T 0011/92 () of 25.8.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T001192.19920825
Datum der Entscheidung: 25 August 1992
Aktenzeichen: T 0011/92
Anmeldenummer: 86107948.1
IPC-Klasse: A61N 1/36
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Herzschrittmacher
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT, et al
Name des Einsprechenden: BIOTRONIK Mess- und Therapiegeräte GmbH & Co
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Novelty (yes)
Inventive step (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0122/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 219 606.

Der einzige Anspruch dieses Patents lautet:

"1. Herzschrittmacher mit einer Testeinheit (Fig. 1, 2), die ein dem Ladezustand der Batterie entsprechendes elektrisches Signal liefert, dadurch gekennzeichnet, daß dieses Signal einen Pulsgenerator (Fig. 4, 5, 7) steuert, welcher mindestens einen Anzeigeimpuls (18, 39, 40) am Ausgang des Herzschrittmachers erzeugt, dessen zeitliche Lage in bezug auf die Stimulationsimpulse (16, 17, 33 bis 38) vom jeweiligen Ladezustand der Batterie abhängt.

II. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Patenterteilung gemäß Artikel 100 a) EPÜ unter Angabe des folgenden Dokuments Einspruch erhoben.

D1: W. Irnich: "Elektrotherapie des Herzens", Fachverlag Schiele & Schön, Berlin, 1976, Abschnitt 6.2, Seiten 152 bis 166.

III. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch zurückgewiesen. Sie stellte dabei insbesondere fest, daß die aus Dokument D1 entnehmbare Methode, den Ladezustand einer Batterie eines Herzschrittmachers über die mit abnehmender Batterieladung zunehmenden Abstände zwischen zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Stimulationsimpulsen zu ermitteln, es nicht nahelege, zusätzlich einen Anzeigeimpuls zu erzeugen, dessen zeitliche Lage zu den Stimulationsimpulsen vom jeweiligen Ladezustand der Batterie abhängt. Die Erzeugung des Anzeigeimpulses zusätzlich zu den Stimulationsimpulsen geht aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 hervor, der zwischen "Anzeigeimpuls" und "Stimulationsimpulsen" unterscheide, und werde ferner durch die Beschreibung des Streitpatents, Spalte 3, Zeilen 26 - 38, sowie Fig. 3 verdeutlicht.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde erhoben.

V. Am 25. August 1992 wurde mündlich verhandelt.

Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VI. Die Beschwerdeführerin stützte ihren Antrag im wesentlichen auf folgende Argumente:

a) Der Wortlaut des Anspruchs 1 beanspruche die herkömmliche Batterieüberwachung gemäß Dokument D1 anhand der Dauer der Stimulationsperiode. Die Bezeichungen "Anzeigeimpuls" und "Stimulationsimpuls" hätten keine technische Unterscheidungskraft, da der die Herzkontraktion bewirkende Stimulationsimpuls bei seiner Betrachtung im EKG zum Anzeigeimpuls werde. Ferner sei die Angabe im Streitpatent, Spalte 4, Zeilen 5 - 8 (daß die Amplitude des Markierungsimpulses - d. h. des beanspruchten Anzeigeimpulses -nicht ausreiche, um das Herz zu stimulieren), als eindeutige technische Definition der Spannung eines Anzeigeimpulses ungeeignet, da die Größe des Stimulationsschwellenwertes patientenabhängig sei. Jeder zweite konventionelle Stimulationsimpuls stelle deshalb im Sinne des Anspruchs des Streitpatents einen Anzeigeimpuls dar, dessen Abstand vom jeweils vorhergehenden Stimulationsimpuls - wie beansprucht - vom Ladezustand der Batterie abhänge.

