T 0237/91 () of 2.3.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T023791.19940302
Datum der Entscheidung: 02 März 1994
Aktenzeichen: T 0237/91
Anmeldenummer: 86200933.9
IPC-Klasse: D01F 6/62
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung eines imprägnierten, dimensionsstabilen Polyesterkordes sowie einen Polyesterkord nach dem Verfahren
Name des Anmelders: Rhône-Poulenc Viscosuisse SA
Name des Einsprechenden: Akzo Faser AG
Uniroyal Englebert Textilcord SA
HOECHST AKTIENGESELLSCHAFT
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (verneint) - geltend gemachter Effekt nicht glaubhaft; naheliegende Alternative
Inventive step - additional effect (no)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0270/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 209 167, erteilt mit Wirkung vom 15. Februar 1989 auf die am 29. Mai 1986 mit CH-Priorität vom 19. Juni 1985 eingereichte Patentanmeldung Nr. 86 200 933.9.

II. Gegen das Patent wurde wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit, gestützt auf die Dokumente

(1) US-A-3 690 362,

(2) GB-A-924 180 und

(3) ICI Industrial Fibres Manual, TC 1/2, Edition 3, August 1978, Seiten 1 - 10,

von folgenden Parteien Einspruch erhoben:

Einsprechende I (Beschwerdegegnerin I): Enka AG (jetzt infolge Namensänderung Akzo Faser AG) am 31. Oktober 1989 mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1989;

Einsprechende II (Beschwerdegegnerin II): Uniroyal Englebert Textilcord S.A. mit Telefax vom 13. November 1989; und

Einsprechende III (Beschwerdegegnerin III): Hoechst AG am 14. November 1989 mit Schriftsatz vom 9. November 1989.

III. Mit ihrer vom 29. Januar 1991 datierten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit der Gegenstände folgender (gegenüber der erteilten Fassung eingeschränkter) Ansprüche:

Unabhängiger Anspruch 1:

"Verfahren zur Herstellung eines dimensionsstabilen Polyesterreifenkordes, bestehend aus wenigstens 95 Gew.-% Polyethylenterephthalat mit einer Grenzviskosität von mehr als 0,70 dl/g, mit einem Titer von wenigstens dtex 1100 x 2, durch eine zweistufige Wärmebehandlung des Polyesterkordes mittels Heißverstrecken und Heißentspannen, wobei das Verstrecken bei einer höheren Temperatur als das Entspannen erfolgt, dadurch gekennzeichnet, daß der Polyesterreifenkord in einem ersten Verfahrensschritt um 7 % verstreckt und in einem zweiten Verfahrensschritt bei 205 bis 250 °C einstufig während 50 s um 7 % entspannt wird."

Unabhängiger Anspruch 2:

"Polyesterreifenkord, dadurch gekennzeichnet, daß der imprägnierte Polyesterreifenkord unter den Bedingungen eines Reifendrucks von 2 bar und 100 °C eine bleibende Verdehnung von weniger als 1,5 % erleidet und einen Thermoschrumpf, gemessen bei 160 °C in Luft, von weniger als 1,8 % aufweist."

Die restlichen Ansprüche 3 bis 6 waren von Anspruch 2 abhängig; der erteilte Anspruch 7 war gestrichen worden.

In ihrer Entscheidung anerkannte die Einspruchsabteilung die Neuheit der Gegenstände dieser Ansprüche, verneinte aber das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit für den Verfahrensanspruch 1 gegenüber den Entgegenhaltungen (1) und (3), weil es im Hinblick auf die angestrebte bessere Dimensionsstabilität des Kordes naheliegend gewesen sei, diesen zunächst um 7 % zu verstrecken und danach bei etwas niedrigerer Temperatur um 7 % zu entspannen. Aus (1), insbesondere Tabelle I, seien ähnliche Verstreckungen sowie die Vorteilhaftigkeit gleich großer Verstreckung und Entspannung zu entnehmen gewesen, und (3), besonders Figur 5c, habe den geringeren Thermoschrumpf bei höherer Verstreckung gelehrt.

Eine erfinderische Tätigkeit wurde für den Produktanspruch 2 ebenfalls nicht anerkannt, weil der beanspruchte Reifenkord einzig durch erstrebenswerte Eigenschaften ("Desiderata") definiert sei, welche ein erfinderische Tätigkeit nur dann begründen könnten, wenn das Herstellungsverfahren erfinderisch wäre, welche Bedingung hier nicht erfüllt sei.

