T 0156/91 (Styrolherstellung/METALLGESELLSCHAFT) of 14.1.1993

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1993:T015691.19930114
Datum der Entscheidung: 14 Januar 1993
Aktenzeichen: T 0156/91
Anmeldenummer: 84200555.5
IPC-Klasse: C07C 15/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Styrol durch Dehydrieren von Äthylbenzol
Name des Anmelders: METALLGESELLSCHAFT AG, et al
Name des Einsprechenden: BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Ausführbarkeit fraglich - nicht entscheidungserheblich
Erfinderische Tätigkeit (nein)
Disclosure - sufficiency (no)
Inventive step (no)
Claims - functionel features
Orientierungssatz:

1) Zur Frage, welche Folgen es für die ausreichende Offenbarung einer Erfindung hat, wenn diese nur mit Erzeugnissen ausgeführt werden kann, deren Herstellung nicht offenbart ist, die aber im Handel erhältlich sind, ohne daß allerdings ihre Verfügbarkeit über einen feststellbaren Zeitraum gewährleistet ist (offen gelassen) (Nr. 2.4 der Gründe).

2) "Desideratum" im Anspruch oder funktionelles Merkmal (offen gelassen) (Nr. 3.1.4 der Gründe).

Angeführte Entscheidungen:
T 0017/85
T 0170/87
T 0301/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2437/13

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 9. Februar 1991 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr erhobene Beschwerde richtet sich gegen die am 26. September 1990 verkündete und am 20. Dezember 1990 schriftlich begründete Entscheidung der Einspruchsabteilung der Europäischen Patentamts, mit der das europäische Patent 0 127 211 widerrufen worden ist. Dieses Patent war am 6. August 1986 aufgrund von 5 Patentansprüchen auf die am 18. April 1984 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 26. Mai 1983 eingereichte europäische Patentanmeldung 84 200 555.5 erteilt worden. Der einzige unabhängige Patentanspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Dehydrierung von Ethylbenzol im Gemisch mit Wasserdampf zu Styrol an einem in Röhren angeordneten, durch eine Salzschmelze indirekt beheizten Katalysator bei einem Druck von 0,3 bis 1 bar und einer Temperatur der Salzschmelze von 580 bis 660 °C, die höchstens 20 °C höher ist als die Reaktionstemperatur am Katalysator, dadurch gekennzeichnet, daß der innere Durchmesser der Katalysatorröhren im Bereich von 20 bis 35 mm liegt, den Röhren ein Gemisch aus Wasserdampf und Ethylbenzol mit einem Gewichtsverhältnis von 0,5 bis 1 zugeführt wird und 65 bis 75 Mol-% des Ethylbenzols im Gemisch zu Styrol umgewandelt werden."

II. In der angefochtenen Entscheidung wurden sechs Druckschriften genannt, von denen die folgenden zuletzt noch eine Rolle spielten:

(1) DE-A-2 909 763)

(6) Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4 Auflage (1982), Band 22, S. 293 - 309.

Die Entscheidung führt aus, der Gegenstand des angegriffenen Patents sei zwar nacharbeitbar beschrieben, da der Fachmann aufgrund der allgemeinen Angaben in der Beschreibung in der Lage war, geeignete Katalysatoren auszuwählen, beruhe aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die dem Streitpatent zu entnehmende Aufgabe, das aus Druckschrift (1) bekannte Verfahren zu verbessern, werde im wesentlichen durch eine Verringerung des Durchmessers der den Katalysator enthaltenden Röhren gelöst. Diese Maßnahme werde durch den Stand der Technik nahegelegt. Die übrigen Maßnahmen des kennzeichnenden Teils des geltenden Anspruchs 1 seien eine direkte Konsequenz aus der Aufgabenstellung und könnten deshalb zur erfinderischen Tätigkeit nichts beitragen.

III. Am 23. Februar 1991 ist eine Beschwerdebegründung eingegangen, der sechs als Hilfsantrag 1 bis 6 bezeichnete Sätze von Patentansprüchen beigefügt waren. Am 14. Januar 1993 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Während dieser Verhandlung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) vier als 1. bis 4. Hilfsantrag bezeichnete Sätze von Patentansprüchen vor, die sachlich mit den früher eingereichten Hilfanträgen 2, 3, 5 und 6 übereinstimmten.

Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch ein engeres Gewichtsverhältnis von Wasserdampf und Ethylbenzol (O,6 bis 0,9 anstelle von 0,5 bis 1).

Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 nur durch eine Einfügung im Oberbegriff, mit der klargestellt wird, daß die Salzschmelze die den Katalysator enthaltenden Röhren eines Röhrenreaktors umgibt.

Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags enthält zusätzlich dieselbe Einschränkung wie Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags. Im einzigen Anspruch des vierten Hilfsantrags wird zusätzlich der Durchmesser der den Katalysator enthaltenden Röhren auf 20 bis 30 mm beschränkt.

Die Beschwerdeführerin trug vor, Druckschrift (1) sei die einzig relevante Entgegenhaltung. Das Verfahren nach dieser Druckschrift benötige immer noch zuviel Wasserdampf und sei daher unwirtschaftlich. Hiervon hebe sich das Verfahren nach dem Streitpatent durch drei technische Merkmale erfinderisch ab, nämlich durch die Verwendung eines geringeren Wasserdampfanteils, engerer Reaktorröhren sowie einer höheren Styrolausbeute. Letztere sei keine bloße Zielvorstellung, sondern eine funktionelle Definition des Verfahrens, sofern ein hierfür geeigneter, im Handel erhältlicher Katalysator eingesetzt werde. Die Vorinstanz habe zu Unrecht zwei der kennzeichnenden Merkmale bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Acht gelassen. Der Bau eines Röhrenreaktors mit den im Streitpatent vorgeschriebenen geringen inneren Röhrendurchmessern erfordere einen erheblichen konstruktiven Aufwand, den der Fachmann vermieden hätte, auch wenn er sich theoretisch von der Verringerung des Röhrendurchmessers wegen der dann besseren Wärmeübertragung von der Salzschmelze auf das Reaktionsgemisch einen günstigen Einfluß auf die Styrolausbeute vorstellen konnte. Eine Verbesserung der Wärmeübertragung sei auch mit anderen, konstruktiv leichter realisierbaren Maßnahmen, z. B. Erhöhen der Umlaufgeschwindigkeit der Salzschmelze oder Verwendung eines Röhrenmaterials mit besserer Wärmeleitfähigkeit, zu erzielen. Die Beschränkung des Röhrendurchmessers im Patentanspruch gemäß dem vierten Hilfsantrag sei im Hinblick auf die in der Entscheidung "Crackkatalysator" des deutschen Bundesgerichtshofs genannten Gründe zulässig.

IV. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) ist das einzige vom Stand der Technik nicht vorweggenommene technische Merkmal, das somit das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründen müßte, die Verwendung eines Reaktors mit engeren Röhren. Hiergegen habe in der Fachwelt kein Vorurteil bestanden. Es handle sich dabei vielmehr wie bei der Wahl eines geeigneten Katalysators, einer geeigneten Rohrlänge und einer geeigneten Strömungsgeschwindigkeit um eine rein handwerkliche Maßnahme. Der Fachmann habe nur zu wählen, ob er die bestehenden konstruktiven Schwierigkeiten für den Anlagenbauer im Hinblick auf den zu erwartenden positiven Einfluß auf die Ausbeute in Kauf nehmen wolle oder nicht. Eine eventuelle erfinderische Leistung bei der Konstruktion eines für das Verfahren nach dem Streitpatent geeigneten Reaktors sei nicht Gegenstand des Streitpatents. Die Verfahren nach den Hilfsanträgen seien deshalb ebenfalls nicht erfinderisch. Hilfsantrag 4 müsse schon daran scheitern, daß der einzige Anspruch eine unzulässige Erweiterung enthalte. Nationale Rechtsprechung sei auf die Erfordernisse des EPÜ nicht ohne weiteres anwendbar.

V. Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung außerdem ihre Bedenken gegen die Durchführbarkeit des Verfahrens nach Anspruch 1, die sie bereits im Einspruchsschriftsatz, wenn auch nicht unter Bezugnahme auf Artikel 83 bzw. 100 (b) EPÜ, geäußert hatte, wieder aufgegriffen. Gehe man davon aus, daß die Ermittlung der zur Erzielung des beanspruchten Umsatzes geeigneten Rohrlängen und Verweilzeiten den handwerklichen Rahmen sprenge, fehle es an einer ausreichenden Offenbarung. Auch die geeigneten Katalysatoren seien im Streitpatent nur vage beschrieben. Zwar bezweifle sie nicht, daß brauchbare Katalysatoren am Prioritätstag im Handel waren. Es sei aber nicht möglich gewesen, mit zumutbarem Aufwand den für die anspruchsgemäßen Betriebsbedingungen offenbar einzig brauchbaren Katalysator aufzufinden. Der in Druckschrift (6) erwähnte und von der Beschwerdeführerin nach deren eigenen nachträglichen Angaben eingesetzte Katalysator G 64 E der Firma Südchemie AG werde zudem nur unter der Bedingung abgegeben, daß der Käufer sich verpflichtet, den erhaltenen Katalysator nicht zu analysieren. Da ferner die für die Wirksamkeit des Katalysators ebenfalls wesentliche Herstellungsweise unbekannt sei, könne ein solcher, nur durch einen Herstellercode bezeichneter Katalysator nicht zum Stande der Technik im Sinne des EPÜ gehören. Damit sei der Fachmann aber bei der Nacharbeitung des Verfahrens nach Anspruch 1 bezüglich des Auffindens eines geeigneten Katalysators auf umfangreiche und unzumutbare Versuche oder das geheime Wissen eines Dritten angewiesen, nachdem die Beschwerdeführerin im Hinblick auf den mit dem Einspruchsschriftsatz vorgelegten Versuchsbericht selbst eingeräumt habe, nicht jeder für die Dehydrierung von Ethylbenzol zu Styrol bekannte und jederzeit herstellbare Katalysator eigne sich für die Erzielung der in Anspruch 1 als kennzeichnendes Merkmal und nicht etwa nur als Zielangabe genannten Umwandlungsrate. Es sei daher fraglich, ob das Erfordernis des Art. 83 EPÜ erfüllt sei.

Auf Antrag der Beschwerdeführerin wurde zu diesem Sachverhalt ein technischer Sachverständiger der Firma Südchemie AG gehört, die den für das Verfahren nach dem Streitpatent in erster Linie in Betracht kommenden Katalysator Girdler G 64 E herstellt und vertreibt. Dieser erklärte, daß nach ständiger Praxis seiner Firma eine Verpflichtung, keine Analyse durchzuführen, nur von Kunden verlangt werde, die selbst Katalysatorhersteller und somit Konkurrenten seien. Er wisse zwar, daß solche Analysen in der Praxis dennoch durchgeführt werden; deren Ergebnisse seien aber nur intern zugänglich. Mit der genannten Einschränkung könne jedermann jeden vorrätigen Katalysator erwerben. Der Katalysator Girdler G 64 E sei seit 1979 infolge der Energieverteuerung durch die "Ölkrise" für die Dehydrierung von Ethylbenzol bei Wasserdampf/Ethylbenzol- Verhältnissen von 0,6 bis 1,2 zu 1 angeboten worden, wie aus einem überreichten Prospekt hervorgehe. Er sei zur Zeit noch lieferbar. Im Zuge der technischen Entwicklung werde zwar regelmäßig ein älterer Katalysatortyp durch einen neueren mit verbesserten Eigenschaften ersetzt. Dieser werde dann aber unter einer anderen Bezeichnung angeboten, so daß eine bestimmte Bezeichnung immer zu einem bestimmten Produkt gehöre. Wenn Nachfrage nach einem älteren, nicht mehr angebotenen Katalysator in technisch relevanten Mengen bestehe, könne dieser auch geliefert werden. Es sei ferner üblich, die Betreiber technischer Anlagen zu beraten. Dabei werde dem Kunden für die von ihm spezifizierten und realisierbaren Betriebsparameter, zu denen bei einer Anlage zur Herstellung von Styrol aus Ethylbenzol außer dem Verhältnis von Wasserdampf zu Ethylbenzol auch die Umwandlungsrate gehöre, ein geeigneter Katalysator vorgeschlagen. Wenn dieser später nicht mehr verfügbar sei, werde ein anderer mit ähnlichen Eigenschaften angeboten, solange entsprechende Verfahren in technischem Umfang betrieben werden.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Patentansprüche nach einem der in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsanträge.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Ausführbarkeit

2.1. Das Streitpatent betrifft ein katalytisches, isothermes Verfahren zur Dehydrierung von Ethylbenzol zu Styrol in Gegenwart von Wasserdampf. Solche Verfahren sind zur technischen Herstellung von Styrol allgemein üblich (siehe Druckschrift (6), Seite 296, Kapitel 3 und Seite 298, Kapitel 3.1.2.).

