European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1993:T068690.19930621 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 21 Juni 1993 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0686/90 | ||||||||
Anmeldenummer: | 85109044.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | E06B 3/66 B44F 1/06 B44C 5/04 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Platten- oder quaderförmiges lichtdurchlässiges Bauelement | ||||||||
Name des Anmelders: | Hettling-Denker, Renate | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ästhetische Formschöpfung als solche (nein) Neuheit (ja) Erfinderische Tätigkeit (ja) keine ausreichende Erfahrungsbasis Patentable inventions - aesthetic creations (no) Novelty (yes) Inventive step (yes) |
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Orientierungssatz: |
Funktionelle Angaben mit Bezug auf allgemeine ästhetische Formschöpfungen definieren keine ästhetische Formschöpfung als solche, jedenfalls sofern und soweit sie technische Merkmale eines Anspruchsgegenstands ausreichend bestimmen. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die am 19. Juli 1985 eingereichte Europäische Patentanmeldung Nr. 85 109 044.9 mit der Veröffentlichungsnummer 0 169 509, dreizehn Ansprüche umfassend, wurde durch Entscheidung vom 6. April 1990 von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.
II. Die Entscheidung stützte sich auf die Dokumente
D1: DE-A-3 232 238
D2: FR-A-2 080 154
und wurde damit begründet, daß der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 in naheliegender Weise aus Dokument D1 hervorgehe, insbesondere deshalb, weil 1) der Schritt von einfarbigen zu mehrfarbigen Dekors und Kunstwerken dem Fachmann bekannt sei, weil 2) Kunstharz- Pigmentfarben von Malern seit langem verwendet würden und deshalb deren Anwendung bei dem nach D1 bekannten Bauelement dem Fachmann zugemutet werden könne und ferner, weil 3) der Fachmann durch die Stärke des Farbauftrags mehr oder weniger lichtdurchlässige Farbschichten nach Wunsch und ohne erfinderische Tätigkeit herstellen könne.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wird der Erfindungsgegenstand nicht als Lösung einer technischen Aufgabe erfaßt.
III. Gegen die Zurückweisungsentscheidung legte die Beschwerdeführerin am 12. Mai 1990 unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Begründung der Beschwerde ist am 4. August 1990 eingegangen.
Mit der (vom 1. August 1990 datierten) Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin neue Unterlagen ein, und zwar Ansprüche 1 bis 3, Seiten 1 bis 4 einer neuen Beschreibung und als einzige Figur 1 die ursprüngliche Figur 2.
IV. Auf eine Mitteilung der Kammer reichte die Beschwerdeführerin mit Datum vom 5. Juni 1993 einen geänderten Anspruch 1 ein und beantragt, das Patent mit diesem Anspruch und den übrigen unter III oben genannten, am 1. August 1990 eingereichten Unterlagen zu erteilen. Am 15. Juli 1993 reicht die Beschwerdeführerin neue Seiten 1 und 2 der Beschreibung ein.
Der geänderte Anspruch 1 lautet:
"1. Platten- oder quaderförmiges lichtdurchlässiges Bauelement mit mindestens zwei Platten (1, 4) aus transparentem Material, die ohne wesentlichen Lichtverlust über einen Zwischenträger (2) dicht miteinander verbunden sind und auf mindestens einer der Innenflächen der Platten ein zumindest teilflächiges beliebig gestaltetes mehrfarbiges Kunstwerk nach Art einer Glasmalerei durch Siebdruck (3) direkt aufgebracht ist, das nach Verschließen des Verbundes gegen Witterungs- und mechanische Einflüsse geschützt ist."
V. Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, daß sich der Anspruchsgegenstand hinsichtlich der Merkmale
(1) teilflächig,
(2) beliebig gestaltetes
(3) Kunstwerk
(4) Farben und
(5) Siebdruck
derart von der in D1 enthaltenen Offenbarung unterscheide, daß von einem Naheliegen keine Rede sein könne. Außerdem könne man das undurchsichtige Strichmuster nach D1 nicht mit einem "teilflächigen und mehrfarbigen Kunstwerk" gleichsetzen. Insbesondere hätte es dem Fachmann ferngelegen, an einen mehrfarbigen Siebdruck auf Glas zu denken, da er dabei unannehmbare Komplikationen hätte befürchten müssen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
2.1. Der geänderte Anspruch 1 unterscheidet sich von der Fassung der ursprünglichen Anmeldung in folgender Hinsicht:
Zugefügte Merkmale:
a) ohne wesentlichen Lichtverlust
b) auf mindestens einer der Innenflächen der Platten
c) ein zumindest teilflächiges beliebig gestaltetes mehrfarbiges Kunstwerk durch Siebdruck aufgebracht ist,
d) das nach Verschließen des Verbundes gegen Witterungs- und mechanische Einflüsse geschützt ist.
Weggelassene Merkmale:
e) mindestens (einen Zwischenträger)
f) auf mindestens einem der Bestandteile des Bauelementes angebracht ist.
Die weggelassenen Merkmale sind durch die hinzugefügten ausgetauscht oder präzisiert worden. Die hinzugefügten Merkmale sind durch die ursprüngliche Anmeldung ausreichend gestützt:
a) entspricht "lichtdurchlässig";
b) ist eine Präzisierung von f);
c) ist eine notwendige Abgrenzung gegenüber Dokument D1 gemäß Seite 4, Abschnitt 2; und d) geht aus Seite 6, Zeilen 2 bis 5 hervor.
Die Ansprüche 2 und 3 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 3 und 4.
2.2. Die geänderte Beschreibung gibt den Stand der Technik genauer an. Die auf die Erfindung bezüglichen Ausführungen gehen substantiell nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Die Änderungen der Seiten 1 und 2 vom 15. Juli 1993 berücksichtigen die einteilige Fassung des geltenden Anspruchs 1.
Die geänderte Zeichnung geht aus von der ursprünglichen Figur 1, jedoch reduziert auf eine im ursprünglichen Anspruch 1 definierte Ausbildung.
2.3. Die Änderungen gehen somit nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus und entsprechen Artikel 123 (2) EPÜ.
3. Artikel 52 (2) b) und (3) EPÜ
3.1. Da im Anspruch 1 das Merkmal "Kunstwerk nach Art einer Glasmalerei" zur Definition des Schutzgegenstandes verwendet wird, ist vorerst zu klären, ob dieses offensichtlich ästhetische Element zu einem Ausschluß nach Artikel 52 (2) b) EPÜ führt - oder nicht, falls nach Artikel 52 (3) EPÜ keine ästhetische Formschöpfung "als solche" vorliegt. Dazu sind folgende Besonderheiten des vorliegenden Falles zu beachten:
3.2. Das Merkmal "Kunstwerk nach Art einer Glasmalerei" im Anspruch 1 ist einer besonderen funktionellen Angabe gleichzusetzen, die ein technisches Mittel durch eine Zweckangabe (und die übrigen Merkmale) ausreichend festlegt. Dabei wird jedoch nicht der Zweck als solcher, allein, beansprucht, sondern das durch den Zweck und die sonstigen Merkmale ausreichend definierte technische Mittel. Dazu gehören unter anderem die Eigenarten der verschiedenen sukzessive aufeinander aufgebrachten Raster-Farbauszüge infolge des Siebdrucks auf einer lichtdurchlässigen Platte im Verbund des Bauelements.
3.3. Wenngleich sich diese Zweckangabe in allgemeiner Form auf eine ästhetische Formschöpfung als Ganzes bezieht, enthält sie selbst dennoch keine spezifischen ästhetischen Formelemente, wie etwa eine Reproduktion nach einem besonderen Gemälde oder eine spezifische Formbestimmung.
Funktionelle Angaben mit Bezug auf allgemeine ästhetische Formschöpfungen definieren keine ästhetische Formschöpfung als solche, jedenfalls sofern und soweit sie technische Merkmale eines Anspruchsgegenstands ausreichend bestimmen.