IV. Gegen die genannte Entscheidung hat die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) am 18. März 1991 (Schriftsatz vom 15. März 1991) unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr sowie Vorlage einer Begründung und geänderter Ansprüche (Hauptantrag und vier Hilfsanträge) Beschwerde eingelegt.

V.1 Am 2. März 1994 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, in der die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag und einen neuen II. Hilfsantrag einreichte und den zuvor geltenden Hilfsantrag III als neuen I. Hilfsantrag aufrechthielt. Die zuvor geltenden Hauptantrag und Hilfsanträge I, II sowie IV wurden fallengelassen.

V.2 Der Hauptantrag enthält vier Ansprüche.

Gegenüber der unter Punkt III dieser Entscheidung wiedergegebenen Version weist Anspruch 1 des Hauptantrags folgende Änderungen auf:

- der Titer des Kordes wurde nach "1100 x 2" durch die Angabe "mit 470/470 tpm Zwirn" ergänzt;

- der erste Verfahrensschritt (Verstreckung) wird als "bei 240 °C" und

- der zweite Verfahrensschritt (Entspannen) als bei "mindestens 205 °C" (statt bei 205 bis 250 °C) stattfindend definiert.

Anspruch 2 des Hauptantrages ist gegenüber der in Punkt III wiedergegebenen Fassung auf einen Polyester- reifenkord "herstellbar nach Anspruch 1" gerichtet, der einen "Thermoschrumpf ... von 0,8 - 1,8 %" (statt "... weniger als 1,8 %") aufweist.

Die Ansprüche 3 und 4 des Hauptantrages entsprechen inhaltlich den erteilten Ansprüchen 3 und 4.

V.3 Anspruch 1 des I. Hilfsantrags ist - bis auf die zwangsläufig fehlende Bezugnahme auf die Herstellbarkeit nach einem hier fehlenden vorhergehenden Verfahrens- anspruch - inhaltsgleich mit Anspruch 2 des Hauptantrags.

V.4 Der einzige Anspruch des II. Hilfsantrags lautet, wie folgt:

"Imprägnierter Polyesterreifenkord mit einem Titer von wenigstens dtex 1100 x 2 mit 470/470 tpm Zwirn, gekennzeichnet durch:

- einen Thermoschrumpf von 0.8 - 1.8 %

- eine bleibende Verdehnung < 1.5 % (nach vorangegangenem Behandeln des Reifens mit 2 bar und 100 °C)

- Reisskraftverlust < 20 % im Ermüdungstest bei 10.8. MC, 6 % Dehnung und 6 % Kompression gemessen."

VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich, wie folgt, zusammenfassen:

Eine erfinderische Tätigkeit für die 7 %-Verstreckungs-/ 7. %-Entspannungs-Variante des Verfahrensanspruchs 1 nach Hauptantrag lasse sich aus dem gegenüber den "0 %-Varianten" (gleich großes Verstrecken und Entspannen) der Beispiele 1, 5 und 9 in Tabelle I von (1) erheblich geringeren Thermoschrumpf von nur 0,8 % ableiten. Es sei dem Fachmann klar, daß das Messen des Thermoschrumpfs in (1) ebenso wie gemäß dem Streitpatent an aus einem Vulkanisat (z. B. Reifen) herauspräparierten Korden erfolgen mußte, so daß diese Thermoschrumpfwerte vergleichbar seien. Dokument (3) könne wegen der dort unterschiedlichen Behandlungsbedingungen und der höheren Gesamtverstreckung einen Schrumpfvorteil der 7. %/7 %-Variante nicht nahelegen.

Auch die Gegenstände der unabhängigen Produktansprüche des Hauptantrages sowie des I. und des II. Hilfsantrages seien neu und erfinderisch; insbesondere sei in (2) die jeweilige Parameterkombination nicht offenbart oder nahegelegt, was u. a. aus den um mehrere Größenordnungen unterschiedlichen Belastungen in den Ermüdungstests hervorgehe (patentgemäß 10,8 MC (Megacyclen), gegenüber nur 319 kC (= 0,319 MC) im in Tabelle I von (2) referierten Flex Fatigue Test).

