T 0123/91 () of 17.1.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T012391.19920117
Datum der Entscheidung: 17 Januar 1992
Aktenzeichen: T 0123/91
Anmeldenummer: 84116492.4
IPC-Klasse: H01H 33/66
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vakuumschalter
Name des Anmelders: Sprecher Energie AG
Name des Einsprechenden: Asea Brown Boveri AG
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 Art 104
Schlagwörter: Late submission of relevant state of the art
New situation for the assessment of inventive step
Remittal to the opposition Division
Verspätet zitierter relevanter Stand der Technik, neue
Sachlage für die Beurteilung der erfinderischen
Tätigkeit, Zurückverweisung der Angelegenheit an die
Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung in der
Sache und über den von der Beschwerdegegnerin
gestellten Antrag auf Kostenerteilung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0077/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der europäischen Patentanmeldung Nr. 84 116 492.4 ist das 11 Patentansprüche umfassende europäische Patent 161 349 erteilt worden.

Bei Korrektur des Druckfehlers "meistens" in "mindestens" entsprechend der beantragten Fassung lautet Patentanspruch 1:

"1. Vakuumschalter mit einer dichtend aus einem Vakuumgefäß (11) herausgeführten, axial um einen Hub (14) hin und her verschiebbaren Kontakt-Betätigungsstange (12), die über wenigstens einen Verbindungsleiter (18) mit einem der Anschlüsse (15) des Schalters elektrisch verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Verbindungsleiter als steife, quer von der Betätigungsstange (12) abstehende Wippe (18) aus einem elektrisch leitenden Material ausgebildet ist, die mindestens an ihren Enden (21, 23; 22, 24) geteilt ist und mit diesen Enden an der Betätigungsstange (12) einerseits und an einem am Anschluß (15) vorhandenen, von diesem in Richtung der Betätigungsstange (12) abstehenden Vorsprung (26; 37) andererseits je an einander gegenüberliegenden Stellen unter Federwirkung reibschlüssig angreifen."

Hierbei soll das letzte Wort "angreifen" offenbar "angreift" heißen.

Die Patentansprüche 2 bis 11 betreffen als abhängige Patentansprüche weitere Ausgestaltungen des Vakuumschalters nach Patentanspruch 1.

II. Gegen das erteilte Patent hat die Beschwerdeführerin Einspruch eingelegt mit dem Antrag, das Patent mangels erfinderischen Tätigkeit seines Gegenstandes zu widerrufen.

III. Die Einspruchsabteilung hat unter Berücksichtigung der Entgegenhaltungen

E0: CH-A-551 687

E1: DE-B-1 765 418

E2: DE-B-1 070 260

den Einspruch zurückgewiesen.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt. In der Begründung der Beschwerde hat sie das Dokument E3: DE-U-7 835 159 erstmals genannt und im wesentlichen wie folgt argumentiert:

Ganz abgesehen davon, daß es sich die Einspruchsabteilung bei der Würdigung der Entgegenhaltungen E1 und E2 zu leicht gemacht und für eine besondere Interpretation des Bezugszeichens "10" in E1 kein Anlaß bestanden habe, würden bei der Betrachtung der E3 die mit dem Gegenstand des nachgesuchten Patents übereinstimmenden Merkmale nach Aufgabe (eine geringere Hemmung des Schalterantriebes anzustreben) und Lösung sofort augenscheinlich. Die E3 offenbare eine Schaltkammer (2) mit einer daraus herausgeführten, axial um einen Hub hin und her verschiebbaren Kontakt-Betätigungsstange (4), die über wenigstens einen Verbindungsleiter (8) mit einem der Anschlüsse (7, 9) des Schalters elektrisch verbindbar sei. Der Verbindungsleiter sei als steife, quer zur Betätigungsstange (4) stehende Wippe (8) aus einem elektrisch leitenden Material ausgebildet, die an ihren Enden geteilt sei und mit diesen Enden an der Betätigungsstange (4) einerseits und an einem am Anschluß (9) vorhandenen, von diesem in Richtung der Betätigungsstange (4) abstehenden Vorsprung (12) andererseits je an einander gegenüberliegenden Stellen unter Federwirkung angreife. Die in E3 dargestellte Schraubenverbindung zwischen den Teilen 8 und 12 müsse federnd sein, da sie als Kontaktverbindung dienen soll. Zwischen diesen Teilen müsse stets ein Kontaktdruck aufgebracht werden, der nur von einem elastischen Glied produzierbar sei. Hinzu komme, daß auf Federn und deren Wirkung ausdrücklich im Anspruch 7 der E3 hingewiesen werde. In den Ausführungsbeispielen des angegriffenen Patents seien ebenfalls Anschläge (35, 36, 33, 34) vorhanden. Diese Anschläge stellten eine formschlüssige Verbindung des Doppelmessers quer zu seiner Längsrichtung dar, das nur in Längsrichtung auf die abstehenden Vorsprünge (26, 37) aufschiebbar sei.

V. Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Die E3 sei verspätet zitiert und dürfte nicht berücksichtigt werden (Artikel 114 (2) EPÜ).

Eine gemeinsame Betrachtung der E1 und der E2 unter sachgerechter Interpretation des doppelt benutzten Bezugszeichens "10" in E1 müsse die von der Einspruchsabteilung vorgenommene Beurteilung bestätigen.

