T 0478/92 () of 24.10.1995

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T047892.19951024
Datum der Entscheidung: 24 October 1995
Aktenzeichen: T 0478/92
Anmeldenummer: 86102590.6
IPC-Klasse: G01N 33/74
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Reagenz zur Bestimmung des luteinisierenden Hormons sowie hierzu geeignete monoklonale Antikörper
Name des Anmelders: BOEHRINGER MANNHEIM GMBH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - bejaht
Inventive step (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0906/91
T 0355/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0355/92

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Anmeldung Nr. 86 102 590.6 (Veröffentlichungsnr. 0 193 881) Beschwerde eingelegt.

Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gekommen, daß im Hinblick auf folgende Entgegenhaltungen

(1) GB-A-2 111 201

(2) Clinical Chemistry 28 (1982) 1862-1866

(3) Annual of Clinical Biochem. 21 (1984) 275-283

die Anmeldung den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht genüge.

Es sei nämlich aus den Entgegenhaltungen (1), (2) und (3) bekannt, daß das luteinisierende Hormon (LH) ein Immunogen darstellt und daß monoklonale Antikörper gegen LH mit niedrigen Kreuzreaktivitäten mit anderen Glykoproteinhormonen wie TSH und FSH aber hoher Kreuzreaktivität mit hCG existieren. Es sei daher naheliegend, Antikörper gegen LH mit geringen Kreuzreaktivitäten gegenüber allen übrigen Glykoproteinhormonen zu suchen. Für den vor diese Aufgabe gestellten Fachmann sei, unter Anwendung des bekannten Verfahrens von Köhler und Milstein, lediglich routinemäßige Screening-Arbeit erforderlich, um Antikörper mit den gewünschten Eigenschaften herzustellen.

II. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hat die Kammer ihre vorläufige Meinung dahingehend geäußert, daß der Entscheidung der Prüfungsabteilung zugestimmt werden könnte. Die Kammer hat ferner die Entgegenhaltungen

(4) FR-A-2 480 782

(5) Clinica Chimica Acta 133 (1983) 263-274

(6) Endocrinology 117 (1985) 2428-2434

die erstmals im parallelen Verfahren T 355/92 zitiert worden sind, im vorliegenden Fall eingeführt, weil diese Dokumente möglicherweise auch für diesen Fall relevant sein könnten. Die Kammer hat darüber hinaus auf die Entscheidung in dem sachlich ähnlich gelagerten Fall T 906/91 (vom 25. April 1995, nicht im ABl. EPA veröffentlicht) hingewiesen. In Absatz 16 der Entscheidungsgründe sei dort die Auffassung vertreten worden, daß bei der Anwendung des Verfahrens von Köhler und Milstein die Überwindung von Schwierigkeiten als Indiz für erfinderische Tätigkeit angesehen werden könnte. Im vorliegenden Fall habe aber die Kammer keine Überwindung besonderer Schwierigkeiten erkennen können.

III. Mit Schreiben vom 25. September 1995 hat die Beschwerdeführerin zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung die weitere Entgegenhaltung

(7) Ann. Rev. Biochem. (1981) 465, 466, 467

eingereicht.

IV. Am Ende der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin beantragt, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Ansprüche 1 bis 11, wie eingereicht mit Schriftsatz vom 9. April 1991,

Beschreibung wie überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 1995,

Zeichnungen gemäß der ursprünglichen Anmeldung.

V. Ansprüche 1, 2, 9, 10 und 11 dieses Antrags lauten wie folgt:

"1. Monoklonaler Antikörper gegen das luteinisierende Hormon (LH), der eine Kreuzreaktivität mit FSH, TSH und hCG von weniger als 3 % aufweist.

2. Monoklonaler Antikörper gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß er eine Kreuzreaktivität mit FSH, TSH und hCG von weniger als 1 % aufweist.

9. Verfahren zur Gewinnung eines monoklonalen Antikörpers nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß man geeignete Tiere mit LH immunisiert, aus der Milz der immunisierten Tiere B- Lymphozyten gewinnt, diese mit Myelomazellen fusioniert, die gebildeten Hybridoma-Zellen kloniert, Klone, die spezifisch gegen LH gerichtete Antikörper produzieren, selektiert und die durch sie gebildeten Antikörper gewinnt.