VII. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich, wie folgt, zusammenfassen:

Der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 1 nach Hauptantrag liege aufgrund der aus (1), Tabelle I, Beispiele 1, 5 und 9, ableitbaren vorteilhaften Schrumpfwerte der "0 %-Variante" und der aus (3), Seite 6, Figur 5 (c), hervorgehenden schrumpfreduzierenden Wirkung einer höheren Verstreckungsrate ebenso nahe wie der Gegenstand des Produktanspruchs 2, zumal aus (3), Seite 6, rechte Spalte, unten, schon Korde mit einem Schrumpf von nur 1,7 % bekannt gewesen seien. Im übrigen sei die Patentfähigkeit eines nur auf wünschenswerte Eigenschaften abgestellten Produktanspruchs aus prinzipiellen Gründen zweifelhaft. Der in Beispiel 3 des Streitpatentes angegebene Schrumpfwert von 0,8 % - gemäß eigener Angabe der Beschwerdeführerin an einer aus einem Vulkanisat herauspräparierten Probe gemessen - sei mit den Werten in Tabelle 1 von (1) nicht vergleichbar, die - wie aus mehreren Textstellen in (1) hervorgehe - vor der Weiterverarbeitung des Kords gemessen worden seien; denn die Temperaturbelastung beim Kalandrieren eines Kordgewebes und beim Vulkanisieren müsse in einer Gummimischung zu einer weiteren Schrumpfverminderung führen. Das Vorliegen eines durch die patentgemäße "0 %-Variante" verbesserten Schrumpfwertes sei daher nicht glaubhaft. Ferner sei es unbewiesen, daß der in Anspruch 2 genannte Wert der bleibenden Verdehnung durch das patentgemäße Verfahren überhaupt erreicht werde.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingegangenen Anträge (Hauptantrag, I. oder II. Hilfsantrag).

Die Beschwerdegegnerinnen beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Artikel 123 (2) und (3) EPÜ

Soweit die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags, Anspruch 1 des I. Hilfsantrags und der einzige Anspruch des II. Hilfsantrags gegenüber den entsprechenden Ansprüchen der erteilten Fassung zusätzliche Angaben über die Verstreckungstemperatur, die Zwirnqualität und die Untergrenze des Thermoschrumpfs von 0,8 % enthalten, stützen sie sich auf Beispiel 3 in Verbindung mit dem darin angezogenen Beispiel 1 des Streitpatents (diesbezüglich gleichlautend mit den Erstunterlagen). Da dort alle wesentlichen Merkmale des Patentgegenstandes in Kombination offenbart sind, kann die Gültigkeit jedes dort genannten Einzelmerkmals für die beanspruchte "Erfindung" als ganze abgeleitet werden, und die zusätzliche Aufnahme eines Merkmals aus Beispiel 3 oder Beispiel 1 (soweit die Bezugnahme darauf in Beispiel 3 Gültigkeit hat) in einen der unabhängigen Ansprüche steht folglich in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Offenbarung. Dies trifft auch auf den Thermoschrumpfwert von 0,8 % gemäß Beispiel 3 zu, dessen Aufnahme als untere Grenze des Thermoschrumpfbereichs in die unabhängigen Produktansprüche der Anträge somit zulässig ist.

Die jeweiligen Unteransprüche enthalten keine sachlich relevanten Änderungen.

Die Anträge erfüllen somit die Bedingungen von Artikel 123 (2) und, da alle neuen Merkmale einschränkend sind, auch die von Artikel 123 (3) EPÜ.

3. Neuheit

Keine der genannten Entgegenhaltungen offenbart alle Verfahrensbedingungen des Anspruchs 1 nach Hauptantrag. Ebensowenig offenbart ist eine Kombination sämtlicher Parameter des Anspruchs 2 nach Hauptantrages bzw. des Anspruchs 1 nach dem I. oder des Anspruchs nach dem II. Hilfsantrag; insbesondere ist in keiner der genannten Entgegenhaltungen die bleibende Verdehnung offenbart. (1) und (2) nennen auch keinen Schrumpfwert im beanspruchten Bereich von 0,8 bis 1,8 %, und der in (3), Seite 6, rechte Spalte, unten, angegebene Schrumpfwert von 1,7 % wurde bei einer gegenüber dem Streitpatent um 10 °C niedrigeren Temperatur gemessen und liegt somit auch nicht zweifelsfrei in dessen beanspruchtem Bereich.

Die Beschwerdegegnerinnen, die als Einsprechende dafür die Beweislast tragen, konnten auch nicht überzeugend nachweisen, daß die jeweiligen Parameterkombinationen in den unabhängigen Produktansprüchen eine zwangsläufige Folge der aus dem Stand der Technik, insbesondere aus (2), bekannten Verfahrensbedingungen sind. Ihre diesbezüglichen Behauptungen müssen mangels ausreichender Beweismittel ins Leere gehen, und die Neuheit der Gegenstände sämtlicher Ansprüche aller Anträge ist daher anzuerkennen.

4. Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag

4.1. Anspruch 1

4.1.1. Die Kammer sieht in Übereinstimmung mit den Parteien die Entgegenhaltung (1) als bezüglich der Merkmale des Verfahrensanspruchs nächstliegenden Stand der Technik an.

Wie das Streitpatent zielt auch (1) auf einen Kord aus Polyester (Polyethylenterephthalat) ab, der sich zum Einsatz als Verstärkungsmaterial in Gummiartikeln, wie Fahrzeugreifen, eignet und der insbesondere einen geringen Thermoschrumpf aufweist (Spalte 1, Zeilen 39 bis 45). Die geringsten Schrumpfwerte, die den in Tabelle I in Spalten 3 und 4 referierten Beispielen entnommen werden können, treten bei den Beispielen 1, 5 und 9 auf, die sich von den vergleichbaren Beispielen 2 - 4, 6 - 8 und 10 - 12 jeweils nur dadurch unterscheiden, daß das Verstrecken und Entspannen jeweils um den gleichen Betrag von 4 % erfolgte; d. h. es handelt sich um sogenannte "0 %-Varianten", deren resultierende Längenänderung (Endverstreckung) etwa null ist. Dabei ist - wegen seiner der patentgemäßen Verstreckungstemperatur von 240 °C am nächsten kommenden Verstreckungstemperatur von 460 °F (238 °C) - Beispiel 9 dem Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 am ähnlichsten.

Im Vergleich dazu ist das Verfahren des Anspruchs 1 nach Hauptantrages ebenfalls eine "0 %-Variante", wobei allerdings ein Verstrecken und Entspannen um jeweils 7 % stattfindet.

Dieser Zahlenwert ist in (1) weder für das Verstrecken, noch für das Entspannen genannt, wenn auch Verstreckungswerte bis 10 % offenbart sind; der einzig konkret offenbarte Entspannungswert sind die 4 % in allen Beispielen der Tabelle I; außerdem ist in (1) Spalte 1, Zeilen 65 bis 67 noch eine Endverstreckung ("total strech") des Kords zwischen 0 und 8 % angegeben.

Subjektive Aufgabe der "Erfindung" gegenüber (1) war die Entwicklung eines Verfahrens zur Behandlung von Polyesterkorden, das eine signifikante Verringerung von deren Thermoschrumpf über das aus (1) bekannte Maß hinaus ermöglicht.

4.1.2. Aus den der Kammer zur Verfügung stehenden Informationen kann die tatsächliche Lösung der oben definierten subjektiven Aufgabe nicht abgeleitet werden.

Zwar gibt Beispiel 3 des Streitpatents einen Thermoschrumpfwert von 0,8 % an; dieser Wert wurde aber laut Aussage der Beschwerdeführerin an aus einem Vulkanisat herauspräparierten Proben gemessen und ist somit nicht direkt mit den in (1), Tabelle I angegebenen Schrumpfwerten vergleichbar, die nach Überzeugung der Kammer an Korden gemessen wurden, die weder aus kalandriertem Kordgewebe, noch aus einem Vulkanisat stammen, sondern direkt nach dem Verstrecken/Entspannen der Schrumpfmessung unterzogen wurden.

Hierfür sprechen folgende Umstände:

(i) Im ganzen Dokument (1) findet sich kein Hinweis auf eine Schrumpfmessung von aus einem Vulkanisat herauspräparierten Korden;

(ii) aus allen Ansprüchen, insbesondere auch dem auf einen Reifen gerichteten Anspruch 6, geht klar hervor, daß der dort angegebene Schrumpfwert von nicht mehr als 5 % sich auf das Garn (yarn) bezieht, aus dem der Kord gebildet wird;

(iii) aus Spalte 3, Zeilen 4 bis 14 geht hervor, daß der dort angegebene Schrumpfwert von 2,0 % direkt nach der Verstreckungs-/Entspannungs-Behandlung des Kords an ihm gemessen wurde ("The cord processed in this manner (Verstrecken/Entspannen) had a ... and cord shrinkage was 2.0 percent.").