b) Der Wortlaut des Anspruchs des Streitpatents lasse nicht erkennen, daß der Anzeigeimpuls - wie in der Beschreibung angegeben - zusätzlich zu den Stimulationsimpulsen durch einen zusätzlichen Pulsgenerator erzeugt werden soll. Dieser könnte allenfalls Gegenstand einer Weiterbildung in einem Unteranspruch sein, stelle aber keine zulässige Auslegung des vorliegenden Anspruchsinhalts im Sinne von Artikel 69 EPÜ dar.

c) Bei einer einen zusätzlichen Pulsgenerator umfassenden Interpretation des Anspruchs des Streitpatents würde dieser keine erfinderische Tätigkeit aufweisen, da es allgemein bekannter Stand der Technik sei, zwei Schrittmacher zu einem Schrittmacher zu vereinigen, einen ersten zur Stimulation des Vorhofs, einen zweiten zur Stimulation der Herzkammer. Es sei naheliegend, mit einem dieser Pulsgeneratoren die aus Dokument D1 bekannte Batterieüberwachung über die von der Ladespannung abhängige Stimulationsfrequenz durchzuführen.

d) Überdies sei ein Fachmann nicht in der Lage, anhand der Offenbarung des Streitpatents einen Schrittmacher mit zwei Pulsgeneratoren zu realisieren, ohne daß es Komplikationen beim Schrittmacherbetrieb geben würde.

VII. Die Beschwerdegegnerin widersprach der Argumentation der Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt:

a) Der Wortlaut des Anspruchs lasse eindeutig zwei Arten von Impulsen erkennen, solche die den Ladezustand anzeigen, und solche die das Herz stimulieren. Der Begriff "Anzeigeimpuls" schließe aufgrund seiner Definition im Streitpatent, Spalte 4, Zeile 5 - 8, als Impuls mit einer zur Herzstimulation nicht ausreichenden Amplitude, eine Interpretation eines Stimulationsimpulses als Anzeigeimpuls im Sinne einer Doppelfunktion aus. Die Patientenabhängigkeit der Stimulationsschwellenspannung führe allenfalls zu einer individuellen Anpassung der Anzeige- und Stimulationsimpulsspannung unterhalb bzw. oberhalb der Schwellenspannung, führe aber nicht zu einer Vermischung der Identität beider Impulse, wobei die Anzeigeimpulse zusätzlich in die Periode zwischen zwei aufeinanderfolgenden Stimulationsimpulsen eingeblendet werden.

b) Der zusätzlich vorhandene Pulsgenerator für die Anzeigeimpulse sei keinesfalls ein Teil eines zweiten Schrittmachers, sondern im Anspruch eindeutig als Bestandteil einer der Schrittmachereinheit angefügten Testeinheit charakterisiert.

c) Der Stand der Technik gebe dem Fachmann keinerlei Anregung, in eine Stimulationsimpulse erzeugende Baueinheit eines Herzschrittmachers einen Pulsgenerator für Impulse mit einer unterhalb der Stimulationsschwellenspannung liegenden Amplitude einzubauen, und die Größe der Phase, in der der Anzeigeimpuls zwischen zwei Stimulationsimpulsen eingeblendet wird, als Maß für den Ladezustand der Schrittmacherbatterie auszunutzen.

d) Da die anspruchsgemäßen Anzeigeimpulse nicht stimulieren würden, könnte es auch nicht zu Betriebsstörungen kommen.

VIII. Am Schluß der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, daß die Beschwerde zurückgewiesen wird.

Entscheidungsgründe

1. Der von der Beschwerdeführerin gemäß Absatz VI-d vorgebrachte Einwand mangelnder Ausführbarkeit stellt einen verspätet vorgebrachten neuen Einspruchsgrund gemäß Art. 100 b) EPÜ dar. Die Kammer hat sich zufolge Art. 114 (1) EPÜ davon überzeugt, daß dieser Einwand keinen Einfluß auf die Art der zu fällenden Entscheidung hat und läßt ihn deshalb aufgrund von Art. 114 (2) EPÜ unberücksichtigt; vgl. auch T 122/84, ABl. EPA 1987, 177.

