T 0462/91 () of 5.7.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T046291.19940705
Datum der Entscheidung: 05 Juli 1994
Aktenzeichen: T 0462/91
Anmeldenummer: 85115553.1
IPC-Klasse: B29C 67/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Herstellen von Hartschaumplatten, insbesondere aus Polyurethan
Name des Anmelders: Siempelkamp Handling Systeme GmbH & Co.
Name des Einsprechenden: Maschinenfabrik Hennecke GmbH
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Ohne Geheimhaltungspflicht verkaufte Anlage bildet Gegenstand einer offenkundigen Vorbenutzung; Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung
Novelty - public prior use - plant
Decision re appeals - remittal
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0482/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0560/97
T 0098/18

Sachverhalt und Anträge

I. Der Hinweis auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 185 275 wurde am 19. Juli 1989 bekanntgemacht (vgl. Patentblatt 89/29); dem Patent lag die europäische Patentanmeldung Nr. 85 115 553.1 zugrunde.

II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 19. April 1990 gegen das Patent Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents beantragt. Zur Begründung machte die Beschwerdeführerin geltend, daß die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 3 im Hinblick auf eine an die Firma HUURRE URETA OY (Finnland) gelieferte, offenkundig vorbenutzte Anlage zum Herstellen von Hartschaumstoffplatten mit Metalldeckschichten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.

III. Mit Entscheidung vom 30. April 1991 wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück. Sie vertrat die Auffassung, daß die geltendgemachte offenkundige Vorbenutzung der Anlage in Finnland nicht zum Stand der Technik gehöre, weil es der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, glaubhaft nachzuweisen, daß die für das beanspruchte Verfahren und für die beanspruchte Vorrichtung relevanten Merkmale vor dem Prioritätsdatum, in Verbindung miteinander tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien.

IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung am 22. Juni 1991 Beschwerde eingelegt; gleichzeitig hat sie die Beschwerdegebühr entrichtet sowie eine Beschwerdebegründung eingereicht.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Fall an die Einspruchsabteilung zur weiteren Bearbeitung zurückzuverweisen. Ferner stellte sie den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

V. Zur Begründung der Beschwerde trug die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:

- Die Einspruchsabteilung habe übersehen, daß die Lieferung der Anlage an die Firma in Finnland ohne Geheimhaltungspflicht erfolgt sei.

- Die Angehörigen der kaufenden Firma seien in der Lage gewesen, die besagte vorbenutzte Technik zur Kenntnis zu nehmen und weiterzuverbreiten. Damit sei die Vorbenutzungshandlung offenkundig, d. h. der Öffentlichkeit zugänglich geworden.

- Ob der Käufer von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, sei nicht entscheidend. Ausschlaggebend sei allein die Tatsache, daß diese Möglichkeit vorhanden war.

- Es habe keinerlei Beschränkung der Kenntnis der Vorbenutzungshandlung auf einen bestimmten Personenkreis bestanden.

- Die Einspruchsabteilung sei offensichtlich der Meinung, daß es der Artikel 54 (2) EPÜ erfordere, den Nachweis zu erbringen, daß die Vorbenutzungshandlung tatsächlich offenkundig zugänglich geworden sei und daß dies nicht allein durch die Lieferung gegeben sei.

VI. Mit Schreiben vom 20. August 1991, eingegangen am 21. August 1991, beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die Beschwerde zurückzuweisen und die angefochtene Entscheidung zu bestätigen.

Sie machte geltend, daß die an die Firma in Finnland gelieferte Anlage weder mit einer Trennmittelstation noch mit einem elektronischen Rechner ausgestattet gewesen sei. Daraus ergebe sich, daß die für das beanspruchte Verfahren und für die beanspruchte Vorrichtung relevanten Daten der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden konnten.

VII. In ihrem Bescheid gemäß Artikel 110 (2) EPÜ vom 16. August 1993 teilte die Kammer den Beteiligten mit, daß die an die Firma in Finnland gelieferte Anlage den Gegenstand einer offenkundigen Vorbenutzung zu bilden scheine, da die Lieferung aufgrund der vorliegenden Angaben vermutlich ohne Geheimhaltungspflicht erfolgt sei. Daß diese Anlage zu dem zu berücksichtigenden Stand der Technik gehöre, scheine übrigens auch von der Beschwerdegegnerin nicht mehr bestritten zu werden. Die Kammer kündigte daher ihre Absicht an, voraussichtlich von dem ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Recht Gebrauch zu machen und die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, siehe T 482/89 (ABl. EPA 1992, 646), genügt ein einziger Verkauf, um den verkauften Gegenstand im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sofern der Käufer nicht zur Geheimhaltung verpflichtet wurde. Es braucht nicht nachgewiesen zu werden, daß andere tatsächlich Kenntnis von diesem Gegenstand hatten.

3. Es ist unstrittig, daß die Lieferung der Anlage zum Herstellen von Hartschaumstoffplatten mit Metalldeckschichten an die Firma HUURRE URETA OY, Finnland, vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents (12. Dezember 1984) stattgefunden hat. Da andererseits keine Anhaltspunkte bestehen, daß sich diese Firma zur Geheimhaltung verpflichtet hat, gehört diese Anlage zum hier geltenden Stand der Technik (siehe oben Abschnitt 2); sie ist daher im vorliegenden Fall insbesondere bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.

4. Um einen Instanzverlust zu vermeiden, macht die Kammer von dem ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Recht Gebrauch und verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück.

5. Die Tatsache, daß die Einspruchsabteilung die Auffassung vertrat, die erwähnte Anlage sei nicht offenkundig vorbenutzt worden, stellt keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 EPÜ dar. Damit ist eine der Voraussetzungen für die Rückzahlung einer Beschwerdegebühr nicht erfüllt. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist daher zurückzuweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung (unter Beachtung von Punkt 3 der Entscheidungsgründe) an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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