Obwohl wegen des Fehlens einer Angabe über das in den Beispielen der Tabelle I angewandte Schrumpfmeßverfahren nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß dort, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, aus einem Vulkanisat herauspräparierte Korde geprüft wurden, kann - wie obige Analyse zeigt - doch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die Schrumpfwerte in Tabelle I ebenso wie in Spalte 3, Zeilen 4 bis 14 direkt nach der Verstreckungs-/Entspannungs-Behandlung und vor einer eventuellen Weiterverarbeitung der Korde zu kalandrierten Kordgeweben und deren weiterer Einarbeitung in Vulkanisate stattgefunden hat.

Diese hohe Wahrscheinlichkeit genügt den Erfordernissen der Tatsachenermittlung, die für die Bewertung von Fakten bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gelten (siehe T 270/90 "Polyphenylenetherzusammensetzungen/ASAHI" ABl. EPA 1993, 725).

Ein direkter Vergleich von Kord-Schrumpfwerten unmittelbar nach dem Verstrecken/Entspannen einerseits und nach einer zusätzlichen Kalandrier- und Vulkanisierbehandlung ist aber nicht möglich, da der Kord wegen der beim Kalandrieren und Vulkanisieren auftretenden thermischen Belastung weiter schrumpft, wie auch in der Streitpatentschrift selbst, Spalte 2, Zeilen 41 bis 44, erwähnt. Dieses Problem wird auch in (2), Seite 1, linke Spalte, Zeilen 23 bis 26 im Zusammenhang mit der Vulkanisation von Keilriemen angesprochen.

Aus all dem folgt, daß der patentgemäß angestrebte Schrumpf von 0,8 % bis 1,8 %, gemessen an einer aus einem Vulkanisat herauspräparierten Probe, gegenüber den in (1) offenbarten Werten, insbesondere den 2,0 % bzw. 2.9 % Schrumpf gemäß Beispielen 1 und 9 in Tabelle I, kaum als irgendeine objektiv existierende und mit größter Wahrscheinlichkeit nicht als signifikante Verbesserung angesehen werden kann.

Demgemäß kann als objektive Aufgabe des Streitpatents, die aufgrund des in Beispiel 3 gezeigten Schrumpfresultats als gelöst anzuerkennen ist, nur die Entwicklung eines weiteren, alternativen Verfahrens zur Herstellung von schrumpfarmen Polyesterkorden mit vergleichbaren Schrumpfwerten gelten.

4.1.3. Wie schon in Punkt 4.1.1 erläutert, war aus (1), Tabelle I, die Vorteilhaftigkeit einer "0 %-Variante" der Kordnachbehandlung bezüglich des Schrumpfs für den Fachmann klar entnehmbar. Da weiters aus (3), Seite 6, Figur 5 c) der günstige Einfluß einer hohen Verstreckungsrate (geringster Schrumpf von < 2 % bei 10 % Erstverstreckung und einer geringen, nahe bei der "0 %-Variante" liegenden Endverstreckung von 1 oder 2 %) bekannt war, konnte der Fachmann davon ausgehen, daß eine Realisierung einer "0 %-Variante" unter Anwendung einer höheren Erstverstreckung bezüglich der erreichbaren Schrumpfreduktion chancenreich sein würde, wenngleich aus (1), Tabelle I (Beispiele 4, 8, 12) höhere Verstreckungsraten bei entsprechend höherer Endverstreckung einen deutlich höheren Schrumpf verursachten.

Daß auch die Verstreckungs-/Entspannungstemperaturen für den Schrumpf Bedeutung haben, konnte der Fachmann aus Tabelle I von (1) ebenfalls entnehmen, wobei die Beispiele 1 und 9 mit höherer Verstreckungs- als Entspannungstemperatur deutlich niedrigere Schrumpfwerte erreichen als die Beispiele 5 und 13, wo dies umgekehrt ist. Allerdings kann einem Vergleich des Beispiels 1 (440 °F Verstreckungstemperatur) mit dem Beispiel 9 (460 °F Verstreckungstemperatur) in Tabelle 1 bezüglich des Schrumpfs eher ein Vorteil der niedrigeren Verstreckungstemperatur als das Umgekehrte entnommen werden.

Im Streitpatent wird nun die in (1) bezüglich des Schrumpfs bevorzugte "0 %-Variante" mit einer dort bevorzugten niedrigeren Entspannungtemperatur und mit einer dort nicht als bevorzugt erkennbaren etwas höheren Verstreckungstemperatur von 240 °C kombiniert. Eine solche Verfahrensvariante liegt aber, solange bloß vergleichbare Ergebnisse angestrebt werden, im Rahmen üblichen fachmännischen Handelns; Vorraussetzung für die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit wäre die Glaubhaftmachung eines überraschenden technischen Effekts.

