European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1995:T035592.19951024 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 24 October 1995 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0355/92 | ||||||||
Anmeldenummer: | 86102589.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01N 33/74 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und Reagenz zur Bestimmung des Follikel stimulierenden Hormons sowie hierzu geeignete monoklonale Antikörper | ||||||||
Name des Anmelders: | BOEHRINGER MANNHEIM GMBH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (bejaht) Inventive step - indicia |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Anmeldung Nr. 86 102 589.8 (Veröffentlichungsnr. 0 193 880) Beschwerde eingelegt.
Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gekommen, daß im Hinblick auf folgende Entgegenhaltungen
(4) FR-A-2 480 782
(5) Clinica Chimica Acta 133 (1983) 263-274
die Anmeldung den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht genüge.
Es sei nämlich aus Entgegenhaltung (4) bekannt, daß das Follikel stimulierende Hormon (FSH) ein Immunogen darstellt. Aus Entgegenhaltung (5) sei es ferner bekannt, daß Antikörper gegen ein Glykoproteinhormon oft mit anderen Glykoproteinhormonen kreuzreagieren. Es sei daher naheliegend, Antikörper gegen FSH mit geringen Kreuzreaktivitäten gegenüber den übrigen Glykoproteinhormonen zu suchen. Für den vor diese Aufgabe gestellten Fachmann sei, unter Anwendung des bekannten Verfahrens von Köhler und Milstein, lediglich routinemäßige Screenings-Arbeit erforderlich, um Antikörper mit den gewünschten Eigenschaften herzustellen.
II. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hat die Kammer ihre vorläufige Meinung dahingehend geäußert, daß der Entscheidung der Prüfungsabteilung zugestimmt werden könnte. Die Kammer hat ferner die Entgegenhaltungen
(1) GB-A-2 111 201
(2) Clinical Chemistry 28 (1982) 1862-1866
(3) Endocrinology 117 (1985) 2428-2434,
die erstmals im parallelen Verfahren T 478/92 zitiert worden sind, im vorliegenden Fall eingeführt, weil diese Dokumente auch möglicherweise für diesen Fall relevant sein könnten. Die Kammer hat darüber hinaus auf die Entscheidung in dem sachlich ähnlich gelagerten Fall T 906/91 (vom 25. April 1995, nicht im ABl. EPA veröffentlicht) hingewiesen. In Absatz 16 der Entscheidungsgründe sei dort die Auffassung vertreten worden, daß bei der Anwendung des Verfahrens von Köhler und Milstein die Überwindung von Schwierigkeiten als Indiz für erfinderische Tätigkeit angesehen werden könnte. Im vorliegenden Fall habe aber die Kammer keine Überwindung besonderer Schwierigkeiten erkennen können.
III. Mit Schreiben vom 25. September 1995 hat die Beschwerdeführerin zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung die weiteren Veröffentlichungen
(7) Ann. Rev. Biochem. (1981) 465, 466, 467
(8) J. Immunol. Methods 51 (1982) 57-68
eingereicht.
IV. Am Ende der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin beantragt, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Ansprüche 1 bis 11, wie eingereicht mit Schriftsatz vom 9. April 1991,
Beschreibung wie überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 1995,
Zeichnungen gemäß der ursprünglichen Anmeldung.
V. Ansprüche 1, 2, 9, 10 und 11 dieses Antrags lauten wie folgt:
"1. Monoklonaler Antikörper gegen das Follikel stimulierende Hormon (FSH), der eine Kreuzreaktivität mit LH, TSH und hCG von weniger als 3 % aufweist.
2. Monoklonaler Antikörper gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß er eine Kreuzreaktivität mit LH, TSH und hCG von weniger als 1 % aufweist.
9. Verfahren zur Gewinnung eines monoklonalen Antikörpers nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß man geeignete Tiere mit FSH immunisiert, aus der Milz der immunisierten Tiere B- Lymphozyten gewinnt, diese mit Myelomazellen fusioniert, die gebildeten Hybridoma-Zellen kloniert, Klone, die spezifisch gegen FSH gerichtete Antikörper produzieren, selektiert und die durch sie gebildeten Antikörper gewinnt.
