T 0570/92 (Nifedipin/BAYER) of 22.6.1995

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T057092.19950622
Datum der Entscheidung: 22 Juni 1995
Aktenzeichen: T 0570/92
Anmeldenummer: 81106729.7
IPC-Klasse: A61K 9/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Feste Arzneizubereitungen enthaltend Nifedipin und Verfahren zu ihrer Herstellung
Name des Anmelders: BAYER AG
Name des Einsprechenden: (01) Siegfried Aktiengesellschaft
(03) Klinge Pharma GmbH
(04) IIP - Institut für Industrielle Pharmazie Forschungs- und
Entwicklungsgesellschaft mbH
(05) Stada-Arzneimittel Aktiengesellschaft
(06) Farmos Yhtyma Oy
(07) Kettelhack Riker Pharma GmbH
(08) Arzneimittelwerk Dresden GmbH
(09) Durachemie GmbH & Co. KG
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(4)
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 123
Schlagwörter: Behandlungsverfahren am Patienten - nein
Formulierung als zweite medizinische Indikation
Neuheit - ja - Parameter
Erfinderische Tätigkeit - ja - Retardformulierung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/83
T 0219/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1319/04

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 81 106 729.7 wurde das europäische Patent Nr. 0 047 899 auf der Grundlage von fünf Ansprüchen erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung wurden von neun Einsprechenden Einsprüche eingelegt, die sich u. a. auf folgende für das weitere Verfahren von Bedeutung gebliebene Entgegenhaltungen stützten:

(7) DE-B-1 670 827

(30) R. Voigt, Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie, Verlag Chemie (1975), Seiten 41, 42 und 144.

(37) CorinfarR, "Information für Ärzte und Apotheker", 1977

(39) Circulation, Band 59, 1979, Seiten 1056 bis 1062

(40) Erop. J. Clin. Pharmcol., Band 14, 1978, Seiten 375 bis 381,

(41) American Heart Journal, Band 96, 1978, Seiten 218 bis 226

(60) US-A-3 330 727,

(62) Reinhardt Klimek, Inaug.-Diss., Frankfurt am Main, 1978, Seiten 47, 48, 52 und 145.

Die Einsprechende 02 hat in erster Instanz ihren Einspruch zurückgezogen.

III. Gemäß der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung gemäß Artikel 106 (3) EPÜ, verkündet am 9. März 1992, zur Post gegeben am 23. April 1992, wurde das Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten.

Der dieser Entscheidung zugrundeliegende einzige Anspruch lautete:

"Verwendung von Nifedipinkristallen mit einer spezifischen Oberfläche von 1 - 4 m2/g zur Herstellung von festen Arzneizubereitungen zur Erreichung von lang andauernden Blutspiegeln zur oralen Behandlung von Hypertonie durch 1 bis 2 mal tägliche Applikation."

Die Einspruchsabteilung begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß der aufrechterhaltene einzige Verwendungsanspruch im Sinne eines medizinischen Zweitindikationsanspruches formal gewährbar und durch die Ursprungsunterlagen gedeckt sei. Gleichfalls gingen alle Vorträge der Einsprechenden zur mangelnden Ausführbarkeit ins Leere, da nachgewiesenermaßen keine allgemeingültige Wirkungsuntergrenze eines Nifedipinplasmaspiegels existiere und auch Gemische einzelner nicht beanspruchter Kristallkollektive zur Erreichung des erfindungsgemäßen Oberflächenbereiches ausgeschlossen seien.

Der beanspruchte Gegenstand werde von keiner der im Laufe des Verfahrens zitierten Druckschriften neuheitsschädlich vorbeschrieben. Allerdings seien Nifedipinkristalle als solche im beanspruchten Bereich von 1 bis 4 m2/g aus Dokument (62) und Dokument (7) bekannt.

Gemäß dem als nächstkommenden Stand der Technik anzusehenden Dokument (37) seien in Dragées verarbeitete Nifedipinkristalle lediglich unterhalb 1 m2/g bekannt, so daß keine offenkundige Vorbenutzung diesbezüglich vorliege.

Zwar sei die Monosubstanzwirkung des Nifedipins über mehrere Stunden zur Hochdruckbehandlung als solche aus den Dokumenten (39), (40) und (41) bekannt, der Aussagegehalt dieser Dokumente sei aber so vage, daß ausgehend von dem bekannten Koronartherapeutikum Corinfar nach Dokument (37) keinesfalls eine Anregung zur Durchführung einer praktischen Anwendung des Nifedipins im beanspruchten Oberflächenbereich zur Erzielung langandauernder Blutspiegel gesehen werden könne.

Der erfinderischen Tätigkeit stehe auch nicht entgegen, daß beim nächstkommenden Stand der Technik in Dokument (37) beim Auftreten von Nebenwirkungen die Tagesdosis von 3mal 1 Stück als 10 mg Dragée auf nur 2mal täglich reduziert werden soll, da dies nur als Warnhinweis im Rahmen der üblichen pektanginösen Indikation zu sehen sei. Insbesondere sei dort der weitere Hinweis auf die verstärkende Wirkung des Nifedipins in Kombination mit Antihypertonika und Beta- Rezeptorenblockern dahingehend zu werten, daß gerade keine Verwendung als Monosubstanzpräparat gegen Hypertonie vorgesehen sei.

Die von den Einsprechenden vorgelegten zahlreichen Dokumente zur Mikronisierung von Arzneistoffen im Zusammenhang mit deren Bioverfügbarkeit, z. B. (60), zeigten in einer Gesamtschau, daß gerade kein universeller Zusammenhang zwischen Partikelgrößenverminderung und erhöhter Absorbierbarkeit bestehe.