2.2. Der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand mangelnder Ausführbarkeit stützt sich zunächst darauf, daß im Anspruch die Rohrlänge und Strömungsgeschwindigkeit oder ersatzweise die Verweilzeit fehle. Diese Angaben seien hier deshalb erforderlich, weil die als verfahrenskennzeichnend angegebene Umwandlungsrate von 65 bis 75 Mol-% nicht erzielbar sei, wie aus ihren am 23. April 1987 vorgelegten Versuchsergebnissen hervorgehe.

Das angebliche Fehlen wesentlicher Merkmale im Anspruch ist jedoch keine Frage der Ausführbarkeit der Erfindung im Sinne von Art. 83 oder 100 (b) EPÜ, für die stets die Offenbarung in ihrer Gesamtheit maßgeblich ist; vielmehr handelt es sich um einen Einwand nach Artikel 84 EPÜ. Ein Einspruch kann jedoch nicht auf diesen Artikel gestützt werden. Die Vorschriften dieses Artikels sind hier also allenfalls im Zusammenhang mit den gemäß den Hilfsanträgen erfolgten Änderungen der Patentansprüche zu beachten (siehe auch T 301/87, ABl. EPA 1990, 335, Nr. 3.7 der Entscheidungsgründe).

2.3. Die Beschwerdegegnerin hat ferner vorgetragen, die einzige Angabe über brauchbare Katalysatoren in der Patentschrift, wonach "kommerzielle Katalysatoren, die im wesentlichen aus 50 bis 80 % Eisenoxid, 2 bis 10 % Chromoxid und Alkali als Rest bestehen" (Spalte 1, Zeilen 29 bis 32) sei für die Ausführbarkeit der Erfindung viel zu vage. Sie habe erst durch den Einspruch erfahren, daß sich für das Verfahren des Streitpatents im Dauerbetrieb in einer größeren Pilotanlage der Katalysator G 64 E der Firma Südchemie eigne. Dieser Katalysator werde nur an Interessenten abgegeben, die sich verpflichten ihn nicht zu analysieren; er sei daher der Öffentlichkeit nur beschränkt zugänglich.

Es ergibt sich jedoch einerseits aus dem Einspruchsschriftsatz beigefügten Versuchsbericht, daß die jetzige Beschwerdegegnerin in der Lage war, anhand der von ihr gerügten "vagen" Beschreibung einen Katalysator auszuwählen und erfolgreich, wenngleich nicht unter Erhalt der versprochenen Umwandlungsrate, zu testen. Andererseits hat der im Laufe der mündlichen Verhandlung gehörte technische Sachverständige der Firma Südchemie erklärt, die genannte Verpflichtungserklärung werde nur dann verlangt, wenn der Interessent - wie die Beschwerdegegnerin - selbst Katalysatorhersteller sei. Da es auf dem einschlägigen Fachgebiet nur drei große Herstellerfirmen gebe, sei die unbeschränkte Zugänglichkeit des Katalysators für beliebige Dritte gegeben. Allerdings werde die Zusammensetzung des Katalysators geheimgehalten. Die Kammer ist daher zu dem Ergebnis gekommen, daß weder die gerügte vage Beschreibung noch die genannte Verpflichtungserklärung die Ausführbarkeit der Erfindung in Frage stellen.