Auch wenn E3 einen wippenartigen Verbindungsleiter zwischen einem beweglichen Schaltstift und einer Sammelschiene offenbare, so nehme dieses Dokument den vorliegenden Patentgegenstand nicht vorweg. Denn mindestens anschlußseitig greife die Wippe nicht unter Federwirkung reibschlüssig an einander gegenüberliegenden Stellen an einem Vorsprung an. Die E3 lehre zweifelsfrei, das Doppelmesser (8) formschlüssig mit dem Ansatz (12) des Kontaktverbindungsstückes (9) zu verbinden, dies entweder durch Verschrauben (Seite 3, dritter Absatz) oder durch eine Steckverbindung (Anspruch 7), und das Kontaktverbindungsstück selber drehbar zu lagern. Der Fachmann könne den Anspruch 7 der E3 nur dahingehend verstehen, daß das Doppelmesser (8) mit dem Kontaktverbindungsstück in Längsrichtung des Doppelmessers steckbar verbunden sei. Diese Verbindungsart stelle aber zweifelsfrei für sämtliche quer zur Längsrichtung des Doppelmessers verlaufende Richtungen, und genau auf diese komme es beim vorliegenden Patentgegenstand an, eine formschlüssige Verbindung dar.

Die Beschwerdegegnerin hat aus diesen Gründen zunächst beantragt die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise im Patentanspruch 1 zu präzisieren, daß der Vorsprung (26, 27) ortsfest ist.

VI. Im Laufe des weiteren Verfahrens wurde in einem Bescheid der Kammer gemäß Artikel 110, Absatz 2 EPÜ den Parteien u. a. mitgeteilt, daß die E3 dem Patent näher kommt als E1 und E2 und deswegen nach Artikel 114 (1) EPÜ in das Verfahren eingeführt werden sollte. Da E3 von der Einspruchsabteilung nicht in Betracht gezogen worden war, sei allerdings eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz unter Berücksichtigung einer Kostenverteilung, wie von der Beschwerdegegenerin beantragt, angemessen. Die Beschwerdegegnerin hat sich damit einverstanden erklärt. Die Beschwerdeführerin hat die Absicht der Kammer, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, zur Kenntnis genommen, aber bestritten, daß es wegen der Einführung der E3 in das Beschwerdeverfahren Gründe für eine Entscheidung über eine Kostenverteilung gäbe.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Während den Ausführungen der Beschwerdegegnerin und der Einspruchsabteilung hinsichtlich E1 und E2 im wesentlichen zugestimmt wird (hinsichtlich des Bezugszeichens "10" in E1 siehe auch T 77/87 in ABl. EPA, 1990, 280), wird die verspätet zitierte E3 für relevanter angesehen als E1 und E2. E3 dürfte als nächstliegender Stand der Technik auch an die Stelle von E0 treten.

Die E3 zeigt nämlich einen gasisolierten Schalter mit einer dichtend aus einem Gefäß (Schaltkammer (2)) herausgeführten, axial um einen Hub hin und her verschiebbaren Kontaktbetätigungsstange (Schalt- bzw. Kontaktstift (4)), die über wenigstens einen Verbindungsleiter (8) mit einem der Anschlüsse (7, 9) des Schalters elektrisch verbunden ist.

Die Beschwerdegegnerin scheint selbst einzuräumen (vgl. V. oben), daß das den Verbindungsleiter darstellende Doppelmesser wippenartig ausgebildet ist. Da das Doppelmesser an den Kontaktstift (4) durch Druck angepreßt wird (vgl. E3, Seite 3, vierter Abschnitt), greift es dort reibschlüssig an. Sammelschienenseitig ist ein ortsfestes, um die Sammelschiene (7) drehbares Kontaktverbindungsstück (9) mit einem Ansatz (12) vorgesehen. Dieser Ansatz stellt einen in Richtung der Betätigungsstange abstehenden Vorsprung dar.

3. Die Beschwerdegegnerin macht zutreffend geltend, daß das Doppelmesser (8) am Ansatz (12) formschlüssig, also nicht nur reibschlüssig (vgl. letzte Zeite des Patentanspruches 1) angreift.

Es wäre zu untersuchen, ob dieser Unterschied lediglich durch die besondere Orientierung der Sammelschiene gegenüber der Kontaktbetätigungsstange bzw. dem Kontaktbetätigungsstift bedingt ist. Gemäß E3 liegt die Sammelschiene 7 senkrecht zum Schaltstift 4, gemäß dem Ausführungsbeispiel zum Patent ist die Betätigungsstange 12 parallel zu den Kontaktflächen des mittleren Schenkels 26 ausgerichtet.

Sofern dieser Unterschied an sich nicht für erfinderisch gehalten wird, wäre zu prüfen, ob die hilfsweise beantragte Präzisierung des Patentanspruchs 1 patentbegründend sein könnte (vgl. V. oben).

4. Die vorstehenden Ausführungen belegen, daß das neue Dokument E3 am relevantesten ist und eine weitergehende Überprüfung der erfinderischen Tätigkeit des Patentgegenstands erfordert. Wie im o. g. Bescheid schon ausgeführt, soll diese Überprüfung zunächst von der Einspruchsabteilung gemacht werden. Hierdurch wird vermieden, daß der Beschwerdegegnerin die Möglichkeit einer zweiinstanzlichen Prüfung entgeht. Die Kammer macht somit von der im Artikel 111 (1) EPÜ vorgesehenen Befugnis Gebrauch, die Angelenheit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

5. Was den Antrag der Beschwerdegegnerin auf Kostenverteilung betrifft, läßt sich im vorliegenden Fall vor dem Abschluß des weiteren Verfahrens vor der Einspruchsabteilung nicht absehen, ob und inwieweit eine von der Grundsatzregel im Artikel 104 EPÜ abweichende Verteilung der Kosten der Billigkeit entspricht. Es ist somit Sache der Einspruchsabteilung, auch über diesen Antrag zu entscheiden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Das verspätet zitierte Dokument E3 wird in das Verfahren eingeführt.

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

3. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen zur weiteren Entscheidung in der Sache und über den von der Beschwerdegegnerin gestellten Antrag auf Kostenverteilung.

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