2. Neuheit

2.1. Der von der Beschwerdeführerin in Absatz VI-a und VI-b sinngemäß vorgebrachte Einwand, daß Dokument D1 den Gegenstand des Anspruchs neuheitsschädlich vorwegnimmt, führt zur Überprüfung, ob der durch den Wortlaut des Anspruchs definierte technische Sachverhalt die aus Dokument D1 bekannte Ladezustandsbestimmung einer Herzschrittmacherbatterie anhand der sich verlängernden Periode der Stimulationsimpulse in sich umfaßt. Hierzu ist zu untersuchen, ob einmal der die "Anzeigeimpulse" erzeugende "Pulsgenerator" im Anspruch des Streitpatents als Teil der die Stimulationsimpulse erzeugenden Baueinheit charakterisiert ist, und ob zum anderen bereits der Begriff "Anzeigeimpuls" eine stimulierende Wirkung dieses Impulses ausschließt.

2.2. Das Streitpatent beansprucht einen "Herzschrittmacher mit einer Testeinheit, die ein dem Ladezustand der Batterie entsprechendes Signal liefert, ..... das einen Pulsgenerator steuert, welcher mindestens einen Anzeigeimpuls am Ausgang des Herzschrittmachers erzeugt". Nach Auffassung der Kammer gibt der Wortlaut: "Schrittmacher mit Testeinheit" dem sachkundigen Leser eindeutig die Lehre, daß die beanspruchte Testeinheit eine separate Baueinheit ist, deren Arbeitsweise von der die Stimulationsimpulse liefernden Herzschrittmacherbaueinheit unabhängig ist und die an ihrem Ausgang ein Steuersignal abgibt. Bereits eine ein Steuersignal liefernde Testeinheit vermag die Kammer nicht dem Dokument D1 zu entnehmen. Dokument D1 erwähnt vielmehr nur die Herzschrittmacherbaueinheit und beschreibt allein ihr Verhalten bei abnehmender Batteriespannung. Des weiteren schließt der Fachmann aus dem oben zitierten Anspruchswortlaut, daß der Ausgang der Testeinheit mit dem Eingang des beanspruchten Pulsgenerators verbunden sein soll. Wenn der Wortlaut des Anspruchs den Pulsgenerator auch nicht explizit als Teil des Testgenerators präzisiert, so ist er jedoch wirkungsmäßig an ihn angekoppelt. Es geht nirgendwo aus Dokument D1 hervor, daß die dort beschriebenen Generatoren der Stimulationsimpulse einen Steuereingang für ein Ladezustandssignal einer Batterietesteinheit aufweisen. Daher ist für den sachkundigen Leser der beanspruchte "Pulsgenerator" für den Anzeigeimpuls nicht mit den Stimulationsimpulsgeneratoren des Dokuments D1 identifizierbar. Der Wortlaut des Anspruchs definiert vielmehr "Testeinheit-Pulsgenerator" als eine funktionsmäßig in sich geschlossene Baueinheit, deren Wirkung die Funktion der Baueinheit "Herzschrittmacher" nicht verändert sondern ergänzt. Damit ist dem sachkundigen Leser eindeutig gegeben, daß der beanspruchte "Pulsgenerator" nicht einer der Stimulationsimpulsgeneratoren des Dokuments D1 sein kann, sondern - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin in Abs. VI-b - als zusätzliches Arbeitsmittel beansprucht wird.

