T 0963/90 () of 2.4.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T096390.19920402
Datum der Entscheidung: 02 April 1992
Aktenzeichen: T 0963/90
Anmeldenummer: 85903999.2
IPC-Klasse: B60K 23/04
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Betätigung einer Differentialsperre
Name des Anmelders: Zahnradfabrik Friedrichshafen
Name des Einsprechenden: 1) Sige Brevetti Ing.
2) Klöckner-Humboldt-Deutz
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Inventive step (no)
Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0199/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 16. August 1985 eingereichte internationale Patentanmeldung PCT/EP85/00418 wurde mit Wirkung vom 1. Juni 1988 das europäische Patent Nr. 0 227 660 erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent haben die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende 01 und 02) am 28. Februar 1989, respektive am 1. März 1989 Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen. Zur Stützung dieses Vorbringens haben sie unter anderem auf folgende Dokumente verwiesen:

D1: FR-E-96 041

D2: WO-A-81/02 049

D3: Firmenprospekt "Block-in, elektronisches Selbstsperrdifferential" der Firma SIGE, 22059 Vimercate, Italien D7: Werkstatthandbuch der Firma CASE, Section 5201, "Troubleshooting the CASE solid state selective steering system", Seiten 1, 24 bis 35 (Seite 34 ist unbedruckt), Ausgabe August 1979.

III. Mit Entscheidung in der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 1990 (schriftlich begründet zur Post gegeben am 9. November 1990) hat die Einspruchsabteilung das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten.

Sie vertrat die Auffassung, daß aufgrund des geänderten Schutzbegehrens, bei dem es im wesentlichen um die Signalleitungsführung gehe, nur noch die D7 zur Beurteilung der Frage der erfinderischen Tätigkeit in Betracht gezogen zu werden brauche. Da der Fachmann jedoch keineswegs von der Lehre der D7 angeregt werde, die Vorrichtung nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 in der nun vorgeschlagenen Weise weiterzuentwickeln, habe es einer erfinderischen Tätigkeit bedurft, um zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen.

IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen am 22. Dezember 1990 (II), respektive 9. Januar 1991 (i) Beschwerde eingereicht und dabei jeweils gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet.

Die Beschwerdebegründungen wurden am 8. März 1991 (i) respektive am 11. März 1991 (II) eingereicht.

V. Zur Vorbereitung einer von den Parteien hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung hat die Kammer mit Bescheid vom 7. Oktober 1991 ihre vorläufige Auffassung dargelegt, wonach der geänderte Anspruch 1 nicht die Erfordernisse der Regel 29 (1) und des Artikels 84 EPÜ erfülle und alle kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 aus der D7 bekannt sein dürften. Daher sei in der mündlichen Verhandlung insbesondere zu diskutieren, ob eine Kombination der Lehren des im Oberbegriff des Anspruchs 1 berücksichtigten Standes der Technik und der D7 für den einschlägigen Fachmann nahegelegen habe.

VI. In der mündlichen Verhandlung vom 2. April 1992 hat die Beschwerdegegnerin einen neuen Anspruch 1 eingereicht und beantragt, das Patent aufgrund dieses Anspruchs 1 sowie der Ansprüche 2 bis 4, der Beschreibung (gegebenenfalls angepaßt) und der Zeichnungen in der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden, geänderten Fassung des Patents aufrechtzuerhalten.

Der gültige Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Betätigung für eine Differentialsperre, welche durch außerhalb der als elektrisch betätigbare Kupplung (11), die im elektrischen Schaltkreis des Signalgebers (7C) vorgesehen ist, ausgebildeten Differentialsperre ausgelöste Signale gesteuert ist, mit einem einzigen Signalgeber (7C), durch den ein unmittelbar abgegriffener Grenzwert des Lenkeinschlagwinkels (l) beim Einschlagen eines sich gegenüber einem Achsgehäuse (2) beweglichen Lenkungselementes (5, 20) geschaltet wird, dadurch gekennzeichnet,

- daß der Signalgeber (7C) zur Stoß- und Verschmutzungssicherung und zum Beschädigungsschutz in einem mit dem feststehenden Achsgehäuse (2) fest verbundenen Bauteil im Bereich einer drehbeweglichen Lenkzapfenlagerung (5, 6) eingelassen eingebaut ist,

- wobei Verbindungskabel (31) zwischen Signalgeber (7C) und Kupplung (11) durch das Achsgehäuse (2) herangeführt sind."

