T 0910/92 () of 17.5.1995

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T091092.19950517
Datum der Entscheidung: 17 Mai 1995
Aktenzeichen: T 0910/92
Anmeldenummer: 89119200.7
IPC-Klasse: B01D 17/02
C02F 1/40
E03F 5/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Leichtflüssigkeitsabscheider
Name des Anmelders: PASSAVANT-WERKE AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 76(1)
European Patent Convention 1973 R 25(1)
Schlagwörter: Verzicht auf Ansprüche
Widerruf des Verzichts
Teilanmeldung: zulässig
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0024/82
J 0026/82
J 0015/85
J 0011/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0144/09

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Anmeldung Nr. 89 119 200.7, angemeldet am 13. November 1986, veröffentlicht am 28. Februar 1990 unter der Nr. 0 355 869, ist eine Teilanmeldung der früheren Anmeldung Nr. 86 115 761.8 (Veröffentlichungs- Nr. 0 225 506).

II. In einer telefonischen Rücksprache vom 20. Februar 1992 teilte der beauftragte Prüfer der Prüfungsabteilung dem Beschwerdeführer (Anmelder) mit, daß die Ansprüche 1 und 2. der Teilanmeldung den Ansprüchen 11 und 12 der früheren Anmeldung entsprächen. Auf diese Ansprüche sei jedoch mit dem im Verfahren über die frühere Anmeldung eingereichten Schreiben vom 23. Februar 1989 verzichtet worden. Laut "Richtlinien für die Prüfung im EPA", Paragraphen C-VI, 4.7. und C-VI, 9.3, könnten die Ansprüche 11 und 12 nicht wieder in das Verfahren eingeführt werden. Zur gleichen Feststellung hinsichtlich der Zulässigkeit der Wiederaufnahme von aus einer Anmeldung gestrichenen Ansprüchen in eine Teilanmeldung sei auch die Juristische Beschwerdekammer in der Entscheidung J 0015/85 (Amtsblatt EPA 1986, 395) gekommen.

III. Mit der Entscheidung vom 24. März 1992 wurde die Teilanmeldung von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

IV. Mit Schreiben vom 22. April 1992 legte der Beschwerdeführer dagegen Beschwerde ein und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Anmeldung an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung.

Zur Beschwerdebegründung brachte der Beschwerdeführer vor, daß der Verzicht auf die Ansprüche 11 und 12 der früheren Anmeldung so zu verstehen sei, daß lediglich auf die Weiterverfolgung dieser Ansprüche im Rahmen der früheren Anmeldung verzichtet worden sei. Da auf den zu diesen Ansprüchen gehörenden Text der Beschreibung nicht verzichtet worden sei, könne die Teilanmeldung von dem nicht fallengelassenen Teil der Beschreibung gestützt sein. Der durch die Zurückweisung eingetretene Rechtsverlust sei auch deshalb rückgängig zu machen, weil im EPÜ vorgesehen sei, daß der Anmelder in bestimmten Fällen Irrtümer durch einen Antrag auf Weiterbehandlung rückgängig machen könne.

V. In einem Bescheid vom 23. Februar 1995 hat die Technische Beschwerdekammer den Beschwerdeführer aufgefordert, die Beweggründe des Verzichts zu verdeutlichen.

VI. Mit Schreiben vom 10. März 1995 erklärte der Beschwerdeführer, daß er sich im Verfahren über die frühere Anmeldung entschlossen hätte, die Anmeldung im Umfang des vom entgegengehaltenen Stand der Technik nicht vorweggenommenen Anspruchs 3 weiterzuverfolgen. Von dem neuen Anspruch 1 hingen die Ansprüche 4, 8, 9 und 10 (als neue Ansprüche 2 bis 5) ab. Wegen Uneinheitlichkeit mit dem neuen Anspruch 1 hätten jedoch die Ansprüche 11 und 12. in der früheren Anmeldung nicht mehr verbleiben können. Sie hätten in Form einer Teilanmeldung abgetrennt werden müssen, wobei die Abtrennung fälschlicherweise als "Verzicht" bezeichnet worden sei. In der Tat sei kein Verzicht, sondern eine Weiterverfolgung beabsichtigt worden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ. Sie ist somit zulässig.

