne von Artikel 54 EPÜ ist also in bezug auf den vorliegenden Stand der Technik für alle geltenden Ansprüche gegeben. Sie wurde in der mündlichen Verhandlung auch nicht weiter bestritten.

7. Erfinderische Tätigkeit

Im Hinblick auf die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, wobei, wie oben ausgeführt, das erst im Beschwerdeverfahren genannte Dokument (9) als besonders relevant betrachtet wird, war zu entscheiden, ob die Kammer gemäß Artikel 111 (1) EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, tätig wird oder ob die Sache zur weiteren Entscheidung an diese zurückzuverweisen ist.

Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, besonders in Anbetracht von Figur 4, daß die Entgegenhaltung (9) nicht einfach, wie der Beschwerdegegner behauptet hat, mit den früheren Entgegenhaltungen gleichzusetzen ist. Wenn (9) als nächstliegender Stand der Technik bewertet sein sollte, müßte nach Meinung der Kammer, die durch das Patent zu lösende technische Aufgabe neu definiert werden. Es besteht somit kein Zweifel, daß durch der verspätet eingereichten (9), die Frage der erfinderischen Tätigkeit erneut aufgeworfen ist.

Da eine Neubeurteilung geboten ist und die Parteien einen Anspruch auf ein Beurteilungsverfahren in zwei Instanzen haben, ist dem Antrag des Beschwerdegegners auf Zurückverweisung an die erste Instanz für eine neue Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit stattzugeben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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