Wie oben ausgeführt, kann der im einzigen noch anspruchsgemäßen Beispiel 3 des Streitpatents an Vulkanisaten erreichte Schrumpfwert von 0,8 % nicht als ein solcher Effekt anerkannt werden. Da andere Indizien fehlen, kann nicht auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit erkannt werden.

4.2. Anspruch 2

Im Hinblick auf die Schrumpfangabe von 1,7 % der "Type 125 TERYLENE tyre cords" in (3), Seite 6, rechte Spalte, wird (3) für den Produktanspruch als nächster Stand der Technik angesehen.

Zum zweiten Parameter in diesem Anspruch, der "bleibenden Verdehnung", fehlt in (3) jede Angabe. Da dieses Merkmal jedoch von der Beschwerdeführerin bezüglich seiner technischen Bedeutung im Vergleich zum Stand der Technik weder in der Streitpatentschrift noch im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren konkret erläutert wurde, muß es bei der Beurteilung der zu lösenden technischen Aufgabe und der erfinderischen Tätigkeit unberücksichtigt bleiben.

Das weitere Merkmal des Anspruchs 2 "herstellbar nach Anspruch 1" hat nur einschränkenden Charakter, insofern es solche Korde ausschließt, die nicht nach Anspruch 1 herstellbar sind; es kann jedoch als "product by process"-Merkmal darüber hinaus nichts zur Erfindung beitragen.

Die dem Anspruch 2 zugrundeliegende technische Aufgabe kann somit nur in der Entwicklung eines Reifenkordes mit einem Thermoschrumpf im Bereich "0,8 - 1,8 %, gemessen bei 160 °C in Luft" gesehen werden.

Wie schon bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrensanspruchs 1 gegenüber der Entgegenhaltung (1) ausgeführt, kann ein solcher mit dem Stand der Technik lediglich vergleichbarer Schrumpfwert eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Dieselbe Beurteilung ist auch hier gegenüber (3) gültig. Der dort genannte Schrumpfwert von 1,7 % wurde zwar bei 150 °C, somit bei einer um 10 °C niedrigeren Temperatur als im Streitpatent gemessen, doch wurden auch in (3) die Schrumpfwerte aller Wahrscheinlichkeit nach unmittelbar nach dem Verstrecken/Entspannen bestimmt (siehe Verfahrensbeschreibung "Multi-stage Setting" auf Seiten 4 bis 6), und der 1,7 %-Wert muß sich daher nach dem Kalandrieren und Vulkanisieren noch verringern. Es ist somit äußerst wahrscheinlich, daß der verstreckte und entspannte "Type 125 TERYLENE" Kord, der in (3) beschrieben ist, die Schrumpfbedingungen des vorliegenden Anspruchs 2 zumindest annähernd erfüllt.

Da der einzige relevante Parameter des Anspruchs 2 sich somit von der Offenbarung in (3) nur wenig unterscheidet, kann er eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen, da eine bestenfalls unbedeutende Schrumpfreduktion nur als Ergebnis einer routinemäßigen Optimierung der oben besprochenen Einflußfaktoren betrachtet werden könnte.

Der Hauptantrag kann somit keinen Erfolg haben.

5. Erfinderische Tätigkeit - I. Hilfsantrag

Da sich Anspruch 1 dieses Antrags bis auf die hier nicht in Frage kommende Bezugnahme auf eine "Herstellbarkeit nach Anspruch 1" nicht von Anspruch 2 des Hauptantrages unterscheidet, gilt bezüglich der erfinderischen Tätigkeit das dort Ausgeführte, mit dem Ergebnis, daß auch dieser Antrag nicht gewährbar ist.

6. Erfinderische Tätigkeit - II. Hilfsantrag

Die gegenüber dem I. Hilfsantrag zusätzliche Kennzeichnung des Kordes berührt die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht: die Titer- und Zwirnwerte haben keinen dargelegten oder sonst für die Kammer erkennbaren Einfluß auf die Lösung der bestehenden Aufgabe, die die gleiche ist wie bei den zuvor besprochenen Anträgen; denn das unter Punkt 4.2 zur bleibenden Verdehnung Gesagte gilt entsprechend für das hier hinzukommende Merkmal "Reißkraftverlust < 20 %". Daher erfüllt auch der II. Hilfsantrag nicht die Kriterien für das Vorliegen einer erfinderische Tätigkeit und ist ebenfalls nicht gewährbar.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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