2.3. Aus der Gegenüberstellung der Begriffe "Anzeigeimpuls" und "Stimulationsimpulse" entnimmt der sachkundige Leser dem Wortlaut des Anspruchs nach Auffassung der Kammer den jeweiligen Verwendungszweck des elektrischen Impulses. Ferner schließt die beanspruchte Tatsache, daß der Ladezustand der Batterie aus "der zeitlichen Lage" des Anzeigeimpulses "in bezug auf die Stimulationsimpulse" hergeleitet werden soll, eindeutig seine Verwendung zum Stimulieren aus. Denn ein Anzeigeimpuls würde es als Bestandteil der Stimulationsimpulse nicht ermöglichen, seine zeitliche Lage zu diesen als getrennt wahrnehmbare Markierung festzustellen. Nach Auffassung der Kammer sind deshalb ohne jegliche weitere Interpretation des Anspruchswortlauts mit Hilfe der Beschreibung und Zeichnung -entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin in Absatz VI-a - die "Anzeigeimpulse" als zeitlich zwischen "Stimulationsimpulsen" liegende Impulse definiert, die das Dokument D1 nicht aufweist.

2.4. Auch der weitere im Verfahren angezogene Stand der Technik beschreibt keinen Herzschrittmacher mit einer Baueinheit, die zeitlich zwischen den Stimulationsimpulsen liegende weitere Impulse zu Anzeigezwecken erzeugt.

2.5. Aus den vorstehend genannten Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Die Kammer schließt sich der Auffassung der Vorinstanz an, daß der in der Beschreibung des Streitpatents, Spalte 1, Abs. 2, zitierte Stand der Technik mit den Merkmalen des Gattungsbegriffs des Anspruchs den dem Streitpatent am nächsten kommenden Stand der Technik darstellt.

3.2. Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Streitpatent objektiv die Aufgabe zugrunde, einen Herzschrittmacher so auszubilden, daß eine einfache analoge Anzeige des Ladezustands der Batterie erfolgt, ohne daß die Frequenz der Stimulationsimpulse dadurch beeinflußt wird; vgl. Sp. 1, Z. 15 - 20.

3.3. Die Aufgabe wird gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 dadurch gelöst, daß dieses (d. h. das dem Ladezustand der Batterie entsprechende) Signal (der Testeinheit) einen Pulsgenerator steuert, welcher mindestens einen Anzeigeimpuls am Ausgang des Herschrittmachers erzeugt, dessen zeitliche Lage in bezug auf die Stimulationsimpulse vom jeweiligen Ladezustand der Batterie abhängt.

3.4. Der nachgewiesene Stand der Technik gibt dem Fachmann nirgendwo einen Hinweis, den Ladezustand einer Herzschrittmacherbatterie über die Phase eines zusätzlichen Anzeigeimpulses innerhalb der Stimulationsperiode (in einem Elektrocardiogramm) zur Anzeige zu bringen, und hierzu zusätzlich einen auf diesen Zweck beschränkten Pulsgenerator in einem Herzschrittmacher einzubauen. Daß - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin in Absatz VI-c - eine Vereinigung zweier Schrittmacher nicht zum Gegenstand des Anspruchs des Streitpatents führt, geht im einzelnen aus den vorstehenden Absätzen 2.2 und 2.3 hervor.

3.5. Die Kammer erachtet es zur Verdeutlichung der dem Anspruch des Streitpatents zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit für zweckmäßig festzustellen, daß der im Recherchenbericht genannte Stand der Technik folgendes betrifft: Die Ladezustandsüberwachung mit Hilfe eines Sicherheitsfaktortestes, d. h. durch Prüfung, ob die um einen vorgegebenen Betrag herabgesetzte Batteriespannung noch oberhalb der Reizschwelle liegt (US-A-3 618 615) oder mit Hilfe der Überwachung des Batterieinnenwiderstandes (US-A-4 231 027). Das Dokument US-A-3 599 627 befaßt sich mit einer anderen technischen Aufgabe, nämlich mit der Visualisierung der Stimulationsimpulsrate.

3.6. Wie in Abs. 3.1 bis 3.5 im einzelnen dargelegt, liegt somit dem Anspruch eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ zugrunde.

4. Es ist auch nicht ersichtlich, daß etwa ein anderer der in Artikel 100 EPÜ aufgeführten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Streitpatents in unveränderter Form entgegenstünde.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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