10. Hybridoma-Zellinie, die monoklonale Antikörper gemäß Anspruch 1 produziert.

11. Hybridoma-Zellinien mit den Hinterlegungsnummern NCACC 84122001 und NCACC 84122005."

VI. Die Beschwerdeführerin führt im schriftlichen und mündlichen Verfahren im wesentlichen folgendes aus:

a) Aufgabe der Erfindung sei es, spezifisch gegen LH, also ein Glykoproteinhormon, gerichtete monoklonale Antikörper mit einer sehr geringen Kreuzreaktion mit anderen Glykoproteinhormonen zur Verfügung zu stellen. Diese Glykoproteinhormone wiesen nun eine hohe Homologie untereinander auf - vgl. Entgegenhaltung (7). Aufgrund dieser Ähnlichkeiten habe man bisher immer sehr hohe Kreuzreaktivitäten festgestellt - vgl. z. B. Engegenhaltung (2), Seite 1864, Fig. 5 und Seite 1865, rechte Spalte, Absatz 3; Entgegenhaltung (5), Seite 268, Tabelle III sowie Entgegenhaltung (3), Fig. 3 und Summary. Bemerkenswert sei, daß sich kein einziger monoklonaler Antikörper darunter befinde, welcher auch nur annähernd die Spezifität aufweise, die von der Erfindung für einen monoklonalen LH-Antikörper gefordert wird. Die Feststellung im angefochtenen Beschluß, Seite 5, Absatz 3, daß es naheliegend gewesen sei, "daß gegen ein bekanntes Immunogen mit der Methode von Köhler und Milstein monoklonale Antikörper mit einer beliebigen Eigenschaft prinzipiell hergestellt werden können", die gerade unter Bezugnahme auf Entgegenhaltung (2) gemacht wird, stehe daher im Gegensatz zu den Schlußfolgerungen, die der Fachmann aus der Offenbarung dieser Literaturstelle ziehen muß. Da nämlich kein einziger monoklonaler Antikörper gegen LH gefunden würde, welcher den Grad von Spezifität aufweise, der von der Erfindung gefordert wird, könne der Fachmann daraus allenfalls die Lehre herleiten, daß bei monoklonalen Antikörpern gegen ein bestimmtes Glykoproteinhormon eine relativ hohe Kreuzreaktivität mit den anderen Glykoproteinhormonen in Kauf genommen werden muß.

b) Ein wesentlicher Unterschied sei zwischen dem vorliegenden Fall und dem Fall T 906/91 (loc. cit.) zu sehen. Beim Fall T 906/91 liege eine Situation vor, wonach ein polyklonaler Antikörper, also ein Antiserum gegen Theophyllin mit niedriger Kreuzreaktivität gegenüber anderen Xanthinen schon bekannt gewesen sei. Gegenüber dem dort zu berücksichtigenden Stand der Technik würde daher der Standpunkt vertreten, daß es naheliegend sei, polyklonale Antikörper durch monoklonale Antikörper zu ersetzen mit einer vernünftigen Erwartung, hierbei eine Verbesserung der Eigenschaften zu erzielen, insbesondere hinsichtlich der Spezifität.

Im vorliegenden Fall lägen die Voraussetzungen aber grundsätzlich anders. Monoklonale Antikörper gegen LH seien bereits bekannt und lediglich deren Kreuzreaktivität sei unerwünscht hoch.

c) Ferner würden im vorliegenden Fall monoklonale Antikörper gegen LH, die die erwünschte niedrige Kreuzreaktivität gegenüber allen drei, dem Follikel stimulierenden Hormon (FSH), Thyreotropin stimulierendem Hormon (TSH) und humanen Choriangonadotropin (hCG) aufweisen, erstmals durch die Anwendung von Aluminiumhydroxid als Adjuvans zusammen mit Bordetella pertussis statt Freund'schem Adjuvans erhalten. Im Stand der Technik fänden sich keine Hinweise, daß es möglich wäre, mit dieser Adjuvanskombination bessere monoklonale Antikörper herzustellen. In den Entgegenhaltungen (1) bis (6) sei nämlich lediglich die Anwendung von Freundschem Adjuvans beschrieben, oder das Adjuvans werde nicht erwähnt. In diesen Dokumenten gäbe es ferner keinen Hinweis, daß das Adjuvans die Spezifität der erhaltenen Antikörper beeinflussen könnte.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. In Übereinstimmung mit der Auffassung der Prüfungsabteilung bestehen gegen die Fassung der Ansprüche keine Bedenken in Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ. Dies gilt auch für die Änderung auf Seite 4 der Beschreibung, bei der das anzuwendende Adjuvans auf die Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis eingeschränkt wird.

3. Auch die Neuheit der Ansprüche ist nicht zu beanstanden.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1. Als nächstkommender Stand der Technik kann irgendeine der Entgegenhaltungen (1), (2), (3) oder (5) herangezogen werden, weil alle monoklonale Antikörper gegen LH beschreiben. Der in Entgegenhaltung (1) offenbarte monoklonale Antikörper ES 1 gegen LH weist keine wesentliche Kreuzreaktivität mit FSH und TH auf (siehe Seite 5, Zeilen 74 bis 86). Laut Entgegenhaltung (3) aber, die auch den Antikörper ES 1 beschreibt, reagiert dieser nahezu gleich stark mit LH und hCG. Das bedeutet, daß ES 1 eine Kreuzreaktivität von nahezu 100 % aufweist (siehe Seite 276, linke Spalte, Zeilen 1 und 2, Summary, Zeilen 11 und 12 und Seite 278, Fig. 3). Auch in Entgegenhaltung (2) wird ein monoklonaler Antikörper gegen LH beschrieben, der eine hohe (ca. 60 %) Kreuzreaktivität mit hCG aufweist (siehe Seite 1864, Fig. 5 und Seite 1865, rechte Spalte, Zeilen 15 bis 17).