2.4. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß es für die Ausführbarkeit eines Verfahrens nach Artikel 83 bzw. 100 (b) EPÜ genügt, wenn sich die Öffentlichkeit Katalysatoren, die dafür - wie hier - zwingend erforderlich sind, mangels detaillierter Kenntnis über ihre Herstellung nur von einem kommerziellen Anbieter verschaffen kann. Der genannte Sachverständige hat zwar erklärt, daß die hier in Betracht kommenden Katalysatoren so lange verfügbar seien, wie eine Nachfrage nach kommerziellen Mengen bestehe, in der Regel ende diese Nachfrage aber infolge stetiger Weiterentwicklungen, die zu verbesserten Katalysatoren mit anderen Codenummern führen, nach etwa 10 Jahren. Danach seien diese Katalysatoren nur bei erneut auftretender Nachfrage in kommerziellen, nicht aber in kleineren, für Laborversuche gebräuchlichen Mengen erhältlich. Diese Ausführungen wurden durch die Beschwerdegegnerin - vom Sachverständigen unbestritten - durch den Hinweis darauf ergänzt, daß die prinzipiell mögliche Analysierbarkeit der kommerziellen Katalysatoren diese nicht öffentlich zugänglich mache. Um diese Katalysatoren auf Dauer verfügbar zu machen, bedürfe es der Offenbarung ihres detaillierten Herstellungsverfahrens. Aus diesen für die Kammer derzeit unwiderlegbaren Ausführungen ergibt sich für die Ausführbarkeit des Verfahrens nach dem Streitpatent, das ja bestimmte Katalysatoren benötigt, eine extreme Abhängigkeit vom Katalysatorhersteller, der diese Katalysatoren anbietet.

Es ist daher die allgemeine Frage zu beantworten, welche Folgen es für die ausreichende Offenbarung einer Erfindung hat, wenn diese nur mit Erzeugnissen ausgeführt werden kann, deren Herstellung nicht offenbart ist, die aber im Handel erhältlich sind, ohne daß allerdings ihre Verfügbarkeit über einen feststellbaren Zeitraum gewährleistet ist. In einem Fall wie dem vorliegenden könnte die Bejahung der ausreichenden Offenbarung dazu führen, daß der Fachmann hinsichtlich der zur Ausführung der Erfindung notwendigen Mittel auf denjenigen verwiesen wird, von dem die Neuerung in ihrem Kern stammt und der darüber willkürlich verfügen kann. Die Kammer hat deshalb erhebliche Bedenken, die gestellte Frage positiv zu beantworten. Sie hat erwogen, diese Frage wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung der Großen Beschwerdekammer vorzulegen. Da sie jedoch letztlich zu dem Ergebnis gekommen ist, daß selbst bei unterstellter Ausführbarkeit des Verfahrens nach dem Streitpatent die Beschwerde aus anderen Gründen erfolglos bleiben muß, hat sie hiervon abgesehen.

3. Nachdem sich die Kammer von der - nicht bestrittenen - Neuheit des Patentgegenstands überzeugt hat, ist nunmehr zu untersuchen, ob die erforderliche erfinderische Tätigkeit gegeben ist.

3.1. Hauptantrag

3.1.1. Die Kammer geht in Übereinstimmung mit den Parteien und der Vorinstanz von Druckschrift (1) als nächstem Stand der Technik aus. Diese Druckschrift betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Styrol durch katalytische Dehydrierung von Ethylbenzol in Gegenwart von Wasserdampf in einem Röhrenreaktor, bei dem die zur Durchführung dieser endothermen Umsetzung erforderliche Wärmemenge dem Reaktor mittels einer Salzschmelze zugeführt wird. Katalysatoren für diese Reaktion werden nicht genannt. Nachdem - wie bereits ausgeführt - die Ausführbarkeit des Verfahrens nach dem Streitpatent trotz fehlender Nennung der tatsächlich zum angestrebten Erfolg führenden Katalysatoren zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellt wurde, muß diese Unterstellung auch für den hier maßgeblichen Stand der Technik nach Druckschrift (1) gelten. Die Dehydrierung erfolgt nach dieser Druckschrift einstufig und isotherm bei Atmosphärendruck oder darunter, das Dampf-Ethylbenzol-Verhältnis beträgt 1,2 bis 1,5 kg Dampf pro kg Ethylbenzol und die Temperatur des Reaktionsgemischs liegt bei Eintritt in den Reaktor 50 bis 100 °C unterhalb der Temperatur der Salzschmelze. Die Temperaturdifferenz zwischen der Salzschmelze und der Reaktionstemperatur wird vorzugsweise unter 20 °C gehalten (siehe Ansprüche 1 bis 4). Aus den Ausführungsbeispielen ergibt sich, daß die Temperatur der Salzschmelze 610 °C beträgt und daß der Reaktor aus einem 3 m langen Rohr mit einem Innendurchmesser von 40 mm und Salzmantelheizung besteht, der 3 l eines handelsüblichen Dehydrierungskatalysators enthält, der nicht näher spezifiziert ist. Der gemessene Umsatz von Ethylbenzol zu Styrol beträgt, abhängig vom Druck, zwischen 51,6 und 65,5 Mol-% bei einer Selektivität von ca. 95 %. Die hier genannten "Umsätze" sind also in Wirklichkeit Ausbeuten bei einmaliger Passage des Reaktors; der dabei eintretende tatsächliche Verbrauch an Ethylbenzol, der üblicherweise als Umsatz bezeichnet wird, ist höher, da die Selektivität der Umwandlung etwa 95 % beträgt.