2. Die Beurteilung des vorliegenden Falles bezüglich der Möglichkeit, eine Verzichtserklärung zu widerrufen, setzt voraus, daß der wirkliche Wille des Erklärenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles erkannt wird. Die Bedeutung der Begleitumstände für die Auslegung einer Verzichtserklärung wurde bereits in verschiedenen Entscheidungen der Juristischen Beschwerdekammer, insbesondere J 0024/82, J 0025/82 und J 0026/82, Amtsblatt EPA 1984, 467, unterstrichen. Dasselbe Prinzip wird auch der Entscheidung J 0011/87 (Amtsblatt EPA 1988, 367) zugrundegelegt, nach der allerdings die abgegebene Verzichtserklärung als Zurücknahme der Anmeldung ausgelegt werden kann.

Die Auslegung der Erklärung hat zunächst vom Wortlaut auszugehen. Im vorliegenden Fall erklärt der Beschwerdeführer folgendes: "Auf die Ansprüche 1, 2, 5 bis 7, 11 und 12 wird ersatzlos verzichtet." Dies bedeutet, daß der Beschwerdeführer die Streichung der erwähnten Ansprüche ohne Ersatz anstrebt, wobei die Beschreibung unverändert bleibt. Nach der Ermittlung des Wortsinnes sind in einem zweiten Auslegungsschritt die außerhalb der Erklärung liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, die einen Schluß auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen, darunter die zu diesem Zeitpunkt gegebene Verfahrenssituation und eventuelle weitere Äußerungen des Erklärenden, im vorliegenden Fall insbesondere der mit Schreiben vom 25. September 1989 mitgeteilte Widerruf des Verzichts mit gleichzeitiger Ankündigung der Absicht, die Ansprüche 11 und 12 in einer Teilanmeldung weiterzuverfolgen. Vor der Verzichtserklärung des Beschwerdeführers vom 23. Februar 1989 hatte die Prüfungsabteilung in einem Bescheid erklärt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 (neuheitsschädlich) vorweggenommen sein dürfte, daß das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 11 offensichtlich im Widerspruch zu dem Merkmal des Anspruchs 1 stehe, der Strömungsgleichrichter solle den Kammerquerschnitt ausfüllen, und daß die dem Anspruch 11 entsprechende Ausführungsform nicht vom Wortlaut des Anspruchs 1 gedeckt werde. Dies stellt keinen Angriff auf die Patentfähigkeit der Gegenstände der Ansprüche 11 und 12 als solcher dar. Es bestand also für den Beschwerdeführer keine ersichtliche Veranlassung, auf die Ansprüche 11 und 12. endgültig zu verzichten.

Unter diesen Umständen ist die vom Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. März 1995 abgegebene Erklärung glaubhaft, die folgendes beinhaltet:

Der Beschwerdeführer im Verfahren der früheren Anmeldung habe sich entschlossen, die Anmeldung im Umfang des vom entgegengehaltenen Stand der Technik nicht vorweggenommenen Anspruchs 3 weiterzuverfolgen, der somit der neue Anspruch 1 wurde. Von diesem neuen Anspruch 1 seien die Ansprüche 4, 8, 9 und 10 (als neue Ansprüche 2 bis 5) abhängig gewesen. Die Merkmale der Ansprüche 11 und 12 seien jedoch mit denen des neuen Anspruchs 1 uneinheitlich gewesen und hätten daher in der früheren Anmeldung nicht mehr verbleiben können.