VII. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 227 660. Im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung haben sie in bezug auf das nun vorliegende Patentbegehren im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Im Vergleich mit dem erteilten Anspruch 1 werde in dem nun vorliegenden Anspruch 1 die nähere Angabe "einzelnen" bezüglich des Signalgebers in "einzigen" und des sich gegenüber dem Achsgehäuse "verschiebenden" Lenkungselementes in "beweglichen" geändert, ohne daß hierfür eine ausreichende Stütze in der ursprünglichen Anmeldung zu finden sei. Diese Änderungen seien daher unzulässig.

Aus der Entgegenhaltung D1 wie auch aus D2 seien alle Merkmale des Oberbegriffes des Anspruchs 1 bekannt. Das zu lösende Problem könne, im Hinblick auf die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1, nur noch in einer beschädigungs- und verschmutzungssicheren Anordnung für den Signalgeber und seine Verbindungsleitung gesehen werden. Die im Patent genannte Aufgabe stimme in dieser Hinsicht nicht mehr mit der im Anspruch 1 vorgeschlagenen Lösung überein.

Bei den Überlegungen, wer als zuständiger Fachmann anzusehen sei, müsse davon ausgegangen werden, daß die Betätigung von Differentialsperren in das Fachgebiet eines Fahrzeugkonstrukteurs fällt, wobei im vorliegenden Fall insbesondere der Spezialist für Antriebe bei schweren Schleppern und Traktoren angesprochen werde. Da es jedoch auch um eine elektrische Steuerung der Differentialsperrenkupplung gehe, könne im Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern diesem Fachmann, dessen eigenes Wissen nicht mehr ausreiche, um das Problem zu lösen, ein auf dem einschlägigen Gebiet vertrauter Fachmann zugeordnet werden.

Ein wesentlicher Aspekt der beanspruchten Betätigungsvorrichtung sei offensichtlich die genaue Ermittlung der Lenkwinkel. Das Service-Handbuch D7 gebe jedoch schon gezielte Hinweise, bei Traktoren Sensoren zur Bestimmung des Lenkwinkels so zu plazieren, daß einerseits eine exakte Bestimmung des Lenkwinkels erreichbar ist und zum anderen die Sensoren vor Beschädigungen und Verschmutzungen geschützt angeordnet sind, was aus Sicherheitsgründen für die in D7 offenbarte Vierradlenkung zwingend erforderlich sei. Die Kabelführung zu den Sensoren erfolge dabei teilweise durch das Achsgehäuse. Die aus der D7 entnehmbare Lehre erfülle somit in allen Punkten die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe mit den im Kennzeichen des Anspruchs 1 angegebenen Merkmalen.

Zwar habe die Beschwerdegegnerin bestritten, daß die D7 ein Verbindungskabel offenbare, das zwischen dem Signalgeber und der Kupplung durch das Achsgehäuse herangeführt sei, die Anordnung der Sensoren in D7 lasse jedoch keinen Zweifel aufkommen, daß das Verbindungskabel zumindest teilweise durch die feststehende Achsgabel hindurchgeführt werde.

Darüber hinaus könne weder dem Anspruch 1 noch der Beschreibung des Streitpatents entnommen werden, daß das Verbindungskabel direkt von dem Signalgeber durch das Achsgehäuse zu der Kupplung verlaufe, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet. Selbst wenn eine solche Leitungsführung gemeint sei, liege es im Hinblick auf die aus der D7 entnehmbare Lehre, das Verbindungskabel zum Signalgeber teilweise durch das Achsgehäuse zu verlegen, nahe, die Verbindungskabel durch das Achsgehäuse weiterzuführen, wenn die Kupplung in derselben Achse wie der Signalgeber angeordnet ist, was übrigens ebenfalls nicht im Anspruch 1 zum Ausdruck gebracht werde.