3.1.2. Ausgehend von diesem Stande der Technik bestand die technische Aufgabe, bei diesem Verfahren den Verbrauch an Wasserdampf (und damit den Energieverbrauch) bei zumindest gleich hohem Umsatz des Ethylbenzols zu Styrol zu senken (siehe Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 17 bis 21).

3.1.3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent vor, den inneren Durchmesser der Katalysatorröhren im Bereich von 20 bis 35 mm zu wählen, ein Gewichtsverhältnis von Wasserdampf zu Ethylbenzol im Bereich von 0,5 bis 1 zu 1 einzustellen und 65 bis 75 Mol-% des Ethylbenzols in Styrol umzuwandeln.

3.1.4. Die Kammer hat erhebliche Bedenken, in der genannten Umwandlungsrate mehr zu sehen als ein Desideratum bzw. eine Teilaufgabe, deren Lösung erfindungsgemäß angestrebt wird. Eine Definition eines technischen Merkmals durch seine Funktion, wie sie die Beschwerdeführerin in dieser Angabe sehen will, läge nach Überzeugung der Kammer nur dann vor, wenn die Umwandlungsrate der Umschreibung mehrerer in Betracht kommender technischer Realisierungsmittel diente, die dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens oder der Patentbeschreibung ohne weiteres zur Verfügung stehen, mit anderen Worten, daß die Angabe der Umwandlungsrate den mit der Styrolherstellung aus Ethylbenzol vertrauten Fachmann in die Lage versetzt hätte, konkrete Bedingungen anzugeben, unter denen sich der im Anspruch definierte Umsatz zuverlässig einstellt. Die Kammer verkennt zwar nicht, daß der Umsatz von der Verweilzeit des Gasgemischs im Reaktor beeinflußt wird, die ihrerseits eine Funktion routinemäßig empirisch einzustellender Parameter, z. B. der Rohrlänge und der Strömungsgeschwindigkeit, ist. Damit allein läßt sich jedoch bei katalytischen Verfahren keine bestimmte Umwandlungsrate gezielt einstellen. Diese wird - wie hier -vielmehr außerdem wesentlich vom eingesetzten Katalysator bestimmt.

Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten soll dennoch die im Anspruch genannte Umwandlungsrate ein funktionelles technisches Merkmal darstellen, das den Fachmann lehrt, die Verweilzeiten im Reaktor, d. h. Rohrlänge und Strömungsgeschwindigkeit des Reaktionsgemisches in entsprechender Weise einzustellen und einen geeigneten handelsüblichen Katalysator auszuwählen.

Da die Frage, ob die Erzielung einer bestimmten Umwandlungsrate Teil der bestehenden Aufgabe oder funktionelles technisches Merkmal des beanspruchten Verfahrens ist, für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hier unwesentlich ist, übernimmt die Kammer - widerstrebend - die Betrachtungsweise der Beteiligten.