Insbesondere müßten alle relativen Angaben in der vorveröffentlichten Literatur, wie langanhaltende Blutspiegel, im Vergleich zum bekanntermaßen extrem kurz wirksamen Nitroglycerin gesehen werden.

IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 03, 05, 08 und 09) Beschwerde erhoben. Die Einsprechende 08 hat ihre Beschwerde zurückgenommen. Am 22. Juni 1995 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, an der lediglich die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 03 und 05) sowie die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) teilgenommen haben.

Im Verlaufe des schriftlichen Verfahrens und während der mündlichen Verhandlung haben die Beschwerdeführerinnen u. a. folgende Argumente vorgetragen:

Der geltende Anspruch sei unzulässig abgeändert, da die Offenbarung, daß täglich 1 oder 2 Tabletten appliziert werden, weder identisch sei mit 1- bis 2mal täglicher Applikation, noch einen Applikationsrhythmus vorgebe. Darüber hinaus lasse der Wortlaut des Anspruchs eine konkrete Dosierung vollständig vermissen.

Auch die Angabe der Beschwerdegegnerin, daß je nach individuellem Patientenverhalten sogar eine einmal tägliche Applikation möglich sei, ohne nähere Definition für welche Klasse von Patienten, lasse die geltende Anspruchsfassung fraglich erscheinen. Abgesehen davon, daß eine konkrete Dosierung überhaupt nicht beansprucht sei, könnten die in der Beschreibung des Streitpatentes genannten 20 mg auch zur Klärung der Applikationsfrage nichts beitragen.

Im übrigen sei die explizite Forderung einer Applikation im geltenden Verwendungsanspruch, der gleichfalls als Verfahrensanspruch zu lesen sei, als Ordination und somit ein Eingriff in die Behandlung des Arztes zu verstehen, was dann ein glattes Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers darstelle und folglich vom europäischen Patentschutz unter Artikel 52 (4) EPÜ ausgeschlossen sei.

Zur Beurteilung der Neuheitsfrage und insbesondere im Hinblick auf mögliche Verletzungsprozesse sei zu berücksichtigen, daß der geltende Anspruch dahingehend mehrdeutig ausgelegt werden könne, daß ein Gemisch von Kristallen verschiedener Oberflächen, die jeweils außerhalb des beanspruchten Bereiches lägen, die aber in der Gesamtheit eine Oberfläche innerhalb des beanspruchten Bereiches zeigten, vom Wortlaut her nicht ausgeschlossen sei. Derartige Kristalle mit spezifischen Oberflächen außerhalb des beanspruchten Bereiches könnten auch offensichtlich nicht die im Streitpatent genannte Aufgabe lösen.

Abgesehen von der expliziten Angabe besagter 1- bis 2mal täglicher Verabreichung, sei der Gegenstand des Streitpatentes gegenüber Dokument (7) nicht mehr neu. Die gemäß diesem Stand der Technik beschriebenen Nifedipinkristalle wiesen auch, ausgehend von einem niedrigen Schmelzpunkt eines Rohproduktes bei nicht viel mehr als 160 C, unabhängig von zusätzlichen Reinigungsstufen nach der Herstellung eine spezifische Oberfläche im jetzt beanspruchten Bereich auf, und durch den Hinweis in den Beispielen auf eine anhaltend starke Blutdrucksenkung bei nur einer vorgegebenen Dosis, die dann als einmalige Applikation aufzufassen sei, ergebe sich zwangsläufig eine entsprechende ärztliche Verordnung.

Gleichfalls seien Nifedipinkristalle mit der beanspruchten Oberfläche in Dokument (62) beschrieben, wobei der geltende Anspruch sich hiervon lediglich durch die dort nicht expressis verbis beschriebene Indikation Hypertonie-Applikation unterscheide.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei weiterhin zu berücksichtigen, daß einerseits durch die seit 1976 im Handel befindlichen Corinfar 10 mg Dragées gemäß Dokument (37) sogar der ursprünglich beanspruchte Bereich von 0.5 bis 6 m2/g mitumfaßt gewesen sei und somit alle nunmehr als vermeintlich neu bzw. als überraschend geltendgemachten Effekte und somit die Pharmakokinetik auch bei diesem bekannten Corinfar- Präparat bereits vorausgesetzt werden müßten und andererseits die Stoffeigenschaften des Nifedipins unabhängig von der Applikationsform, z. B. als Dragées, Kapseln und Tabletten beurteilt werden müßten. Insbesondere sei zu berücksichtigen, daß es als allgemein bekannt gelten könne, daß durch Mikronisieren die Lösungsgeschwindigkeit nicht so groß werde, daß der Retardeffekt der Schwerlöslichkeit von Kristallen ganz verlorengehe, also ein Depot an festen Wirkstoffen verbleibe, so daß diesbezüglich keinesfalls eine spezielle Eigenschaft des Nifedipins geltend gemacht werden könne. In diesem Zusammenhang sei auf Dokument (60) bzw. die entsprechende DE-C-1 220 556 zu verweisen, wo expressis verbis die Bioverfügbarkeit und protrahierende Wirkung am Beispiel von Griseofulvin mit dessen spezifischer Oberfläche in Verbindung gebracht werde, also das beim Streitpatent angewandte Prinzip vollständig vorbeschrieben sei. Da lediglich feste Griseofulvin-Präparate sehr hohe Eliminationshalbwertszeiten zeigten und der Fachmann allgemein über Eliminationsprozesse und im speziellen über solche bei Nifedipin informiert sei, bestehe diesbezüglich kein Hinderungsgrund, die Lehre von (60) analog auf Nifedipin anzuwenden. Entsprechende Hinweise zur Bioverfügbarkeit von schwerlöslichen Arzneimitteln und deren Beeinflussung durch Mikronisieren bei entsprechender Vergrößerung der Kristalloberfläche seien für den Fachmann gleichfalls aus allgemeinen Lehrbüchern zur pharmazeutischen Technologie, wie z. B. Dokument (30) und dem ergänzend zu nennenden Dokument

(67) Lehrbuch für Pharmazie-Ingenieure "Pharmazeutische Technologie", VEB Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1978, Seite 44,

zu entnehmen.