3.4. Da somit in Anspruch 1 eine formal nicht spezifizierte ästhetische Formschöpfung als Zweckangabe, zusammen mit den übrigen Merkmalen, einen technischen Gegenstand ausreichend definiert, liegt keine ästhetische Formschöpfung als solche vor. Aus diesem Grund ist ein Einwand gegen Anspruch 1 im Hinblick auf Artikel 52 (2) b) EPÜ infolge Artikel 52 (3) nicht gegeben.
4. Neuheit
Keines der in der angefochtenen Entscheidung entgegengehaltenen und der im Europäischen Recherchenbericht weiter aufgeführten Dokumente (DE-A-3 029 613; FR-A-1 193 766; FR-A-1 513 466; FR-A-2 054 564; DE-A-1 704 062; DE-A-2 702 348; FR-A-2 365 446) beschreibt einen Gegenstand mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1. Die Neuheit seines Gegenstands läßt sich damit nicht in Frage stellen.
5. Stand der Technik, technische Aufgabe und Lösung
5.1. Die Entgegenhaltung D1 offenbart eine "Dekorative Verbundglasscheibe", entstanden aus der Erkenntnis, daß die zuvor üblichen verstärkenden Drähte einerseits statisch von geringer Bedeutung und nur schwierig völlig parallel anzuordnen sind, andererseits aber optisch in günstiger Weise durch Linienmuster ersetzbar sind. Dementsprechend werden Glasscheiben beschrieben, deren mit der thermoplastischen Zwischenschicht verbundene Oberfläche mit Linien bzw. schmalen Streifen aus einer lichtundurchlässigen Druckfarbe bedruckt ist. Es wird darauf hingewiesen, daß sich zum Bedrucken der Glasscheibe in erster Linie das Siebdruckverfahren eigne (Seite 4, Zeilen 17 - 18).
Demgegenüber stellte sich als technische Aufgabe, ein lichtdurchlässiges Bauelement mit einem Kunstwerk nach Art einer Glasmalerei zu schaffen, das billig herzustellen ist, insbesondere die Möglichkeit zur Serienherstellung eröffnet und die genannten Nachteile weitgehend vermeidet.
5.2. Ob in dieser Aufgabenstellung Hinweise auf die Lösung enthalten sind, ist möglich, kann hier jedoch dahingestellt bleiben, da, wie sich aus den nachstehende Gründen ergibt, der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5.3. Das beanspruchte Bauelement definiert nicht nur ein solches mit einer weiteren Verbundglasscheibe im Sinne von D1, mit anderen dekorativen regelmäßigen Linien- und Streifenmustern, sondern ein Bauelement, dessen Technik das Präsentieren von beliebigen Werken der Malereikunst ermöglicht. Diese Lösung sprengt sowohl den engen dekorativen Rahmen von D1, aber auch die früheren technischen Grenzen der Glasmalerei. Sie stellt daher insgesamt eine technisch moderne, industrielle und qualitative Weiterentwicklung der alten Glasmalereitechnik dar.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1. Entgegenhaltung D1 (1984) geht davon aus, daß bei Verbundglasscheiben als störend empfunden wurde, wenn nach dem Spannen der verstärkenden Drähte dieselben nicht ganz geradlinig verliefen, also sichtbare Krümmungen aufwiesen. Um deshalb möglichst regelmäßige und geradlinige Dekorstreifen zu erreichen, wurde vorgeschlagen, eine entsprechende optische Wirkung durch Bedrucken der Glasoberfläche mit lichtundurchlässigen Streifen zu erreichen. Die generellen Möglichkeiten dieses Vorschlags werden auf Seite 5, Zeilen 27 - 28, ausdrücklich wie folgt abgegrenzt: "Anstelle geradliniger paralleler Dekorstreifen können auch andere dekorative Strichmuster ... aufgebracht werden."