10. Hybridoma-Zellinie, die monoklonale Antikörper gemäß Anspruch 1 produziert.
11. Hybridoma-Zellinien mit den Hinterlegungsnummern NCACC 84122002, NCACC 84122006 und NCACC 85022205."
VI. Die Beschwerdeführerin führt im schriftlichen und mündlichen Verfahren im wesentlichen folgendes aus:
a) Aufgabe der Erfindung sei es, spezifisch gegen FSH, also ein Glykoproteinhormon, gerichtete monoklonale Antikörper mit einer sehr geringen Kreuzreaktion mit anderen Glykoproteinhormonen zur Verfügung zu stellen. Diese Glykoproteinhormone wiesen nun eine hohe Homologie untereinander auf - vgl. Entgegenhaltung (7). Aufgrund dieser Ähnlichkeiten habe man bisher immer sehr hohe Kreuzreaktivitäten festgestellt - vgl. z. B. Engegenhaltung (5), Tabelle III. Bemerkenswert sei, daß sich kein einziger monoklonaler Antikörper darunter befinde, welcher auch nur annähernd die Spezifität aufweise, die von der Erfindung für einen monoklonalen FSH- Antikörper gefordert wird. Die Feststellung im angefochtenen Beschluß, Seite 4, Absatz 3 "es ist daher naheliegend, Antikörper gegen FSH mit geringen Kreuzreaktivitäten gegenüber den übrigen Glykoproteinhormonen zu suchen", die gerade unter Bezugnahme auf diese Literaturstelle Acta Clinica Chemica gemacht wird, stehe daher im Gegensatz zu den Schlußfolgerungen, die der Fachmann aus der Offenbarung dieser Literaturstelle ziehen muß. Da nämlich kein einziger monoklonaler Antikörper gegen LH gefunden würde, welcher den Grad von Spezifität aufweise, der von der Erfindung gefordert wird, könne der Fachmann daraus allenfalls die Lehre herleiten, daß bei monoklonalen Antikörpern gegen ein bestimmtes Glykoproteinhormon eine relativ hohe Kreuzreaktivität mit den anderen Glykoproteinhormonen in Kauf genommen werden muß.
b) Ein wesentlicher Unterschied sei zwischen dem vorliegenden Fall und dem Fall T 906/91 (loc. cit.) zu sehen. Beim Fall T 906/91 liege eine Situation vor, wonach ein polyklonaler Antikörper, also ein Antiserum gegen Theophyllin mit niedriger Kreuzreaktivität gegenüber anderen Xanthinen schon bekannt sei. Gegenüber dem dort zu berücksichtigenden Stand der Technik würde daher der Standpunkt vertreten, daß es naheliegend sei, polyklonale Antikörper durch monoklonale Antikörper zu ersetzen mit einer vernünftigen Erwartung, hierbei eine Verbesserung der Eigenschaften zu erzielen, insbesondere hinsichtlich der Spezifität.
Im vorliegenden Fall lägen die Voraussetzungen aber grundsätzlich anders. Monoklonale Antikörper gegen FSH seien bereits bekannt und lediglich deren Kreuzreaktivität sei unerwünscht hoch.
c) Ferner würden im vorliegenden Fall monoklonale Antikörper gegen FSH, die die erwünschte niedrige Kreuzreaktivität gegenüber allen drei, dem luteinisierendem Hormon (LH), Thyreotropin stimulierendem Hormon (TSH) und humanem Choriangonadotropin (hCG) aufweisen, erstmals durch die Anwendung von Aluminiumhydroxid als Adjuvans zusammen mit Bordetella pertussis statt Freund'schem Adjuvans erhalten. Im Stand der Technik fänden sich keine Hinweise, daß es möglich wäre, mit dieser Adjuvanskombination bessere monoklonale Antikörper herzustellen. In den Entgegenhaltungen (1) bis (6) und (8) sei nämlich lediglich die Anwendung von Freundschem Adjuvans beschrieben, oder das Adjuvans werde nicht erwähnt. In diesen Dokumenten gäbe es ferner keinen Hinweis, daß das Adjuvans die Spezifität der erhaltenen Antikörper beeinflussen könnte.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. In Übereinstimmung mit der Auffassung der Prüfungsabteilung bestehen gegen die Fassung der Ansprüche keine Bedenken in Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ. Dies gilt auch für die Änderung auf Seite 4 der Beschreibung, bei der das anzuwendende Adjuvans auf die Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis eingeschränkt wird.
3. Auch die Neuheit der Ansprüche ist nicht zu beanstanden. In dieser Hinsicht hat die Kammer festgestellt, daß die Entgegenhaltung (6), die möglicherweise als relevant zu betrachten wäre, erst am 1. Dezember 1985 veröffentlicht wurde, d. h. nach dem wirksam beanspruchten Prioritätsdatum (6. März 1985) der Patentanmeldung.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1. Die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe, wie sie auf Seite 2, Zeilen 19 bis 22 der Beschreibung angegeben ist, besteht darin, ein immunologisches Verfahren und Reagenz bereitzustellen, mit dessen Hilfe FSH auch in Gegenwart von anderen Glykoproteinhormonen spezifisch erfaßt werden kann. Diese Formulierung der Aufgabe stimmt im wesentlichen mit derjenigen der Beschwerdeführerin überein (siehe Absatz VI.1 oben) und kann seitens der Kammer akzeptiert werden.