Dokument (37) und (39) offenbarten sogar bei der beanspruchten Indikation eindeutig eine nur zweimal tägliche Verabreichung von Nifedipin und auch die Dokumente (40) und (41) beschrieben über mehrere Stunden anhaltende Blutspiegel und anti-hypertonische Wirkung, so daß in Kombination mit der Lehre von (7) kein Zweifel über die Bedeutung des dortigen Hinweises für eine anhaltend starke Senkung des Blutdruckes verblieben.

Ferner müsse davon ausgegangen werden, daß, wenn eine zwölfstündige Retardwirkung überhaupt eintrete, diese durch zusätzliche spezielle, nicht offenbarte Maßnahmen verursacht sei.

V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat dem widersprochen und im wesentlichen vorgetragen, daß die Ausführungsbeispiele im Streitpatent in Verbindung mit den als allgemeines Fachwissen anzusehenden klinisch üblichen Dosierungen von 15 bis 100 mg/d in der geltenden Anspruchsfassung eine ausreichende Basis für die vorgenommenen Änderungen sei. Auf der Grundlage dieser Offenbarung stellten sich auch keine Probleme mit der Klarheit der Ansprüche und erst recht nicht mit der Ausführbarkeit des Gegenstandes des Streitpatentes. Eine Zweiphasenoberfläche sei durch die geltende Fassung der Beschreibung und den Wortlaut des Patentanspruches in jedem Falle ausgeschlossen und als solche auch nicht gewollt.

Wie gutachtlich gemessene Werte zur Oberflächenbestimmung gemäß den Anlagen zur Eingabe vom 19. Juni 1985 zeigten, offenbare Dokument (7) auf der Basis eines gereinigten Produktes Nifedipin mit einer Oberfläche von kleiner als 0.5. m2/g. Es sei zwar nicht zu bestreiten, daß in Dokument (62) Nifedipinkristalle mit einer maximalen Korngröße von 5 µm bestrahlt würden, so daß nicht auszuschließen sei, daß die dort beschriebenen Tests zur Photostabilität des Arzneistoffes auch Kristalle zwischen 1. und 4 m2/g umfaßten, für eine Lehre, daß gezielt Werte einer spezifischen Oberfläche im beanspruchten Bereich beim Mikronisieren gemäß diesem Dokument vorgesehen seien, finde sich aber keine Stütze. Insbesondere sei darauf zu verweisen, daß die spezifische Oberfläche als Parameter bewußt gewählt wurde und nicht die mittlere Korngröße, da zwischen beiden Größen keine zwingende eindeutige Korrelation bestehe und nur diese als eindeutiges Merkmal zur Charakterisierung der Retardwirkung von Nifedipinkristallen der erfinderischen Applikationsform geeignet sei.

Auch könne Griseofulvin, das unbestritten in praktisch allen Veröffentlichungen, die die Teilchengröße und biologische Wirkung von festen Arzneimitteln zum Gegenstand haben, u. a. als Beispiel für das Zusammenwirken von Oberflächen- und Blutspiegelwerten herangezogen werde, keinesfalls als eine Modell- bzw. Vergleichssubstanz im Sinne allgemeiner Übertragbarkeit der Ergebnisse angesehen werden. So zeigten z. B. Griseofulvin und Nifedipin ungefähr gleich ungünstiges Löslichkeitsverhalten, aber die Halbwertszeiten der Elimination seien derart unterschiedlich, und zwar einundzwanzig Stunden für Griseofulvin gegenüber lediglich zwei bis vier Stunden für Nifedipin, daß Rückschlüsse z. B. auf eine zu erwartende Retardwirkung unmöglich seien und wissenschaftlich keine Grundlage fänden.

Nicht zu bestreiten sei, daß der Prozeß des Mikronisierens als solcher zur Aufarbeitung von festem Nifedipin als eine mögliche neben anderen Maßnahmen, wie z. B. Kopräzipitation, zum Erzielen einer beschleunigten Resorption angesehen werden könne.

Daß eine blutdrucksenkende Wirkung von Nifedipin vorbeschrieben sei, werde ebenfalls nicht bestritten. Soweit in vorveröffentlichten Dokumenten von einer langanhaltenden Wirkung des Nifedipins gesprochen werde, sei diese Aussage in Vergleich zu dem damals zum Stand der Technik gehörenden Koronarmittel Nitroglycerin gemacht, welches nur eine Wirkdauer von wenigen Minuten habe.

Die weitergehende Behauptung der Beschwerdeführerinnen, daß die beanspruchte Retardwirkung eine von der beanspruchten Oberfläche unabhängige Stoffeigenschaft des Nifedipins sei, sei aber unhaltbar. So zeigten z. B. die Meßdaten der Dokumente (39) und (41) jeweils ein sogenanntes Therapieloch nach ca. sieben Stunden, das durch zusätzliche Präparatseinnahme gedeckt werden müsse.

VI. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 047 899.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen.

Von den weiteren Verfahrensbeteiligten wurden im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der geänderte, einzige Anspruch stützt sich auf die ursprünglichen Ansprüche 2 und 5 in Verbindung mit Spalte 2, Zeile 59 bis Spalte 3, Zeile 3; Spalte 3, Zeilen 13 bis 23 und der Tabelle in den Spalten 3/4 zu den Ausführungsbeispielen der Patentschrift (Seite 5, Zeilen 1 bis 9 und 20 bis 26 sowie auf die Tabelle auf Seite 6 der Ursprungsoffenbarung).

Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Anspruchsfassung im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ.

Der geänderte Beschreibungsteil des Streitpatentes ist ebenfalls im Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ.

Durch die Aufnahme der genannten Merkmale stellt das Anspruchsbegehren auch eindeutig eine eingeschränkte Fassung gegenüber der des erteilten Streitpatentes dar und verstößt somit auch nicht gegen die Vorschrift des Artikels 123 (3) EPÜ.

3. Mit Bezug auf die im Streitpatent enthaltenen Ausführungsbeispiele 1 und 2 und die darin aufgezeigten konkreten Zahlenwerte der Plasmakonzentration an Nifedipin über 25.5 Stunden nach peroraler Applikation von 20 mg Tabletten vermag die Kammer auch nicht zu erkennen, daß dem Streitpatent bezüglich der Applikation und Dosierung ein Offenbarungsmangel unter Artikel 83 EPÜ zugrundeliegen soll.

4. Der Vortrag, daß die geltende Anspruchsfassung dahingehend mehrdeutig sei, daß eine Mischung von Kristallkollektiven nicht definierter Oberflächen mitumfaßt sei, die für sich genommen jeweils außerhalb des beanspruchten Bereiches lägen und somit die im Streitpatent genannte Aufgabe nicht lösten, die aber zu einer meßbaren Gesamtoberfläche im beanspruchten Bereich führten, sowie der Hinweis auf eine mangelnde Dosierung könnten als Einwand unter Artikel 84 EPÜ aufgefaßt werden.

Diesbezüglich wäre zunächst festzustellen, daß nicht nur der geänderte Anspruch sondern bereits der Anspruchssatz in der erteilten Fassung und der gemäß den Ursprungsunterlagen den Bereich einer spezifischen Oberfläche enthält und demzufolge ein hierauf gerichteter Klarheitseinwand nicht mehr als Einspruchsgrund angesehen werden kann.

In der Sache hat die Beschwerdegegnerin hierzu in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, daß sie den geltenden einzigen Patentanspruch dahingehend interpretiert sehen will, daß Mischungen von Kristallkollektiven, die für sich genommen spezifische Oberflächen außerhalb des beanspruchten Bereiches aufweisen, vom Schutzumfang ausgeschlossen sein sollen. Diese Auslegung ist nach Auffassung der Kammer in Einklang mit der Offenbarung in der Beschreibung des erteilten Patents, die ausgehend von Kristallgemischen aus der Nifedipinsynthese auf nur ein Verfahrensprinzip verweist, und zwar auf Mahlprozesse, die unstreitig zum Erzielen definierter spezifischer Oberflächen geeignet sind. Umgekehrt sieht die Kammer keinen Anhaltspunkt in der Beschreibung für die von den Beschwerdeführerinnen gerügte Mehrdeutigkeit. Zum einen ist dort ebensowenig wie in den Ansprüchen die Rede von Kristallgemischen, sondern von Kristallen mit einer bestimmten Oberfläche. Zum anderen werden die vorteilhaften Wirkungen gerade der spezifischen Oberfläche zugewiesen. Daraus wird der Fachmann schließen, daß Kristalle mit einer Oberfläche außerhalb des beanspruchten Werts die gewünschten Eigenschaften nicht haben. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, warum die Mischung mehrerer an sich ungeeigneter Kristalle den angestrebten Effekt haben soll.

Die Kammer sieht sich daher veranlaßt festzustellen, daß im Beschreibungsteil eine eindeutige Meßmethode vorgegeben ist und sich damit keine Unklarheiten im Sinne von Artikel 84 EPÜ ergeben.

Da die Dosierung eines Mittels bei vorgegebener Indikation im Rahmen eines bestimmten Applikationsrhythmus individuell vom Patienten abhängig ist und diese vom Fachmann leicht bestimmt werden kann, ist es im vorliegenden Fall nicht erforderlich, diese als obligatorisches Merkmal in den geltenden Patentanspruch aufzunehmen.

Die Formulierung: "Verwendung von Nifedipinkristallen... zur Herstellung von festen Arzneizubereitungen zur.... Erreichung von ... zur oralen Behandlung von....durch 1 bis 2 mal tägliche Applikation" vermittelt nichts anderes als die Lehre, daß bei der Verwendung spezifizierter Nifedipinkristalle bei vorgegebener Indikation und oraler Behandlung ein Therapieerfolg durch nicht mehr als 2mal tägliche Applikation gesichert ist, ohne jegliche Vorgabe bzw. einschränkende Aussage auf einen vom Arzt bei der Behandlung eines Patienten tatsächlich zur Verordnung vorgesehenen Applikationsrhythmus. Aus den aufgezeigten Textstellen und insbesondere den tabellarischen Daten geht nach Auffassung der Kammer auch zweifelsfrei als eigenständiges Merkmal ein über vierundzwanzig Stunden, also über den Tag gesehen bzw. täglich, gleichmäßig verteilter Applikationsrhythmus der explizit genannten 1 oder 2 Tabletten hervor, so daß ein Verweis auf die Tablettenzahl in der Anspruchsfassung nicht erforderlich ist.

Der geänderte Anspruch ist somit insgesamt im Einklang mit Artikel 84 EPÜ.

5. Schließlich enthält der geltende Patentanspruch, wie aus den voranstehenden Ausführungen zur Klarheit zu entnehmen ist, in der vorliegenden Fassung als Zweitindikation auch keinen unzulässigen Verfahrensschritt, der nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen im Sinne eines sogenannten "Verwendungsverfahrens" unmittelbar in die Behandlung eines Patienten durch den Arzt eingreift und durch Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der Auslegung des Anspruchs durch die Beschwerdeführerinnen kann die Kammer nicht folgen. Der vorliegende Anspruch ist nach den für eine weitere medizinische Indikation geltenden Grundsätzen abgefaßt. Ein solcher Anspruch bleibt ein Herstellungsanspruch, auch wenn die therapeutische Verwendung im Anspruch angegeben ist (G 1/83, ABl. EPA 1985, 60, Punkt 21 der Gründe).