Der bereits genannte Sachverständige hat nämlich ausgeführt, daß seine Firma - ebenso wie die übrigen Hersteller von Katalysatoren für die patentgemäße Dehydrierung - an Interessenten Prospekte verschickt, in denen Katalysatoren für diese Dehydrierung unter Codenummern angeboten werden. So sei von seiner Firma gemäß einem in der mündlichen Verhandlung überreichten Prospekt über Girdler-Katalysatoren aus dem Jahre 1979 vor dem Prioritätstag des Streitpatents für den Katalysator G 64 E mit dem Hinweis geworben worden, dieser sei der einzige (in diesem Prospekt enthaltene) Katalysator, der bei niedrigen Wasserdampf/Ethylbenzol-Verhältnissen, die mit 0,6 bis 1,2 angegeben werden, stabil sei. Ferner hat er versichert, daß den Interessenten auch Auskünfte über die mit den angebotenen Katalysatoren in üblichen Reaktoren erzielbaren Umsätze erteilt worden sind. Diese Ausführungen sind von den Beteiligten nicht bestritten worden und für die Kammer glaubhaft. Zur Wahl des hier geeigneten Dehydrierungskatalysators, der also den verlangten Umsatz bei gleichzeitig niedrigem Wasserdampfeinsatz, wie hier beansprucht (0,5 bis 1 Gewichtsteil je Gewichtsteil Ethylbenzol), gewährleistete, genügte also eine bloße Rückfrage bei einem Katalysatorhersteller. Hierfür und zur anschließenden Beschaffung des Katalysators bedurfte es daher in der Tat keiner erfinderischen Tätigkeit.

3.1.6. Es bleibt somit nur noch zu klären, ob es nahelag, zur Lösung der bestehenden Aufgabe auch noch die lichte Weite der Röhren des aus Druckschrift (1) bekannten Röhrenreaktors zu vermindern. Dabei ist davon auszugehen, daß die in den Beispielen dieser Druckschrift angegebene lichte Weite (40 mm) der Reaktorröhre kein wesentliches Merkmal des dort beschriebenen Verfahrens ist, sondern vom Fachmann als beispielhafte Ausführungsform verstanden wird. Bereits dieser Umstand und die numerisch geringfügige Verringerung der lichten Weite der Katalysatorröhren gemäß Streitpatent auf 20 bis 35 mm lassen nach Auffassung der Kammer Zweifel an der erfinderischen Qualität einer solchen Maßnahme aufkommen.

Die Beschwerdegegnerin hat zudem geltend gemacht, es gehöre zu den elementaren Kenntnissen eines Verfahrensingenieurs, daß sich der Wärmeübergang zwischen Heizmedium und umzusetzendem Gasgemisch mit abnehmender lichter Weite des Reaktionsrohrs verbessert. Dieser Wärmeübergang ist für eine endotherme Reaktion, wie sie hier vorliegt, besonders bedeutsam und wirkt sich auch auf den Umsatz günstig aus. Dies alles ist der Kammer aus eigener Sachkunde geläufig und auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden.

3.1.7. Die Beschwerdeführerin meint jedoch, angesichts der auch von der Beschwerdegegnerin eingeräumten Schwierigkeit, einen technischen Reaktor (im Gegensatz zu einem kleinen Versuchsreaktor) mit derart engen Röhren zu bauen und der daraus resultierenden Abneigung des Fachmanns gegen den Einsatz von Rohrbündelreaktoren mit derart geringer lichter Weite der einzelnen Rohre hätte es erfinderischer Tätigkeit bedurft, aus einer Mehrzahl technischer Möglichkeiten, die dem Fachmann zur Erzielung eines hohen Wärmeübergangs und damit eines guten Umsatzes zur Verfügung standen, gerade diese auszuwählen und zu verwirklichen.

Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Sie ist vielmehr der Überzeugung, daß das Herausgreifen einer einzelnen Maßnahme aus einer Anzahl von bekannten, aus der Sicht der bestehenden technischen Aufgabe naheliegenden Alternativen keine erfinderische Auswahl darstellt, sondern im Bereich der normalen Tätigkeit des Fachmanns liegt.