Der wirkliche Wille des Beschwerdeführers ist also nicht in dem ersatzlosen Verzicht auf einen Teil der ursprünglichen Offenbarung zu sehen; er entspringt vielmehr dem glaubhaften Motiv, die Uneinheitlichkeit zu vermeiden, die durch die Änderung des Schutzbegehrens entstand, die ihrerseits wegen Vorwegnahme des ursprünglichen Schutzbegehrens gemäß den Ansprüchen 1 und 2. durch den Stand der Technik notwendig war (vgl. Bescheid vom 28. Oktober 1988). Es ist glaubhaft, daß sich der Beschwerdeführer in seiner Verzichtserklärung lediglich in der Wortwahl vergriffen hat.

Das Einräumen einer Rücknahmemöglichkeit für einen solchen Verzicht auf Ansprüche findet seine Grenzen außer in der auf den Verzicht hinführenden Verfahrenssituation natürlich auch in dem Zeitpunkt, zu dem die Rücknahme des Verzichts erfolgt. Es handelt sich naturgemäß entweder um eine neuerliche Änderung der Patentanmeldung, die gegebenenfalls nach Regel 86 (3) EPÜ der Zustimmung der Prüfungsabteilung bedarf, oder - wie im vorliegenden Fall - um eine Teilanmeldung, die nach Regel 25 (1) EPÜ nur bis zu dem Zeitpunkt eingereicht werden kann, an dem der Anmelder in der früheren Anmeldung sein Einverständnis mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung gemäß Regel 51 (4) EPÜ erklärt. Im vorliegenden Fall wurde die Teilanmeldung mehr als zwei Jahre vor der Erklärung des Einverständnisses gemäß Regel 51 (4) EPÜ eingereicht.

3. In der angefochtenen Entscheidung stellt die Prüfungsabteilung fest, daß der Gegenstand der Ansprüche 11 und 12 nicht wieder in das Verfahren eingeführt werden könne und bezieht sich als Grundlage für diesen Schluß auf die Paragraphen C-VI, 4.7 und C-VI, 9.3. der "Richtlinien für die Prüfung im EPA" und die Entscheidung J 0015/85 vom 10. Juli 1986 (ABl. EPA 1986, 395).

Da die Beschwerdekammern nicht an die "Richtlinien für die Prüfung im EPA" gebunden sind, sei zunächst zu der genannten Entscheidung J 0015/85 Stellung genommen.

In der vorstehend genannten Beschwerdesache änderte der Beschwerdeführer nach Erhalt der Mitteilung der Prüfungsabteilung nach Artikel 96 (2) und Regel 51 (2) EPÜ die Stammanmeldung, indem er neue Ansprüche einführte, die den früheren Ansprüchen 1 bis 4 entsprachen, und erklärte, daß die übrigen Ansprüche gestrichen werden sollten. Bei der Streichung dieser Ansprüche gab der Beschwerdeführer nicht an, daß die Einreichung einer Teilanmeldung hiervon nicht berührt werden solle. Nach Auffassung der Juristischen Beschwerdekammer stand damit eindeutig fest, daß der Beschwerdeführer für die Gegenstände der gestrichenen Ansprüche keinen Schutz mehr beanspruchte, auch wenn die Beschreibung der Anmeldung noch die Angaben über diese Gegenstände enthielt. Ausschlaggebend für diese Feststellung war eine Überlegung der Kammer zum Schutz des öffentlichen Interesses. Zum Zeitpunkt des Verzichts sei nämlich die Stammanmeldung bereits veröffentlicht gewesen, so daß die Öffentlichkeit Zugang zur Akte gehabt habe. Da diese keinen Hinweis auf die Einreichung einer Teilanmeldung enthalten habe, hätte die Öffentlichkeit zu Recht annehmen müssen, daß der Beschwerdeführer auf die Gegenstände der gestrichenen Ansprüche unwiderruflich verzichtet hätte und auch später keinen Schutz dafür begehren würde. Nach diesem Verzicht wäre die Prüfungsabteilung also verpflichtet, ihre Zustimmung zur späteren Einreichung einer Teilanmeldung zu verweigern (nach der damals gültigen alten Fassung der Regel 25 (1) EPÜ konnte eine Teilanmeldung nach Ablauf der im ersten Bescheid der Prüfungsabteilung gesetzten Frist nur eingereicht werden, wenn dies die Prüfungsabteilung für sachdienlich hielt).