6. Die Neuheit des Gegenstandes des geltenden Patentanspruches wurde von den Beschwerdeführerinnen zuletzt nur noch mit Bezug auf Dokument (7) in Frage gestellt, und zwar gestützt auf eine Nacharbeitung des dort angegebenen Beispiels zur Herstellung von Nifedipin. Im Ergebnis wird ein Nifedipinprodukt mit einem Schmelzpunkt von 166.2 C und einer nach BET (DIN 66132) gemessenen spezifischen Oberfläche von 1.3 m2/g erhalten. In Erwiderung hat die Beschwerdegegnerin Messungen an Nifedipinproben aus laufender Produktion und einen Vergleich der spezifischen Oberflächen von Rohnifedipin gegenüber einmal umkristallisierten Produkten eingereicht, wobei für die laufende Produktionscharge und das gesondert umkristallisierte Nifedipin ein Wert von 0.34. m2/g nicht überschritten wird und lediglich das Rohnifedipin Oberflächen von 1.17 m2/g bzw. 2.47 m2/g zeigte. Das Argument der Beschwerdegegnerin, diese Meßergebnisse zeigten, daß das von der Einsprechenden 01 gemessene Nifedipin mit einem Schmelzpunkt von 166.2 C gegenüber dem in dem nachgearbeiteten Beispiel von Dokument (7) angeführten Schmelzpunkt von 172 C bis 174 C als Rohprodukt anzusehen sei und somit aus diesem Stand der Technik keinesfalls ein beanspruchter Oberflächenparameter herleitbar sei, haben die Beschwerdeführerinnen nicht mit einer tragfähigen technischen Begründung widerlegt und auch keine weiteren Versuche hierzu vorgelegt. Die Kammer vermag daher der Behauptung der Beschwerdeführerinnen, daß die spezifische Oberfläche von Nifedipinkristallen von deren Schmelzpunkt unabhängig sei, nicht zu folgen. Bei mangelnder Offenbarung des beanspruchten Oberflächenparameters erübrigen sich weitergehende Diskussionen der Merkmale in (7) zur Neuheitsfrage. Da auch die sonst genannten Entgegenhaltungen keine konkreten Daten spezifischer Oberflächen im Bereich von 1 m2/g bis 4 m2/g ausweisen, sind die im Anspruch definierten Nifedipinkristalle nach Artikel 54 EPÜ als neu anzusehen. Daher kann die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die im Anspruch definierte Anwendungshäufigkeit zur Begründung der Neuheit ausreichen würde, dahingestellt bleiben.

7. Der Gegenstand des Streitpatentes betrifft feste Arzneizubereitungen enthaltend Nifedipin und Verfahren zu ihrer Herstellung.

7.1. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung, die Dokument (37), eine Informationsbroschüre für Ärzte und Apotheker, als nächstkommenden Stand der Technik betrachtet hat, sieht die Kammer Dokument (7) als geeigneteren Startpunkt zur Diskussion der erfinderischen Tätigkeit an, da die entsprechende deutsche Auslegeschrift nicht nur auf anwendungsbezogene Informationen zu einem speziellen Nifedipinpräparat gerichtet ist, sondern ein Herstellungsbeispiel mit quantitativen Angaben und Untersuchungen physiologischer Wirkungen von Nifedipin mit konkreten Testergebnissen enthält. Dieser Betrachtungsweise sind auch die Beschwerdeführerinnen in der mündlichen Verhandlung gefolgt.

7.2. Demzufolge offenbart Dokument (7) die Herstellung von 4- (2'-Nitrophenyl)-2,6-dimethyl-3,5-dicarbmethoxy-1,4- dihydropyridin [Nifedipin] mit einem Schmelzpunkt von 172 C bis 174 C, vgl. insbes. Spalte 1, Zeilen 52 bis 58. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung dieses Stoffes wird die Problematik aufgezeigt, daß zum damaligen Zeitpunkt handelsübliche Präparate, wie z. B. Dipyridamol, bei Koronarinsuffizienz, besonders bei der schmerzhaften Angina pectoris nicht immer sichere klinische Erfolge zeigten und man in den meisten Fällen noch immer auf Nitrite, deren Wirkung u. a. auf einer Herzentlastung beruht, angewiesen sei (vgl Spalte 1, Zeilen 27 bis 36). Zu konkreten Untersuchungen zur Koronarwirkung von Nifedipin wird, was den beobachteten Blutdruck betrifft, angegeben, daß eine perorale Verabreichung von 50 mg/kg eine anhaltend starke Senkung zur Folge hat (Spalte 2, insbes. Zeilen 36 bis 49). In den folgenden Erläuterungen zur Gesamtwirkung wird dann ausgeführt: "Gleichzeitig mit der stark vermehrten Koronardurchblutung erfolgt eine Blutdrucksenkung, die zu einer Entlastung des Herzens führt". Im folgenden wird dann die Wirksamkeit von Nifedipin gegenüber dem im Handel befindlichen Koronartherapeutikum Dipyridamol dargestellt. Neben den Tabellen 1 und 2 zur effektiven Dosis und relativen Wirksamkeit zeigt Tabelle 3 in Spalte 4 eine Dosis von 0.5 mg/kg bis 1 mg/kg für einen Wirkungseintritt nach 2 bis 5 Minuten bei peroraler Resorption und bei gleicher Dosis eine Wirksamkeit von 2 bis 3 Minuten für sublinguale Resorption. Zu diesen Daten wird vermerkt, daß Nifedipin u. a. wegen des schnellen Wirkungseintritts, der langen Wirkungsdauer und der sublingualen Resorption eine Bereicherung der Pharmazie darstellt, vgl. Spalte 4, Zeilen 47 bis 54.