Die Verminderung der lichten Weite der Reaktorröhren hat hier jedoch, auch in Verbindung mit den übrigen beanspruchten Maßnahmen, nur die bekannten Wirkungen, von denen im Rahmen normalen fachmännischen Handelns Gebrauch gemacht wird. Daher ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, daß das Verfahren nach dem Hauptantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

4. Hilfsanträge

4.1. Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur hinsichtlich des Gewichtsverhältnisses von Wasserdampf und Ethylbenzol (O,6 bis 0,9 anstelle von 0,5 bis 1). Da sich aus dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Prospekt und den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, daß der für das Verfahren nach dem Streitpatent geeignete Katalysator Girdler G 64 E vor dem hier maßgeblichen Prioritätsdatum zur Verwendung bei Wasserdampf - Ethylbenzol - Verhältnissen bis hinunter zu 0,6 angeboten worden ist, ergeben sich aus der geänderten Definition dieses Gewichtsverhältnisses keine Gesichtspunkte, die eine von den Ausführungen zum Hauptantrag abweichende Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit rechtfertigen würden. Auch dieser Hilfsantrag kann der Beschwerde daher nicht zum Erfolg verhelfen.

4.2. Die Ansprüche 1 des zweiten und dritten Hilfsantrags unterscheiden sich von Anspruch 1 des Haupt- bzw. ersten Hilfsantrags nur durch eine Einfügung im Oberbegriff, mit der klargestellt wird, daß die Salzschmelze die den Katalysator enthaltenden Röhren eines Röhrenreaktors umgibt. Damit sollte besser ausgedrückt werden, daß das Verfahren nach dem Streitpatent nicht in einem kleinen Versuchsreaktor (wie in den Beispielen verwendet), sondern in einem technischen Reaktor ausgeführt wird, der aus einer Vielzahl von Röhren besteht. Die Kammer hat diese Interpretation des Gegenstands des Streitpatents jedoch bereits dem Wortlaut des Hauptantrags entnommen und der Entscheidung über diesen Antrag zugrundegelegt. Folglich teilen diese Anträge das Schicksal des Haupt- und ersten Hilfsantrags.

4.3. Im einzigen Anspruch des vierten Hilfsantrags wird zusätzlich der Durchmesser der den Katalysator enthaltenden Röhren auf 20 bis 30 mm beschränkt. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß diese Obergrenze der lichten Weite in den ursprünglichen Unterlagen des Streitpatents nicht offenbart war. Er meint jedoch, unter Bezugnahme auf die Entscheidung "Crackkatalysator" des deutschen Bundesgerichtshofs, daß die Offenbarung des Bereichs "20 bis 35 mm" auch diejenige aller Zwischenwerte einschließe und daß somit auch der Bereich "20 bis 30 mm" ursprünglich offenbart sei. Diese Betrachtungsweise, die im Einzelfall zutreffen mag (siehe die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA zur Neuheit von Zahlenbereichen, z. B. die Entscheidung T 17/85 -"Füllstoff", abgedruckt im ABl. EPA 1986, 406), bedeutet jedoch nicht, daß sich aus einer solchen Einschränkung auch Konsequenzen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ergeben müssen. Es läßt sich im Gegenteil aus der Entscheidung "Heißgaskühler" (T 170/87, ABl. EPA 1989, 401, Punkt 8.3 und 8.4 der Entscheidungsgründe), entnehmen, daß eine solche Einschränkung, die ja nichts anderes ist als ein positiv formulierter Disclaimer, nicht zu einer unterschiedlichen Beurteilung der im Streitpatent gegebenen technischen Lehre führen kann, denn diese kann sich durch den Umstand, daß sie nicht mehr in vollem Umfang, sondern nur noch teilweise unter Schutz gestellt werden soll, nicht ändern. Deshalb ist die erfinderische Tätigkeit des nunmehr geltenden einzigen Patentanspruchs nicht anders zu beurteilen als diejenige der Hauptansprüche nach den übrigen Anträgen.

5. Die Kammer sieht auch in den Maßnahmen, die in den abhängigen Patentansprüchen des Hauptantrags und der ersten drei Hilfsanträge enthalten sind, weder für sich genommen noch in Kombination mit den Maßnahmen der zugehörigen Hauptansprüche eine erfinderische Tätigkeit. Da die Beschwerdeführerin keine gesonderte Prüfung dieser Ansprüche beantragt hat, bedarf es hierfür keiner näheren Begründung. Diese Ansprüche fallen daher zusammen mit den zugehörigen Hauptansprüchen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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