Im übrigen werde der Fachmann im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe schon aufgrund seiner fachmännischen Überlegungen, also auch ohne die Offenbarungen der D7, zwangsläufig zu dem beanspruchten Gegenstand geführt.

VIII. Die Beschwerdegegnerin vertrat demgegenüber folgende Auffassung:

Was die formalen Bedenken hinsichtlich der Änderungen betreffe, sei schon immer nur von einem einzigen Signalgeber die Rede gewesen.

Im Hinblick auf die ursprüngliche Offenbarung müsse "verschiebenden" im Oberbegriff des Anspruchs 1 als "beweglichen" aufgefaßt werden, da die Ausführungsformen der offenbarten Signalgeber entweder eine Verschiebung oder eine Verdrehung betreffen.

Diese Änderungen im Anspruch 1 seien daher lediglich von klarstellender Art und verstießen nicht gegen Artikel 123 EPÜ.

Bei der Auslegung des Anspruchs 1 sei davon auszugehen, daß die Verbindungskabel ausschließlich durch das Achsgehäuse verlaufen. Eine solche Anordnung folge für den Fachmann in offensichtlicher Weise aus den letzten Merkmalen des Anspruchs 1 und aus der Offenbarung, daß die Sperrkuplung und der Signalgeber in derselben Achse eingebaut seien.

Ausgehend von dem nächstkommenden Stand der Technik, wie er in der D1 offenbart sei, sei die Aufgabe der Erfindung im Einklang mit der im Patent genannten Aufgabe darin zu sehen, eine weniger aufwendige und störungsempfindliche Einrichtung mit einem leicht einbaubaren und exakt vorgebbaren Schaltbereich zu schaffen, bei der der Fahrer die Erreichung des Schaltpunktes auch stets deutlich voraussehen und steuern könne. Letzteres werde dadurch erreicht, daß der im Bereich der Lenkzapfenlagerung eingebaute Signalgeber die Radauslenkung direkt ermittle und somit Spiel in der Lenkanlage keinen Einfluß auf die Differentialsperrensteuerung habe.

Zwar sei in D1 auch ein einziger Signalgeber vorhanden, die bekannte Anordnung sei jedoch ungeschützt und dadurch leicht von Verschleiß betroffen, insbesondere wenn es darum gehe die Vorrichtung bei Schleppern oder Baufahrzeugen einzusetzen, wo Steinschlag, Schmutz und Wasser freien Zutritt zu den Betätigungsteilen des Signalgebers haben. Die ungeschützte Anordnung habe besonders große Nachteile, wenn zu der Feuchtigkeit auch noch große Kälte (Frost) hinzukomme.

Die beanspruchte Lösung sei demgegenüber nicht nur besonders einfach, sie erlaube auch eine genaue Festlegung des Schaltpunktes, da der Lenkwinkel direkt an der Lenkzapfenlagerung festgestellt werde. Alle Aspekte der gestellten Aufgabe würden somit gelöst und alle in Figur 2 gezeigten Ausführungsformen der Signalgeber erfüllten dabei die Definitionen nach dem geltenden Anspruch 1.

Betrachte man nun den übrigen ermittelten Stand der Technik, so zeige nur die D7 einen in der drehbeweglichen Lenkzapfenlagerung eingebauten Signalgeber und eine bestimmte Signalleitungsführung.

In D7 gehe es jedoch um eine Vierradlenkung mit vier Sensoren und nicht um die Steuerung einer Differentialsperre auf der Basis des Signals eines einzigen Signalgebers. Weiter sei der Signalgeber in D7 im drehbeweglichen Teil und nicht, wie beansprucht, im feststehenden Achsgehäuse eingebaut und darüber hinaus sei die Signalleitung außerhalb des Achsgehäuses in einer separaten Rohrleitung untergebracht.