Konkrete Angaben zur galenischen Aufarbeitung finden sich in Dokument (7) nicht.

7.3. Gegenüber diesem Stand der Technik kann die dem Streitpatent zugrundeliegende technische Aufgabe darin gesehen werden, bei gleichbleibend guten übrigen Arzneimittelwirkungen im Hinblick auf eine orale Behandlung von Hypertonie die Blutspiegelwerte über einen längeren Zeitraum in ausreichender Höhe zu halten.

Diese Aufgabe soll gemäß Patentanspruch durch die Verwendung von Nifedipinkristallen mit einer spezifischen Oberfläche von 1 m2/g bis 4 m2/g bei 1- bis 2mal täglicher Applikation gelöst werden.

Mit Bezug auf die voranstehend unter Punkt 3 zu Artikel 83 EPÜ bereits erwähnten Ausführungsbeispiele im Streitpatent, die auf bis zu 25.5 Stunden anhaltende Plasmakonzentrationen bei erfindungsgemäßer Verwendung von Nifedipinkristallen schließen lassen, und im Lichte der als Anlage 4 zum Schriftsatz vom 19. Juni 1985 eingereichten Versuchsergebnisse zur Freisetzungsrate von Nifedipinkristallen in Abhängigkeit von der spezifischen Oberfläche nach BET, insbesondere dem Diagramm nach "Enclosure 7", welches einen plateauartigen Kurvenverlauf zwischen 1 m2/g und 4 m2/g nach 60 Minuten zeigt, ist die Kammer überzeugt, daß durch die beanspruchten Merkmale der Verlauf der Blutspiegelwerte dahingehend verbessert wurde, daß eine Verwendung von Nifedipinkristallen als Retardformulierung zur oralen Behandlung von Hypertonie vorliegt und die bestehende Aufgabe tatsächlich gelöst wurde.

7.4. Die Beschwerdeführerinnen haben zwar die Bereitstellung einer sogenannten echten Retardformulierung durch Verweis auf unterschiedliche Freisetzungsmechanismen bestritten und auch behauptet, daß nicht jede Mischung von Kristallkollektiven, die eine spezifische Oberfläche im beanspruchten Bereich zeigen, die in Rede stehende Aufgabe lösen, aber keine konkreten Nachweise oder Versuchsdaten vorgelegt, die entweder die Zahlenwerte der von der Beschwerdegegnerin gemessenen Plasmakonzentrationen und Freisetzungsraten oder im Enderbebnis die aufgezeigte Verbesserung der Blutspiegelwerte im Sinne einer Retardformulierung gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik hätten in Frage stellen können. Für die Kammer bestand daher kein Anlaß, nur weil Mängel vermutet wurden, besagte Testdaten nicht zur Beurteilung der Lösung der voranstehend definierten technischen Aufgabe heranzuziehen (vgl. T 0219/83, ABl. 7/1986, Seiten 211 bis 226, Punkt 12 der Entscheidungsgründe). Bei dieser Sachlage, gesicherter Therapie bei nur zweimaliger Applikation, war es für die Glaubhaftmachung der Lösung der Aufgabe auch unerheblich, in welchem Umfang bei Patientengruppen mit geringerer Symptomatik nur eine Applikation täglich erforderlich ist.

8. Zu untersuchen verbleibt somit, ob die beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

8.1. Wie aus den voranstehenden Ausführungen unter 7.2 ersichtlich, kann Dokument (7) dem Fachmann weder im Hinblick auf die galenische Zubereitung noch hinsichtlich des Applikationsrhythmus Anregungen zur Verwendung von Nifedipinpräparaten vermitteln. In Ergänzung zu den in Dokument (7) genannten Zeiträumen im Minutenbereich hat die Beschwerdegegnerin auch glaubhaft dargelegt, daß die relativen Zeitangaben gemäß diesem Stand der Technik, wie "langanhaltende Koronarerweiterung", "anhaltend starke Senkung", "ihrer langen Wirkungsdauer" bei objektiver Betrachtung vom Fachmann lediglich in bezug auf die damals allgemein eingesetzten, nur im Minutenbereich wirkenden sogenannten Nitropräparate, interpretiert werden. Somit vermag Dokument (7) für sich genommen, ein Naheliegen der beanspruchten Lösung nicht zu begründen.

8.2. Es stellt sich folglich die Frage, ob durch Kombination mit den übrigen zum Stand der Technik genannten Dokumenten der beanspruchte Gegenstand insgesamt nahegelegt wurde.

8.2.1. Da die Beschwerdegegnerin nicht bestritten hat, daß Nifedipinpräparate mit bis zu sieben Stunden post Applikation statistisch gesicherter Blutdrucksenkung am Anmeldetag des Streitpatentes verfügbar waren und gleichfalls eingeräumt hat, daß die mechanische Aufbereitung durch Mikronisieren zur beschleunigten Resorption von Nifedipinkristallen nichts Ungewöhnliches sei, verbleibt nach Auffassung der Kammer lediglich eine sehr enge Auswahl aus der ungewöhnlich hohen Zahl von den im Laufe des Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen zur Diskussion. Auch die Beschwerdeführerinnen haben in diesem Sinne neben den Dokumenten (7) und (37), die als Basis für die Existenz von Nifedipinpräparaten in Verbindung mit möglichen Indikationen herangezogen wurden, ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen auf das Dokument (60) bzw. die korrespondierende Deutsche Patentschrift sowie die Lehrbücher gemäß den Dokumenten (30) und (67) konzentriert, die in Lösungsvorschlägen anwendungsorientierte pharmazeutische Technologien mit der Bioverfügbarkeit schwerlöslicher Präparate verknüpfen.