Diese Lehre ist deutlich auf lichtundurchlässige Strichmuster beschränkt, also im wesentlichen auf einfachste geometrische Gestaltungselemente. Unter den gegebenen technischen Voraussetzungen war der Fachmann daher veranlaßt, nach spezifizierenden Weiterentwicklungen hinsichtlich des Farbmaterials, der Aufbringtechnik und günstiger Muster in Anwendung fachmännischer Erfahrung und Kompetenz zu suchen. Keine Hinweise sind jedoch in D1 dahingehend gegeben, daß ein mehrfarbiger Siebdruck gemäß Anspruch 1, und somit die originalgetreue Wiedergabe von Werken der Malkunst technisch realisierbar sei.
Der Fachmann verfügte hinsichtlich eines mehrfarbigen Siebdruckes auf Verbundglaskonstruktionen über keine verläßliche spezifische Erfahrungsbasis - entsprechende Kenntnisse aus dem Stand der Technik liegen nicht vor - und hätte daher befürchten müssen, daß ein mehrfarbiger Siebdruck unter den Bedingungen eines chemisch wirksam werdenden Verbundes technisch nicht sauber durchführbar wäre. D1 enthält mithin für den Fachmann und seine Erfahrungsbasis keine ausreichenden Mitteilungen, die ihm den beanspruchten Gegenstand hätten nahelegen können.
6.2. Da D1 einerseits dem Anspruchsgegenstand konstruktiv am nächsten zu kommen scheint, dem Fachmann jedoch keinen gesicherten Anlaß zur erwähnten technischen Aufgabe ohne allfällige Hinweise auf die Lösung geben konnte (vgl. oben unter 5.2), wird von einer entsprechenden Oberbegriffbildung abgesehen.
6.3. Dokument D2 (1971) schlägt dreizehn Jahre vor der Veröffentlichung von D1 vor, zur Erzielung künstlerischer oder dekorativer Effekte eine mit zwei Glasscheiben verbundene thermoplastische Zwischenfolie vor dem Verkleben zu bemalen (Seite 1, Zeilen 1 bis 8). Der nach Möglichkeiten dekorativer Verbesserungen gemäß Dokument D1 suchende Fachmann muß somit auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß nicht nur regelmäßige Linien- und Streifenmuster realisierbar sind, sondern daß generell das Bemalen der thermoplastischen Zwischenfolien möglich sei.
Allerdings setzen diese Vorschläge voraus, daß die thermoplastischen Folien einer Verbundglaskonstruktion bemalt werden, und nicht die Glasplatten selbst. Der Fachmann steht daher vor der Wahl geeigneter Folien- und Farbmaterialien, sowie der Malweise, für welche Pinsel, Spachtel, Rakel und Spritzpistole genannt werden (Seite 1, Zeilen 37 - 39). Da in diesem Zusammenhang keine Drucktechnik erwähnt wird, handelt es sich bei diesen künstlerischen Darstellungen primär um individuelle Darstellungen, also im wesentlichen um Originale. Auch sie vermitteln dem Fachmann keine ausreichenden Anregungen, die ihn zur spezifischen (Druck-)Technik des Anspruchsgegenstands hätten führen können.
6.4. Die sonstigen im Europäischen Recherchenbericht erwähnten Druckschriften (siehe oben unter Ziffer 4) enthalten keine dem Gegenstand des Anspruchs 1 näher kommenden Angaben. Dieser beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit und ist patentierbar.
6.5. Gegen die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 und 3 ist nichts einzuwenden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit dem Auftrag zurückverwiesen, dem weiteren Verfahren die folgende Fassung der Anmeldung zugrundezulegen und die Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ abzusenden:
Beschreibung: Seiten 1 und 2, eingegangen am 15. Juli 1993, Seiten 3 und 4, eingegangen am 4. August 1990
Anspruch 1: eingegangen am 5. Juni 1993
Ansprüche 2 und 3: eingegangen am 4. August 1990
Zeichnungen: Figur 1, eingegangen am 4. August 1990.