Selbst wenn der Fachmann die D7 in Betracht ziehen würde, was aufgrund der hier zu lösenden unterschiedlichen Aufgabe bestritten werde, wären also weitere Schritte nötig, um zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen. Da dem Stand der Technik keine Hinweise zu solchen Abänderungen zu entnehmen seien, müsse die beanspruchte Lösung als erfinderisch gelten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden entsprechen den Artikeln 106 und 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie sind zulässig.

2. Formale Zulässigkeit der Änderungen

2.1. Der geltende Anspruch 1 basiert auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2 und 6 und enthält weitere Merkmale bezüglich der Führung der Verbindungskabel zwischen dem Signalgeber und der Kupplung, welche in den Figuren 2 und 4 der Anmeldung offenbart sind.

Dieser Anspruch 1 enthält alle Merkmale des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents und zusätzlich noch das Merkmal, daß der Signalgeber im Bereich der drehbeweglichen Lenkzapfenlagerung eingelassen eingebaut ist, welche nähere Angabe zumindest für die in Figur 2 gezeigten Ausführungsformen mit den Signalgebern 7B und 7C zutrifft.

2.2. Nach Auffassung der Kammer geht aus den Ansprüchen 1 und 2 der Anmeldung und insbesondere aus der Beschreibung des Schaltschemas in Figur 3 klar hervor, daß es sich bei der beanspruchten Vorrichtung um einem einzigen Signalgeber handelt.

Auch kann, obwohl im Anspruch 1 wie erteilt und auch wie ursprünglich eingereicht nur von einem sich gegenüber einem Achsgehäuse verschiebenden Lenkungselement die Rede ist, der Fachmann dies aufgrund der in den ursprünglichen abhängigen Ansprüchen 2 bis 5 beanspruchten Ausführungsformen, wobei außer relativen Verschiebungen auch Verdrehungen gegenüber einem feststehenden Bauteil möglich sind, nur im Sinne einer relativen Beweglichkeit verstehen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen sind daher die von der Beschwerdegegnerin vorgenommenen Änderungen im Anspruch 1 bezüglich der Verwendung eines einzigen Signalgebers, eines sich gegenüber einem Achsgehäuse beweglichen Lenkungselements und des Einbaus des Signalgebers in einem mit dem feststehenden Achsgehäuse fest verbundenen Bauteil ausreichend von den ursprünglich eingereichten Unterlagen gestützt.

Da sie zur besseren Verständlichkeit der beanspruchten Vorrichtung dienen, besteht kein Grund, sie nicht zuzulassen.

2.3. Jedoch ist die Kammer der Ansicht, daß, wie von den Beschwerdeführerinnen vorgebracht, im Hinblick auf den Inhalt des ursprünglichen Anspruchs 4 im Vergleich mit dem ursprünglichen Anspruch 2, die Ausführungsform mit dem Signalgeber 7D nicht als im Bereich der drehbeweglichen Lenkzapfenlagerung liegend aufgefaßt werden kann.

2.4. Anspruch 2 entspricht dem ursprünglichen Anspruch 9 bzw. Anspruch 6 des angegriffenen Patents.

Anspruch 3 basiert auf dem ursprünglichen Anspruch 6 und der bevorzugten Ausführungsform, bei der die Kupplung von einem Elektromagnet betätigt wird, und entspricht Anspruch 7 des Patents.

Anspruch 4 basiert auf einer bevorzugten Ausführungsform, die auf Seite 7, Zeilen 8 bis 11 der ursprünglichen Beschreibung offenbart ist, und entspricht Anspruch 8 des Patents.

Somit erfüllt das Patent die Erfordernisse des Artikels 123 (2) (3) EPÜ.