8.2.2. Demzufolge konnte der Ärzteprospekt gemäß Dokument (37) nicht als ergänzende Lehre zu Dokument (7) weiterhelfen, da auch hieraus weder ein Einfluß durch Variation von Kristallparametern hervorgeht - es wird lediglich angeführt, daß die Substanz mikrokristallin vorliegen kann - noch eine konkrete Applikation zur Behandlung von Hypertonie durch Anwendung des beschriebenen Corinfarpräparates beschrieben wird. Applikationsrhythmus und Dosierung beziehen sich eindeutig auf die Verwendung als Koronartherapeutikum. In diesem Sinne findet sich unter dem Absatz "Anwendung und Dosierung" der Hinweis, "daß Corinfar bei gleicher Gabe von Antihypertonica und Beta-Rezeptorenblockern deren Wirkung verstärken oder gegebenenfalls ergänzen kann". Insbesondere werden die pharmakologischen Eigenschaften im Vergleich zu Nitroglyzerin als von großer Ähnlichkeit bezeichnet und u. a. eine Senkung des Verbrauches an Nitropräparaten hervorgehoben. Der Prospekt läßt auch keine Zweifel aufkommen, daß alle relativen Zeitangaben zum Wirkungseintritt wie "schnell" und "langanhaltend" ebenso wie bei dem Stand der Technik nach Dokument (7) im Vergleich zu bekannten Nitropräparaten zu sehen sind. Darüber hinaus zeigt auch das von der ehemaligen Beschwerdeführerin (Einsprechende 08) als Anlage 3 zum Schriftsatz vom 2. September 1992 vorgelegte Übersichtsdiagramm der Blutspiegelwerte unterschiedlicher Nifedipinpräparate, daß Corinfar Dragées im Kurvenverlauf nach 25.5 Stunden letztlich einen erheblich kleineren Blutspiegel als die gemäß Streitpatent verwendeten Kristalle zeigen, also auch nicht inhärent und unabhängig von der spezifischen Oberfläche die Eigenschaft einer Retardwirkung aufweisen, die ohne weiteres eine nur zweimal tägliche Applikation zur gesicherten Therapie ermöglicht.

8.2.3. Die Dokumente (39), (40) und (41) wurden im Rahmen der gleichen Argumentation wie zu Dokument (37) zum Nachweis einer antihypertensiven Wirkung von Nifedipinpräparaten über viele Stunden vorgelegt. Es ist den Beschwerdeführerinnen mit Bezug auf keines dieser Dokumente gelungen, einen für eine Therapie erfolgversprechenden Blutspiegel an Nifedipin bzw. eine entsprechende Blutdrucksenkung bei einmaliger Applikation nach zwölf Stunden aufzuzeigen. So läßt sich z. B. aus (39) zwar herleiten, daß ein antihypertensiver Effekt nach einer Dosis unter bestimmten Umständen über acht bis zwölf Stunden beobachtbar ist, jedoch erst durch eine Nifedipingabe alle sechs Stunden ein posturaler Hypotensionseffekt, über einen Zeitraum von 24 Stunden betrachtet, gesichert vermeidbar ist. Dies deutet für den Fachmann jedenfalls nicht auf das Vorhandensein eines für ein Retardpräparat erforderlichen Blutspiegels hin. In Abwesenheit jeglichen Hinweises auf eine gezielte Retardwirkung und ohne Angaben zu Kristallparametern kommen diese Dokumente der beanspruchten Lösung ebenfalls nicht näher.

8.2.4. Auch das in der mündlichen Verhandlung noch erörterte Dokument (62), das Untersuchungen zur Stabilitätskinetik und Stabilisierung von feingemahlenem Nifedipin mit Kristallgrößen 5 µm als photoinstabilen Arzneistoff zum Gegenstand hat, scheidet für eine weitergehende Diskussion in Kombination mit der Lehre von (7) und den übrigen Dokumenten aus. Neben der Allgemeininformation, daß Nifedipin ein Koronartherapeutikum darstellt und der unbestrittenen Feststellung, daß bei dem vorgenommenen Mikronisierungsprozeß zu Kristallgrößen 5 µm auch Kristallkollektive mit einer Oberfläche im beanspruchten Bereich mitumfaßt sein können, läßt dieser Stand der Technik weder Schlüsse auf bestimmte erzielte spezifische Oberflächenwerte noch zusätzliche pharmazeutische Wirkungen in Abhängigkeit von physikalischen Kristallparametern zu, die in Richtung der beanspruchten Lösung deuten.

8.2.5. Im Hinblick auf das von den Beschwerdeführerinnen zuletzt als Schwerpunkt gegen die erfinderische Tätigkeit vorgetragene Argument, daß durch ein auf Griseofulvin, welches bekanntermaßen als extrem schwerlösliches Präparat gilt, angewandtes Prinzip der Verbesserung der Bioverfügbarkeit und protrahierenden Wirkung, die im Streitpatent beanspruchte Lösung in Form einer naheliegenden Übertragung vorweggenommen sei, kann die Kammer dem Vortrag dahingehend folgen, daß Dokument (60) in der Tat als eine Art Basisdokument für diesen Sachverhalt angesehen werden muß und im Detail zu erörtern ist.