4.2. Die Beschwerdeführerin geht davon aus, daß Entgegenhaltung (5) als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten sei, weil dort monoklonale Antikörper gegen FSH beschrieben sind. Tabelle 3 dieser Entgegenhaltung zeige nämlich deutlich, daß der Antikörper 2/32 doppelt so stark an FSH binde als an LH. Es handele sich daher tatsächlich um einen FSH-Antikörper. Dies gelte in gleicher Weise für die weiteren, dort aufgeführten Antikörper 5/15, 5/21, 11/24 und 11/44. Nach Meinung der Kammer kann die Frage dahingestellt bleiben, ob diese Interpretation für Antikörper gültig ist, die gegen LH gewonnen worden sind. Aus den Entgegenhaltungen (1), (2), (3), (5) und (8) ist es nämlich bekannt, daß monoklonale Antikörper gegen Glycoproteinhormone mittels des Verfahrens von Köhler und Milstein gewonnen werden können. Die Kammer kann daher der Argumentation der Beschwerdeführerin in Absatz VI.b oben folgen, nach der ein wesentlicher Unterschied zwischen dem vorliegenden Fall und dem Fall T 906/91 besteht.
4.3. Die Entgegenhaltungen (1), (2), (3) und (5) befassen sich mit monoklonalen Antikörpern gegen LH, (8) mit monoklonalen Antikörpern gegen TSH. Der in Entgegenhaltung (1) offenbarte Antikörper ES 1 weist keine wesentliche Kreuzreaktivität mit FSH und TH auf (siehe Seite 5, Zeilen 74 bis 86). Laut Entgegenhaltung (3) aber, die auch den Antikörper ES 1 beschreibt, weist dieser eine hohe Kreuzreaktivität mit hCG auf (siehe Summary). Auch in Entgegenhaltung (2) wird auf eine hohe Kreuzreaktivität mit hCG bei gegen LH gerichteten Antikörpern hingewiesen (siehe Seite 1865, rechte Spalte oben). In Entgegenhaltung (5) wird andererseits ein Antikörper 3/30 gegen LH beschrieben, der eine niedrige Kreuzreaktivität mit hCG und FSH, aber eine hohe mit TSH aufweist (Seite 268, Tabelle III). In Entgegenhaltung (8) wird ein Antikörper 2/38 gegen TSH offenbart, der keine relative Bindung der Hormone LH, FSH und hCG im Vergleich mit einem Antikörper 11/107 aufweist. Die Kammer teilt aber die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß relative Bindung nicht mit Kreuzreaktivität gleichzusetzen ist.
4.4. Aus der Gesamtheit der Offenbarung in den zitierten Dokumenten ist daher für den Fachmann die Lehre herzuleiten, daß bei monoklonalen Antikörpern gegen ein bestimmtes Glykoprotein-Hormon eine relativ hohe Kreuzaktivität mit mindestens einem der anderen Glykoproteinhormonen in Kauf genommen werden muß. In Übereinstimmung mit der Argumentation der Beschwerdeführerin ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, daß der Fachmann nicht mit einer vernünftigen Aussicht auf Erfolg erwarten konnte, bei weiterer Suche einen monoklonalen Antikörper, in diesem Fall FSH, mit den beanspruchten Eigenschaften zu finden, geschweige denn mit den Kreuzreaktivitäten von weniger als 0,1 %, wie in Tabelle I angegeben. Hierin ist ein Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 zu erkennen.
4.5. Ein weiterer Beitrag besteht darin, daß durch die Anwendung der Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis als Adjuvans die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe gelöst wurde. In den zitierten Dokumenten wird nämlich nur die Anwendung von komplettem Freund'schen Adjuvans beschrieben. Die Beschwerdeführerin, gestützt durch die Aussage der Erfinderin, macht geltend, daß alle Versuche, auf diese beschriebene Methode bessere monoklonale Antikörper gegen FSH zu finden, erfolglos waren, was seitens der Kammer akzeptiert werden kann.
Für den Fachmann war es nicht zu erwarten, daß die Wahl des Adjuvans eine Rolle hinsichtlich Spezifität spielen könnte. Die Wirkung eines Adjuvans besteht nämlich darin, eine unspezifische Verstärkung der Immunantwort zu erlangen.
Die Tatsache, daß auch in dem parallelen Fall T 478/92 hochspezifische monoklonale Antikörper gegen LH erst durch die Anwendung der Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis als Adjuvans erhalten wurden, ist nach Meinung der Kammer ein Indiz dafür, daß es sich nicht um einen bloßen Zufall handelt.
4.6. Aus den vorstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4.7. Dieselben Überlegungen gelten für die als nebengeordnet zu betrachtenden Ansprüche 9, 10 und 11. Hinsichtlich Anspruch 9 wird bemerkt, daß durch die Rückbeziehung auf Anspruch 1 impliziert ist, daß das Immunisierungsmerkmal unter Anwendung der Kombination von Aluminiumhydroxid und Bordetella pertussis die erfinderische Leistung dieses Anspruchs stützt. Durch die in Anspruch 11 beanspruchten Hybridoma-Zellinien werden die Antikörper erhalten, die die in Tabelle I angegebenen Kreuzreaktivitäten von weniger als 0,1 % aufweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, ein Patent auf der Grundlage des Antrags der Beschwerdeführerin zu erteilen.