3. Relevanter Stand der Technik

3.1. Nach Auffassung der Kammer und der Parteien bildet die D1 den nächtskommenden Stand der Technik.

Zwar wird in D1 eine Ausführungsform beansprucht, bei der die Sperrkupplung mittels eines Ventils gesteuert wird, in der Beschreibung wird jedoch darauf hingewiesen, daß als Alternative zu einer hydraulischen oder pneumatischen Betätigung eine elektromagnetische Betätigung vorgesehen sein kann.

Diese Druckschrift offenbart daher für den Fachmann erkennbar eine Betätigungsvorrichtung für eine Differentialsperre mit allen im Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 des Streitpatents angegebenen Merkmalen.

3.2. Die Beschwerdeführerinnen waren der Ansicht, daß D2 ebenfalls alle Merkmale des Oberbegriffes des Anspruchs 1 zeige. Diese Auffassung kann die Kammer jedoch nicht teilen, denn weder ist die Kupplung unmittelbar elektrisch betätigbar, noch basiert die Betätigung auf Signalen eines einzigen Signalgebers, wie im geltenden Anspruch 1 des Streitpatents gefordert ist.

Die Textstelle in Spalte 3, Zeilen 36 bis 39 des Streitpatents spricht zwar von anderen als nur elektrischen Hilfskraftbetätigungen, hier muß jedoch nach Auffassung der Kammer der Text des Anspruchs 1 als maßgebend angesehen werden.

3.3. Die D3 offenbart ein elektronisches Selbstsperrdifferential, bei dem die Betätigung der Sperrkupplung auf der Basis von unterschiedlichen Antriebswellengeschwindigkeiten ausgelöst wird. Die diesbezüglichen Rotationssensoren für die Antriebswellen sind in der Achse eingelassen, jedoch wird weder der Lenkeinschlagwinkel ermittelt, noch sind die Sensoren im Bereich der drehbeweglichen Lenkzapfenlagerung eingebaut. Auch sind die Verbindungskabel der Sensoren nicht durch das Achsgehäuse herangeführt.

3.4. Die D7 und der in der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren hierzu zusätzlich eingereichte "CASE 4690 Tractor Parts Catalog" (D13), offenbaren ein Vierradlenksystem für Traktoren, wobei Sensoren zur Ermittlung der Lenkeinschlagwinkel in der drehbeweglichen Lenkzapfenlagerung eingebaut und die Anschlußkabel der Sensoren teilweise durch das Achsgehäuse herangeführt sind.

Die Beschwerdegegnerin hat zwar bestritten, daß dort eindeutig offenbart wird, daß die Anschlußkabel durch das Achsgehäuse herangeführt werden, in Anbetracht der Tatsache, daß das untere Teil des Sensors, das die Anschlußkabel führt, in dem Achsgehäuse gehalten wird und die Kabeldurchführung im Achsgehäuse eingeschraubt ist, muß das Kabel jedoch zumindest vom Sensor bis zur Kabeldurchführung durch das Achsgehäuse verlaufen (siehe auch die Zeichnung auf Seiten 5 - 120 der D13).

Die Beschwerdegegnerin hat weiter vorgebracht, daß, im Gegensatz zu der beanspruchten Anordnung die Signalgeber in D7 nicht im feststehenden Achsgehäuse eingebaut seien, sondern im drehbeweglichen Teil der Lenkzapfenlagerung. Damit der Signalgeber den Lenkwinkel ermitteln kann, weist jedoch sowohl der Signalgeber nach den Fig. 2 und 4 des Streitpatents als auch der Signalgeber nach der D7 im wesentlichen zwei Teile auf, von denen eines mit dem feststehenden Achsgehäuse und das andere mit der drehbeweglichen Lenkzapfenlagerung verbunden ist.