Diesem Dokument liegt die Problematik zugrunde, daß bei oraler Verabreichung das Antibiotikum Griseofulvin nur sehr schlecht in die Blutbahn gelangt. In diesem Zusammenhang wird als allgemeine Erkenntnis angeführt, daß bei Verminderung der Partikelgröße des Präparates zu kleineren Werten als zuvor üblich, der Spitzenwert des Blutspiegels nach oraler Verabreichung erhöht wird. Als Folge dieser Erhöhung der Aufnahmemenge einer verabreichten Dosis an Griseofulvin wird als Vorteil eine über einen längeren Zeitraum im Blut nachweisbare Konzentration des Stoffes angegeben (vgl. Spalte 1, Zeilen 26 bis 36). Für die Aufarbeitung wird dann ein kristallines Griseofulvin mit einer bevorzugten spezifischen Oberfläche von mindestens 0.75 m2/g genannt, wobei hierzu ausgeführt wird, daß mit zunehmender spezifischer Oberfläche bis zu 1.7 m2/g jeweils eine weitere Verbesserung der Aufnahme zu erzielen ist (vgl. Spalte 1, Zeile 48 bis Spalte 2, Zeile 2). Eine tabellarische Darstellung von Meßdaten bestätigt dies jeweils für die Blutspiegelwerte nach einigen Stunden, allerdings zeigen die 26 Stunden Meßwerte für kleine spezifische Oberflächen von 0.4 m2/g nur unwesentlich geringere Blutspiegelwerte als für solche von 1.7 m2/g (vgl. "Table", Spalte 1/2 übergreifend Spalte 3/4). Somit bestätigt diese Tabelle, daß mit zunehmender spezifischer Oberfläche die Lösungsgeschwindigkeit und Bioverfügbarkeit zunimmt und auch nach 26 Stunden meßbare Wirkstoffkonzentrationen vorliegen, eine wesentliche Beeinflussung der Langzeitkonzentration durch die Wahl der spezifischen Oberfläche ist dieser Tabelle jedoch nicht zu entnehmen. Dieser Sachverhalt läßt sich bestätigen durch die Aussage der Beschwerdegegnerin, die auf eine Eliminationshalbwertszeit von ca. 21 Stunden für Griseofulvin verwiesen hat. Der Fachmann, der somit sieht, daß die Mikronisierung als solches zwar längerandauernde Blutspiegel bewirken kann, die Blutspiegelwerte jedoch nur eine schwache Abhängigkeit von der spezifischen Oberfläche ab einem gewissen Mikronisierungsgrad zeigen und in jedem Fall eine für Retardpräparate a priori unerwünschte und sogar der Zielsetzung gegenläufige weitere Beschleunigung der Resorption zu beobachten ist, wird diesen für Griseofulvin eingeschlagenen Weg nicht ohne weiteres als erfolgversprechend für die Verwendung von Nifedipin, welches vergleichbare Löslichkeitsdaten zeigt, aber eine Eliminationshalbwertszeit von nur 2 bis 4 Stunden aufweist, zur Erzielung einer Retardwirkung einschlagen. Aufgrund der bereits sehr langen Eliminationshalbwertszeit, durch die eine Retardwirkung ohne weiteres leichter zu erzielen scheint, ist ferner nicht offensichtlich, unter welchen Umständen Griseofulvin allgemein als Modellsubstanz in der pharmakologischen Technologie zur Bereitung von Retardpräparaten dienen kann. Eine analoge Argumentation gilt für die Lehre der deutschen Patentschrift DE-C- 1. 220 556 als sogenanntes Familienmitglied von Dokument (60).

8.2.6. Die Beschwerdeführerinnen haben zu diesem Sachverhalt noch besonders betont, daß gemäß dem Lehrbuch nach Dokument (67) in Absatz 2.4.6 auf Seite 44 zum Resorptionsverhalten in einer verallgemeinerten Form wörtlich ausgeführt wird: "Auch die Resorption - und damit der Wirkungseintritt, die Intensität und die Wirkungsdauer - von Arzneistoffen ist häufig vom Zerteilungsgrad abhängig. Mit Verminderung der Teilchengröße wird die Oberfläche vergrößert und damit die Lösungsgeschwindigkeit erhöht." Dieses Zitat ist jedoch, wie die Beschwerdegegnerin zurecht erwidert hat, dahingehend zu ergänzen, daß anschließend zu diesem Sachverhalt erläutert wird, daß allgemein eine Beschleunigung der Resorption, wenn auch optimierbar, durch diesen Vorgang zu verzeichnen ist und unmittelbar auf das Beispiel des Griseofulvin verwiesen wird. Folglich kann den Ausführungen der Beschwerdegegnerin zugestimmt werden, daß sich für den Fachmann aus diesen allgemeinen Aussagen zum Resorptionsverhalten schwerlöslicher Arzneistoffe keine über Dokument (60) hinausgehende Information entnehmen läßt, die auf ein Retardverhalten, also gezielte Steuerung eines niedrigen Anfangsblutspiegels in Verbindung mit einer optimierbaren Nachresorption hindeuten könnte. Abschließend wird sogar angeführt, daß eine absolute Verallgemeinerung nicht möglich sei, da bei bestimmten Stoffen eine Vergrößerung der Oberfläche Zersetzungserscheinungen begünstigt.

8.2.7. Das Lehrbuch gemäß Dokument (30) sowie die übrigen Dokumente, die Griseofulvin als Beispiel für einen Mikronisierungsprozeß enthalten, offenbaren ebenfalls nichts über Dokument (60) Hinausgehendes, was den Fachmann, für sich genommen oder in Kombination mit dem voranstehend zum Stand der Technik diskutierten Dokumenten, in die Richtung der beanspruchten Lösung führen könnte.

8.2.8. Die Vielzahl der anderen im Prüfungs-, Einspruchs- und Beschwerdeverfahren noch genannten Dokumente stehen der Lehre des Streitpatentes ferner als die voranstehend diskutierten und bedürfen daher keiner weiteren Erörterung.

8.3. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des einzigen geltenden Patentanspruches auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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