In Entgegenhaltung (5) wird andererseits auf Seite 268, Tabelle III, ein Antikörper 3/30 gegen LH beschrieben, der eine niedrige Kreuzreaktivität mit hCG und FSH, dagegen eine relativ hohe Kreuzreaktivität mit TSH aufweist. Ferner werden in Tabelle III Antikörper 11/42 und 17/4 beschrieben, die eine niedrige Kreuzreaktivität mit FSH aber eine relativ hohe Kreuzreaktivität mit hCG und TSH aufweisen. Die zehn übrigen in Tabelle III dargestellten Antikörper sind allgemein wenig spezifisch.

Hinsichtlich der Entgegenhaltung (6) hat die Kammer festgestellt, daß sie erst am 1. Dezember 1985 veröffentlicht wurde, d. h. nach dem wirksam beanspruchten Prioritätsdatum (6. März 1985) der Patentanmeldung.

4.2. Die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe, wie sie auf Seite 2, Zeilen 24 bis 26 der Beschreibung angegeben ist, besteht daher darin, ein immunologisches Verfahren und Reagenz bereitzustellen, mit dessen Hilfe LH auch in Gegenwart von den anderen Glykoproteinhormonen spezifisch erfaßt werden kann. Diese Formulierung der Aufgabe stimmt im wesentlichen mit derjenigen der Beschwerdeführerin überein (siehe Absatz VIa oben) und kann seitens der Kammer akzeptiert werden.

4.3. Aus der Gesamtheit der Offenbarung in den zitierten Dokumenten ist daher für den Fachmann die Lehre herzuleiten, daß bei monoklonalen Antikörpern gegen LH eine relativ hohe Kreuzaktivität mit mindestens einem der anderen Glykoproteinhormonen in Kauf genommen werden muß. Zwar konnte der Fachmann erwarten, bei weiterer Suche monoklonaler Antikörper gegen LH mit verbesserten Spezifitäten im Vergleich zu den in den Entgegenhaltungen (2) und (3) offenbarten Antikörpern zu finden - siehe Absatz 4.1 oben. Nach Meinung der Kammer war jedoch gerade der Umstand, daß es trotz zahlreicher Versuche, monoklonale Antikörper mit der gewünschten Spezifität zu finden, nicht gelungen war, die Aufgabe zu lösen, ein Hinweis für den Fachmann, daß ein Erfolg ausbleiben könnte. In Übereinstimmung mit der Argumentation der Beschwerdeführerin ist daher die Kammer zu der Überzeugung gelangt, daß der Fachmann nicht mit einer vernünftigen Aussicht auf Erfolg erwarten konnte, bei weiterer Suche einen monoklonalen Antikörper gegen LH mit den beanspruchten Eigenschaften zu finden, geschweige denn mit den Kreuzreaktivitäten mit hCG, TSH und FSH von weniger als 0,1 %, wie in Tabelle I angegeben. Hierin ist ein Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 zu erkennen.

4.4. Ein weiterer Beitrag besteht darin, daß durch die Anwendung der Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis als Adjuvans die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe gelöst wurde. In den zitierten Dokumenten wird nämlich nur die Anwendung von komplettem Freund'schen Adjuvans beschrieben. Die Beschwerdeführerin, gestützt durch die Aussage der Erfinderin, macht geltend, daß alle Versuche, mit dieser bekannten Methode bessere monoklonale Antikörper gegen LH zu finden, erfolglos waren, was seitens der Kammer akzeptiert werden kann.

Für den Fachmann war es nicht zu erwarten, daß die Wahl des Adjuvans eine Rolle hinsichtlich Spezifität spielen könnte. Die Wirkung eines Adjuvans besteht nämlich darin, eine unspezifische Verstärkung der Immunantwort zu erreichen.

Die Tatsache, daß auch in dem parallelen Fall T 355/92 hochspezifische monoklonale Antikörper gegen FSH erst durch die Anwendung der Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis als Adjuvans erhalten wurden, ist nach Meinung der Kammer ein Indiz dafür, daß es sich nicht um einen bloßen Zufall handelt.

4.5. Aus den vorstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4.6. Dieselben Überlegungen gelten für die als nebengeordnet zu betrachtenden Ansprüche 9, 10 und 11. Hinsichtlich Anspruch 9 wird bemerkt, daß durch die Rückbeziehung auf Anspruch 1 impliziert ist, daß das Immunisierungsmerkmal unter Anwendung der Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis die erfinderische Leistung dieses Anspruchs stützt. Durch die in Anspruch 11 beanspruchten Hybridoma-Zellinien werden die Antikörper erhalten, die die in Tabelle I angegebenen Kreuzreaktivitäten von weniger als 0,1 % aufweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, ein Patent auf der Grundlage des Antrags der Beschwerdeführerin zu erteilen.

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