Im vorliegenden Fall ist, wie auch von der Beschwerdeführerinnen vorgetragen wurde, funktionell nur als wesentlich zu beachten, daß das Teil des Signalgebers, das das Verbindungskabel enthält, im feststehenden Aufnahmeteil gehalten wird, damit die Lenkbewegungen keine Dreh-oder Biegebelastungen des Kabels zur Folge haben. Diese Voraussetzung ist in D7 gegeben, denn aus D7 ist in den Figuren zu step 1 - 6 klar erkennbar, daß das Verbindungskabel seitlich durch den feststehenden Teil des Signalgebers geführt wird.

Dieser Stand der Technik zeigt also im wesentlichen die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents.

3.5. Die übrigen im Einspruchverfahren genannten, aber im Beschwerdeverfahren von den Parteien nicht mehr aufgegriffenen Dokumente des Standes der Technik gehen nicht über dasjenige hinaus, was aus den oben genannten Dokumenten schon bekannt ist, so daß auf eine eingehende Analyse dieser Dokumente verzichtet werden kann.

4. Neuheit

4.1. Im Hinblick auf den oben besprochenen Stand der Technik kommt die Kammer zu der Schlußfolgerung, daß keines der relevanten Dokumente eine Vorrichtung mit allen im geltenden Anspruch 1 des Streitpatents aufgeführten Merkmalen offenbart und daher die Neuheit im Sinne von Artikel 54 EPÜ gegeben ist.

Da die Neuheit im übrigen auch nicht bestritten wurde, erübrigt sich ein weiters Eingehen auf diese Frage.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Die bekannte Vorrichtung nach der zur Bildung des Oberbegriffs des Anspruchs 1 herangezogenen D1 weist Nachteile auf in bezug auf mögliche Fehlfunktionen durch z. B. Spiel oder Verschmutzung an der Stelle, wo der Signalgeber die Lenkwinkel ermittelt, da der Signalgeber ungeschützt am Lenkgetriebe angeordnet ist, und ist daher störanfällig im harten Betrieb bei Ackerschleppern und Baufahrzeugen.

5.2. Die zu lösende Aufgabe des Patents kann daher in einer Verbesserung der aus der D1 bekannten Vorrichtung dahingehend gesehen werden, daß eine einfache und weniger störungsempfindliche Vorrichtung mit einem leicht einbaubaren Signalgeber geschaffen wird, wobei der Signalgeber und seine Verbindungsleitungen beschädigungs- und verschmutzungssicher angeordnet sind (siehe auch die im Patent genannte Aufgabe in Spalte 2, Zeilen 7 bis 14).

Das Erkennen solcher sich in der Praxis unmittelbar ergebenden Nachteile war, nach Auffassung der Kammer, für den Fachmann offensichtlich, so daß für das Stellen dieser Aufgabe keine erfinderische Leistung notwendig war.

5.2. In bezug auf die Aufgabe hatten die Beschwerdeführerinnen noch beanstandet, daß insbesondere der letzte Teil der in der Beschreibung des Patents genannten Teilaufgabe, demzufolge der Fahrer die Erreichung des Schaltpunktes auch stets deutlich voraussehen und steuern kann, nicht gelöst werde.

Da jedoch diese beabsichtigte Wirkung offensichtlich eine direkte Folge der genaueren Ermittlung des Lenkwinkels und der größeren Störungsunempfindlichkeit ist, kann diese Teilaufgabe, nach Auffassung der Kammer, ebenfalls als gelöst betrachtet werden, spielt jedoch keine eigenständige Rolle.

5.3. Für die Untersuchung der Frage, ob für die beanspruchte Lösung eine erfinderische Tätigkeit erforderlich war, ist nach Auffassung der Kammer außer dem nächstkommenden Stand der Technik, wie er in der D1 offenbart ist, insbesondere die Druckschrift D7, die im wesentlichen die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents offenbart, von Bedeutung.