Im vorliegenden Fall vermag jedoch die Kammer die Notwendigkeit des Schutzes des öffentlichen Interesses durch generelles Verbot des Widerrufs eines Verzichts nicht einzusehen. Nachdem der Beschwerdeführer mit seinem Schreiben vom 23. Februar 1989 im Verfahren der früheren Anmeldung seinen Verzicht auf die Ansprüche 11 und 12 ausgesprochen hatte, hat er diesen Verzicht bereits mit der Eingabe vom 25. September 1989 widerrufen. Da zum Zeitpunkt des vermeintlichen Verzichts die Anmeldung bereits veröffentlicht worden war, hätte jedermann gemäß Artikel 128 (4) EPÜ Einsicht in die Akten nehmen können. Hat ein Dritter Interesse an dem Verfahren der Anmeldung, so ist von ihm zu erwarten, daß er in passenden Zeitabständen bis zum Abschluß des Verfahrens Akteneinsicht beantragt. Denn nur auf diese Weise kann er auf dem laufenden sein. Aus diesem Grund hatte im vorliegenden Fall die Öffentlichkeit die Möglichkeit, im Laufe des Verfahrens der früheren Anmeldung von dem Widerruf des Verzichts in gleicher Weise Kenntnis zu erhalten wie von dem vorherigen Aussprechen des Verzichts, und damit festzustellen, daß der Beschwerdeführer möglicherweise wieder Schutz für den Gegenstand der zuerst gestrichenen Ansprüche würde erlangen können.

4. Die "Richtlinien für die Prüfung im EPA" sind ihrerseits von der geltenden Rechtsprechung abhängig. Da jedoch die Prüfungsabteilung ihre Entscheidung zu einem wesentlichen Teil mit den Vorschriften der "Richtlinien" begründet hat, sieht sich die Kammer - obwohl sie in der Beurteilung der rechtlichen Situation nicht an die "Richtlinien" gebunden ist - veranlaßt, zum diesbezüglichen Teil der Begründung Stellung zu nehmen.

Der von der Prüfungsabteilung zitierte letzte Absatz des Paragraphen C-VI, 4.7 besagt sinngemäß, daß eine Verfahrenshandlung, die als Verzicht auf einen Gegenstand der Offenbarung ausgelegt werden kann, zur Folge hat, daß die Wiedereinführung des Gegenstands in das Verfahren ausgeschlossen ist. Von einem anderen Verfahren, nämlich dem einer Teilanmeldung, ist nicht die Rede. Gerade um eine solche aber handelt es sich im vorliegenden Fall. In dem ebenfalls von der Prüfungsabteilung herangezogenen vorletzten Absatz von C-VI, 9.3 wird festgestellt, daß die bloße Streichung von Gegenständen aus einer Anmeldung die spätere Einreichung einer Teilanmeldung unberührt läßt. Die darauffolgende Warnung, daß der Anmelder bei der Herausnahme von Gegenständen alle Erklärungen vermeiden sollte, die als Verzicht aufgefaßt werden könnten, läßt einerseits Spielraum für Interpretationen, wann eine Erklärung als (unwiderruflicher) Verzicht aufgefaßt werden muß, und sieht andererseits auch keine eindeutige Konsequenz für den Fall der Teilanmeldung vor.

Auch aus den "Richtlinien für die Prüfung im EPA" folgt somit nicht eindeutig eine Verpflichtung zur Zurückweisung der vorliegenden Anmeldung.

5. Aus den genannten Gründen ist die Zurückweisung der vorliegenden Anmeldung nicht zu Recht erfolgt. Demgemäß wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben. Da die Sachprüfung noch nicht stattgefunden hat, wird gemäß Artikel 111 (1) EPÜ, 2. Satz, 2. Fall, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an das Organ zurückverwiesen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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