Zwar wurde von der Beschwerdegegnerin und auch von der Einspruchsabteilung die Meinung vertreten, daß die D7 die Kontrolle bei Vierradlenkungen mittels mehrerer Sensoren betreffe und somit gegenüber dem technischen Gebiet des Streitpatents gattungsfremd sei, weshalb eine Kombination der Lehren der D1 und D7 nicht nahegelegen habe, doch kann im Einklang mit der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. die von der Beschwerdeführerin II zitierte T 199/83) der für die Lösung des Problems zuständige Fachmann, dessen eigenes Fachwissen nicht mehr ausreicht, um das gestellte Problem zu lösen, sich durchaus auf benachbarten Fachgebieten nach Anregungen umsehen, sofern dort entsprechende Probleme auftreten können.

Da im vorliegenden Fall die zu behebenden Nachteile insbesondere bei Ackerschleppern und Baufahrzeugen auftreten, welche Fahrzeuge im Patent in erster Linie angesprochen sind und dabei die ungeschützte Anordnung des Signalgebers für die Lenkwinkelermittlung und seines Verbindungskabels eine wesentliche Rolle spielt, wird er bei seiner Suche nach einer Lösung des gestellten Problems insbesondere diese Kategorie von Fahrzeugen in Betracht ziehen, und zwar im Hinblick auf die genannten Teilaspekte.

5.4. Bei der D7 geht es ebenfalls um einen schweren Ackerschlepper, bei dem die Lenkwinkelsignalgeber zwar keine Differentialsperre steuern, aber das Problem der geschützten Anordnung der Signalgeber ebenfalls vorrangig besteht. Im Vergleich mit der in der D1 offenbarten Konstruktion wird hier in für den Fachmann klar ersichtlicher Weise eine Lösung des gestellten Problems angeboten (vgl. vorstehenden Punkt 3.4).

Die Beschwerdegegnerin hat hierzu noch vorgebracht daß die Lehre der D7 in Abweichung von der des Streitpatents die Benutzung einer Rohrleitung für das Verbindungskabel betrifft und Anspruch 1 so aufgefaßt werden müsse, daß die gesamte Signalleitung bis zur Kupplung durch das Achsgehäuse geleitet werde.

Die Anmeldung, wie sie ursprünglich eingereicht wurde, enthält jedoch nach Auffassung der Kammer keine ausreichende Offenbarung in diesem Sinne, so daß dieser angebliche Unterschied für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht herangezogen werden kann.

Die Figur 4, die als einzige offenbart, wie das Verbindungskabel 31 durch das Achsgehäuse geführt wird, zeigt lediglich einen Teil der Achse im Bereich der Lenkzapfenlagerung und läßt keine eindeutigen Schlüsse zu, wie das Kabel weitergeführt wird, zumal normalerweise, wie auch in der nun fallengelassen Figur 1 gezeigt wird, die Signalleitung über einen außerhalb der Achse angeordneten Steuerkasten die Kupplung steuert.

Aber selbst wenn es so wäre wie die Beschwerdegegnerin behauptet, kann nach Auffassung der Kammer dieser Unterschied noch keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Nachdem es aus der D7 schon bekannt ist, das Verbindungskabel teilweise durch das Achsgehäuse verlaufen zu lassen, muß es als im Rahmen des konstruktiven Könnens des Fachmann liegend angesehen werden, das Kabel auch weiter durch die Achse zu führen für den Fall, daß die Kupplung in derselben Achse angeordnet ist und die Ansteuerung derselben direkt erfolgen kann.

5.5. Zusammenfassend folgt, daß die im geltenden Anspruch 1 angegebe Lösung der gestellten Aufgabe sich in naheliegender Weise aus dem relevanten Stand der Technik unter Berücksichtigung der normaler Fähigkeiten des Fachmannes herleiten läßt und daher nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen werden kann (Artikel 56 EPÜ).

6. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist deshalb nicht patentfähig (Artikel 52 (1) EPÜ).

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 sind schon deshalb nicht bestandsfähig, weil sie den Bestand des unabhängigen Anspruchs 1 voraussetzen. Im übrigen war auf der Basis des einzigen gestellten Antrags zu entscheiden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent Nr. 0 227 660 wird widerrufen.

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